Sonntag, 15. Juli 2018
Nachdem ich also 2016 mit letzter Mühe und Not meinen Kursus besucht hatte, mußte ich für das Zertifikat darüber noch innerhalb eines Jahres die Abschlußprüfung hinlegen. Das bedeutete für irre zwei Wochen (seit ihr irre?) mindestens 200 Km weit wegzufahren und auch noch alles selbst zu organisieren. Ich entschied mich letztes Jahr für Hiddensee, weil ich da schon ein paar mal zu unterschiedlichsten Jahreszeiten war. Das sind von Hamburg aus vier Stunden mit dem Zug und zwei weitere mit der Fähre. Und da ich die Strecke ja kannte, konnte ich alles prä-visualisieren, mir ausmalen, im Shell-Atlas abstecken und entlang der Strecke Proviantpakete verstecken lassen.
Tatsächlich klappte alles hervorragend. Ich wurde sogar so übermütig, mir am Bahnhof für den kleinen Transfer zur Fähre ein Taxi mit einer Urlauberin zu teilen, die mir das letzte gerade wegschnappen wollte. Damals gab es noch nicht den Witz mit dem Serienmörder im Taxi, der derzeit auf Twitter rauf- und runtergeteilt wird, sonst hätte ich während der kurzen Fahrt schön was zu erzählen gehabt.
Ist man erstmal da, kehrt ja sofort Ruhe ein. Keine Autos, keine Fragen, im Hafen gibt es freies Wlan für die innere und äußere Anbindung, und essen kann man da auch. Man leiht sich ein Rad, klappert die vier Sehenswürdigkeiten, also Leuchtturm, den anderen Leuchtturm, Puppenbühne und den Edeka ab und nimmt ansonsten alles sehr gelassen.
Wegen des schon zu wirklich nur subtil wahrnehmbaren Stimmungsschwankungen führenden allgemeinen und auch besonderen Erholungsdefizits blieb ich aber zunächst hübsch am Strand, Sonne in den Bauchnabel einstrahlen lassen, wie mir von strengen Menschen aus Übersee befohlen anempfohlen wurde. Dann ein wenig Strandgymnastik mit der Sportgruppe Hittins Insel. Für die Stärkung der inneren und äußeren Muskulatur. So vorbereitet absolvierte ich den obligatorischen Urlaubsprüfungspunkt: Schwimmen!
Das hatte ich ja nun auch schon zehn Jahren nicht mehr gemacht, also das, was ich Schwimmen nenne. Nicht dieses außenbahnpflügende Kampfkraulen, was ihr dreimal die Woche in der Halle macht. Entspannt eben. Nur mit meiner Oktopusbademütze bekleitet, damit mich andere Menschen wie einen Unfall im Auge behalten, ob sie nun wollen oder nicht, wagte ich mich "ins kühle Nass", wie es im Prospekt heißt. Dazu ist die Ostsee ja prima: Man schwimmt einfach ein bißchen, und wenn man nicht mehr kann, wie es mir ab und an passierte, stellt man sich einfach hin. Geht doch.
Für ganz große Not wartet auch ein Rettungsboot, das nach dem finnischen Wort für Reiseübelkeit benannt ist, im Hafen. Und ein hübsches altes Vergnügungsschiff, das wie eine rostige Hoppetosse vor Anker dümpelt. Abends spanne ich schön erschöpft von Sonne, Wasser, Sand zu gemütlichen Schmökern aus. Küste des Verderbens, ganz schön gruselig. So habe ich es aber gar nicht empfunden. Den Fuchs habe ich aber nicht getroffen, der döste wohl im Wäldchen.
Mittlerweile steht auch das Karusel der Öffentlichkeit zur Verfügung. Allerdings kann man es nur in Schwarzweiß besuchen. Hier hat ja Frau Nielsen den Ringelnatz regemäßig zu Tee und Gebäck empfangen, jedenfalls wenn der olle Suffkopp den Weg vom Strand durch Matsch und Gebüsch dorthin gefunden hat. Drinnen gibt es den alten Schminktisch zu sehen, beim Schlafzimmer bin ich mir nicht ganz sicher, ob es originale Möbel sind. Schon damals, so erklären Schautafeln, gab es windige Immobilienspekulanten, die Frau Nielsen, durch die Umstände nach Dänemark gezwungen, mit allen Tricks das kleine Häuschen abluchsen wollten. Aber die war auch ein Fuchs! Heute ist dort ein Trauzimmer untergebracht, für Leute, die einen Kursus abgelegt haben und sich zu zweit was trauen. Ich immerhin, eins nach dem anderen, habe jetzt erst einmal den Urlaubsfreischwimmer!
