Urlaubsgesellenstück



Nachdem ich also 2016 mit letzter Mühe und Not meinen Kursus besucht hatte, mußte ich für das Zertifikat darüber noch innerhalb eines Jahres die Abschlußprüfung hinlegen. Das bedeutete für irre zwei Wochen (seit ihr irre?) mindestens 200 Km weit wegzufahren und auch noch alles selbst zu organisieren. Ich entschied mich letztes Jahr für Hiddensee, weil ich da schon ein paar mal zu unterschiedlichsten Jahreszeiten war. Das sind von Hamburg aus vier Stunden mit dem Zug und zwei weitere mit der Fähre. Und da ich die Strecke ja kannte, konnte ich alles prä-visualisieren, mir ausmalen, im Shell-Atlas abstecken und entlang der Strecke Proviantpakete verstecken lassen.

Tatsächlich klappte alles hervorragend. Ich wurde sogar so übermütig, mir am Bahnhof für den kleinen Transfer zur Fähre ein Taxi mit einer Urlauberin zu teilen, die mir das letzte gerade wegschnappen wollte. Damals gab es noch nicht den Witz mit dem Serienmörder im Taxi, der derzeit auf Twitter rauf- und runtergeteilt wird, sonst hätte ich während der kurzen Fahrt schön was zu erzählen gehabt.

Ist man erstmal da, kehrt ja sofort Ruhe ein. Keine Autos, keine Fragen, im Hafen gibt es freies Wlan für die innere und äußere Anbindung, und essen kann man da auch. Man leiht sich ein Rad, klappert die vier Sehenswürdigkeiten, also Leuchtturm, den anderen Leuchtturm, Puppenbühne und den Edeka ab und nimmt ansonsten alles sehr gelassen.



Wegen des schon zu wirklich nur subtil wahrnehmbaren Stimmungsschwankungen führenden allgemeinen und auch besonderen Erholungsdefizits blieb ich aber zunächst hübsch am Strand, Sonne in den Bauchnabel einstrahlen lassen, wie mir von strengen Menschen aus Übersee befohlen anempfohlen wurde. Dann ein wenig Strandgymnastik mit der Sportgruppe Hittins Insel. Für die Stärkung der inneren und äußeren Muskulatur. So vorbereitet absolvierte ich den obligatorischen Urlaubsprüfungspunkt: Schwimmen!



Das hatte ich ja nun auch schon zehn Jahren nicht mehr gemacht, also das, was ich Schwimmen nenne. Nicht dieses außenbahnpflügende Kampfkraulen, was ihr dreimal die Woche in der Halle macht. Entspannt eben. Nur mit meiner Oktopusbademütze bekleitet, damit mich andere Menschen wie einen Unfall im Auge behalten, ob sie nun wollen oder nicht, wagte ich mich "ins kühle Nass", wie es im Prospekt heißt. Dazu ist die Ostsee ja prima: Man schwimmt einfach ein bißchen, und wenn man nicht mehr kann, wie es mir ab und an passierte, stellt man sich einfach hin. Geht doch.

Für ganz große Not wartet auch ein Rettungsboot, das nach dem finnischen Wort für Reiseübelkeit benannt ist, im Hafen. Und ein hübsches altes Vergnügungsschiff, das wie eine rostige Hoppetosse vor Anker dümpelt. Abends spanne ich schön erschöpft von Sonne, Wasser, Sand zu gemütlichen Schmökern aus. Küste des Verderbens, ganz schön gruselig. So habe ich es aber gar nicht empfunden. Den Fuchs habe ich aber nicht getroffen, der döste wohl im Wäldchen.



