Freitag, 17. August 2018


NYC #7 - A Place Called Home

Walk tight, one line
You're wanted this time
There's no one to blame
Just hold on to me

(P. J. Harvey, "A Place Called Home")




Nachdem ich nach einigen Tag nur noch Tourist bin, will ich zumindestens ein paar Eckpunkte abklappern, es soll ja dieses und jenes dort zu sehen sein, was immer das dann jeweils bedeutet. Es sind Häuser zumeist, vor denen viele Menschen in luftigen Kleidern stehen, Mobiltelefone gezückt, und für Instagram Erinnerungsbilder knipsen. Jemand spricht mich auf irgendeiner mit irgendeiner Nummer benannten Avenue auf meine Kamera an und outet mich nach einem Satz meiner Antwort bereits als Deutscher. Nur, weil ich so einen schneidigen Akzent habe! Zo much watch!



"Wir sind hier nicht in Seattle, Kid", denke ich für mich und suche ein paar musikalische Punkte auf. Im CBGB, dem Bethlehem des Punk Rock, ist ja seit einigen Jahren eine Filiale von John Varvatos, der sich mit seiner Mode an finanzkräftigere Rockertypen wendet. In der Filiale lungert denn auch so einer rum, der aussieht, wie der Cousin von Slash, Hemd bis dahin geöffnet, Bändchen hier, Tätto da und einen speckigen Zylinder auf wallende Mähne gepresst. Vielleicht war es auch Slash. Ich unterhalte mich ein wenig mit dem Sicherheitsmann, wir reden über Fußball, er outet sich als Fan der deutschen Fußballnationalmannschaft, und ich sage, die kommen dieses Mal nicht weit. Entschuldigt also. Es lag nicht an diesem oder jenem Spieler. Ich habe geunkt.



Ringsherum Wahrzeichen und kulturgeschichtsträchtige Straßen. Das Chelsea Hotel ist eingerüstet und wenig fotogen, Bowery, Bleecker Street, auch so eine Musikstraße, wo Alicia Keys lebt oder lebte, die mal mit diesem Rapper dieses New York-Lied gemacht hat. East Village, Greenwich, Gramercy, Noho, Soho, Nolita, Tribeca - die Distrikte und Bezirke werden immer kleinteiliger, überall steht irgendwas herum, das man aus einem Film oder von einem Foto oder aus der verschwommenen Erinnerung kennt. Oder eben aus der Nacht, wenn die Lichter blinken, Sirenen heulen, bis nach Mitternacht auch Manhattan in einen unruhigen Schlaf fällt. Bei Evolution kann man tote Tiere kaufen. Man kommt ja selbst auch ganz außer Atem.



Oh, und sinkt auch die Moral, die High Line wartet. Jeder geht über die High Line nach Ironwoodland. Gleich ganz vielen anderen Leuten wandere ich die ab, das geht ganz gut, weil überall Bänke sind, auf denen man mit unschuldigem Blick Pause machen, aufs Mobiltelefon starren und sich rostige Fragen stellen kann. Ich fotografiere eine eiserne Feuertreppe und Fassaden, Texturen von alten Backsteinwänden, die ganz nahe an die ehemalige Bahntrasse heranreichen. Na ja. So was gibt es ja in Wuppertal auch. Und Heimat ist eh da, wo das Herz rumlungert.

>>> Geräusch des Tages: P. J. Harvey A Place Called Home


 


Freitag, 10. August 2018


NYC #6 - Big Exit

Sometimes it rains so hard
And I feel the hurt
In my heart
Feels like the end of the world

(P. J. Harvey, "Big Exit")




Als ich aber so da lag mit meinem vor Hitze wie ein angegorenes Zerealienfrühstück weichgepampten Hirn, dachte ich zähflüssig vor mich hin, daß ich ja in der Heimatstadt der Rap-Musik bin und mich folglich mal berappeln sollte. Zum Glück hatte ich für meine 14 Tage außer meinen Ambitionen im Showgeschäft keine besonderen Pläne, denn Druck und Stress könnte ich auch zu Hause spüren. Und auch wenn gerade alles sehr durcheinander und wie meine Freundin Polly Jean sagt, "crazy" war, so half nur eins: kalt abduschen und dem inneren Ende der Welt trotzig entgegenschauen. Aufbruch, Baby.



