
Sonntag, 15. November 2009

Abends an so einem Tempranillo gerochen (2003), dabei Moon Suk zugehört, wie sie meinte, Berlin sei nicht gut für Ehen, Berlin zerstöre Ehen, da sei zu viel Ablenkung. Kurz Haha gemacht, noch trockener als dieser Tempranillo, der meiner unsensitiven Meinung nach übrigens nicht anders schmeckte als der von 2008, ich nehme da aber alle Schuld auf mich. In Hamburg, Frau Moon Suk, orientierten sich die Ehen früher ja an den Liegezeiten der Schiffe. Und dann wurden die Handelscontainer und das schnelle Rein-raus, ich rede über Ladegeschäfte, erfunden. Wir sind hier nun in der Stadt der Ein-Personen-Kinos. Und damit meine ich nicht die Kabinenbetriebe auf der Reeperbahn.
Erst dachte ich, man müsse den gemeinsam schauen, aber ich hatte ganz vergessen, was für ein bitterer, trauriger Film das ist. Also doch nicht unbedingt das, was man gemeinsam ansehen sollte, es gibt Dinge, die sollte man allein durchstehen. Melodramen über zuviele zerbrochene Träume, das Altern und die Vergeblichkeit, die bewahrten Illusionen und die Schonung, weil jeder dem anderen seine Illusionen nicht nehmen will, und der Verrat durch die Schonung, der Verrat an der Liebe vor allem, an der Aufrichtigkeit (da gibt es dann natürlich das junge, idealistische Mädchen, ein Schriftstellertalent, auch sie hin- und hergerissen in der Liebe, wie sie alle in diesem Film, das dem alten, na gut, also mittelalten Mann vor die Entscheidung stellt, eine Tür öffnet, mit all dem Mut der Jugend, den er irgendwo auf dem Weg verloren hat), der Verrat also an der eigenen verdammten Zukunft. Auf dem Boulevard der Dämmerung werden irgendwann die ersten Blogger sagen, lange nachdem das Tonfilmgezwitscher die Welt weitergeschoben hat: Mr. DeMille, ich bin bereit für die Großaufnahme.
Anschließend den Roman von Nick Cave zu Ende gelesen. Auch so ein Träumer, dieser Bunny Munro. Ein Charmeur alter Schule in einer sehr gewissen Weise, man schämt sich ein wenig, ist gebannt fasziniert, ein schrecklicher Unfall fällt einem ein, kurz, man kann über 300 Seiten gar nicht weggucken, schüttelt den Kopf, leidet aber mit, schließt ihn auch irgendwie ins Herz, diesen Don Quichote auf der Suche nach der... na gut, das sollte man besser selbst lesen, ich trage nicht diesen Schnauzbart wie Nick Cave und kann mir auch keine anzüglichen Scherze über Kylie erlauben, weil wir nicht näher bekannt sind. Bunny Munro jedenfalls, dieses große Arschloch und arme Socke, nicht jeder Leser wird sich über ihn erheben können, die meisten aber wohl schon, gehört jetzt zu den eher simpel Strukturierten, sehr nah orientiert an bestimmten Bahnen des Rückenmarks, vielleicht nicht der Allerreflektierteste unter uns, mehr so Schnellrestaurant, nicht Feinkost, aber dafür mit einem gewissen Händchen für, ich möchte mal sagen, Publikumskontakt, und da träumen hier einige auch von. Wie ich weiß.
Schade, daß das Buch nach 300 Seiten bereits aus ist, ich hatte ja noch Hoffnung. Ich meine, der Mann war doch lernwillig, der hat sich doch immer gefragt, was dieses oder jenes zu bedeuten habe, daß ihm doch sicher jemand was sagen möchte, seine Frau zum Beispiel, wenn sie seine Kleidung, zerfetzt & zerschnitten, in der Wohnung verteilt. Ich meine, Bunny war doch ganz nah dran, er stand doch kurz davor! Aber nach 300 Seiten endet das Buch wie im Titel bereits angedeutet mit dem Tod des Protagonisten, der letzte Picaro endet, rüde aus dem Sattel geworfen, in diesem englischen Küstenort, zu dem ich persönlich auch wieder eine Schleife ganz an den Anfang ziehen könnte, allein, da mach ich lieber neckische Bewegungen mit den Zeigefingern hinter den Ohren und rufe: Bunny, du warst uns kein Vorbild, aber irgendwie auch einer von uns!

