Traumterrarien



In meinem Roman Eine sofortige Fahndung blieb ohne Erfolg geht es ja um einen durch Schicksal und Nachdenken früh ergrauten, im Grunde aber fast kindlich jungen Mann, der durch große Städte wandert, Straße rauf, Straße runter, auf der Suche nach Melodie, Zuspruch und Augenfälligkeiten. Manchmal denkt er darüber nach, sich einen Studenten zu kaufen mieten. Neun Euro kostet das in der schönen Stadt, so viel wie ein Pensionist. Er könnte den Studenten erstmal zum Rasieren schicken, denn oft haben die heutzutage so Fusselbärte. Das ist nicht schön und kostet fünf Euro, also das Rasieren. Umgekehrt könnte der unseren Helden zu einer Moderasur für sieben Euro überreden, er könnte eine "37" auf der Kopfseite tragen, so wie ein Fußballspieler, für die es hier aber keine weiteren Sonderrabatte gibt. Vielleicht ginge jemand mit für fünf Euro gezupften Augenbrauen auf die Flucht. Eine sofortige Fahndung aber bliebe ohne Erfolg.

Agent Dale Cooper derweil trägt geichzeitig zwei Frisuren, weil er einen Doppelgänger hat. Ich habe jetzt die ersten beiden Folgen der neuen Staffel Twin Peaks gesehen und weiß zwar nicht, was ich da gesehen habe, aber es hat mir gefallen. Nachts träume ich jetzt von einer Glasbox, die in meinem Zimmer stehen könnte, während ich auf dem Sofa sitze, von links und von rechts durch Lampen beleuchtet. Ich würde dann in diesen Trichter in der Glasbox starren und darauf warten, daß meine Träume sich von dort herausschälen, in diese Glasbox fallen, in dieses Traumterrarium. Und dann wäre was los, und ich stünde nur noch im Hemd da.

Ich bin mir noch nicht sicher, wie man 18 Folgen damit füllen kann, über das Wachstum eines Arms zu meditieren. Aber darum geht es wohl, wenn ich die Ansage im roten Zimmer richtig verstanden habe. Man sagt ja manchmal, da seien einem lange Zähne gewachsen, weil man Hunger, Jieper und Begehren nach etwas Bestimmten hatte. Oder da sind mir graue Haare gewachsen. Oder Schwimmhäute zwischen den Zehen, wenn es sehr lange und dann noch eine Weile geregnet hat. Über Arme habe ich in der klaren Hinsicht noch nie nachgedacht, so wie es dieser Lampenbaum tat. Es gibt einen Kurzfilm von David Lynch, in dem er auf seiner Terrasse aus einem Besenstil und Gipsbinden eine Lampe baut. Die sieht ein wenig aus wie dieses sprechende Totbaum-Gebilde in Twin Peaks. Wir werden noch viel davon hören.

Fast kommt Dale Cooper aus diesem roten Raum und diesem Traum nicht raus. So wie ich aus Wien. Der Eingang zu meinem Stiegenhaus führte durch ein Tor, das mit einem Eisengitter verperrt war. Man brauchte einen Schlüssel, um es zu öffnen. Auf dem Weg zum Flughafen aber hatte ich den, wie besprochen, auf den Küchentisch gelegt, die Tür zugezogen und stand nun vor dem verschlossenen Tor. Das war auf einmal ein schlimmer Traum, ich mußte wie in Zeitlupe zurück in das erste Stiegenhaus, und weil die Klingeln alle außen auf der Straße waren, mußte ich Klopfen. Wie der Sänger in Mendocino klopfte ich an jede Tür, arbeitete mich die Stockwerke hoch, aber niemand öffnete. So mußte ich über den Hof ins zweite Stiegenhaus, denn einen Studenten für neun Euro hatte ich mir nicht gemietet. Auch im zweiten Stiegenhaus klopfte ich mich von Tür zu Tür, die Etagen nach oben. Niemand öffnete. Es war zehn, und alle Wiener waren ausgeflogen, am Naschmarkt, am Spielplatz, auf der Donauinsel. So mußte ich über den Hof ins dritte Stiegenhaus. Erneut klopfte ich mich von Tür zu Tür die Etagen nach oben, bis ich weiter unten das traumsymbolklirrende Geräusch eines Schlüssels hörte. Ich eilte nach unten, eine verschlafene junge Frau stand in ihrer Tür und sah mich an als sei sie geradewegs aus ihrem Bett durch einen metallenen Trichter in eine gläserne Box gefallen. Mit rückwärts aufgenommenen, aber vorwärts abgespielten Sätzen erklärte ich ihr meine mißliche Lage. Wie Lucy am Tresen des Sheriffbüros brauchte sie zwei Minuten, ehe sie alles zusammenaddiert und begriffen hatte, bot dann aber an, sich anzuziehen und mir auf die Straße zu helfen. Ich ging mit erleichtertem Herzen, vom Klopfen aber wehen Armen und Händen voraus zum Tor, einem gebeutelten Pensionisten auf der Flucht gleich. Und merkwürdig, wie in einem Traum von David Lynch: Das Tor war offen.