Montag, 9. Juli 2018
Irgendwann fiel mir zwischen zwei Atemzügen unter der Tagesdecke auf, daß mein letzter richtiger Erholungsurlaub™ in der Sonne auch schon wieder zehn Jahre her war. Danach fing das Elend an. Erst klappte dies nicht, dann was anderes. Da gab es zwar die regelmäßige Woche in Wien, Kaffee und Schokoladeherzen tanken. Oder mal auf Hiddensee bei stabiler Laune, aber wechselhaftem Wetter. Und dann war ich auf einmal krank.
Als ich nicht mehr ganz so krank war, hätte ich den oben erwähnten Erholungsurlaub erst recht gebrauchen können. Und sei es nur zwei Wochen Mallorca, wie ich ziellos verkündete. So weit wäre ich schon. Die Demut! Einfach wie tot in der Sonne am Wasser liegen. Aber der Zustand, der Zustand! Zum Gotterbarmen.
Natürlich, und das hat der Mensch ganz hilfreich und beglückend eingerichtet, mangelt es nicht an klugen Ratschlägen. Man muß nur tief genug unten sein. Allein reisen, was ich beklagte, weil man Eindrücke und Momente nicht teilen, diese also folglich verloren wären wie Tränen im Regen usw. usf., sei gar nicht schlimm. Murmelten die, die ihr Lebtag noch keinen Tag allein gereist sind. Mallorca, so offenbar ganz Kenntnisreiche, ginge auch nicht, denn: Kunst und Kultur müsse schon sein. Wurde ich vom gepackten Koffer für die Südsee herab belehrt, eine Gegend, die ja zuvorderst für ihre zahlreichen Ausgrabungsstätten und Guggenheim-Museen bekannt ist.
Ein paar mal, ich bin ja hartnäckig, ging es kurz vor knapp einer geplanten Auszeit noch schief, wie so ein höhnischer Kuckuk aus der Uhr schoß gackernd irgendeine Katastrophe hervor, am Ende hörte ich schon nicht mehr recht hin, „Sonne! Sonne!“ wie im Drogen-, also Vitamin-D-Entzug delirierend und in der Meinung, vielleicht schaffe ich es ja wenigstens auf den Waldfriedhof. Und leckt mich alle. Zum Ausrasten, was aber wiederum das österreichische Wort für Entspannung ist, also auch nicht paßt.
Nun muß man, mir gelang das nach Jahren schon, erkennen, wann genug auch wirklich genug ist und man selbst mit Latein und Kraft am Ende. Urlaubsangststörung nennt man das denn wohl, wenn man sich erst weit genug zurückgezogen hat und schon der Anblick einer Flasche Sonnencreme eine Drohung ist. Dann muß man mit Profis arbeiten.
Zum Glück bietet die Stadt Hamburg auch hier ein Hilfsprogramm an. Auf einem kleinen Ferienparksimulationsgelände kann man ein lüttes Häuschen beziehen, Wasseranschluss und ausreichend Platz für eine Schlafstätte sind vorhanden, und sich wie in einem Ferienhaus fühlen. Wir leben in einer Schären-Kultur, und so teilen sich immer zwei einen kleinen See, wo man morgens, nur mit einem Knäckebrot bekleidet, nach seinem Frühstück tauchen muß. Abends dann Treffen vor dem großen Indianerzelt zum Kumbaya mit Lagerfeuer und Gitarre und Supervision. Nach drei Tagen darf man evaluiert und mit einer Empfehlung versehen nach Hause. Schritt eins ist getan. Es fehlt nur noch die Abschlußprüfung, in der man mit schwitzenden Händen einen Koffer packen und sich zum Zug begeben muß. Mindestens eine Woche raus, da sind die Betreuer streng!