Freitag, 13. November 2009


Gut, daß ich erinnert wurde! Schnell also noch ein Hinweis: Heute abend eröffnet in Berlin die Ausstellung "Magistrates" mit Werken von Ray Caesar, Chet Zar, David Hochbaum, Bruce Mitchell, Steven Daily, Raf Veulemans, Richard Kirk und weiteren Künstlern. Dazu, jipjip, gibt es eine Book-Release-Party und Ausstellung mit Postern von Mark Ryden.
Geht da ruhig mal hin, über 20 Künstler aus dem großen Feld von Low Brow und Pop-Surrealism werden dort präsentiert; die Leute dort sind furchtbar freundlich und unkompliziert und niemand muß schwarze Rollkragenpullover tragen. Leider lebe ich in Distanz, sonst wäre ich ja da.
("Magistrates". Strychnin Gallery, Berlin, Boxhagenerstr. 36. Ab 13.11.2009)

Donnerstag, 12. November 2009

Mein Vater hat mir immer gesagt, nichts hat Bedeutung, wenn man es nicht veröffentlichen kann. Aber die Dinge hatten sich geändert. Vince hatte bei unserem ersten Gespräch gesagt, es sei in Mode, sich selbst in die Story mit einzubauen. Allmählich stellte sich die Frage, wie weit ich gehen wollte.
(aus: Wahre Lügen. Regie: Atom Egoyan. Kan./GB 2005.)
Does she ever feel she exposes too much of herself? "You have to, otherwise the work isn't honest," she says. Die BBC über Tracey Emin.
This is kind of about you.
This is kind of about me.
We just kind of lost our way.
(PJ Harvey, "We Float")
An die Diebstähle denken. Die Bücher, die Schallplatten, die Gedanken und Ideen. Was hat man sich nicht alles angeeignet, in dem einen oder anderen brotlosen Jahr. Alkohol von irgendwelchen Partys mitgenommen, grußlos gegangen, raus in eine andere Kälte, irgendetwas albernes getan, einen fremden Namen in den Schnee gepinkelt, ein sorgloses Leben gestohlen, eine adaptierte Biografie. Am Ende sogar mit allen Lügen, die ich übernahm und dabei nicht einmal verstand. Oben auf dem Hang stehen, hinunterschauen auf die Lichter der Stadt, die schmerzenden Beine ausstrecken, weil man so schnell gelaufen war. Die schmerzenden Arme herunterhängen lassen, weil man einander so lange festgehalten hatte.
Diebe wie wir also. Mit gestohlener Zeit und Vorstellungen, die sich aus Büchern nährten, Kinofilmen, banalen Schlagern. Sonnenbrillen, die man unbedingt nachts tragen mußte, halbverdaute Zitate auf den Lippen, seltsame Zigaretten, die man teilte, in der Mitte brach, dabei blind blieb in voller Absicht, eine Witterung aufnahm, aber nicht weiterging. Wie wir eine zeitlang warteten, schweigend, und dann beschlossen weiterzugehen.
Im Dunkeln tasteten wir uns den Abhang wieder hinunter, den Lichtern entgegen und einer Ahnung von der nächsten Straße. Durch Buschwerk hindurch, erst kichernd, dann nervöser, es war ja kein Ende zu sehen, keine Hand mehr zu fühlen. Ich sagte, Amerika liegt dort drüben, zeigte dabei irgendwohin, deine Antwort konnte ich nicht hören oder habe sie nicht verstanden. Vielleicht hast du auch schon nicht mehr mit mir gesprochen.
Wenn man sich irgendwann kein neues Leben mehr stehlen kann, muß man wohl sein eigenes leben. Was fehlt, mieten sich die einen stundenweise, vermieten die, die es übrig haben, manchmal zieht man es sterbend noch an Land, von irgendwelchen Ufern, entkorkt sich und diesen Gestrandeten eine Flasche Wein, singt eines dieser alten Lieder, kippt sich die Neige einer weiteren Zukunft beinahe über den Kragen, einer steht auf, kräht, "immer weitermachen", ich rufe, "Maul halten oder Straßenkampf", alle lachen, man streicht ein paar Sätze prostet sich zu, und ich lausche, inhaliere, merke mir alles - Geduld, Geduld - und schreibe es irgendwann auf.
Aber nicht hier.
>>> Geräusch des Tages: PJ Harvey, We Float.

