Donnerstag, 5. November 2009


Mythenkritzeln


Die beiden hören Pochpochpoch, stehen aber zu nahe dran, um Orpheus zu sehen


Nein, das könnt ihr nicht


Die simple Kunst des expressiven Nagelns


Leider nur Platz drei im Cy-Twombly-Ähnlichkeitswettbewerb

Im Wiener Mumok konnte ich schnell noch die Cy-Twombly-Ausstellung "Sensations of the Moment" sehen, ich mag ja diesen Kritzelkünstler, diesen abstrakten quasi-Arte-povera-Expressionisten, der große Gesten in unaufgeregte Formen darstellen kann. Das ist alles offen wie nichts, Sex, Gewalt und große Mythen verzwirbelt zu bindfadendünnen Linien, zusammengedengelten Fundstücken, nervösen Eiskunstlauffiguren auf Leinwand und übrigens Fotografien, die wiederum eine beseelte Ruhe ausstrahlen. Ich glaube ja, daß er ein sehr ernster Witzbold ist, ein Hymniker der kleinen Form, der einen rostigen Nagel in die Verkleidung eines Marquis de Sade stecken kann, also ihn derart verkleiden, nicht den armen Marquis durch die Kapuze quälen, jedenfalls ...sind wir die Hörenden jetzt und ein Mund... - wie es auf einem seiner Orpheus-Bilder geskribbelt steht - staunt man stumm vor lauter Materialität, den großen Poren und kreidigen Flächen, durch die man wie Yves Klein am liebsten eine nackte Ariadne ziehen möchte, dem bitteren Witz am Ende einer langen, verwickelten Kordel entgegen. Eine endlose Echolalie von Fragmenten, brutal, zart, summend. Wie Liebende neigt man nur lächelnd den Kopf, zieht die feinen Linien wie eine zarte Körpersilhouette mit den Fingern nach.

(Cy Twombly, "Sensations of the Moment". Mumok, Wien. 4.6. - 11.10.2009)


 


Mittwoch, 4. November 2009


So, lieber Herbst

Ready when you are.

| von kid37 um 04:17h | 16 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Dienstag, 3. November 2009


Künstler sind keine Eventziermöhrchen

Unter Hamburgs Kreativen zirkuliert dieser Offene Brief, der einige der eklatantesten Fehlentwicklungen der hier sogenannten Kulturpolitik und Stadtentwicklung auf einen spitzen Punkt bringt. "Wir sollen für Ambiente sorgen, für die Aura und den Freizeitwert, ohne den ein urbaner Standort heute nicht mehr global konkurrenzfähig ist", heißt es in dem Widerstandspamphlet gegen die "Markenstadt Hamburg", deren Kulturpolitik in erster Linie Eventsponsoring und in der Stadtentwicklung die Gentrifizierung gewachsener Stadtteile bedeutet, in denen Künstler und Kreative als bunte Alibi-Farbtupfer gerade noch geduldet sind. Neu ist die Erkenntnis nicht. "Hamburg ist das Tor zur Welt", sagte der Hamburger Karl Lagerfeld einmal und setzte trocken nach: "Aber leider nur das Tor." Man sollte dies auch als Mahnung verstehen.

Ich meine, wo sich alles, auch Kultur und soziales Miteinander, kaufmännisch getriebener Wertsteigerungsdenke unterordnen soll, kann die Antwort des angeblichen Aushängeschilds "Kreativszene" tatsächlich nur lauten: "Not in our name, Marke Hamburg!"

via Zentrifugalhafen

>>> Die offzielle Webseite, auf der man auch unterzeichnen kann

>>> Artikel im Abendblatt


 


Montag, 2. November 2009


Das war ja keine Frage



Man weiß natürlich nie, was dahinter liegt. Was einen erwartet, wenn man weitergeht, welche Abzweigungen drohen oder locken. Wichtig ist der Moment, in dem man sagt: Karte? Hab' ich auch nicht. Aber mir scheint es hier entlang richtig.

Und immer freiwillig.


 


Samstag, 31. Oktober 2009


So, langsam jetzt aber mal Herbst hier


Foto © The Cherry Blossom Girl

Heute ist nicht Halloween, sondern Tag der Toten, und da hat sich auch der Herbst endlich zu seiner edelsten Pflicht bekannt. Feuchte Luft, dabei so klar, daß einem alle Schwermut wie in ein weiches Tuch verpackt erscheint. Nach diesen turbulenteren Tagen, den verraucht-trunkenen Nächten, den letzten Bieren, die vielleicht nicht hätten sein müssen, den musikverzierten Schuppen und den nächtlichen Fahrten an den Lichtern des Hafens vorbei, dem sanften Schaukeln der Wagen, ist es Zeit vielleicht für einen Spaziergang.