Sonntag, 3. Juni 2018
Regen und Gewitter brachten dann endlich auch Hamburg Abkühlung, dem Flughafen aber einen Kurzschluß und anschließende Einstellung des Betriebs. So hatte ich den Radfahrluftraum für mich bei astreinen Temperaturen knapp unter 20 Grad, leichter Brise aus Südsüdoooooost und guten Wünschen vom Tower. Die Regenfälle der letzten Tage oder wohl doch eher noch Tauch- und Hebearbeiten hatten überall auf den Wegen Gerümpel aus dem Kanal angeschwemmt, darunter einen muschelbewachsenen Fahrradlenker und ein altes Verkehrsschild, dessen ehemalige Funktion beim besten Willen nicht mehr erkennbar war. Vielleicht ein Dieselfahrverbot oder Tempo-30. Dies sind derzeit sicher die gefährdetsten Schilder dieser Stadt.
Spektakulär aber der Fund einer seltenen Rostkoralle, die ich beim surfen am Kanal-Reef fand. Ausgerechnet heute, wo ich mal nicht einen Beutel für Zufallsfunde und -käufe in meiner Packtasche hatte. Ich brachte das prachtvolle Exemplar aber auch so nach Hause. Gleich ein bißchen abgeschrubbt und freigebürstet wird es hier irgendwo (aber wo? aber wo?) einen Platz finden. Eigentlich ein Fall für die Toten Tiere, die Knochen des Industriezeitalters. Spätere Kulturen werden darüber rätseln, wie wunderbar organisch Eisen einst wachsen konnte.
Man muß eben die richtige Welle reiten. Runter mit der Blümchenbadekappe, rauf aufs Brett und durchs Wasser juchzen. Surfing Goths in the Sun! Zwischen nach Sauerstoff japsenden Fischen und Korallen tauchen, Schätze bergen.
>>> Geräusch des Tages: Vampire Beach Babes, Gothic Surf-a-Rama
Sonntag, 29. April 2018
Ich besitze so einen beleuchteten Globus, der bei mir im Studierzimmer steht und den ich abends schon einmal gedankenverloren betrachte und mir denke, wie interessant, wie man so im Halbdunkel sitzt und auf Hamburg starrt, während ich in meinem Zimmer in Hamburg sitze.
Nun lehrt eine höhere Weisheit, daß man die Dinge auch mal von ihrer anderen Seite aus betrachten soll, den ein jedes habe derer zwei, wie Bescheidwisser gerne durch die Gegend trompeten. Oder besser, weil es mir mehr liegt, einfach mal hinter die Dinge schauen, sehen, was dahinter wohl liegt. So drehte ich neulich den Globus einmal herum, und siehe da, Bescheidwisser wußten das wahrscheinlich wieder, tatsächlich ist auf der anderen Seite auch noch was. Ein weiteres Teilstück, noch mehr Informationen und Gewißheiten und Ungewißheiten und Länder und Kulturen, die man betrachten kann, während man aber immer noch in seinem Zimmer in Hamburg sitzt. Wenn diese Erzählung denn stimmt.
A happy love is a single story, a disintegrating one is two or more competing, conflicting versions, and a disintegrated one lies at your feet like a shattered mirror, each shard reflecting a different story... (Rebecca Solnit, A Field Guide To Getting Lost.)
Anfänglich habe ich nur schwer verstanden, worum es in Solnits Buch eigentlich geht, und so wirklich weitergekommen bin ich damit immer noch nicht. Ein wenig verloren bin ich, so scheint mir. Aber es wird mehr und mehr zu einer aufwühlenden Reise, einer interessanten. Durch ineinander verwobene Geschichten hindurch, Erinnerungen an alte Freundschaften und beendete Lieben, einem Haus in der Wüste und das Blau und die Sehnsucht der Ferne. Und wie alte Leben enden und neue beginnen, wie man das eine verliert und sich selbst verliert oder einfach nur für andere verloren ist.
Karten helfen gewöhnlich oder ein Globus, um die Übersicht zu bewahren oder irgendwohin zu finden, wo die Verhältnisse aber keine anderen sind. Sondern gleichsam verloren. Solnit hat einen eigentümlichen Sound, und das ist es, glaube ich, was mir an ihrem Buch gefällt. Man lernt immer was. Von der richtigen Situation oder den wichtigen Menschen, auf die man längs des Weges trifft. Von denen man merkt, sie bringen einem etwas bei, eine Lektion, Wissen über das Überleben in der Wüste, wie man die Angst überwindet oder eine Sprache spricht.