Immerhin eine Challenge aber hatte ich mir gestellt, das war die Überquerung der Brooklyn Bridge. Vorab befragte Quellen machten aus der Konstruktion eine Art Ziehharmonika, jeder sprach von unterschiedlichen Längen und Dimensionen und der Art der Anstrengung, die es kosten würde. Am Ende sind es halt knapp zwei Kilometer, die man bequem bewältigen kann. Weshalb es auch jeder macht und dabei irgendwie im Weg rumsteht, um ein Selfie zu machen. Habe ich dann auch gemacht und stand im Weg rum. Weiter draußen kann man dabei der Freiheitsstatue zuwinken, sich ausgefranst und verloren und dann aber herzlich empfangen fühlen.



Romantiker unternehmen diesen Spaziergang spätabends und gehen gemächlich, Hand in Hand mit ihrem eigenen Freiheitsversprechen vielleicht und mit viel "Ah!" und "Oh!" auf die Lichter der Skyline zu. Ich bin bekanntlich sehr empfindlich sachlich orientiert und spare mir das. Die Mittagssonne hat ihre eigene protestantische Klarheit, kein schwummriges Gemunkel, aber man stolpert auch nicht so leicht.



Eins muß man anerkennen: Amerika, du hast es besser! So wird dort dieser elenden Liebesschloß-Plage, diesem Verschandelungsgraffiti des kleinen Mannes, rigoros ein Riegel vorgeschoben. Oder dem sinnlosen Pluckernlassen großer Reisebusmotoren. Das möchte man auch der Weltstadt Hamburg anempfehlen. Nur das mit dem "No kidding" habe ich irgendwie persönlich genommen. Vielleicht sollte ich mir eine Eiskrem gönnen. Alles wird gut.

>>> Geräusch des Tages: P. J. Harvey, Big Exit


 


Samstag, 4. August 2018


NYC #5 - One Line

All through the rising sun
All through the circling years
You were the only one
Who could have brought me here

(P.J. Harvey, "One Line")




Nach vier Tagen aber mal innehalten. Nach dem vorerst gescheitertem Showprogramm muß ich Durchschnaufen und Wunden lecken. Man lernt ja beim Reisen immer viel, vor allem über sich selbst, aber man darf sich schließlich auch als Rider nicht aus dem Emo-Blogger-Sattel werfen lassen. Mal bist du beim Rodeo oben, mal bist du unten, immer weitermachen usw. Aus der Heimat erreichen mich hilfreiche Einschätzungen, aus dem Fridge hole ich mir Kühlakkus für Kopf und Herz, und obendrein habe ich Glück: BBC-Amerika veranstaltet einen Akte-X-Marathon, darunter ist meine Lieblingsfolge. Also bleibe ich - ungnädig mit mir selbst und der Welt - luftig bekleidet wie P. J. Harvey einen Tag schwitzend auf dem Sofa liegen und schaue, wie Mulder und Scully zu einem Song von Cher tanzen. Ja. Dafür fliege ich nach New York. Genau dafür.



Als Reiselektüre habe ich The Lonely City dabei, ein Buch, das außer mir offenbar alle kennen. Eine Engländerin zieht nach New York, fühlt sich unter anderem wegen sprachlicher Unterschiede (!) fremd und untersucht das Phänomen Einsamkeit, die teils unwirschen und wohl auch angstvollen Reaktionen der Umwelt darauf und analysiert dazu das Werk einschlägiger Künstler. Darunter Edward Hopper, von dem ich erfahre, daß er privat wohl nicht so sympathisch war, der alte Kotzbrocken.



