Mittwoch, 23. September 2009
Nach all den Landpartien und wagemutigen Kanalalleinüberquerungen muß ich jetzt dringend die Lüfte erkunden. Ein paar Tage werde ich fort sein, nette Eindrücke sammeln und herzlich Hallo sagen. So mein spontan strukturierter Plan. Bleibt alle brav und eßt eure Teller leer.
Dienstag, 22. September 2009
(Lolita, Seemann, deine Heimat...)
Gegen Ende einer jeden maritimen Saison werden Reusen, Angeln und Segel eingeholt. Aber bevor es Zeit ist, die Schlauchboote an Land zu kranen und winterfest zu machen, kann man sie ja noch mal aufpumpen und in die letzten warmen Stunden hinein zu Wasser lassen.
Leider ohne Akkordeon und zufällig auch ohne Ringelhemd steche ich mein Billigpaddel in die See, erst neulich ist mir schmerzlich klar geworden, und nur hier kann ich es zugeben, welchen Trainingsrückstand ich habe. "Peter-Michael Kolbe, sprich zu mir!" beschwöre ich den großen Schutzheiligen des Ruderwesens, Meter um Meter kämpfe ich mich mit übermenschlicher Willenskraft an meinen imaginären Herausforderer namens Muskelträgheit heran. Dann erst einmal eine Pause.
Vom Wasser aus stellen sich viele Dinge nicht so sehr anders dar als auf der Straße. Ver- und Gebote, Abgezäuntes, Deklariertes und Privates, die Freiheit ist immer relativ - und es gilt, sie regelmäßig neu auszuloten (1,87 m Fadentiefe). Auf dem Boot sammelt sich erstes Laub, am Paddel hat sich Seemansgarn verfangen, filziges Zeug, in das man sonst nur die ganz großen Fänge verpackt. Sonst aber Ruhe an Bord, und etwas Wasser. Entspannt gönne ich mir ein Stück Schiffszwieback, lasse mich "mal so treiben", wie es im Lied heißt, ich bin völlig allein auf dem Kanal, nur ein Bläßhuhn sucht meine Nähe.
Endlich finde ich ein wenig Zeit, die gesammelten Stapel des Feuilletons der letzten Wochen durchzulesen. Das Boot locker an einer Weide vertäut, trudel ich durch Wort- und Wellenbewegungen, grüße den ein oder anderen Skipper, der am Ufer sitzt, mir sein Bier entgegenhält oder sich an sein Käppi tippt.
Langsam wühle ich durch die Kanäle, von Gleiten wie bei einem echten Kajak kann nicht so wirklich die Rede sein, meine Paddeltechnik macht zuviel Geräusch, zuviel Wasser, es ist also gut, sich ab und an auszuruhen. Die Sonne geht unter, und ich taste mich zurück durch das Zwielicht. Selbst schon angenehm müde, gleite ich schließlich doch durch dösende Enten, die - den Kopf unter dem Flügel - ihren eigenen kleinen Dämmertörn auf dem Wasser machen. 1-2-3-4!, die Sportruderer ächzen mit ihrem Abendtraining an mir vorbei. Als ich an irgendeiner Böschung an Land schubber (ein Lob der zusätzlichen Nylonhülle, die über und vor allem unter dem Boot liegt), ist es bereits dunkel geworden. Der erste Nachtangler kommt mir entgegen, Schichtwechsel am Kanal. Fische habe ich keine gesehen, sage ich. Schon lange nicht.
>>> Petula Clark mit der französischen Version
Freitag, 18. September 2009
Gestern fuhr ich mit dem Rad ein wenig südlich der Elbe herum, immer schön am Deich lang, bis ich auf dieses kleine Ensemble entzückender Häuschen stieß. Zum Teil verlassen, zum Teil ein wenig nur bewohnt, immer aber mit fingerdickem Charme versehen. Hinter dem Haus eine versteppte Freifläche, verrostete Gewächshäuser, aus denen kleine Bäume ihre Äste recken. Jemand wie ich sieht dort natürlich nur arithmetische Möglichkeiten: Ein, zwei Sack Rotband, drei Eimer Farbe, dann schnell vier Kinder zeugen, schon hat man acht Hände mehr, die zwanzig neue Scheiben in die Rahmen setzen können. Sellerie das ganze Jahr! Und Basilikum! Und links und rechts ein Käsebrotbaum.