Samstag, 28. April 2018
Die Straße, in der ich wohne, ist ja eine der vielen ausgesprochen hübschen Hamburger Alleen, für die ich eine mittlerweile nur noch heimlich ausgeprochene Bewunderung hege. Für den Frühling und seine vielen Feste frisch aufgehübscht, sind dort Bäume sauber aufgereiht, spenden schlanke Schatten in der Sonne und Halt für die zahlreichen Hunde, die dort spazierengeführt werden. Die bewundere ich nicht. Nur die Bäume und die Blumen.
Unten am Deich turnen Lämmer, drumherum Radfahrer wie mich und Flanierende, Caféhausbesucher, allesamt noch nicht ganz so sicher über die Wetterlage. Ob es bleibt wie es ist, wer weiß es schon. Ich sah ein Rotkehlchen, ich sah eine Wespenkönigin, die ein Schlupfloch für den Nestbau suchte. Ich sah eine Entenfamilie, die mit sechs Küken aufs Wasser ging. Ich überlege, ob es schlimm ist, daß die Heizung nicht richtig läuft.
Als stiller Bewunderer tippe ich die guten Meldungen in die eigenen Registerkasse und versuche die Angst zu stutzen wie andere Menschen Baumkronen. Die alles ausradieren, die Blumen, die Rotkehlchen meinetwegen. Ich sage einfach, doch, ja, natürlich. Das ist eine Allee. Ihr habt recht. Ist so auch ganz schön.
Sonntag, 19. November 2017
Wie eine vergessene Maya-Pyramide ragt sie aus Baumwipfeln hervor, Betonbrutltecl, und fast hätte ich vor Jahren dort gegenüber mal gewohnt, als ich dringend eine Wohnung suchte, also sehr dringend, und auf meinem zahmen Elefanten in den Dschungel ritt. Aber weil es ein regnerischer, dunkler Tag war und der Weg zu dieser Wohnungsbesichtung durch endlos lange, von flackernden Neonlampen minderbeleuchteten Gängen führte, an meterdicken, vom Regen noch grauer angelaufenen Betonmauern vorbei, drehte ich gleich wieder um. Etwas besseres als den Tod kann ich überall finden, so dachte ich.
Heute ist das Ensemble ja schon fast wieder schön in all dieser feindseligen, erdrückenden Pracht. Zum Glück ist es Beton! Wie andere Pyramiden auch ein Zeugnis einer vergangenen Zeit, aber bevor jetzt am Ende noch Touristen kommen, reißt man es lieber schnell ab. So nagen seit einigen Monaten Bagger und Raupen und anderes schweres Gerät an den Außenmauern. In den Schubladen von Großbaumeister T. liegen sicher schon verschiedene Varianten immergleicher Glaskuben bereit, hier weitere Klötzchen hinzukötteln, von denen die Stadt bereits weitflächig und schwer verdaulich zugeschissen ist.
Ab und an schaue ich mal vorbei und überlege, ob es nicht eher eine Art Hamburger Schloß Neuschwanstein ist. Der fiebrige Betontraum eines Blade Runner-Architekten, die Trutzburg einer hanseatischen Tyrell-Corporation, um die nachts Hovercraft-Taxis schweben und Androiden ihre Schöpfer suchen. Ich könnte dort wohnen, in aller Mordsseelenruhe, nachts im Regen auf der Terrasse stehen und die Lichter der Stadt auszählen, die Musik schön laut drehen und ab und an Wein aus den hauseigenen Betontanks holen. 500 oder 5000 Zimmer voller Möglichkeiten.