Um mich selbst zu finden, gehe ich in den nahegelegenen Supermarkt, eine Empfehlung, die ich auch anderen Reisenden aussprechen möchte. The Germanz learn Zen. And der Kasse stehe ich nämlich unversehens hinter der COUPON-Lady. Eine ältere Schwarze im ausgeputzten Kleid und auffälligem Hütchen, bei der ich zu spät begreife, was der Stapel Rabattgutscheine in ihrer Hand bedeuten wird. Indigniert schauen sie, aber auch die Kassiererin, mich an, als ich anfange, meine Sachen schon einmal effizient hinter den Warentrenner aufs Band zu packen. Demonstrativ schiebt sie alles auseinander, um mehr Distanz zu schaffen. Dann soll sie bezahlen. Erst aber möchte sie nun wissen, für welchen Artikel genau ein bestimmter Rabattbon verrechnet wurde. Und sie hätte ja auch eine Kundenkarte. Nein, dann möchte sie diesen anderen Artikel wieder ausbongen lassen, weil der unbedingt mit einer anderen Rabattaktion bezahlt werden solle. Ob sie ihre Liste noch einmal groß sehen könne? Sicher, sagt die Kassiererin, drückt eine Taste und die Liste erscheint auf einem großen Monitor vorne an der Kasse. Ob man mal hochscrollen könne, nein wieder runter, ah da, nein diesen bestimmten Artikel wolle sie dann lieber doch nicht und hält eine Dose mit irgendwas hoch. Oder, ach was, da müsse der Code mit der Kundenkarte drauf. Ich denke, na ja, gleich wird die Kassiererin die Dame ermahnen. Aber nein. Sie erklärt, als wäre das alles noch normal, sie müsse dazu "another person" holen. Ja, bitte. Nein, doch nicht. Die COUPON-Lady holt ein weiteres Bündel Rabattgutscheine aus der putzigen kleinen, aber offenbar unergründlichen Handtasche. Jetzt möchte sie einen Teil der anderen Scheine zurück und bietet dafür neue an. Die Eintipp-Prozedur beginnt von neuem. Ich verstehe, daß dies hier bloß eine weitere Lektion ist, die ich lernen muß. Irgendwas mit Geduld, verdammte Scheiße, und Toleranz vielleicht auch. Eine Linie ziehen, demütig sein, sich selbst nicht so wichtig nehmen, wasweißichdenn. Am verwickelten, minutenlang hinausgezögerten Ende nimmt die COUPON-Lady doch alle in mittlerweile vier großen Tüten verpackten Artikel und läßt den Rabatt abziehen - von der Endsumme. Die Kassiererin behandelt mich anschließend etwas frostig distanziert.

Möglicherweise muß sich etwas auf meinem Gesicht abgespielt haben. Die Welt ist komisch geworden. "Watch the stars now moving". Es ist immer noch sehr heiß draußen, die Straßen langsam leer. The lonely city.

>>> Geräusch des Tages: P. J. Harvey, One Line


 


Sonntag, 29. Juli 2018


NYC #4 - We Float

Somehow I lost touch
When you went out of sight
When you got lost into the city
Got lost into the night

(P. J. Harvey, "We Float")





Auf dem Weg zur Murray Street, wo die Geräuschgruppe Sonic Youth 2001 ihr Studio hatte und ihr später nach dieser Straße benanntes Album aufnahm, stolpere ich eher zufällig über das 9/11-Memorial. Tatsächlich ist das sehr ergreifend, in seiner schlichten Form und schieren Wucht seiner Dimensionen. Die Stille hier. Die in der Umrandung eingravierten Namen. Und in der Mitte dieses bodenlose Loch.




In der Nähe der Murray gibt es übrigens einen wunderbaren Public Restroom, falls jemand so was mal sucht. Es gibt in dieser Metropole nicht übermäßig viele davon, man geht in ein Hotel, in einen Schnellimbiß oder zu Barnes & Noble. Hier ist es hübscher. Geräumig und nicht überlaufen.



Abends dann zu einer Fotoausstellung im wunderbaren Slipper Room. Ich habe mich verfranzt und bin zu spät, dann aber doch erster und kann ein wenig mit den Betreibern plaudern. Die haben ein ganz tolles Programm, Variéte, Burlesque-Tanz, Bauchredner und Zauberer, Filme und Musik. Ich stelle meine neue Idee für ein Bühnenprogramm vor, wo ich mit dem großen Apfel jongliere, den ich die Tage gekauft hatte wegen des Wortspiels. Man sagt, dies sei ein wirklich interessantes Konzept, originell sicher auch, aber ob ich nicht noch etwas anderes könne? Nie ist eben irgendwas genug. Eine junge Frau unter den Anwesenden hat mal eine Zeit in Hamburg gewohnt und ist sehr begeistert, mir auf ihrem kleinen Telefon Sightseeingpunkte zu zeigen, die ich mir unbedingt anschauen solle. Die haben dort sogar "St. Pauli"-Bier mit einem Matrosenmädchen drauf. Das trinke ich dann.



