Mittwoch, 30. Dezember 2009
denn seht, er ist immer allein.
Eine müsste ihn lachen lehren
und den schrulligen Grillen wehren.
Eine und dieser gemeinsam
wären nicht mehr einsam.
(Hannah Höch, "Graumann".)

Hannah Höch, Dada-Mama, hatte 1945 erfolglos versucht, Collagen und Gedichte, die sie für ihre Kinder gemacht hatte, als Buch herauszubringen. Nun ist ihr "Dummy" als liebevoll gestalteter Faksimile-Print herausgebracht worden. Höch, die am 1. November ihren 120. Geburtstag gefeiert hätte, zeigt sich von ihrer vergnüglich-hintersinnigen Seite, reimte knappe Gedichte über die Tücken von Alltag und Moral und illustrierte diese mit witzigen Collagen. Zahmer als ihre bösen Schnitzereien gegen die Bierbäuche der Weimarer Republik. Ganz wundervoll. Höchs Wohnhaus steht übrigens immer noch in Heiligensee, und irgendwann werde ich es hoffentlich zu einem Besuch dorthin schaffen.
Frau Mona Lisa war so freundlich, mir dieses schöne Buch zu schenken. Grafiken der Chemnitzer Grafikerin und Tübke-Schülerin Dagmar Ranft-Schinke. Versponnene Strand-, Meer- und Überlandgeschichten, manche vielleicht ein wenig im naiven Aquarell verhaftet, andere dann mit freiem, witzigen Strich, eine Welt im Fluß befindlich. Schön zum entspannten Blättern, wenn ich mal Zeit für mein hermetisches Sofa finde. Vielen Dank!
- Hannah Höch. Bilderbuch. Orig. 1945. Reprint 2008. The Green Box, Berlin.
- Dagmar Ranft-Schinke. Hermetisches Mosaik. Galerie Weise, Chemitz.

Montag, 14. Dezember 2009
(© Andre Jordan, A Beautiful Revolution.)

Montag, 7. Dezember 2009
“I’m like they are — like Japanese lanterns and crape paper, and the music of that orchestra.”
“You’re a young idiot!” he insisted wildly. She shook her blond head.
“No, I’m not. I am like them... You ought to see... You don’t know me.” She hesitated and her eyes came back to him, rested abruptly on his, as though surprised at the last to see him there. “I’ve got a streak of what you’d call cheapness. I don’t know where I get it but it’s — oh, things like this and bright colors and gaudy vulgarity. I seem to belong here. These people could appreciate me and take me for granted, and these men would fall in love with me and admire me, whereas the clever men I meet would just analyze me and tell me I’m this because of this or that because of that.”
(F. Scott Fitzgerald, The Beautiful and Damned. 1922.)
Nach zwei vodkavernebelten Abenden in Folge (diese "letzten Absacker" im Karoviertel können tückisch sein), mußte ich am Wochenende ein wenig ruhen. Ich fand mich im Bücherregal vor dem Buchstaben F wieder und hing dann ein Weilchen im Jazz Age fest, während es sich draußen munter einregnete, trip, trip, trip wie Reiskörner schlug es an die Fensterscheibe.
Beauty und shallowness, so zwei immer wiederkehrende Themen in den Storys und Romanen von Fitzgeralds, den ich... nun ja, in den letzten Jahren völlig vergessen hatte. Dabei habe ich in jüngeren Jahren alles verschlungen, mich berauscht und fasziniert gegruselt an und vor den Gestalten dieser Partywelt der 20er, den kalten Blondinen und eitlen Elite-Uni-Absolventen. Ich schüttelte den Kopf über The Beautiful and Damned, wurde traurig bei The Last Tycoon, diesem wahnsinnig wunderbaren Fragment eines Romans.
Gesellschaftsmelodramen, Spiele vor und hinter dem Vorhang, der kleine Verrat und der große auch, gestohlene Tänze und andere schurkischen Heimlichkeiten, geplatzte Schecks und enttarnte Hochstapelei, die Träume, die sich irgendwo in den Ritzen des sozialen Parketts verlieren, das maskierte Lächeln, die gnadenlose Oberflächlichkeit. Es war alles schon da. Aber wir leben ja ebenfalls in der Zwischenzeit.