>>> Geräusch des Tages, New Order, Truth
Sonntag, 27. August 2017
Dieser Briefumschlag hat tatsächlich noch eingravierte Träume. Aber warum nicht. Als ich ihn auf seine lange Reise schickte, fiel mir ein, Mensch, Herr Kid, Sie hatten doch auch mal Träume! Das ist aber lange her. Nun ist dieses Jahr eins der denkwürdigen Begebenheiten, und so kann man ja auch mal einen Koffer packen. Die Pferde satteln, wie es im Reitermund heißt, sich freundlich in die Sonne stellen, den großen Zeh ins Wasser halten und den Seeraubvögeln die Zunge raustrecken. Andere Leute machen das ja auf ihre sonderliche Weise ganz unbefangen auch.
Und wer nun zu Hause beiben muß? Der geht in Berlin schauen, wenn die wunderbare Frau Gaga vom 1. bis 3. September im ehemaligen Frauengefängnis ihr sentimentales Archiv öffnet. Das geht über drei Tage, Ausreden zählen also überhaupt nicht.
Meine Güte, ein Leben fast wie früher. Anschließend Getränk und Blogger-Party. Gelacht wird wohl auch.
Dienstag, 27. Juni 2017
Wenn man schon mal Kometenbahnen zieht, kann man auch in größere Radialsysteme eintauchen und der großen Nachbarstadt einen Blitzbesuch abstatten. So blitzig war es allerdings zunächst nicht, der Abendzug blieb erstmal über eine Stunde in Hamburg stehen, nicht aus Widerwillen, sondern weil tatsächlich ein Lokführer fehlte. Solche Geschichten gibt es also auch. Fachkräftemangel im laufenden Betrieb. Leider wurde unter den Fahrgästen nicht weiter nachgefragt, ich hätte vielleicht gesagt, komm, was soll's, mach ich. Ich immerhin wollte ja schließlich nach Berlin.
Letzte Gottesbeweise waren zu leisten. Und ich knicke hiermit nach Jahren des aus hinter die Fichte geführt seins trotzig genährten Leugnens ein und sage, ja, ist ja schon gut, Berlin hat tatsächlich ein Nachtleben. Meine Güte. Jetzt chillt mal, ihr Opfer. Ich habe es auch sozusagen fast alleine gefunden ("Da mußte da durch den dunklen Weg, an dem Haus vorbei die Treppen runter und dann unter dem S-Bahn-Bogen", so die auf der Straße aus jungen Leuten herausgequetschte Auskunft.). Drinnen Lärm, Trunk und nette Leute, einen Teil kannte ich schon, den anderen lernte ich dann kennen. Geht doch, Berlin, warum nicht gleich so.
Die Luft war ins Klatschnasse getränkt, aber wer gemeinsam schwitzt, kann auch gemeinsam Musik machen. Die vorhergehende Band war allerdings ein bißchen eng hintenrum mit ihren Instrumenten. Nachdem die Gitarre schon betrunken unbefangen gekapert war, war ich nämlich drauf und dran ebenfalls auf die Bühne zu steigen und das Drumkit zu entern, aber so sehr Berlin ist Berlin dann eben doch nicht. Oder andersherum, bleiben wir ehrlich, ich zudem weder als Lokführer denn als Little Drummerboy ausreichend in Form. Ihr wärt sonst bei einer Weltpremiere dabeigewesen. Also quasi. Pläne verschoben sind nicht aufgehoben.
Dann irgendwo was essen, irgendwo was frühstücken, irgendwo durchschauen, Galerienschlendern, dann Maladien auskurieren, so ganz beisammen bin ich dann doch nicht, insgesamt aber wieder über mich selbst erstaunt. Vielleicht lerne ich bald mit kleinen blauen Weltkugeln jonglieren. Ich habe eine lange Aufgabenliste bekommen.
Hat ja keiner mitbekommen, als ich zu Neujahr Warpaints New Song verlinkte. Man muß aufpassen, welches Motto man wählt. Es könnte wahr werden. Essen soll ich.
Samstag, 3. Juni 2017
Ich war nie auf dem Teufelsberg bei Berlin, dort, wo die Abhörstationen standen, die nach links lauschten und nach rechts sendeten. Soll interessant dort sein oder endgültig runtergekommen, je nach Perspektive. David Lynch war mal da, aber nicht wohlgelitten. Nun lungern dort Filmteams und Sprayer und Esoteriker herum. Ferne Signale aber sucht man dort vergebens. Da kann man auch gleich in sich selbst reinhören.
