Montag, 22. Mai 2017
Ein berühmter Philosoph hat gesagt: "Wenn du nur lange genug in das Maul eines Krokodil starrst, starrst du irgendwann aus ihm zurück." So halte ich mich dann lieber an kleine Kitze, die ich gerne und herzlich betrachte. Kein Wunder also, daß ich nach geraumer Zeit des Rehleinstarrens selbst wie ein verlorenes Bambi durch Wien stolpere. Zum Glück erweist sich der gemeine Wiener als überaus freundlich und geduldig, auch Esther, die wiederum ja eine beträchtliche Zeit damit verbringt, auf Wölfe zu starren, jetzt aber friedlich einen Kaffee mit mir trinkt.
Überhaupt lungere ich nur viel gemütlich rum. Ich sitze auf einer Bank, von denen Wien beachtlich viele hat, so viele, daß man ein paar mitnehmen möchte in das in dieser Hinsicht höchst ungastliche Hamburg. Hier aber kann man sitzen, den anderen verirrten Rehen beim Flanieren zuschauen, den Hirschen natürlich auch, das Auf und Ab gekleideter Menschen. Auch das nämlich fällt auf. Säße man in Hamburg unter lauter Wolfshaut in Einheitsfunktionsgraubraun, tragen die Menschen hier Mäntel aus richtigen Stoffen in richtigen Farben und mit so etwas wie einem Schnitt. Die Männer gerne anmediterranisiert, "Junge Römer" allesamt, so mit Haar und offenem Hemd. Ich dann als bleiche Krake graues Bambi dazwischengestellt, eine grimmig blickende Ermahnung an die Zeiger der Uhr.
Mit einer berühmten Twitterin esse im Steman, damit ich auch mal eine Tischdecke kennenlerne. Achtsam versuche ich, Messer und Gabel richtig zu halten. Beim Vietnamesen bei mir um die Ecke hingegen Stäbchen. Hier sitzt, mittlerweile bin ich sicher, eines abends ein berühmter Autor, auch so ein Wolf, der aber versunken ist in seine Lektüre und mich Bambi nicht erkennt. Leutselig hätte ich sagen können, "Mensch, Wolf, Sie auch hier", da kenne ich nichts. Ich habe gehört, nach dem Essen können die ganz gesellig sein.
Wien ist hochkulturell, an jeder Ecke eine Komödie um Hausverstand und Klimpergeld, auch mich lacht man manchmal aus mit meiner komplizierten Art. Aber freundlich dabei. Ganz charmant.
Mittwoch, 17. Mai 2017
Wenn man so ein bißchen verpeilt verträumt ist wie ich, sind gewisse Strukturen hilfreich. Auf diese Weise kann ich mir gut merken, welche Dinge im Mai zu leisten sind. Am 1. Mai, dem Tag der Arbeit, beginne ich traditionell wie die meisten Menschen mit der Steuererklärung. Und im selben Monat schon steuere ich nach Wien. Zum Ausgleich. Die Stadt bleibt mir ein entspannender und faszinierender Ort, wie ich gleich in meiner Wohnung im hinteren Stiegenhaus merke. Auch wenn die Zeit, wie mein Reisefoto beweist, dort in manchen Dingen stehengeblieben zu sein scheint, ist Wien zugleich unglaublich modern. Die Kabelbox in meiner Wohnung dort hat nämlich über 200 Fernsehprogramme, so daß ich eigentlich gar nicht nach draußen müßte, um etwas über die Stadt zu erfahren. Im Lokalsender sehe ich Dokumentationen über die umfangreichen, labyrinthischen Keller, die sich quer durch die gesamte Stadt ziehen, einige davon reichen bis zu vier Etagen hinab. Es waren Schutzräume und Lagerräume, Vieh wurde darin gehalten und Belagerungen mit ihrer Hilfe standgehalten. Von einem Nonnenkloster führten Gänge zur Burschenschaft der Universität. Das Kloster wurde vom empörten Bischof aufgelassen und die Nonnen schwer ins Gebet genommen.
