Montag, 26. April 2010
Am Wochenende die Gelegenheit ergriffen und meine kleine Schiffbegrüßungsanlage verlassen, die Pedale zur Kontrolle wie die Trommel eines alten Armeerevolvers um die Achse rotieren lassen, noch zwei, drei Züge Luft nachgepumpt, dann ab durch die frühlingshafte Sonne den Entwässerungsgräben entlang weiter nach Osten. Spontan von den gut durchstrukturierten Pfaden abgewichen, einfach rechts durch die Unterführung und in einem kleinen Neubausiedlungsviertel gelandet, schnurgerade Wege führen dort durch sauber abgezirkelte Grünstreifen und noch zu erschließenden Reihenhausbrachen. Reiche Bautätigkeit herrscht rund um einen lauschigen Park mit eigenem Sandstrand am Badesee. Ganz nett, aber draußen. Dann lieber Durchreisender und unten an der Dove Elbe direkt am Wasser gerastet, der Steg nicht höher als die Wellen, die vorbeifahrende Boote schlugen, und man mußte aufpassen, wollte man - als sei man selber Segler - nicht schnell den Hosenboden naß haben. In flirrender Sonne und von den Kanumädchen bewinkt kaum die passende Atmosphäre gefunden, die letzten 30 Seiten Bernhard zu Ende zu lesen, eisgraue Sätze über das frostige Menschenleben: "Dahinein führt nur ein Weg durch Schnee und Eis in Menschenverzweiflung..." (T.B., Frost). So werde ich natürlich nie fertig, bleibt ein Warten also auf die kalte Sophie.
Freitag, 2. April 2010
Ein Karfreitag mit Osterwetter, also statt Kreuz- lieber Radwege benutzt, bewegtes Auslüften, erst ein bißchen kreuz (dann doch!) und quer, plötzlich sich unten an der Elbe wiedergefunden, ein Herr Sakana-Gedächtnisbild gemacht und dann aber weiter, Schleuse, Rumpelwege, Spadenland. Das schnurrt ganz gut, der Motor läuft ruhig, die Richtung zeigt irgendwas mit Süden und sofort stellen Ausbruchsgedanken sich ein. Tierwelt, Wandergruppen - man ist allein nicht auf der Welt und sei es auch in noch so öder Natur. Plattes Land, irgendwo ein See, links Segler, rechts Dauercamper. An den Straßenrändern rotverklinkerte Einfamilienträume, davor weht die blaue Raute, auch wenn die Orte auf "Wisch" und "Werder" enden.
Irgendwo ein Brot gemümmelt, radelnde Rentner winken vorbei, Anhängerkonstruktionen mit Bier und Feuerholz beladen, morgen geht das große Igelverbrennen los und die heimliche Sondermüllentsorgung. Zyklen und Zyklisten, ein Pferdemädchen lacht mich an, da muß was mit diesem Frühling sein, bald geht das Geblühe los, ich lenke den Holländer vorbei, durch Mist und Schorf und Acker, weiter über die Panzerspuren, die Traktorwege. Kilometer macht man damit nicht, aber fünf Stunden später weiß ich, was Beine sind. "Der Junge hat Farbe gekriegt", würde meine Großmutter sagen, so wie sie halt sprechen, in der dritten Person. Der Junge macht jetzt mal Abendbrot.
Mittwoch, 20. Januar 2010
Während sich draußen Tauwetter durch die Schneewehen bohrt, graue, mäandernde Fraßspuren hinterläßt wie ein verderbenbringender Parasitenbefall, die Erinnerung an den wintrigen Sonntag: Roter Schatten voraus, grau und tapferen Schritts stetig durch den 'chönen 'chnee, so klemmt einem frostig die Kehle. Tief sinkt man ein, wie seit Kindertagen nicht mehr, bis über die Knöchel, stemmt sich voran durch die dunkel umsäumten Pfade, weiß gar nicht, wo man genau steht, auf euren Gräbern, deinen Spuren, den stillen Wegen.
Mittwoch, 6. Januar 2010
In diesen weißgrimmigen Tagen kann man morgens nur prall verpackt wie eine Kegelrobbe aus dem Haus torkeln, Schicht um Schicht in kältehemmendes Material gewickelt, einen unförmigen Mantel wie eine extradicke Fettschicht übergeworfen, mit irgendwie stummelig gewordenen Armen unbeholfen um die Hausecke rudern und pinguinflossenförmige Handschuhe mit einem tonlosen "fluff-fluff-fluff" aneinanderklatschen.
Man könnte sich wärmeres denken, in jedem Sinne natürlich, auf jeden Fall eine mildere Zeit. Abends bei einem oberflächenentspannten Bordeaux, Frankreich wäre auch mal wieder ein Ziel, denk ich das Jahr schon einmal zeitig voran. Kelly lenkte zuletzt die Kompaßnadel gen Süden: Sein Reisebericht über Lissabon ist wie gewohnt beinahe akribisch informativ und gespickt mit tollen Bildern - das soll mir eine Mahnung sein, nicht immer so faul von eigenen kleinen Ausflügen zu berichten. Ein echter Genuss in zwölf randvoll gefüllten Teilen.