Nun kam es so: Letztes Jahr wohnte ich in Wien neben einem Hochzeitsorganisationsgeschäft und dachte, ach, das trifft sich ja zufällig gut, vielleicht bewirkt das was. Einfach mal im Leben etwas Neues ausprobieren! Ich lungerte also dort meine freie Zeit herum, steckte mir wohl auch ein rotes, aus einer Blumenbindefachzeitschrift geschnittenes, rotes Herz ans Revers, aber unter den jungen heiratsfähigen Wienerinnen wollte sich seriöserweise nichts ergeben.
Über eine ganze Stunde stand ich dort, wie ein Tor oder ein Schauspieler aus dem Volkstheater, der ein burleskes Stück aufführt. Na, schönen Dank und Servus. Nun aber erinnerte ich mich an die Horchstation, die in Wien mitten in einem sogenannten Vergnügungspark liegt. Unter einer verkleideten Halbkugel steht dort - nur wenige wissen darum - allerlei technisches Kontaktgerät herum, ein Sendemast daneben, um über den Äther Signale auszusenden.
Ich bin nämlich geprägt. Zwar erklärte mir mal jemand mit sehr gutem Abitur, daß es nicht möglich sei, als Kind von Erlebnissen oder Beziehungsmustern geprägt zu werden - aber ich als jemand mit bloß Na-ja-Abitur erlebe das anders.
Mir schenkte nämlich einst mein Lieblingsonkel in jungen Tick-Trick-und-Track-Jahren eine seiner alten Singles, von denen er sich damals trennen wollte und die er unter seinen Neffen und Nichten verteilte. Mein derart vorgezogenes Erbteil war eine Hitscheibe von den Travellers. Das war eine Combo dreier jazzvergnügter Herren, die unter anderem für Radio Berlin arbeiteten und mit harmlosen Stimmungsschlagern ein paar zweiMarkfuffzich verdienten in den Wirtschaftswunderzeiten. Warum die nun an mich ging, weiß nur Fox Mulder, auf der Single aber war ein fantastisches Lied, das mich durch meine Kindertage begleitete.
Die Braut vom Mars wurde gleich eines meiner Lieblingslieder, legte mich aber auch früh auf ein schicksalhaftes Fernbeziehungsmuster fest. Grüne Haut! Blaues Haar! Gekleidet in Marsarbeit! Wer hätte dieser Verheißung, die in späteren New-Wave-Tagen tatsächlich sogar nah schien, so nah!, widerstehen können? Aber ach, den im Lied geschilderten Haken an der Geschichte konnte ich als Kind natürlich nicht verstehen. So erlebte ich denn bei den ein oder zwei Marsfrauen, die mir im Leben begegneten, naturgemäß ein melancholisches Ende. So manch einer Rakete winkte ich nach, wenn sie für ihre millionenkilometerlangen Reise hinter den Wolken verschwand.
Wenn andere sagen, sie wünschen mich "auf den Mond", lache ich nur still. Wenn es nur dahin ginge, murmele ich dann. In dramatischer Wahrheit ist es doch alles viel, viel weiter. Im romantisch besoffenen Wien aber, da in dem Vergnügungspark, kann man über den Sendeturm Signale senden weit ins All. Zum fernen Mars. Da di da.
>>> Geräusch des Tages: Die Travellers, "Die Braut vom Mars"
Samstag, 27. Mai 2017
In meinem Roman Eine sofortige Fahndung blieb ohne Erfolg geht es ja um einen durch Schicksal und Nachdenken früh ergrauten, im Grunde aber fast kindlich jungen Mann, der durch große Städte wandert, Straße rauf, Straße runter, auf der Suche nach Melodie, Zuspruch und Augenfälligkeiten. Manchmal denkt er darüber nach, sich einen Studenten zu kaufen mieten. Neun Euro kostet das in der schönen Stadt, so viel wie ein Pensionist. Er könnte den Studenten erstmal zum Rasieren schicken, denn oft haben die heutzutage so Fusselbärte. Das ist nicht schön und kostet fünf Euro, also das Rasieren. Umgekehrt könnte der unseren Helden zu einer Moderasur für sieben Euro überreden, er könnte eine "37" auf der Kopfseite tragen, so wie ein Fußballspieler, für die es hier aber keine weiteren Sonderrabatte gibt. Vielleicht ginge jemand mit für fünf Euro gezupften Augenbrauen auf die Flucht. Eine sofortige Fahndung aber bliebe ohne Erfolg.