Mittwoch, 11. November 2009
Der Lokführer.

Dienstag, 10. November 2009

Zwischendurch mal Segel setzen in die Nacht. Der Burnster, dieser nette Rock'n'Roll-Lump, hisste überraschend seine Flagge in der Stadt, da ließ ich mich selbst auch nicht lumpen und empfahl gemeinsamen Kurs zum Tingeltangel durch die Seemannskneipen. Ich meine, der kommt aus Berlin, der will ja auch was sehen. Seit mich das Frl. DeVille letztes Jahr zur Eröffnung dorthingezerrt hat, bin ich ja Fan vom Queen Calavera, kuschelwarmes Wohnzimmer unter anderem der Harbour Pearls, die dort regelmäßig ihre Schlafzimmergarnitur zeigen.
Die Damen haben es gut, denn der Laden ist klein, eng und heiß, so daß es eine völlig naheligende Idee ist, sich überflüssiger Sachen zu entledigen. Aber nicht jeder kann es elegant, weshalb ich Schal und Mütze lieber anbehalte. Burlesque ist ansonsten eine entspannte Sache, angenehm ironisch und in keiner Weise mit irgendwelchem stumpfen Hochleistungsgeturne in diesen Dingsbumsbars auf der Reeperbahn zu vergleichen. Die Tänzerinnen hier tragen ihr Herz nämlich nicht nur auf der Zunge, sondern auch links und rechts vorne auf der Brust. Und das ist auch der große Unterschied zu allem. Dazu angemessen ausgesuchte Musik, schön schrebbelig von '40 bis '55, die goldenen Jahre, und ein Publikum wie du und ich. Hier gehört das eben irgendwie dazu, in anderen Gegenden hieße dies eine Trachtengruppe, so muß man das verstehen.
Herr B. behauptete, das gebe es in Berlin nicht, wozu ich mich naturgemäß nicht äußern kann. Allerdings treten hier immer wieder Gäste von dort auf, eine Art Landverschickung sicherlich, andererseits habe ich tatsächlich einmal so eine Burlesque-Show in der großen Stadt gesehen (merke: immer die Dinge selbst in die Hand nehmen). Leider war die Bühne dort viel zu groß für intimere Betrachtung und sowieso gleich alles wieder ein "Ereignis", wie es dort halt ist. In Hamburg ist eben doch alles deutlich eine Nummer kleiner, näher, definitiv unspektakulärer, familiärer vielleicht. Anderswo, heißt es, fallen Mauern, hier bloß die Hüllen (keine Angst, die fünf Euro sind schon gezahlt), wir nehmen das nicht krumm. Man kann nicht alles haben.
Angenehm beswingt also der umduselte Rückweg unten am Hafen lang, vielleicht etwas zu zeitvergessen dem Sonnenaufgang entgegen, dazu diese angenehme leichte Müdigkeit dann, das Schaukeln der Hochbahn, die zusammengedrängten Pärchen und einsamen Gestalten, ausgespuckt aus der Nacht oder Liebende im von flackernden Lichtern beleuchteten Transit. Die bis auf die Knochen runtergestrippten Geschichten, die man mitnimmt, im Kopf trägt und weiterspinnt, zusammennäht, aufs Ende zu träumt.