Man sitzt rum, dann werde ich ins Kino verschleppt. Ich war schon Jahre nicht mehr im Kino, aus verschiedenen Gründen. Dies hier ist eisigkalt und zeigt Chloé Zhaos The Rider, der wirklich gut ist. Die Figuren sind alle lädiert, damit kann ich mich identifizieren. Es ist spät jetzt, aus Versehen steigen wir in einen Express-Train Richtung Downtown, ich sage, ist egal, vielleicht fährt er durch bis Coney Island, da gibt es Mermaids. Hin, her, hin, her, im Wetter ist schon wieder Spannung drin, Licht zuckt ab und an über den Himmel. Es ist schwierig gerade, weil die Dinge sind, wie sie sind. Dann Stille. Es ist tiefe Nacht. We float.

>>> Geräusch des Tages: P. J. Harvey, We Float


 


Freitag, 27. Juli 2018


NYC #3 - This Mess We're In

Can you hear them?
The helicopters
I'm in New York
No need for words now
We sit in silence

(P.J. Harvey,
"This Mess We're In")





Während einen die Hitze draußen von der Straße brennt, dazu zwingt, wie ein Hase schattenhakenschlagend immerfort die Seiten zu wechseln, läßt es sich in meiner Wohnung in Brkln gut aushalten. Die liegt in so einem typischen kleinen Brownstone und hat große Deckenventilatoren. Wie ein Ostküsten-Philip-Marlowe in Unterhose liege ich auf dem Bett, während der Schatten des Ventilators über mich hinwegrotiert, halte den ausufernden Baum vor dem Haus unter aufmerksamer Beobachtung und versuche zugleich, mich mit meinem nagelneuen Telefonapparat vertraut zu machen. Ihr Schlingel, ich weiß jetzt, was ihr meint, wenn ihr sagt, ihr würdet mich nach links wischen!



Im nahen Park gibt es einen Brunnen mit großer Wasserfontäne, darin bilden sich kleine Regenbogen, die dort aufgezogen werden. Und ja, tatsächlich wartet an ihren Enden der goldene Topf, denn Menschen haben zum Anfüttern Münzen in den Brunnen geworfen. Es ist alles wahr, ihr müßt nur die Augen offen halten. Abends heißt es, würde mir aus einem anderen Topf Pasta geboten, ein Angebot, das ich nicht ablehnen kann. Auf dem Weg dorthin kippt das Wetter: die Schwüle entlädt sich, plötzlich ein Gewitter über der Stadt, ich haste durchs Viertel, durch den Regen, man hält schon Aussschau, lacht mich aus, und ich schlüpfe wie eine nasse Katze zur Türe rein.



Nach dem Essen geht es ans Eingemachte, ich bin ja nicht zum Spaß hier. Erst später merke ich, daß das jetzt tatsächlich das Vorsprechen ist und die Hauptrolle mir gerade entgleitet. Hier geht es um mehr als Sprachbarrieren und ritualisierte Unverbindlichkeit. Rude German!, mein Sitznachbar im Flugzeug hatte mich gewarnt. Sehr verwirrend alles. Dafür bekomme ich einen Schirm geschenkt, just in case. Nachts ist die Fahrt mit dem Q-Train über die Brücke nach Hause besonders schön. Auch ohne Mermaids an Bord. Die Skyline leuchtet, im Dunkel verborgen steht irgendwo die Freiheitsstatue mit ihren von Rost und Zeit angefressenen Versprechen. Und wahrscheinlich geht gerade irgendwo die Sonne auf, auch wenn ich sie vor Müdigkeit nicht sehen kann. Überall Feuerwehrgeheul, die Straßen sind regennass, aber immerhin: Auch wenn ich nicht recht wußte, wie man das Fenster operiert, ist daheim alles in trockenen Tüchern geblieben.

Meine Vermieterin schreibt mir dazu später: "Just pull down hard." Und ich überlege, ob der Satz auch für mein Leben gilt. New York, so weit bin ich nach drei Tagen schon, hat eine wirklich steile Lernkurve für ein schmales europäisches Gesicht wie meines. Aber in meinem Koffer ist für Erkenntnisse viel Platz.