Mittlerweile steht auch das Karusel der Öffentlichkeit zur Verfügung. Allerdings kann man es nur in Schwarzweiß besuchen. Hier hat ja Frau Nielsen den Ringelnatz regemäßig zu Tee und Gebäck empfangen, jedenfalls wenn der olle Suffkopp den Weg vom Strand durch Matsch und Gebüsch dorthin gefunden hat. Drinnen gibt es den alten Schminktisch zu sehen, beim Schlafzimmer bin ich mir nicht ganz sicher, ob es originale Möbel sind. Schon damals, so erklären Schautafeln, gab es windige Immobilienspekulanten, die Frau Nielsen, durch die Umstände nach Dänemark gezwungen, mit allen Tricks das kleine Häuschen abluchsen wollten. Aber die war auch ein Fuchs! Heute ist dort ein Trauzimmer untergebracht, für Leute, die einen Kursus abgelegt haben und sich zu zweit was trauen. Ich immerhin, eins nach dem anderen, habe jetzt erst einmal den Urlaubsfreischwimmer!

Ausfallschritt | 20:50h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
fritz_ - Montag, 16. Juli 2018, 02:17
Bei dem finnischen Wort für Reiseübelkeit haben Sie bestimmt auch das Benn-Gedicht im Sinn gehabt, geben Sie's zu, bitte!

"kein schwieriger Name wie Popiol oder Babendererde −
wie der Vorname – bitte, belasten Sie Ihr Erinnerungsvermögen nicht!"

Wir waren doch fast alle auf der gleichen Baumschule, wenn nicht sogar auf derselben.

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kid37 - Montag, 16. Juli 2018, 02:39
Die Morgue-Gedichte gehören eigentlich in jede Reiseapotheke. Leider habe ich eine Nausikaa auf Hiddensee nicht getroffen. Vorsichtig Schwimmen war schon mal ganz gut, man will nicht gleich in Seenot geraten.

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fritz_ - Montag, 16. Juli 2018, 13:05
Wussten sie übrigens, dass ...
Hiddensee schon längst keine Insel mehr wäre, wenn der Hauswart vom Leuchtturm nicht alle 14 Tage die östliche Fahrrinne am Bessin eigenhändig freischaufeln würde? Jawohl!

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kid37 - Mittwoch, 18. Juli 2018, 19:44
Kreislauf des Lebens. Was vorne abgetragen wird, schwemmt hinten wieder an. Mir geht es in meiner Wohnung so, wenn ich um den Mülleimer kehre.

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fidibus - Montag, 16. Juli 2018, 02:20
Bin unsicher, ob ich Näheres über die Serienkillerstory wissen möchte. Jedenfalls toll, dass Sie nicht ins Verderben stürzten!

(Boykottiere die Insel wegen des Abrisses des Gret Palucca-Hauses. Vielleicht sollte ich nicht so nachtragend sein. Ihr Bericht macht jedenfalls Lust, umgehend den Rucksack zu packen.)

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kid37 - Montag, 16. Juli 2018, 02:42
Der langbärtige Witz wurde Ihnen nicht in die Timeline gespült? Ein, zwei, drei Mal? Der Anhalter? Ich könnte ihn noch mal erzählen, aber... ach. (Es hat sich ein bißchen was getan, also Wlan, ein paar moderne Appartmenthäsuer. Aber es ist immer noch recht unkompliziert dort. Sonnenhut und ein paar Holzkegel für die Strandgymnastik reichen.)

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novesia - Montag, 16. Juli 2018, 10:08
Hach, schön. Das war jetzt die optimale Einstimmung für meinen eigenen Ostseeurlaub. Danke.

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kid37 - Mittwoch, 18. Juli 2018, 19:45
Gute Erholung. Entspannend ist es ja.

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gaga - Freitag, 20. Juli 2018, 22:50
ich komme damit nicht so gut zurecht, dass nach der Übernahme meines putzigen Häuschens nun Fremde durch meine Räume schwirren. Sie sind da natürlich ausgenommen, danke für den Bericht (es schmerzt doch sehr). Ach und ach! Aber ganz herrliche Aufnahmen!

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kid37 - Samstag, 21. Juli 2018, 00:47
Das ist tatsächlich übergriffig. Ich war auch bass erstaunt. Neulich saßen wir noch auf dem kleinen Balkon, nun Menschen in Trekkingsandalen und Funktionsbemäntelung!

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