Das Denken nicht vergessen, das Hinhören und Hineinhören, die schöne Stimme, der eigene Herzschlag, sich hinüberretten in souveräne Gesten. Heute im Buchladen gewesen, weil ich etwas nachsehen wollte, anschließend mußte ich es mir selbst ein wenig nachsehen, weil ich das Selbstverständliche mit zuviel Bedeutung auflud. Vielleicht. Der Rückweg war wie das Geräusch einer singenden Säge, ein Lied von Under Byen vielleicht. Derzeit zu viele Vielleichts vielleicht, viel leichter wäre es, es wäre weniger. Einfach nur leicht.

Der Herbst aber ist die falsche Jahreszeit für schlechte Kalauer. Wer klug ist, zieht in leerstehende Häuser, hängt die Wäsche auf einen aufgewühlten Acker, atmet stiller, atmet sich runter, hört wieder andere Musik. Det er mig der holder træerne sammen, das wird vergessen, daß auch dieses einer tun muß, daß nichts von selber kommt, kein Wald, kein Zusammenhalt, nicht deine, nicht meine Welt. Daß wir die Bezeichnungen in diese gemeinsame setzen und auch müssen und das, was ist. Ich erinnere mich, wie ich Under Byen im Molotow sah, diese schwermütigen Dänen mitsamt ihrer singenden Säge, fast im Stockdunkeln, der Raum mit substanzgeschwängertem Rauch gefüllt und zugleich mit einer wie gehäkelten Traurigkeit, eine Decke, die man umgehängt bekommt nach einem Boxkampf, den man verloren hat. Ein Kampf wie ein Frage- und Antwortspiel, dessen Regeln undurchsichtig und wie letzte Küsse von fast schmerzhafter Einfachheit sind.

Bald wird Schnee liegen. Und der wird die Antwort sein.

>>> The Cherry Blossom Girl


 


Freitag, 30. Oktober 2009


Kleidsamer Abend



Gestern war Internationaler Ich-trag-ein-Kleid-Tag, einige machten da trotz Wind und Wetter mit, aber da man mir ja viel erzählen kann, überprüfe ich solche Dinge und Internetbehauptungen lieber selbst. In einer verrauchten Bar auf der einen Seite der Alster hatte ich also tatsächlich das Vergnügen, mit Hamburgs schärfsten Kleidern* rumzulungern - es ist, und das ist ja auch eine frohe Botschaft, also alles wahr, was ihr im Internet lest! Ich selbst hatte mich zwar dem "Ich trage Kleid"-Gebot verweigert, dem uns zuvor unbekannten blonden S. war das aber einerlei. Ich glaube - wenn ich die Zeichen richtig gedeutet habe -, ich habe einen neuen Freund. Und so konnten wir nach allerlei Herzen & Scherzen bald mit viel Empathie und noch mehr klugen Ratschlägen (ich kann dieses Wort hier nicht hinschreiben) versehen durch die weitere Nacht steuern und meine derzeitigen Lieblingsvorlesungsthemen aufarbeiten: Hausschlachtung als Distinktionsmerkmal, der Zauber europäischer Großstädte im Länderquartett-Vergleich und was der Klimawandel neuerdings mit dem Herbst macht. Ab halb eins geht das in Hamburg ja alles ganz leicht, das verspricht schon das Lied.

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* Einwände und Gegenanzeigen wie immer nur mit Bildbeweis an diese Blogadresse!


 


Donnerstag, 29. Oktober 2009


Rock'n'Roll Love Letter



So, liebe Herbstromantiker, während die einen feiern und Gläser kreisen lassen, holen die anderen Pinsel und Farbe heraus und setzen signalbunte Zeichen. In Philadelphia Im Netz habe ich etwas entdeckt, da schmilzt jeder dahin, der sein Herz nicht im ***-Fach gelagert hat. Der Graffiti-Künstler Steve Powers malt entlang der Hochbahnlinie in Philadelphia 50 Liebesbriefe an die Wand, davon einer herziger als der andere. Die Idee ist so faszinierend, daß ich mich frage, wieso ich nicht selbst darauf gekommen bin.



Andere machen so etwas ja auch, dieser junge Poet allerdings ist offenbar nicht ganz fertig geworden mit dem Dichten. Fast schmerzhaft dieser Bruch, diese elliptische donnerhallaute Stille, bei der man gleich soufflieren möchte. Mhmhmh-ein möchte man summen, flüstern, rufen. Mhmhmh-ein, komm, den Satz, den bringst du noch raus.

Ich bin jetzt erstmal Farbe kaufen.

>>> Webseite A Love Letter For You mit allen Wandgemälden