Man ahnt, woher die innige Beziehung der Wiener zu den vielfältigen Verschachtelungen des Unterbewußten stammt. Oder besser: worin sie auch Ausdruck finden. Nunmehr wissend zwinkere ich den Wienern, nachdem ich doch einmal die Wohnung verlassen habe, leutselig zu. Sie halten mich für freundlich, nicken artig, sagen "sehr wohl" oder plaudern mit mir an der Supermarktkassa. Wollten sie mich doch in den Narrenturm sperren, so lassen sie sich nur wenig anmerken. Vielleicht, weil sie wissen, daß ich ja doch wieder heimfahren werde.
Ich mag das Konzept "Ferienwohnung". Nach zwei, drei Tagen habe ich meist wirklich den Eindruck, am anderen Ort nicht nur Tourist, sondern tatsächlich ein Einwohner zu sein. Ich grüße im Hausflur die anderen Mieter nachsichtig, weil ich weiß, welche Fernsehprogramme sie abends schauen, schaue nach der Post, trage wie andere Menschen selbstverständlich den Müll herunter, füttere die fette Katze der Concierge und schnappe mir schließlich den Straßenbesen, fege pfeifend wie ein lässiger Viertelbewohner den Gehsteig und scheuche fluchend und schimpfend Unbefugte und Rabauken fort.
Kurz bevor ich anfange, ein Nachbarschaftsfest zu organisieren, muß ich meist schon wieder heimfahren, aber bis dahin war ich ein vorbildlicher Bürger der Stadt. Gerne biete ich auch ganz Österreich, in der letzten Zeit in politische und organisatorische Turbulenzen geraten, unverbindlich meinen Rat an.
Sonntag, 2. April 2017
Es ist ja nicht gut für den Teint, soll aber ansonsten "ganz gut tun", wie man allerseiten hört. Schon April nämlich, also höchste Eisenbahn, einen vorsichtigen Blick in den Radkeller zu werfen. Sieh da, alles noch da, bis auf den Luftdruck, der ist entwichen. Es heißt also Pumpen wie bei so einem Fitneßmenschen, mal mit dem feuchten Lappen überall den Staub weggewischen, alles kurz mal durchgeschütteln und die beweglichen Teile bewegen.
So eine kurze Inspektionstour für Mensch, Gerät und Landschaft ist dann auch mal Ablenkung vom in sich gekehrten Herumlungern in der Ein-Mann-Debattierstube daheim. Das Rad schnurrt erstaunlich ruhig, die Landschaft ist dieses Jahr ganz schön abgeholzt. Tarkowski-Gedächtnisfelder, brackige Schuttzonen, untem am Hochwasserbecken wurden die Schuppen und Lager plattgemacht, einzig der blaue Kran steht noch am Mini-UrbEx-Gelände. Die lecken hier noch die finsterteste Achselhöhle aus, diese Hamburger. Nichts kann mal in Ruhe vor sich Hinvergammeln.
An den Deichtorhallen steht eine Radermahnung gleich neben meinem und erinnert mich daran, vielleicht endlich mal weiße Reifen aufziehen zu lassen. Sähe doch gleich viel besser aus. Neulich hatte ich ein, zwei Tage frei, habe aber nicht die Hälfte von dem geschafft, was auf dem Zettel stand. Darunter ein Besuch beim Fahrradschrauber, alles mal abklopfen und schön machen lassen. Am Kurbelbefestigungsgewinde entdecke ich ein wenig Rost, weil da die kleine Abdeckplatte verloren gegangen ist. Nachher heißt es wieder, "hätten Sie mal rechtzeitig!" wie sonst nur beim Arzt, beim Standesamt, bei der Kinderkrippe.
Leider sind wieder Menschen unterwegs, das kriegt man denen auch nicht abgewöhnt. Aufpassen, lenken, bremsen. Zeitgleich mit dem bimmelnden Eismann kurve ich ins Kleingartengelände und schaffe es noch vor einer Bande heranstürmender Fünfjähriger ans erste Eis des Jahres.