>>> Geräusch des Tages: P. J. Harvey, This Mess We're In


 


Dienstag, 24. Juli 2018


NYC #2 - Good Fortune

When we walked through
Little Italy
I saw my reflection
Come right off your face

(P. J. Harvey, "Good Fortune")




New York steht spät auf. Brunchen heißt, eine gemütliche Uhrzeit finden, das aber kommt mir entgegen. Irgendwo ist Fußball, aber dafür habe ich nun wirklich keine Zeit. Gerüchte um die dort recht beliebte deutsche Nationalmannschaft tauchen auf. Ich lasse mir ein Interesse nicht anmerken, lieber rüber zum Washington Square, von einer Bank aus einem Jazz-Saxofonisten zuhören, Greenwich, Little Italy, irgendwo hat es gebrannt als sei es nicht warm genug, Chinatown, es wird gelacht, Faxen gemacht. Dann irgendwas suchen am Broadway, so ein Kunst-Pop-up-Dingsda soll da sein, aber die Adresse stimmt nicht. Es ist heiß, selbst die New Yorker stöhnen. Für Juni, viel zu heiß, sind sich alle einig.



Ich bin entspannt, ich habe Zeit und keinen großen Plan. Zwei, drei Sachen will ich machen, den Rest schaffe ich eh nicht. Bitte kein Anstehen in irgendwelchen langen Schlangen. Ich möchte etwas für dieses Land tun, sage ich, und dieser Stadt ein Wortspiel schenken. Und kaufe einen großen Apfel, weil ich denke, wenn dieser Gag hier zündet, dann zündet er überall. Und wenn ich es erst in Manhattan geschafft habe, kann sich Berlin aber warm anziehen. Nachdem ich sehe, wie ein Rollifahrer wie selbstverständlich bei Rot über den Broadway gelenkt wird, tue ich so, als sei ich Ausländer, also kein Deutscher, und probiere mich im Jaywalking. Ich werde auch nur einmal angehupt, ansonsten ist der Verkehr für eine Stadt dieser Größe erstaunlich entspannt.



In der Bar zum toten Tier gibt es Alkohol, wenngleich in uninspirierten Mischungsverhältnissen. Bis hierhin noch Konsens: keine Empfehlung. Darüber läuft dann aber schon die Zeit weg, wie bei so Asteroiden, die alle paar Jahre ihre Bahnen kreuzen und dann - wuusch - im All verschwinden. Ach was, sagen wir Sterne. Good fortune? Das wird sich noch zeigen. Derweil ertappe ich auf dem Nachhauseweg die Tourismusbehörde New Yorks bei einer unschönen Lüge. Von wegen, die Stadt, die niemals schläft. Um zwei Uhr morgens sind in Little Italy die Rolläden unten, die Gehsteige gekehrt und nur noch schwarze Müllsäcke auf der Straße unterwegs. Besser, man schaut Gesichter an.

>>> Geräusch des Tages: P. J. Harvey, Good Fortune


 


Donnerstag, 19. Juli 2018


NYC #1 - You Said Something

On a rooftop in Brooklyn
At one in the morning
Watching the lights flash
In Manhattan

(P.J. Harvey,
"You Said Something")



Es ist jetzt nicht so, daß ich nach meinem Urlaubsangstkurs plötzlich But geleckt hätte. Dinge ändern sich nicht über Nacht, nur weil ich nun ein Ferienfreischwimmerabzeichen auf dem Rollkoffer habe. Aber 2017, es ist unglaublich, habe ich immens viel in immens kurzer Zeit gelernt, unter anderem, größer zu denken. Ängste abzulegen. Denn die kommen ja von allein, die muß man nicht hegen. Dahinter steckten glückliche Fügungen, eine irre Geschichte, Sprünge durch Raum und Zeit und jemand, der einen im Vorbeigehen wie eine alte Socke von links auf rechts krempelt.