Ich mag ja diese unscheinbaren Flecken, an denen oft ganz wunderbare Schätze zu entdecken sind. In der Pause, wenn die Kollegen sich träge nur zum nächsten Mittagstisch schleppen, schau ich mir gern die Eigenheimfantasien hinter dem Krankenhaus an, dort wo Lehrer, Oberärzte und Unternehmer feuchten Architektenträumen quer durch alle kunsthistorischen Epochen (kleine Burgen mit Zinnen und Türmen inmitten einer Rotte Rotklinkerhäuschen!) folgten, bin verblüfft über Wohnungen in alten Wassertürmen, verwunschene Gärten, die sich entblößen, wenn man nur kurz mal - man wahrt natürlich den Anschein von Diskretion - hinter die Hecken lugt. Manchmal komme ich mit den Leuten dort ins Gespräch, man tippt ein wenig hier und hakt ein wenig da und erfährt Geschichten, aus denen sich immer weitere Geschichten spinnen lassen.
In einem anderen Leben wäre ich ja gern Location-Scout geworden. Ich kannte mal eine Frau, die hat das für Film und Werbung gemacht, interessante Ecken suchen, Häuser und Gegenden. Mit einer Polaroid - so lange ist das schon wieder her - zog sie durch halb Europa und pflegte ihre wohlgehütete Kartei. Auf einer Party erzählte sie, irgendwann im Morgengrauen, wenn die schönen Geschichten kommen, von verzauberten Parks und unberührten Anwesen an der französischen Küste, kaum entdeckten Herrenhäusern irgendwo, den Bewohnern und der Arbeit dort am Set. Schien das nicht verführerisch? Unberührte, fremde Schönheiten - das klang wie eine jener unglaublichen exotischen jungfräulichen Prinzessinnen der Südsee, für die manch klappriges Schiff voll Konquistadoren sehnsuchtsvoll gleich über mehrere Ozeane fuhr.
Heute indes gibt es das ja alles im Haifischbecken Internet, und vielleicht ist sogar die Südseeschönheit dabei: bei Airspaces vielleicht oder Light Locations. Muß man schauen. Oder die Geheimnisse besser doch verschleiert lassen.
Freitag, 4. September 2009
Manchmal reite ich - My Rifle, My Pony And Me - hinaus vor die Stadt, dem endlosen Horizont des norddeutschen Flachlands, den weiten Plains, entgegen. Ich sage dann Yeah, spucke aus in den Staub der Wege, die von der letzten Stampede der Holsteiner Kühe ordentlich aufgewühlt sind, und reite weiter, langsam, unbeirrt, in Städtchen, yeah, die auf Brook oder Horn enden, wie da so ist hier rund um Kalifornien.
Manchmal spucke ich aus, wegen dem schlechten Geschmack im Mund, der sich einstellt. Wenn man an dieses denkt oder jenes. Und mag mancher Kitty das Herz auch brechen, dann muß ich weiter und Little oder Big Horn verlassen. Oder SoundsoBrook. Denn irgendwo, da draußen, yeah, habe ich eine Verabredung. Mit den Mädels vom Immenhof.
Donnerstag, 20. August 2009
Hamburg, so prahlen einschlägige Reiseführer, habe mehr Eisdielen als Venedig. Vielleicht sind es auch Brücken, mein Gedächtnis ist mittlerweile selbst ein morastiger Canal Grande, über den nur selten ein Steg nach Rialto führt. Gestern jedenfalls bummelte ich so durch die Lagunenstadt, einem Zwerg in einem roten Kapuzenmantel folgend, der mein Interesse geweckt hatte. Venedig, so heißt es im Country-Schlager, fängt ja gleich an der Außenalster an, so daß ich es nicht so furchtbar weit habe, will ich einmal den Tag gemütlich ausgondeln lassen. Derzeit nämlich sitze ich gerne am Wasser und lese Reiseführer, eine Lektüre, die wiederum dazu führt, mich kaum noch auf Reisen begeben zu wollen, in der irrigen Meinung, alles nun bereits zu wissen. Sicher kann man auch in Büchern reisen, aber den Geruch fremder Städte ersetzt das nicht.
Heute soll der heißeste Tag des Jahres werden. 37 Grad, was überraschenderweise nicht so ganz mein Wetter ist, außer es geht durch Staub zum Früchteschlagen. In Venedig, käme ich einmal dorthin, würde ich dann gern zu einem Aldi rudern. Ist sicher auch interessant, zumal, nähme ich eine blinde sehende ältere britische Dame mit an Bord. Und alle tippten sich wieder an die Stirne. Eine Bewegung aber, die man heute, angesichts der Hitze, besser auch vermeiden sollte.