Von dort einfach weiter auf "Neuere Posts" klicken - oder direkt über diese Links:
Hinflug
Über den Dächern
Expogelände
Shopping
Nostalgische Bahnfahrten
Am Tejo
In der Stadt der Toten
Rossio
Mit der Fähre
Azulejos
Abendspaziergänge
Rückflug
Dienstag, 29. Dezember 2009
Als ich losfahre, hat sich in der Wandelhalle am Bahnhof ein Posaunenchor aufgebaut. Vier Bläser stehen oben auf der Galerie zu den weiteren Geschäften, und so spielen sie "Ihr Kinderlein kommet" im Wechselgesang, eine Strophe zart von oben, dann antwortet das satt gestimmte Orchester von unten im vollem Brass und Bass. Tatsächlich bleiben viele stehen, hören zu, und hält die Zeit für ein paar Momente inne, kehrt eine Ruhe ein.
Der ICE schneidet sich durch die verschneite norddeutsche Tiefebene, passiert die kleinen Orte Richtung Osnabrück, links und rechts Wiesen und kleine Wäldchen, überfrorene Gräben, weiß überzogen. Mir gegenüber sitzt ein Mädchen mit aufregend asymmetrisch geschnittenen Haaren, man vergräbt sich tief in die MP3-Player, neben mir sitzt ein Mann und liest das Yacht-Magazin. Nun weiß ich also, wer heimlich davon träumt, Segel zu setzen.
Wenn sich die Landschaft endlich ändert, irgendwo hinter Lünen vielleicht, wenn der eiszeitlich glattgeschmirgelte Boden Wellen wirft, die ersten metallenen Monumente auftauchen, tritt eine neue Wehmut ein. Die Häuser bekommen eine andere Farbe, rücken enger zusammen, links und rechts der Gleise türmen sich plötzlich Wälle auf, am Horizont die ersten Hügel, schmutziges Grau, Nacht senkt sich langsam über zerbombte Fassaden, diesmal ist es nicht der Engländer, nicht die Stadtplanung, diesmal ist es Strukturwandel und schieres Vergessensein. Wir rauschen ins Tal, zwischen Häuserschluchten, nackt und beschriftet, getaggt, verkümmerte Reste der Gründerzeit.
Ich brauche hier keinen Promi-Tip, wo "man hingehen muss". Hier sind einfach die Orte, die mir wichtig sind, der Klingelknopf, auf dem mein Name steht. Hallo, zurück daheim. Eine Stadt, für die es eine besondere Liebe braucht. (Und immer der Gedanke, daß die Liebe für die große Stadt vielleicht nicht groß genug war. Wie sie mit ihren Armen und Rührungen nicht hineinreichte und nicht in die letzten Winkel griff und Räume, sie nicht ausfüllte, die verborgene Kammer, die über Jahre so seltsam verschlossen blieb. Als wäre darin ein Geheimnis gewesen, eine Erklärung vielleicht oder dieses verborgene Leben.) Nein, diese Stadt ist anders. Ist eine unharmonische Obertonwaise. Stiller.
Donnerstag, 22. Oktober 2009
Naturgemäß fragen alle nach der Rubrik Kulinarisches, wenn man aus dem Urlaub kommt. Ob man sich denn artgerecht versorgen könne in fremden Landen? Nun, wie so manche Dinge im Nachbarland sehen auch die Käsebrote in Wien für Deutsche erst einmal fremdartig aus. Manche werden unglaublich dünn und fein ausgewalzt, anschließend paniert und gebraten und mit einer Zitrone garniert. Andere bestehen aus sehr ursprünglich angerichtetem neapolitanischem Teig, werden gebacken und mit Büffelmozzarella belegt. Seltsame Sitten, aber sehr schmackhaft.
Als genügsamer Gast aber sage ich zu allem Ja, denn im Urlaub kann man ruhig mal probieren, wie es andere mit den Stullen so halten. Überhaupt kenne ich in der Hinsicht kaum einen aufgeschlosseneren Reisenden als mich (Eigenlob ist bekanntlich Bloggerzier), andererseits bin ich aber selten in wirklich exotischen Orten unterwegs. Beim Meinl hole ich mir morgens mein Frühstück, das machen da alle so, nur die Tasse kalter Kaffee mit einem Schuß Zigarettenasche, die man in den Existentialistencafés am Montparnasse so liebt, sucht man vergeblich.
Kein Grund aber, traurig zu werden, es gibt Dinge, die selbst ich wie ein Sissy großer Junge ertragen kann. Die Tatsache beispielsweise, daß es dort Milch zu kaufen gibt, die nicht "länger haltbar" ist, sondern frisch. Oder Produkte, die ausweislich "gentechnikfrei" produziert werden. Da muß man sich erst einmal tüchtig umstellen, tapfer zugleich und möglichst ohne Kommentar.