Ich gab mich zwar keck, stand aber unter Zugzwang und heimlichen Schweißausbrüchen, als es dieses Jahr hieß, "Don't be a pussy, komm einfach vorbei". Es ging also auch um Kulturverteidigung, als mir dann auch noch das Hamburger Ortsamt in den Rücken fiel und ruckzuck Papiere besorgte statt mich in das endlos geflochtene Band einer Behördenwarteschleife zu wickeln. Die Schulterpolster schön auswattiert mit guten Ratschlägen, Tipps und Tricks der Kollegen flog ich via Frankfurt los, und eigentlich ganz entspannte, aber für mich auch zahlreiche Stunden durch die Multimediabibliothek an Bord später, landete ich in New York (das ist eine Stadt in den USA). Für all die Vielflieger unter meinen Lesern natürlich "kein Ding", wie man hier sacht, die machen das jährlich zweimal und einmal noch zum Shoppen an Weihnachten, aber ich selbst hätte das vor ein paar erschöpfenden Jahren nicht für möglich gehalten. Eine Herausforderung also. Physisch und psychisch. Am Flughafen dann aber doch ein bißchen Hilfe, so ein ziemlich beste Freunde-Moment, Fingerabdrücke, Foto, Stempel, und ich war tatsächlich drin.



Der Rest ein Klacks, denn die Germanz sind organisiert. Mit dem Zug zur Penn Station, Wochenkarte für die U-Bahn holen, den Koffer über Treppen wuchten, Zug nach Brooklyn finden, zur Wohnung in der Sesamstraße rollern, Schlüssel aus dem Versteck holen, ankommen, durchatmen. Aber nur kurz, weil diese Stadt sehr schnellebig getaktet ist, wie ich als eine erste große Kulturerkenntnis mit nach Hause gebracht habe. Howdy!

Zur Proviantauffrischung am Samstag schnell in den Deli an der Ecke, dort ist das living Einkaufen besonders easy, denn alles im Laden kostet quasi 5 Dollar, egal, ob es sich um organic Milch, Kekse, Brot oder französische Marmelade handelt. So praktisch! Dann aber Hemd wechseln, rüber nach Manhattan, "I meet you at Prince".



Ein Abend wie gemalt. Der Q-Train ist voller Meerjungfrauen, die im halbderangierten Kostüm, verschwitzt und mit von der Hitze mascaraverlaufenen Augen von der jährlichen Kostümparade in Coney Island kommen. Ich spreche die neben mir an, behaupte Hamburg sei die Hauptstadt der Meerjungfrauen und ich selbst heimlich auch eine, denn ich sei genauso verschwitzt, und frage, wo der Zug hinter Canal Street hält. Sie ist ganz zauberhaft, will aber nicht mit mir durchbrennen, obwohl ihr ebenfalls als Meerjungfrau verkleideter Freund mich ebenso zauberhaft findet. Ich nehme es nicht krumm, ich bin verabredet. Ich halte die Nase in die Luft. The smells of our homelands.

>>> Geräusch des Tages: P. J. Harvey, You Said Something


 


Sonntag, 15. Juli 2018


Urlaubsgesellenstück



Nachdem ich also 2016 mit letzter Mühe und Not meinen Kursus besucht hatte, mußte ich für das Zertifikat darüber noch innerhalb eines Jahres die Abschlußprüfung hinlegen. Das bedeutete für irre zwei Wochen (seit ihr irre?) mindestens 200 Km weit wegzufahren und auch noch alles selbst zu organisieren. Ich entschied mich letztes Jahr für Hiddensee, weil ich da schon ein paar mal zu unterschiedlichsten Jahreszeiten war. Das sind von Hamburg aus vier Stunden mit dem Zug und zwei weitere mit der Fähre. Und da ich die Strecke ja kannte, konnte ich alles prä-visualisieren, mir ausmalen, im Shell-Atlas abstecken und entlang der Strecke Proviantpakete verstecken lassen.

Tatsächlich klappte alles hervorragend. Ich wurde sogar so übermütig, mir am Bahnhof für den kleinen Transfer zur Fähre ein Taxi mit einer Urlauberin zu teilen, die mir das letzte gerade wegschnappen wollte. Damals gab es noch nicht den Witz mit dem Serienmörder im Taxi, der derzeit auf Twitter rauf- und runtergeteilt wird, sonst hätte ich während der kurzen Fahrt schön was zu erzählen gehabt.

Ist man erstmal da, kehrt ja sofort Ruhe ein. Keine Autos, keine Fragen, im Hafen gibt es freies Wlan für die innere und äußere Anbindung, und essen kann man da auch. Man leiht sich ein Rad, klappert die vier Sehenswürdigkeiten, also Leuchtturm, den anderen Leuchtturm, Puppenbühne und den Edeka ab und nimmt ansonsten alles sehr gelassen.