Dienstag, 18. August 2009
Liebe Haschrebellen, Gelegenheitszechpreller und auch ihr, die ihr euch von glukosegestrecktem Ice tea Eistee ernährt. Die Wolkennixe im Bikini, die gestern mittag über mir hinwegschwamm, war mir ein deutlich klingelndes aeromantisches Zeichen, ein wetterleuchtendes Signal, Gedanken über einen kleinen Urlaub einzuleiten. Also demnächst, irgendwann. Mal so raus, Wasser, Wolken und Bikinis ein kleiner Stapel Bücher, man muß das alles ja auch mal abarbeiten. Überhaupt: Die Arbeit im Urlaub ist ja von einer ganz besonderen Süße, da kann so ein Eisteegesöff gar nicht gegen ankleben. Aber das nur nebenbei. So wie ich arbeite, möchten manche gerne Urlaub machen, höre ich hin und wieder von Menschen, denen die Belastung durch Lärm, Hitze und Staub der Maschinen, der Brennöfen und hydraulischen Stanzen, unter denen ich sozusagen meinen nach ergonomisch ausgewogenen Gesichtspunkten sandgestrahlten Melkschemel aufgebaut habe, die laktosefreie süße Frucht meiner Ausdenkarbeit zu zapfen, ohne Begriff und Inhalt ist.
Kräftig gebaut wie ich - für blinde Menschen unsichtbar - bin, drängt mich stählerne Muskelmasse zu einem Sturz in wogende Fluten, zum Wälzen in sonnenerhitztem Sand (man muß sich putzige Bilder vergnügt wühlender Warzenschweine vor Augen führen) und abendlichem Abhängen mit einer von Wedekinds dramatisch gezeichneten Figuren (ruhig mit Alkohol!). Danach: Nächtliches Summen bis zur allgemeinen Bewußtseinsumwölkung.
Originell, das räume ich ein, ist das nicht. Aber an so einem Strand sind die fremden Fußstapfen, in denen man latscht, ja jeden Morgen wieder weg. Und alles scheint wie neu.
Dienstag, 11. August 2009
Der Mädchen gelbe Haare wehen
Am Zaun, wo Sonnenblumen stehen.
Durch Wolken fährt ein goldener Karren.
(Georg Trakl, "Im roten Laubwerk...". 1913.)
Die Krise zwingt die heitersten Gemüter tiefer in die Baumwolldaunen - Cocooning am heimischen Herd, statt mobil-urbaner Oberstolz-Eß- und Sozialkultur. Nachdem der Herdtrieb nun dazu geführt hat, daß ich locker drei bis sieben Kinder käsebrotsatt machen könnte, müßte ich diesen doch aber auch Auslauf bieten können. Hinaus also treibt es mich in die streng abgezirkelte Grünparzellierung, erstaunlich viele freie Flächen finden sich dort, wo ich endlose Steckrübenfelder sehe. Ein grünwogendes Meer der Möglichkeiten, dort wo derzeit nur Klapperschlangen Heuschrecken rasseln, ich aber mit einem Luftschiff landen könnte.
Die Gegenden heißen "Morgenpracht" (kein Kommentar), "Frühauf" (nichts für mich), "Fortschritt und Schönheit" (bin ich dabei), "Bienenbusch" (muß man aufpassen) und, Knaller, "Wühlmäuse 2000" (sicher mit Turbo). Natürlich bremst die Angst mich vor deutscher Gründlichkeit, den Abwasserkommitees und Gemeinschaftszwangsstunden, den Parzellenbegehungen und Goldenen Zitronen, die man denen verleiht, die aus der Hecke scheren. Vieles habe sich geändert, heißt es, aber vielleicht bin ich noch nicht so weit, vielleicht sollte ich besser ein größeres Boot kaufen, es gibt Blogger mit Motorbootführerschein, die könnten das fahren.
Und doch gibt es wie verwunschene Orte zu entdecken, aufgelassene Geheimdienstzentralen, auf deren Grundstücke man Dipole und Langdrähte spannen könnte zum Detektorradioempfang. Auf denen lange Tische stehen könnten mit Kuchen und Stachelbeerschüsseln und trunkenen Gästen, denen man auf einem flirrenden Elmo La Strada in die Bäume projiziert. Oder Gobbledigook.
Montag, 15. Juni 2009
Nachdem die Exkursion durch den Freihafen so vergnüglich war, schien mir als Kontrast ein Ausflug ins Grüne angebracht, denn Radfahren ohne Abwechslung ist ja wie jeden Tag Käsebrot, wie schon im Handbuch für alle Lebenslagen nachzulesen ist. (Hier irrt übrigens Wikipedia, denn was soll die Bemerkung, es sei "fiktiv" bedeuten?) Dem quietschenden Klepper (die Lager! die Lager!) also ordentlich Luft zugeführt (die Löcher! die Löcher!) und dann stracks Richtung Osten bis kurz vor Brandenburg in die Boberger Dünen zum Geländetest. Über Brücken und Feldwege, durch Kleingartenanlagen und entlang der Gewerbebetriebe links und rechts der Bille bis zum Segelflugplatz. Stadtflaneure, raus aufs Land! schallt der Ruf durch die von Pferdehufen und Walkingstöcken vertikutierte Landschaft, links und rechts verschmilzt Grün zu einem Streifen, Pedaleros juchzen, junge Menschen lungern um einen Badesee. Keusches Idyll, die letzten Vögel vertrieben von Wanderern in TCM-Beige, vielleicht aber auch vom Knirschen meiner Fahrradkette (Sand im Getriebe! Sand im Getriebe!). Zurück dann vorbei an ramponierten Lagerhallen, am summenden Kraftwerk, langsames Anpassen an die mechanische Welt wie eine langsame Tauchfahrt durch die Dekompressionskammer.