Sonntag, 21. August 2016
Das Ende des Sommers liegt unverkennbar in der Luft. Zeit also für die letzten Landpartien. Wie heißt es so berührend im Landwirtschaftsgedicht: "Die Äpfel hängen schwer am Baum/Ein Traum." Der Auftakt ist hakelig. Erste trockene Blätter, Kram von den Linden, haben sich unters Schutzblech verhakt, das Sischsischsisch während der Fahrt macht mich schnell irre. Gleich einem bockigen Pferd gilt es Zeug aus den Hufen Reifen, Speichen und Ritzen zu zippeln. Bei einem verbauten Hollandrad keine ganz einfach Aufgabe. Ich halte mehrfach an, bis ich kurzen Prozeß mache, das Rad kopfüber drehe und den letzten zischelnden Widerständler mit spitzen Fingern herauszupfe. Zehn Meter weiter wartet der nächste Blätterhaufen auf mich, ich gebe mich geschlagen.
Am Rand der Hafencity hat sich ein Zieselpark im Baugrund eingegraben. Sportlich finde ich die Preise, sonst könnte man das ja mal machen, so alle Mann und wie beim Autoscooter. Aber vielleicht ist man nach 15 Minuten auch froh, wenn es vorbei ist. So wie bei so vielen Dingen, die andere Menschen schön finden.
Ich fahr dann lieber über Land, 40 Kilometer sind es am Ende, ganz gut für einen mit Hamsterkäufen für alle Fälle vollgepackten Holländer. Ich finde das ja richtig, und bin daheim bis hin zur Alufolie für viele Katastrophenfälle gewappnet. Und das, wo ich noch nicht einmal Besuch empfange. Umgekehrt erstaunen mich immer wieder Menschen mit starker Neigung zur sozialen Nähe, deren Vorratskammern aus dem ReicheltPennyNetto nebenan bestehen.
Eine Jacke für das angekündigte Gewitter hatte ich dann aber doch nicht dabei. Doch schneller als schwarze Wolken radelte ich, husch-husch wie die dunkle Hexe im wizard of Oz, die auf ihrem Rad durch die Luft wirbelt. Bald bin ich durchnäßt, aber am Ende davongekommen. In Ochsenwerder war Schützenfest. Überall flattern betrunkene Fahnen im Wind. Im Graben romantische Hinweisschilder, man kann dort sich wohl zur Nottrauung treffen, ehe man aus einem katastrophalen Suff erwacht.
Die Gänse wittern auch schon Vorratsmangel oder andere Wetterwendungen. Am alten Holzhafen haben sie Pause eingelegt, nun schnattern immer wieder neue Geschwader dicht über meinen Kopf hinweg. Zeit auch für mich, in letzter Not einen Urlaub zu planen. Meine Erholungsvorräte sind alle. Mir fallen alle Blätter ab. Vielleicht als Kid Holgersson einfach hinterher.
Montag, 15. August 2016
Was ist das für 1 Leben? Da stehe ich zweimal kurz vor der Besichtigung der Tinguely-Ausstellung, und "ich, ich komme nicht rein", wie mal eine Düsseldorfer Punkband in einem ihrer frühen Hits skandierte. In meinem Fall waren es nicht die Türsteher Jürgen Englers, die mich hinderten. Es sind andere Grenzen, die mir aufgezeigt wurden. Einmal mußte ich kurz vor kurz die Fahrt absagen, beim zweiten Mal, dem letzten Tag der Ausstellung, war ich immerhin schon auf 400 Meter herangekommen. Man konnte quasi schon das Tingeling der Maschinen im Ehrenhof hören, überlagert aber von der Lautstärke anderer Störfrequenzen. Es ist also vieles möglich, aber wie bei einem Sturz kurz vor dem Zieleinlauf schaffte ich es nicht über die Linie. Medaillen wurden nicht verteilt. Alles für die Tonne.
Auch das ein weiterer Lernprozeß. Und natürlich muß ich sagen, daß schon die Strecke bis auf 400 Meter zum Ziel eine beachtliche Leistung ist. Was aber keiner versteht, denn meine, übrigens professionell vom Schuster frisch polierten Schuhe passen ja nur mir.
