Samstag, 4. August 2018


NYC #5 - One Line

All through the rising sun
All through the circling years
You were the only one
Who could have brought me here

(P.J. Harvey, "One Line")




Nach vier Tagen aber mal innehalten. Nach dem vorerst gescheitertem Showprogramm muß ich Durchschnaufen und Wunden lecken. Man lernt ja beim Reisen immer viel, vor allem über sich selbst, aber man darf sich schließlich auch als Rider nicht aus dem Emo-Blogger-Sattel werfen lassen. Mal bist du beim Rodeo oben, mal bist du unten, immer weitermachen usw. Aus der Heimat erreichen mich hilfreiche Einschätzungen, aus dem Fridge hole ich mir Kühlakkus für Kopf und Herz, und obendrein habe ich Glück: BBC-Amerika veranstaltet einen Akte-X-Marathon, darunter ist meine Lieblingsfolge. Also bleibe ich - ungnädig mit mir selbst und der Welt - luftig bekleidet wie P. J. Harvey einen Tag schwitzend auf dem Sofa liegen und schaue, wie Mulder und Scully zu einem Song von Cher tanzen. Ja. Dafür fliege ich nach New York. Genau dafür.



Als Reiselektüre habe ich The Lonely City dabei, ein Buch, das außer mir offenbar alle kennen. Eine Engländerin zieht nach New York, fühlt sich unter anderem wegen sprachlicher Unterschiede (!) fremd und untersucht das Phänomen Einsamkeit, die teils unwirschen und wohl auch angstvollen Reaktionen der Umwelt darauf und analysiert dazu das Werk einschlägiger Künstler. Darunter Edward Hopper, von dem ich erfahre, daß er privat wohl nicht so sympathisch war, der alte Kotzbrocken.



Um mich selbst zu finden, gehe ich in den nahegelegenen Supermarkt, eine Empfehlung, die ich auch anderen Reisenden aussprechen möchte. The Germanz learn Zen. And der Kasse stehe ich nämlich unversehens hinter der COUPON-Lady. Eine ältere Schwarze im ausgeputzten Kleid und auffälligem Hütchen, bei der ich zu spät begreife, was der Stapel Rabattgutscheine in ihrer Hand bedeuten wird. Indigniert schauen sie, aber auch die Kassiererin, mich an, als ich anfange, meine Sachen schon einmal effizient hinter den Warentrenner aufs Band zu packen. Demonstrativ schiebt sie alles auseinander, um mehr Distanz zu schaffen. Dann soll sie bezahlen. Erst aber möchte sie nun wissen, für welchen Artikel genau ein bestimmter Rabattbon verrechnet wurde. Und sie hätte ja auch eine Kundenkarte. Nein, dann möchte sie diesen anderen Artikel wieder ausbongen lassen, weil der unbedingt mit einer anderen Rabattaktion bezahlt werden solle. Ob sie ihre Liste noch einmal groß sehen könne? Sicher, sagt die Kassiererin, drückt eine Taste und die Liste erscheint auf einem großen Monitor vorne an der Kasse. Ob man mal hochscrollen könne, nein wieder runter, ah da, nein diesen bestimmten Artikel wolle sie dann lieber doch nicht und hält eine Dose mit irgendwas hoch. Oder, ach was, da müsse der Code mit der Kundenkarte drauf. Ich denke, na ja, gleich wird die Kassiererin die Dame ermahnen. Aber nein. Sie erklärt, als wäre das alles noch normal, sie müsse dazu "another person" holen. Ja, bitte. Nein, doch nicht. Die COUPON-Lady holt ein weiteres Bündel Rabattgutscheine aus der putzigen kleinen, aber offenbar unergründlichen Handtasche. Jetzt möchte sie einen Teil der anderen Scheine zurück und bietet dafür neue an. Die Eintipp-Prozedur beginnt von neuem. Ich verstehe, daß dies hier bloß eine weitere Lektion ist, die ich lernen muß. Irgendwas mit Geduld, verdammte Scheiße, und Toleranz vielleicht auch. Eine Linie ziehen, demütig sein, sich selbst nicht so wichtig nehmen, wasweißichdenn. Am verwickelten, minutenlang hinausgezögerten Ende nimmt die COUPON-Lady doch alle in mittlerweile vier großen Tüten verpackten Artikel und läßt den Rabatt abziehen - von der Endsumme. Die Kassiererin behandelt mich anschließend etwas frostig distanziert.

Möglicherweise muß sich etwas auf meinem Gesicht abgespielt haben. Die Welt ist komisch geworden. "Watch the stars now moving". Es ist immer noch sehr heiß draußen, die Straßen langsam leer. The lonely city.

>>> Geräusch des Tages: P. J. Harvey, One Line