Agent Dale Cooper derweil trägt geichzeitig zwei Frisuren, weil er einen Doppelgänger hat. Ich habe jetzt die ersten beiden Folgen der neuen Staffel Twin Peaks gesehen und weiß zwar nicht, was ich da gesehen habe, aber es hat mir gefallen. Nachts träume ich jetzt von einer Glasbox, die in meinem Zimmer stehen könnte, während ich auf dem Sofa sitze, von links und von rechts durch Lampen beleuchtet. Ich würde dann in diesen Trichter in der Glasbox starren und darauf warten, daß meine Träume sich von dort herausschälen, in diese Glasbox fallen, in dieses Traumterrarium. Und dann wäre was los, und ich stünde nur noch im Hemd da.
Ich bin mir noch nicht sicher, wie man 18 Folgen damit füllen kann, über das Wachstum eines Arms zu meditieren. Aber darum geht es wohl, wenn ich die Ansage im roten Zimmer richtig verstanden habe. Man sagt ja manchmal, da seien einem lange Zähne gewachsen, weil man Hunger, Jieper und Begehren nach etwas Bestimmten hatte. Oder da sind mir graue Haare gewachsen. Oder Schwimmhäute zwischen den Zehen, wenn es sehr lange und dann noch eine Weile geregnet hat. Über Arme habe ich in der klaren Hinsicht noch nie nachgedacht, so wie es dieser Lampenbaum tat. Es gibt einen Kurzfilm von David Lynch, in dem er auf seiner Terrasse aus einem Besenstil und Gipsbinden eine Lampe baut. Die sieht ein wenig aus wie dieses sprechende Totbaum-Gebilde in Twin Peaks. Wir werden noch viel davon hören.
Fast kommt Dale Cooper aus diesem roten Raum und diesem Traum nicht raus. So wie ich aus Wien. Der Eingang zu meinem Stiegenhaus führte durch ein Tor, das mit einem Eisengitter verperrt war. Man brauchte einen Schlüssel, um es zu öffnen. Auf dem Weg zum Flughafen aber hatte ich den, wie besprochen, auf den Küchentisch gelegt, die Tür zugezogen und stand nun vor dem verschlossenen Tor. Das war auf einmal ein schlimmer Traum, ich mußte wie in Zeitlupe zurück in das erste Stiegenhaus, und weil die Klingeln alle außen auf der Straße waren, mußte ich Klopfen. Wie der Sänger in Mendocino klopfte ich an jede Tür, arbeitete mich die Stockwerke hoch, aber niemand öffnete. So mußte ich über den Hof ins zweite Stiegenhaus, denn einen Studenten für neun Euro hatte ich mir nicht gemietet. Auch im zweiten Stiegenhaus klopfte ich mich von Tür zu Tür, die Etagen nach oben. Niemand öffnete. Es war zehn, und alle Wiener waren ausgeflogen, am Naschmarkt, am Spielplatz, auf der Donauinsel. So mußte ich über den Hof ins dritte Stiegenhaus. Erneut klopfte ich mich von Tür zu Tür die Etagen nach oben, bis ich weiter unten das traumsymbolklirrende Geräusch eines Schlüssels hörte. Ich eilte nach unten, eine verschlafene junge Frau stand in ihrer Tür und sah mich an als sei sie geradewegs aus ihrem Bett durch einen metallenen Trichter in eine gläserne Box gefallen. Mit rückwärts aufgenommenen, aber vorwärts abgespielten Sätzen erklärte ich ihr meine mißliche Lage. Wie Lucy am Tresen des Sheriffbüros brauchte sie zwei Minuten, ehe sie alles zusammenaddiert und begriffen hatte, bot dann aber an, sich anzuziehen und mir auf die Straße zu helfen. Ich ging mit erleichtertem Herzen, vom Klopfen aber wehen Armen und Händen voraus zum Tor, einem gebeutelten Pensionisten auf der Flucht gleich. Und merkwürdig, wie in einem Traum von David Lynch: Das Tor war offen.