Wegen des schon zu wirklich nur subtil wahrnehmbaren Stimmungsschwankungen führenden allgemeinen und auch besonderen Erholungsdefizits blieb ich aber zunächst hübsch am Strand, Sonne in den Bauchnabel einstrahlen lassen, wie mir von strengen Menschen aus Übersee befohlen anempfohlen wurde. Dann ein wenig Strandgymnastik mit der Sportgruppe Hittins Insel. Für die Stärkung der inneren und äußeren Muskulatur. So vorbereitet absolvierte ich den obligatorischen Urlaubsprüfungspunkt: Schwimmen!



Das hatte ich ja nun auch schon zehn Jahren nicht mehr gemacht, also das, was ich Schwimmen nenne. Nicht dieses außenbahnpflügende Kampfkraulen, was ihr dreimal die Woche in der Halle macht. Entspannt eben. Nur mit meiner Oktopusbademütze bekleitet, damit mich andere Menschen wie einen Unfall im Auge behalten, ob sie nun wollen oder nicht, wagte ich mich "ins kühle Nass", wie es im Prospekt heißt. Dazu ist die Ostsee ja prima: Man schwimmt einfach ein bißchen, und wenn man nicht mehr kann, wie es mir ab und an passierte, stellt man sich einfach hin. Geht doch.

Für ganz große Not wartet auch ein Rettungsboot, das nach dem finnischen Wort für Reiseübelkeit benannt ist, im Hafen. Und ein hübsches altes Vergnügungsschiff, das wie eine rostige Hoppetosse vor Anker dümpelt. Abends spanne ich schön erschöpft von Sonne, Wasser, Sand zu gemütlichen Schmökern aus. Küste des Verderbens, ganz schön gruselig. So habe ich es aber gar nicht empfunden. Den Fuchs habe ich aber nicht getroffen, der döste wohl im Wäldchen.



Mittlerweile steht auch das Karusel der Öffentlichkeit zur Verfügung. Allerdings kann man es nur in Schwarzweiß besuchen. Hier hat ja Frau Nielsen den Ringelnatz regemäßig zu Tee und Gebäck empfangen, jedenfalls wenn der olle Suffkopp den Weg vom Strand durch Matsch und Gebüsch dorthin gefunden hat. Drinnen gibt es den alten Schminktisch zu sehen, beim Schlafzimmer bin ich mir nicht ganz sicher, ob es originale Möbel sind. Schon damals, so erklären Schautafeln, gab es windige Immobilienspekulanten, die Frau Nielsen, durch die Umstände nach Dänemark gezwungen, mit allen Tricks das kleine Häuschen abluchsen wollten. Aber die war auch ein Fuchs! Heute ist dort ein Trauzimmer untergebracht, für Leute, die einen Kursus abgelegt haben und sich zu zweit was trauen. Ich immerhin, eins nach dem anderen, habe jetzt erst einmal den Urlaubsfreischwimmer!


 


Montag, 9. Juli 2018


Urlaub mit Anlauf



Irgendwann fiel mir zwischen zwei Atemzügen unter der Tagesdecke auf, daß mein letzter richtiger Erholungsurlaub™ in der Sonne auch schon wieder zehn Jahre her war. Danach fing das Elend an. Erst klappte dies nicht, dann was anderes. Da gab es zwar die regelmäßige Woche in Wien, Kaffee und Schokoladeherzen tanken. Oder mal auf Hiddensee bei stabiler Laune, aber wechselhaftem Wetter. Und dann war ich auf einmal krank.

Als ich nicht mehr ganz so krank war, hätte ich den oben erwähnten Erholungsurlaub erst recht gebrauchen können. Und sei es nur zwei Wochen Mallorca, wie ich ziellos verkündete. So weit wäre ich schon. Die Demut! Einfach wie tot in der Sonne am Wasser liegen. Aber der Zustand, der Zustand! Zum Gotterbarmen.

Natürlich, und das hat der Mensch ganz hilfreich und beglückend eingerichtet, mangelt es nicht an klugen Ratschlägen. Man muß nur tief genug unten sein. Allein reisen, was ich beklagte, weil man Eindrücke und Momente nicht teilen, diese also folglich verloren wären wie Tränen im Regen usw. usf., sei gar nicht schlimm. Murmelten die, die ihr Lebtag noch keinen Tag allein gereist sind. Mallorca, so offenbar ganz Kenntnisreiche, ginge auch nicht, denn: Kunst und Kultur müsse schon sein. Wurde ich vom gepackten Koffer für die Südsee herab belehrt, eine Gegend, die ja zuvorderst für ihre zahlreichen Ausgrabungsstätten und Guggenheim-Museen bekannt ist.