Ausfallschritt | 04:23h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
gaga - Samstag, 27. Mai 2017, 21:56
Moderasur.
Moderasur?
Okay.
Moderasur!

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kid37 - Sonntag, 28. Mai 2017, 02:06
Aber zwei Euro Fesch-Aufpreis! Andererseits, jetzt, wo ich wieder hier bin, ärgere ich mich, mir im Urlaub nicht einfach mal was geleistet zu haben.

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gaga - Sonntag, 28. Mai 2017, 03:22
Ist Wien so preisgünstig geworden? Für das kleine Portemonnaie bekommt man in Berlin auf jeden Fall auch eine modische Rasur. Man fährt hierzu nach Neukölln. Direkt unter meinem kleinen Atelier ist so ein Araber oder Türke mit einem schicken Salon. Es handelt sich bei der Gegend um das noch nicht als schick geltende südlichste Neukölln, hier wird noch flächendeckend türkisch und arabisch gesprochen, ohne zugereiste Deutschstämmige! Der Araber an sich hat ja ein Händchen für stylishe Frisuren. Die ganzen Trends kommen im Grunde vom Balkan. Oder Asien oder wie die Länder eben heißen.

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kid37 - Sonntag, 28. Mai 2017, 14:06
Ich weiß auch nicht, was bei mir nicht ganz richtig läuft. Da kommen andere mit einem Sombrero aus Spanien zurück, und ich schaffe es noch nicht einmal zu einer Moderasur. In Wien bekommt man bestimmt so ein Herzl in den Bart.

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gaga - Sonntag, 28. Mai 2017, 23:44
psst...! Sie haben da so einen durchgängigen Schreibfehler in Ihrem kleinen Blog. Unter allen Einträgen und Kommentaren steht "link". Das Wort schreibt sich aber "like"! Sicher nur ein Tippfehler im Eifer der Programmierung.

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kid37 - Montag, 29. Mai 2017, 00:41
Du meine Güte, Sie haben recht! So kann ich gar nicht wie XeniaLuisa nach El Ä eingeladen werden, wenn hier nicht ordentlich Links, also Likes generiert werden. Ich muss so einen Blogger-Workshop machen.

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gaga - Montag, 29. Mai 2017, 02:04

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frau eff - Samstag, 3. Juni 2017, 21:07
"In Echt" war das wahrscheinlich nicht so großartig, wie als Erzählung, aber das ist für uns Leser/innen ja egal. Besuchen Sie weiterhin ferne Länder und Städte und berichten Sie uns davon. Mehr, mehr!

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kid37 - Montag, 5. Juni 2017, 21:03
Ich überlege, Reiseführer im Stile David Lynchs zu schreiben. Eine Marktlücke.

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sid - Dienstag, 6. Juni 2017, 03:05
Definitiv.

Und da Sie grad bei uns waren - haben Sie die David Lynch Filmschau besucht?
Davon wollte ich noch Herrn Mark bei Gelegenheit erzählen. Schaff das seit Wochen nicht...

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kid37 - Dienstag, 6. Juni 2017, 13:42
Ah. Mist. Ich war definitiv etwas zu früh da - das Wetter wurde ja auch erst zum Ende meiner Reise besser.

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