Freitag, 4. Dezember 2009
© Essentially Odd
Robotertränen in Flaschen. Da muß man sich erst einmal setzen, andächtig im stillen Erstaunen. Soll keiner sagen, ein rostiges Herz könnte nicht ein Gefühl von Trauer spüren. Das muß ich natürlich alles haben und schon haben wir mein nächstes Problem aufgeschlagen wie ein Buch: Dieses Blog zeigt so wunderbar gestaltete Bücher und Magazine aus dem Bereich Grafik und Ilustration, das ein einziges Weihnachten gar nicht ausreicht, sein Begehren zu äußern. (Den Satz verstehe ich, glaube ich, selbst nicht, aber egal, kurz: alles toll!) Darunter eben auch Essentially Odd, ein Kompendium, das in keinem Haushalt fehlen sollte.
via Scheinriese

Donnerstag, 19. November 2009
"Misery is the thinking man's happiness."
(via irgendwo im Internet)

Dienstag, 17. November 2009
Macht nichts, deshalb schreibe ich es hier noch einmal auf. Bis Freitag dann - und hübsch gekämmt, bitte.

Sonntag, 15. November 2009
Abends an so einem Tempranillo gerochen (2003), dabei Moon Suk zugehört, wie sie meinte, Berlin sei nicht gut für Ehen, Berlin zerstöre Ehen, da sei zu viel Ablenkung. Kurz Haha gemacht, noch trockener als dieser Tempranillo, der meiner unsensitiven Meinung nach übrigens nicht anders schmeckte als der von 2008, ich nehme da aber alle Schuld auf mich. In Hamburg, Frau Moon Suk, orientierten sich die Ehen früher ja an den Liegezeiten der Schiffe. Und dann wurden die Handelscontainer und das schnelle Rein-raus, ich rede über Ladegeschäfte, erfunden. Wir sind hier nun in der Stadt der Ein-Personen-Kinos. Und damit meine ich nicht die Kabinenbetriebe auf der Reeperbahn.
Erst dachte ich, man müsse den gemeinsam schauen, aber ich hatte ganz vergessen, was für ein bitterer, trauriger Film das ist. Also doch nicht unbedingt das, was man gemeinsam ansehen sollte, es gibt Dinge, die sollte man allein durchstehen. Melodramen über zuviele zerbrochene Träume, das Altern und die Vergeblichkeit, die bewahrten Illusionen und die Schonung, weil jeder dem anderen seine Illusionen nicht nehmen will, und der Verrat durch die Schonung, der Verrat an der Liebe vor allem, an der Aufrichtigkeit (da gibt es dann natürlich das junge, idealistische Mädchen, ein Schriftstellertalent, auch sie hin- und hergerissen in der Liebe, wie sie alle in diesem Film, das dem alten, na gut, also mittelalten Mann vor die Entscheidung stellt, eine Tür öffnet, mit all dem Mut der Jugend, den er irgendwo auf dem Weg verloren hat), der Verrat also an der eigenen verdammten Zukunft. Auf dem Boulevard der Dämmerung werden irgendwann die ersten Blogger sagen, lange nachdem das Tonfilmgezwitscher die Welt weitergeschoben hat: Mr. DeMille, ich bin bereit für die Großaufnahme.
Anschließend den Roman von Nick Cave zu Ende gelesen. Auch so ein Träumer, dieser Bunny Munro. Ein Charmeur alter Schule in einer sehr gewissen Weise, man schämt sich ein wenig, ist gebannt fasziniert, ein schrecklicher Unfall fällt einem ein, kurz, man kann über 300 Seiten gar nicht weggucken, schüttelt den Kopf, leidet aber mit, schließt ihn auch irgendwie ins Herz, diesen Don Quichote auf der Suche nach der... na gut, das sollte man besser selbst lesen, ich trage nicht diesen Schnauzbart wie Nick Cave und kann mir auch keine anzüglichen Scherze über Kylie erlauben, weil wir nicht näher bekannt sind. Bunny Munro jedenfalls, dieses große Arschloch und arme Socke, nicht jeder Leser wird sich über ihn erheben können, die meisten aber wohl schon, gehört jetzt zu den eher simpel Strukturierten, sehr nah orientiert an bestimmten Bahnen des Rückenmarks, vielleicht nicht der Allerreflektierteste unter uns, mehr so Schnellrestaurant, nicht Feinkost, aber dafür mit einem gewissen Händchen für, ich möchte mal sagen, Publikumskontakt, und da träumen hier einige auch von. Wie ich weiß.
Schade, daß das Buch nach 300 Seiten bereits aus ist, ich hatte ja noch Hoffnung. Ich meine, der Mann war doch lernwillig, der hat sich doch immer gefragt, was dieses oder jenes zu bedeuten habe, daß ihm doch sicher jemand was sagen möchte, seine Frau zum Beispiel, wenn sie seine Kleidung, zerfetzt & zerschnitten, in der Wohnung verteilt. Ich meine, Bunny war doch ganz nah dran, er stand doch kurz davor! Aber nach 300 Seiten endet das Buch wie im Titel bereits angedeutet mit dem Tod des Protagonisten, der letzte Picaro endet, rüde aus dem Sattel geworfen, in diesem englischen Küstenort, zu dem ich persönlich auch wieder eine Schleife ganz an den Anfang ziehen könnte, allein, da mach ich lieber neckische Bewegungen mit den Zeigefingern hinter den Ohren und rufe: Bunny, du warst uns kein Vorbild, aber irgendwie auch einer von uns!