Samstag, 7. November 2009
these flames can't burn any higher
I turn sideways to the sun
and in a moment I am gone
(New Order, "World
(What's The Price Of Love?)"
Während ich mir hier gerade gepflegt einen anhänge, Bastelkram von links nach rechts schiebe und ein bißchen was zu schreiben habe, mal was aus dem Zusammenhang zum Samstagabend. New Order haben ja viele ganz doofe Videos zu sehr schönen Liedern gemacht, aber auch zwei, drei sehr gute, die tatsächlich als Film und Illustration zur Musik funktionieren. Zu einem ihrer kleineren Hits, "World (What's The Price Of Love?)", hat Baillie Walsh, der auch das gigantische Video zu Massive Attacks "Unfinished Sympathy" gemacht hat, einen vielleicht nicht genialen, aber doch berührenden Clip erdacht. Der kleine Film ist leider nicht ohne Schnitte gedreht, was sich vom Konzept her angeboten hätte (also ähnlich wie im erwähnten Clip zu Massive Attack).
If we could buy it now - how long would it last?
Aber wenn man der Kamera durch die mondäne Kulisse von Cannes folgt, an den geschickt plazierten Mitgliedern der Band vorbei (amüsant, wie Stephen Morris mit seiner Frau als Tourist posiert), haben wir bitte ein Auge auf die vielen kleinen Begebenheiten links und rechts des Weges. In aufblitzender Bitterkeit angedeutete Geschichten über die Formen der Liebe, das Altern und die Einsamkeit, traurig natürlich im besonderen Kontrast zum schönen Hotel, der südfranzösischen Sonne, der Sehnsucht über dem Midi und das nur zu erahnende Azur in diesen schwarzweißen Fotografien. Wer den ganzen melancholischen Roman der Schlußsequenz nicht lesen kann, ist übrigens schon lange tot.

Freitag, 6. November 2009



Gestern abend, beständiger Regen pendelte das Gemüt auf Normal Null, dann aber doch noch schnell zur Eröffnung von Katharina Fritsch. Die Reden waren zum Glück schon vorüber, gute Gelegenheit also, zwischen klirrenden Gläsern und schwarzen Feuilletonrollkragen durch die Ausstellung zu huschen. Monochrom Buntes, Gesiebtes, hoch Ironisches. War das ein augenzwinkernder Hieb auf Damien Hirst, dieser Totenschädel inmitten eines Apotheken-Ensembles? Und diese pseudo-viktorianischen Penny Dreadfuls-Illustrationen, die Max Ernst atmen, während auf der anderen Seite blasse Drucke eine schwule Softpornoidylle ohne Cowboyhüte beschwören. Aber ich war ja wegen des Tintenfischs gekommen. "Eight arms to hold you" jubelte eine Marketingaktion in den 60ern für die Beatles. Eine faszinierende Vorstellung, mit acht Tentakeln Armen Nähe zu schenken. Der orangefarbene Oktopus von Katharina Fritsch ist so freundlich, einen Tiefseetaucher wie eine Actionfigur zu bespielen. Ein Freund, fest umschlungen und verläßlich, bis zum Tod. Und niemand muß mehr traurig sein.
Die schönen Frauen, die man gemeinhin auf Vernissagen trifft, standen in schicken Kleidern, gewagten Strümpfen und mit offenen Mündern wie festgesaugt vor dem tentakeligen Getüm. Die anderen wagten sich an den lebensgroßen grünen Elefanten mit dem beachtlichen Rüssel, der gleich um die Ecke thront.
Eine Pop-art-Wunderkammer, sehr glatt in der Form, aber voller kleiner Widerhaken. Ein Jahrmarkt-Abenteuer. Als ich hinaustrat, hatte der Regen zum Glück schon aufgehört. Die letzten bunten Lichter glitzerten in den Pfützen.
(Katharina Fritsch. Deichtorhallen, Hamburg. Bis 7.2.2010.)