Es ist die Zeit der Teilerfolge. So wie bei meinem zurückgelassenen, buntgemischten Blumenstrauß, der mich bei meiner Rückkehr in meinen Schutz- und Trutzturm teils mit hängenden Köpfen, teils aber erstaunlich aufrecht empfing. Comme ci, comme ça also, mal so, mal so oder wie eine Hamburger Band zur selben Zeit dichtete "Ahoi, Ahoi, nicht traurig sein."
Auf der Hinfahrt mit der Deutschen Bummelbahn erstmals eine beständige Internetverbindung nebst Zugangsgerät vermißt. Man hätte lustige Beobachtungen twittern können, über die fidele Schülergruppe zum Beispiel, bei der Geschrei ausbrach, als die Lehrerin die einzige freie Steckdose belegte. Mit einem kleinen, weißen Ladekabel.
Ich sagte es doch bereits. Diese Dose definiert schon längst den gesellschaftlichen Raum, in dem wir uns bewegen.
Dienstag, 21. Juni 2016
Obwohl eine Märchenkaiserin darin wohnte, sieht Schloß Schönbrunn ja vergleichsweise fast bürgerlich frisiert aus. Die Größe der Anlage, der Park und die Brunnen, der Ausblick von der Gloriette auf die Stadt machen da viel wett. Aber ein Neuschwanstein ist es nicht. Wer auf Türme und Schnörkel steht, muß trotzdem nicht darben: Zwischen Schwechat und Wien liegt die große Kathedrale, eine Sagrada Família für Freunde imposanter Industriearchitektur. Rohre und Schornsteine, ewig brennende Fackeln machen die Raffinerie zum einem weithin sichtbaren Wahrzeichen der Stadt. Nachts eingetunkt in ein Lichtermeer, verzückt die Anlage wie eine Kultstätte die ankommenden Besucher oder erfüllt die Abreisenden mit Wehmut. "Die Raffinerie in Schwechat bei Wien zählt zu den größten und komplexesten Binnenraffinerien Europas", sagt die Webseite der Betreiberfirma. Sie hat, umgerechnet in aktuelle EM-Zahlen, eine Größe von 200 Fußballfeldern, das ist sehr groß.
Solche Sakralbauten sind denn auch zum Staunen gedacht. In meiner Heimatstadt irgendwo im Bergischen kann man mit der Schwebebahn durch eine der Betriebsstätten eines bekannten Chemie- und Pharmakonzerns fahren, über dampfende Ventile und glänzende Rohre hinweg, Betriebsfahrradwege und farbig lackierte Steigleitungen. Man kann das Ding riechen, den Geschmack von den Zähnen puhlen und sich überlegen wie es wäre, dort nachts von einem Alien gejagt zu werden. Einem dampfenden Maschinenwesen. Das ist die Ehrfurcht, das beklemmende Gefühl, hier nicht nur Idylle zu sehen, sondern Architektur, vor der man sehr, sehr klein wird.
Wenn also derzeit in Frankreich Sportler beim Ballspiel etwas verzagt wirken, sollten sie sich fragen, wie sie fühlten, wäre ihr Spielplatz 200 Fußballfelder groß. Ein Monster in meinem Wandschrank.
Samstag, 4. Juni 2016
Kein Wienbesuch ist komplett, ohne einen Spaziergang durch mein Lieblingsmuseum dort. Man sollte es aber nachts machen, wenn nicht Schulkklassen dort herumtollen, natürlich achtlos an der Venus vorbei, aber mit großen Aah! und Ooh! vor Mammuts und Dinosauriern Faxen machend. Das Gebäude selbst ist eine Pracht, die Schätze dort noch mehr. Wer will, trinkt eben einfach einen Kaffee dort.
Lauter tote Tiere, das Bambi aus den österreichischen Wäldern findet man hier, Fische und exotische Säuger, sogar echte Krokodile - wohl dem, der seinen Platz im Tierkreis schon gefunden hat. Irgendwo darunter auch mein Wappentier: der sympathische Dodo.