Dienstag, 9. Juni 2009
Am Sonntag dann hinüber ins Wahlbüro, die Qumran-Rolle des Wahlzettels studiert, Farbenlehre über Schwarz, Rot, Grün, dann Violette, gefühlte fünf Rentnerparteien, Tierschützer, Bibelschützer, Raffgierschützer und Merkbefreiungsschützer. Mein Kreuz gemacht, Wahlzettelorigami - und dann aber los. Das Wetter genau auf meiner Betriebstemperatur, die Luft kühl und regnerisch, der Himmel bedeckt, schöne Kontraste und ein frisches Locken und Wispern, raus also aus den umbauten Zonen, es lockt der Ruf einsamer Gewerbegebiete. Rauf aufs klapprige Rad, husch wie ein quietschender Wind, immer nach Süden, dem Wasser nach und dann hinüber über die alte Elbbrücke. Ein Hauch von Industrieanlage, romantischer Schmerz, mein kleines Ruhrgebiet, singe ich - überhaupt das Singen auf dem Fahrrad! Noch ist es Zeit, im Sommer dann wird es schwierig, schmierig, wenn die kleinen Fliegen einem dabei in den Mund wehen, während man lustige Dean-Martin-Lieder schmettert, befreit, dem Fahrtwind entgegen.
Ein strenger Geruch von Hefe, die Menschen, die da wohnen müssen, als lebten sie einem Philosophen gleich in einem zerschmetterten Bierfaß, dann weiter über den Fluß endlich, die Eisenbahn entlang, Schuppen und Kais und Kräne, verlassene Backsteinbauten, Bloggerheime allesamt, rostige Kähne und Lastkraftwagen aus Osteuropa. Um einen Grill zusammengedrängt eine Truckergemeinde, Hardrock-Café, Metal dröhnt aus einem tragbaren Lautsprechergerät, weht herüber, zerhackte Akkorde. Irgendwo fotografieren Menschen, stolpern Touristen auf ein ausgemustertes Motorschiff. Ein Hafenmuseum, Ketten und Winden, zerplatzte Farben, endlich ein bißchen Regen auch.
Zu Hause dann die ersten Berichte. Der Vorsitzende jener Partei, deren uninhibitiertes Wirtschaftsdenken wohl mit in die Krise führte, freut sich auf unangenehm selbstgefällige Weise. Die ehemals sozialdemokratische Partei indes scheint wie ein berühmter Ex-Fußball-Manager-Macho soeben einen Tritt in den Unterleib bekommen zu haben. Man ahnt, es wird alles noch schlimmer kommen.
Montag, 6. April 2009
Wenn man wie ich die Woche über hart mit eher weichen Sachen arbeitet, steht einem am Ende pflichtschuldigst erregt besungener Tage der erholungssehnsüchtige Hunger nach einem Ausflug in die Gebiete, die in der Stadt des weißkragigen Handels für industriell gehalten werden. Die meinem Stadtteil vorgelagerte Gewerbezone ist demjenigen, der gezwungen ist, seine Mittagspausen in Planten un Blomen oder an derAußenalster zu verbringen, ein sonntagsberuhigtes Elysium.
Schutt, Rost und hingefledderte Fernfahrerlektüre säumen die Wege, mein betagtes Hollandrad ächzt durch Splittermulden, aus denen Glas mir in staubiger Sonne entgegenglitzert, flirrendes Licht zwängt sich durch Maschendrahtzäune, ein melancholischer Rottweiler, der einen stillen Autohof bewacht, wufft mir hinterher, während ich juchzend, Wind bricht sich an meinen Ohrläppchen, so beschwingt geht die Fahrt, dem Geruch von altem Metall und Frühling entgegenreiteradle.
Ich bin das Schienenfahrzeug! rufe ich laut, eile an dösenden Monstertrucks vorbei, die schwarze Schatten werfen, durch die ich hindurchfliege, ein viel schwärzerer als sie, ein quietschender Vogel mit ausgeschlagenem Tretlager und zerschundenen Schwalbe-Reifen, die immer wieder Luft verlieren. Ein schöner Tag, die warme Luft läßt Farbe von den Wänden platzen. Die Menschen flirten wieder, wenn es denn hier bloß welche gäbe.