Dienstag, 27. Oktober 2009
An der U-Bahn-Station unter dem MQ begegne ich dem Wondratschek. Wir tauschen Blicke, mustern uns zögernd, nicht ganz sicher, ob wir einander erkennen, er geht weiter, schließlich, auch weil er sich nicht traut, mich anzusprechen.
[Aus: Wir zeigen dem Tag nicht mehr diese Schußwunde]

Freitag, 23. Oktober 2009
Ein wichtiges Buch, ein gutes Buch. Müßte ich noch ein weiteres Buch schreiben, ich würde dieses nehmen. Aber nun gibt es das ja bereits. Das Tumblr-Projekt 1001 Rules for my unborn Son macht genau das, was im Titel steht, und stellt einen modernen Katechismus aus linealklaren Leitlinien zusammen, für die Gelegenheiten, in denen man nicht Mutti fragen kann. Oder den Vater. "Let's get some things straight before I get old and uncool", die Zeit läuft einem ja unerbittlich davon und manchmal sogar hinterrücks.
Ob es darum geht, wenigstens ab und zu einen Helm zu tragen, oder worauf man achten muß, wenn man eine Gang gründen will - an diesen Ratschlägen gibt es nichts zu deuteln.
Länger mußte ich über das Gebot zu akzeptablen Kopfbedeckungen nachdenken. Ich bin quasi Rheinländer, und einmal, ich gebe es zu , habe ich heimlich einen anprobiert. Die Farbe stand mir nicht, aber vielleicht war es doch der Hut.
Ihr könnt all dem ruhig widersprechen, aber wundert euch nicht über meine Reaktion: Never respond to a critic in writing.

Freitag, 7. August 2009
Diese Jahreszeit ist zu heiß, um brikettdicke Bücher zu lesen. Schneller als wassergestreckte Eissorten zerschmelzen die Wörter und Buchstaben, rinnen in einem bleigrauen Brei die Seiten hinunter, wie eine Sonnencreme, die in Arsen gefallen ist. und so sehr man sich in solche Bücherwelten verlieren möchte, um niemals daraus wieder aufzutauchen, mir ist derzeit nach etwas Schlankerem. Die Welt ein Buch und das Buch eine Welt - sie ist Pixie-klein derzeit. Und so lobe ich mir die lütte plattdeutsche Minibuch-Edition des Antje Steffen -Verlags.
Ich weiß nun ehrlich nicht, warum ausgerechnet einem Sonnenschein wie mir das Regenleed in die Hände fiel - wir müssen die Evidenz des Faktischen in diesem, sicher bloß besonderen Fall, einfach mal undiskutiert so hinnehmen. So sitze ich nun im schönen August mit dem Regenleed unterm heißen Dach: "Regen, Regen druus - wi sitt hier warm in't Huus!" Warm ist es auf jeden Fall, und der Regen kommt sicher bald.
Denn mit dem Sommer sind alle Geschichten vorbei, heißt es.