Rustikale Taxidermie und Rekonstruktionen, empfindliche Nasspräparate und buntschillernde Insekten, ein kontemplativer Ort, an die Häupter seiner Liebsten, die Verflossennen und wie in verwaschenen Fotos noch Bewahrten zu denken. Unruhig wipfelnder Vogel - einst ruhest auch du! Als noch unverstandener, aber insgeheim begnadeter Tierporträtmaler halte ich alles in einem kleinen Skizzenbuch fest.
Wer schon öfter dort war, fndet auch einen Blick für Details abseits der holzgefaßten Schaukästen. Einfach mal hinsetzen, ein bißchen ausruhen. Auch die Bänke und Sitze und Hocker sind hier eine dekorative Wucht.
(Dienstags geschlossen - wo gibt es denn sowas?)
Sonntag, 29. Mai 2016
Natürlich muß man, will man nicht als Geschichtenerfinder und Rosarotmaler dastehen, auch von den traurigen Seiten einer solchen Reise schreiben. Da hatte ich mich doch vorab bei der Vermieterin versichert, daß es gemeingebräuchliches, fernempfangbares Internet in der Ferienwohnung gibt. Auch hielt sie mir beim Empfang freudestrahlend einen blauleuchtenden Zauberwürfel ("Hier ist das internet drinnen") unter die Nase. Doch die Tränen in meinen Augen sah sie nicht. Die sah sie nicht.
Gleichwohl strukturiert wie immer, aber durchaus auch ein wenig spontan war ich in der Früh nämlich aufgebrochen, ohne das Tablet einzustecken, das frischgeladen auf meinem karg dekorierten Nachttisch lag. Mit leichtem Gepäck, aber schwerem Herzen landete ich also in der schönen Stadt, einem modernen Hiob gleich schweren Entsagungsprüfungen unterworfen.
Was will man da noch machen in einer solchen Stadt, abgeschnitten von fernsprachlichen Kontakten, elektronisch übermittelten Bulletins und Telegrammen? Etwa Zeitungen beim Trafikanten kaufen? Na, man könnte um das Geld vielmehr zum Friseur gehen, sich eine Donauwelle legen lassen und anschließend ins Café, wo die gedruckten Journale ausliegen. Hier ist so ein Tag mit mürrischen Kellnern und schönen Damen im Gastraum angenehm verbracht.
Man kann darüber meditieren, in welchen dieser Weltkurturcafés die Melange mit einem Häubchen Schlagobers oder eben Milchschaum gereicht wird. Wie - außen hui, innen pfui - die Toiletten und Sozialräume im Vergleich zu den plüschigen oder abgeranzten Verzehrstuben gehalten sind, Elias Canettis Die Blendung mag einem einfallen, allein des Titels wegen und weil man in solchen Schänken gleich zum Literaten wird.
Oder, die angebrachte Notiz gab darüber Auskunft, zur frischgeputzten Würstlbude gehen, etws gut Durchgegrilltes mit allerlei Senf zur Stärkung holen und dabei, in einem imitierenden Dialekt und der leichten Muse ja nicht abgeneigt über beispielsweise den großen Wiener Peter Alexander Ferdinand Maximilian Neumayer sprechen, der ja nur zu bald seinen 90. Geburtstag gefeiert hätte.
Gegen Ende der Woche konnte man sogar draußen sitzen, Schuhwerk und Kostüme, erste opulent geblümte Sommerfetzn und hochgesteckte Frisuren betrachten und überlegen, wo man sich heimlich in der Dämmerung in ein Internetcafé schleichen kann. Sonst hat der Entzug aber gut geklappt.
Donnerstag, 26. Mai 2016
Das war knapp. Nach einer Woche Theater und "No! No!"-Skandieren, kam ich am Sonntag quasi mit der letzten Maschine raus, ehe die Grenzen geschlossen wurden. Jedenfalls stand dies als Drohung im Raum, wenn man die Aussagen des potentiellen despotischen Potentaten nur eindeutig genug zwischen den Zeilen las.