Freitag, 16. Oktober 2009
Manch einem wurde schon durch eine störende Fliege der leckerste Kirschkuchen verdorben. Ich für meinen Teil kann es nicht leiden, wenn mir ein Rasanzfahrer durch die Tortenglasur fährt und einem Schlittschuhläufer gleich seinen verschrammte Spur durch den schönen Glanz zieht. Gerade will ich nämlich anfangen, darüber zu dozieren, wie die Stadt ihr ganz eigenes, und zwar auf menschliches Maß reduziertes, Tempo habe, da wird mir mit dem ganz eigenen Schmäh feixend das Gegenteil bewiesen. Laßt den Piefke mal reden, denken die sich, wie immer höflich und mit gespannt lauschenden Gesichtern, während ich mich in munterer Ernsthaftigkeit um Kopf und Kragen und Halsschlagader plaudere.
Wie langsam die Bilder ihren Platz finden, sich zurecht und in die eigene Ordnung fügen. Wie überall und hinter einem und um einen herum Tempo und Bewegung ist, während man selbst nur ein wenig Atem holt, nicht so viel strampelt, den Wetterbericht liest und den Kuchen auch ißt.
Freitag, 9. Oktober 2009
Wie nackt an den Brücken stehen - da - und das ist quasi eine adhoc-Meldung - sehe ich persönlich keine Zukunft drin. Dieses Landen immer, an Land und auf den Füßen, bei sich und ganz woanders, auf dem Mond oder auf der Schnauze, auf den hinteren Plätzen und das noch unsanft, in der Warteschleife als erster im Ziel, dabei einen Hit, einen Treffer, punktgenau. Dabei zählt nur eins: sicher.
>>> Geräusch des Tages: It was summer, now it's autumn.
Donnerstag, 8. Oktober 2009
(Björk, "There's More To Life Than This")
In Gedanken die Wege nachwandern, die Plätze, zu denen man die ungezeigten Bilder hütet, das Gewirr der Straßen, die sich langsam entknäueln, wie man ausgeht und es sich ausgeht, wie man lange am Wasser sitzen kann, essenssatt und ohne das Gefühl einer Zeit, nur Ort sein, ein Raum voller Freunde, Blicke, dem Klang der Stimmen. Ankommen. Irgendwann, später, langsam durch die nächtlichen Gassen schlendern, diesen Rest von Wärme spüren, den die massiven Steinwände vom Tag her noch abstrahlen. Um eine Ecke lockt der Geruch einer Backstube, stilles Brot der Frühe, sich vollsaugen, immer nur einatmen, und gut, daß die braven Bürger der Stadt nicht sehen, wie ich die Hauswand ablecke, vom Ring bis hin zum Gürtel, wie ich verkünde (by four o'clock/you're pretty high), daß ein alter Mann noch viel Lärm machen kann: You've got to pull yourself together man/You've got to get back on your feet again. Die staunende Welt einfach unter den Arm packen, mitnehmen, mir doch egal, wer von uns sie dreht.
Wie es Städte gibt, die zu einem sprechen. Und andere, die es nie tun werden.
Man muß es auch glauben wollen. Weil Eis nicht Eis ist.
Freitag, 2. Oktober 2009
der Reise und der innerlichen Stellungnahme
zu einander die Reise betreffend.
(Franz Kafka, Reisetagebücher. 26.8.1911.)
Ich bin noch nicht wirklich wieder zurück. Hamburg empfing mich nass und kalt, ein unwirklicher Schock, nachdem ich auf dem Hinflug beim Ausstieg aus der Maschine kurz argwöhnte, aus Versehen nach Rom umgeleitet worden zu sein. 27 Grad, ihr habt ja einen Knall, dachte ich, ich habe kaum T-Shirts dabei. Der Ausflug in die Hansestadt heute war hingegen wie ein Einblick in eine fremde Welt: Auch wenn ich nur ein paar Tage weg war, das Tempo, das ich annahm, war ein anderes. Hier nur hastende, eilende Gestalten, rempelnde Menschen auf den Rolltreppen. Selbst am Geldaut0maten, wo ich normalerweise mit trommelnden Fingern ungeduldig versuche, Geld und Karte weit vor der Zeit aus dem Schlitz zu zerren, ging mir heute alles viel zu schnell, pfiff mich doch am Ende die Maschine an, endlich meine Habseligkeiten aus ihr zu ziehen.
Was brauche ich Geld. Reich beschenkt wie kaum einer kehre ich zurück. Und das ist mir ein wenig unheimlich und erzeugt Wehmut. Hamburg jedoch hat leider Nachtflugverbot. Man soll also erwachsen tun und kann gar nicht sofort zurück. Und dabei dachte ich, in meinem maritim verklärten Alter käme man gar nicht mehr in die Situation, vor irgendetwas Angst zu haben.