Ein paar mal, ich bin ja hartnäckig, ging es kurz vor knapp einer geplanten Auszeit noch schief, wie so ein höhnischer Kuckuk aus der Uhr schoß gackernd irgendeine Katastrophe hervor, am Ende hörte ich schon nicht mehr recht hin, „Sonne! Sonne!“ wie im Drogen-, also Vitamin-D-Entzug delirierend und in der Meinung, vielleicht schaffe ich es ja wenigstens auf den Waldfriedhof. Und leckt mich alle. Zum Ausrasten, was aber wiederum das österreichische Wort für Entspannung ist, also auch nicht paßt.

Nun muß man, mir gelang das nach Jahren schon, erkennen, wann genug auch wirklich genug ist und man selbst mit Latein und Kraft am Ende. Urlaubsangststörung nennt man das denn wohl, wenn man sich erst weit genug zurückgezogen hat und schon der Anblick einer Flasche Sonnencreme eine Drohung ist. Dann muß man mit Profis arbeiten.

Zum Glück bietet die Stadt Hamburg auch hier ein Hilfsprogramm an. Auf einem kleinen Ferienparksimulationsgelände kann man ein lüttes Häuschen beziehen, Wasseranschluss und ausreichend Platz für eine Schlafstätte sind vorhanden, und sich wie in einem Ferienhaus fühlen. Wir leben in einer Schären-Kultur, und so teilen sich immer zwei einen kleinen See, wo man morgens, nur mit einem Knäckebrot bekleidet, nach seinem Frühstück tauchen muß. Abends dann Treffen vor dem großen Indianerzelt zum Kumbaya mit Lagerfeuer und Gitarre und Supervision. Nach drei Tagen darf man evaluiert und mit einer Empfehlung versehen nach Hause. Schritt eins ist getan. Es fehlt nur noch die Abschlußprüfung, in der man mit schwitzenden Händen einen Koffer packen und sich zum Zug begeben muß. Mindestens eine Woche raus, da sind die Betreuer streng!


 


Sonntag, 3. Juni 2018


The Great Barrier Reef



Regen und Gewitter brachten dann endlich auch Hamburg Abkühlung, dem Flughafen aber einen Kurzschluß und anschließende Einstellung des Betriebs. So hatte ich den Radfahrluftraum für mich bei astreinen Temperaturen knapp unter 20 Grad, leichter Brise aus Südsüdoooooost und guten Wünschen vom Tower. Die Regenfälle der letzten Tage oder wohl doch eher noch Tauch- und Hebearbeiten hatten überall auf den Wegen Gerümpel aus dem Kanal angeschwemmt, darunter einen muschelbewachsenen Fahrradlenker und ein altes Verkehrsschild, dessen ehemalige Funktion beim besten Willen nicht mehr erkennbar war. Vielleicht ein Dieselfahrverbot oder Tempo-30. Dies sind derzeit sicher die gefährdetsten Schilder dieser Stadt.

Spektakulär aber der Fund einer seltenen Rostkoralle, die ich beim surfen am Kanal-Reef fand. Ausgerechnet heute, wo ich mal nicht einen Beutel für Zufallsfunde und -käufe in meiner Packtasche hatte. Ich brachte das prachtvolle Exemplar aber auch so nach Hause. Gleich ein bißchen abgeschrubbt und freigebürstet wird es hier irgendwo (aber wo? aber wo?) einen Platz finden. Eigentlich ein Fall für die Toten Tiere, die Knochen des Industriezeitalters. Spätere Kulturen werden darüber rätseln, wie wunderbar organisch Eisen einst wachsen konnte.

Man muß eben die richtige Welle reiten. Runter mit der Blümchenbadekappe, rauf aufs Brett und durchs Wasser juchzen. Surfing Goths in the Sun! Zwischen nach Sauerstoff japsenden Fischen und Korallen tauchen, Schätze bergen.

>>> Geräusch des Tages: Vampire Beach Babes, Gothic Surf-a-Rama