Nach all diesem Geraune, den Duellen auf allen Ebenen waren die Menschen wirklich nur noch zittrige Häuflein. Im Flugzeug Schluchzen und Aufregung. Der Kapitän verkündete, das Boarding sei im Grunde complete, man warte noch auf die Startbahn, mehr aber noch auf Beendigung der Probleme um zwei Sitzplätze. Plötzlich stürmte ein asiatisches Pärchen nach vorne, die Kabinentür mußte extra wieder geöffnet werden, der Schlauch hing zum Glück noch dran, schon waren sie raus, Rollkoffer funkenstiebend hinterher. Die waren tatsächlich - Hamburg oder Mailand - Hauptsache Italien! - in der falschen Maschine. Keine Ahnung, wie das überhaupt gehen kann, aber bitte, ein bildhafteres Bild für die Lage von Nation und Europa hätte man auch nicht erfinden können. Aufgescheucht, mindestens zur Hälfte verwirrt, vielleicht wollten die beiden auch einfach nur schnell noch ins Wahllokal. Oder eben: raus, weiter, bloß weg.
Es ist sich knapp noch mal gut ausgegangen, aber bedenklich lange sah es gar nicht so aus. In Cafés aufgeregtes Zwitschern und Gewisper, begleitet vom nervösen Geklimper hektisch gerührter Kaffeelöffel. Ober malten sich probeweise Schmisse aus Schlagobers in die Gesichter, fremdländische Gäste klammerten sich verängstigt an ihre Personalausweise.
In den Nebenstraßen aber weiter alles urschön, selbst in die schiachen Ecken verlor sich zum Ende der Woche ein wenig Sonne. Zum Salat immer ein wenig Schnitzel, wegen der Gesundheit. Frisch geklopft und zurechtpaniert, man muß sich sein Leben schon selbst recht schön machen. Sonst wird das nix.
Dienstag, 10. Mai 2016
Die Menschen auf der Welt lassen sich bekanntlich in zwei Gruppen einteilen. Jene, die Weichspüler benutzen, und die, die von dieser penetrant stinkenden Pestsuppe tunlichst Finger und Wäsche lassen. Damit ich ganz schnell Ort und Stelle verlasse, reicht zuverlässig der Einsatz dieser Plörre obendrein fragwürdigen Nutzens, die unter Kriegsächtung zu stellen, der UN-Konvent bislang einfach nur vergessen hat. Dabei muß man meinetwegen gar nicht zu solch offenduftig völkerrechtswidrigen Vergräm-Mitteln greifen, wenn es doch auch einfach gut dosierte Unfreundlichkeit tut.
Sind im Soziallimbo die Schranken erst einmal nach unten durchbrochen, bleibt in aller Regel nur der unter Restwürde zu wahrende schnelle Schuh, das Putzen der Platte, das sich gnädigst kratzfüßig Empfehlen, ergebenster Diener usw., ehe man Rollen in Filmen übernehmen muß, an deren Drehbücher man nur als Stichwortgeber beteiligt war.
So geriet ich neulich etwas vor der Zeit in den Intercityzug Heile Haut, der aber überfüllt war mit Reisenden mit "Jetzt bloß raus!"-Ticket, so daß ein internetbekannter älterer Herr die Fahrt stehend bewältigen mußte. (Da könnt ihr mal 'nen Sozialplattformsturm der Empörung machen!) Organisationsmängel hasse ich ja ungefähr so sehr wie den Geruch und den flutschigen Griff von Weichspüler, nun aber fuhr mein selbstverständlich vorabreservierter Sitz auf einem anderen Zug, und mir blieb der letzte verbliebene Stehplatz direkt an der Türe zur Bordtoilette.
Situation! Wir haben eine Situation! Die olfaktorische Gesamtlage aus einem shitstormigen Toilettendisaster, Reisenden mit schlecht verarbeitenden Schweißstellen und Waggonkupplungsschmiere ließ mich noch mal frisch & neu über den Einsatz von Weichspüler nachdenken. Was, wenn man damit auch vergrimmte Menschen weicher spülen könnte? Flutschig und elastisch machen? Und auch noch ganze Züge und Toiletten beduften? Ach! Hier die Pest, dort die Cholera.
Ich hingegen mags ja verhältnisklar und rein und nehme lieber Essig.