Donnerstag, 23. April 2009


Buchspazieren



Es war wohl der Wetterwechsel, empfindlich wie ein alter Kriegsveteran mit silberner Schädeldecke witterte ich den Regen in der Luft. Nichts persönliches also. Lieber daheim arbeiten, die ganz scharfen Messer hervorkramen, einen Linolschnitt anfangen und wieder einmal bedauernd feststellen, daß ich nicht übermäßig naturbegabt für solch eine simple Sekundarstufe-I-Sache bin. Da hilft nur Üben und Unverdrossenheit, bevor man sich an die Muster auf dem Unterarm wagt.

Wie mit dem sehr scharfen Messer geschnitten, spazieren auch diese Gestalten hier aus den Büchern heraus. Mein Gott, wenn die traurigen Figuren meiner noch traurigeren Bücher hier Kreise über dem flauschflorigen Teppich ziehen würden. Mit keuchendem Atem womöglich und einem nicht-mitanzusehenden Mangel an Körperspannung.


This Is Where We Live.

Wenn man einen großen Bogen schlagen möchte, den Glauben nicht verloren hat und jedem neuen Tag seine Chance geben möchte, paßt dazu dieses Video, das ein Lied der großartigen Nina Simone in Typographie verwandelt.


 


Mittwoch, 22. April 2009


Wie der Rundgang eines Hafenarbeiters

All along, not so strong
Without these open arms.
Hold on tight.

(Yeah Yeah Yeahs, "Runaway".)


Abendschau, gemeinsam Orte entdecken, sich etwas zeigen, die Lieblingsbars, die Lieblingskinos, die Lieblingsplätze. Sich mitteilen, die wichtigen Tage, die verbürgten Tage, die bedeutsamen Erlebnisse. Die Sonne wird dadurch schließlich nicht weniger. Manche Gleichung jedoch harrt weiter ihrer Lösung, die fehlenden Antworten, die schäbigen Ausflüchte - wie eine rostige Kette, die immer und immer wieder über die Welle schlurft. Aber wie müde es macht, die schmutzigen Tiere weiter durchs Gebüsch zu treiben. Nachts dann am Fenster stehen mit einer Tasse warmen Kaffee, der Kanal unter mir, das Wasser schwarz, die Luft ist schwer und feucht und kühl, es riecht nach altem Holz, und selbst die Enten geben, für einen Augenblick wenigstens, Ruhe. Das gleichbleibend schöne Wetter am Tage indes mutet seltsam melancholisch an. Die Freundlichkeit, die Wärme, die nach noch mehr Offenheit verlangt und die kühle Stelle zurückläßt, irgendwo dahinten, am Rücken, zwischen den Schultern, wo man sich selbst nicht mehr mit Armen fassen kann.


 


Dienstag, 21. April 2009


Die Wanderung...

...führte mich gestern bereits bis zum Tierheim, vor dem sehr ernsthaft schauende Kinder mit Pappkartons standen, wohl, um die zu Ostern geschenkten Kaninchen zurückzugeben. Sie standen dort, schauten abwechselnd auf die Kartons in ihren Händen, auf die glänzenden Autos, an denen ihre Väter oder Mütter irgendetwas in den Kofferräumen richten mußten, und auf die Tür, an der Bitte klingeln stand, als wäre das pochende Geräusch in den Ohren nicht bereits laut genug.


 


Sonntag, 19. April 2009


Maladie

Ich bin unachtsam geworden. Zum zweiten Mal innerhalb von drei oder vier Wochen habe ich mir wohl einen Zeh gebrochen oder angebrochen oder immerhin! schwer verstaucht. Vermutlich gebrochen. Neulich erst der Kleine, nun einer dazwischen am anderen Fuß. Grünblaudick, auftreten kann ich auch nicht. Aber dem Schrank ist gottseidank nichts passiert. Mit meinen Sachen passe ich auf.

Mehr als Tapen kann man ja eh nicht, also Salbe drauf, Füße hoch - dabei ist das Wetter viel zu schön, um lange drin zu bleiben, im Haus, zwischen den Zeitschriftenstapeln, den Gedanken und dem Staub, der mich anklagend ansieht als sei ich ein schlechter Hausmann.

Vielleicht ist es der neue Blick, den ich gestern einmal ausprobierte. Schließlich ist es Frühling, und eine andere Brille verschafft gleich eine neue Perspektive, Heart Shaped Glasses, ob das dazugehörende Video noch bei der Musikvideosammelstelle gelistet ist, weiß ich gerade auch nicht. Es sind diese Tricks aus dem Repertoire von Sammy Molcho: Man setze eine lustige Brille auf, und schon, man kann sich nicht dagegen wehren, wird auch der Träger lustig sein.



Das paßte gut, war doch Straßenbespaßung auf der Langen Reihe, Grillstände, Menschen und ein bißchen Trallala. Noch mehr Menschen in lustigen Kostümen oder einem Nichts von Kostüm standen auf improvisierten Bühnen, die anderen Menschen lachten, meist ohne Brille sogar, eine Bewegung, die aussah wie eine norddeutsche Version des Schunkelns, ging durch die Menge, und als eine muntere Sängerin tapfer die Marianne Rosenberg zu "Er gehört zu mir" mimte, war ich beim "Na nana na-nana" der Eifrigste. Huhu hu.

"Er gehört zu mir" wurde wohl noch fünf Mal gegeben, huhu hu, und später dann in derselben Nacht sang ich selbst das Lied am lautesten und meinte damit meinen Zeh. Ein bißchen Schmerz kann ja interessant sein, aber nicht, da lege ich mich fest, an solchen Stellen.

Jetzt fürs erste lieber vorsichtig auftreten.


 


Freitag, 17. April 2009


Schöner Ruhen



Seit Jahren hatte ich um das Bauwerk gebangt, zu lange war dort nichts getan worden, nun drohte der Verfall. Oft dachte ich, das sei doch eine ideale Wohnstätte, oben der Ort für eine Galerie, ein Bett und eine Bibliothek, unten dann ein Partyzimmer Wohnraum, die Küche, selbst Platz, um seine Weinflaschen kühl zu lagern, ist genügend vorhanden. Zudem ist das Gebäude verkehrsgünstig gelegen, der Bus hält genau gegenüber, und abends ist es dort fast erschreckend ruhig.

Mehrere dieser Mausoleen stehen auf dem Ohlsdorfer Friedhof, und mittlerweile haben alle Paten gefunden, die dort die Sanierung übernehmen und die Grabstätten später für sich selber nutzen können. Während des traditionellen Osterspaziergangs nun traf ich einen der neuen Besitzer. Der freundliche Herr saß in der Nachmittagssonne, bat auf ein Foto oder zwei in die gute Stube nebenan und gab sich auch sonst sehr auskunftsfreudig. Während also andere im Kleingarten sitzen, genießen diese Menschen ("Wir sind mit unseren Nachbarn hier befreundet") den Sommer vorm Totenbalkon und richten auch die ein oder andere Feier dort aus: "Wie ein italienisches Fest", hieß es. Partyzelte, lange Tische, guter Wein. Denn wer später eine chic möblierte letzte Ruhe finden will, sollte ruhig vorher schon gut leben. Es wird keinen wundern - elektrisiert lud ich mich spontan dazu, denn Gartenfeste, Lampions und Sepulchralkultur sind mir sozusagen ein natürlicher Lebensraum. Kunst fehlt vielleicht, eine melancholische Lesung oder (Eros! Thanatos!) ein tableau vivant mit entzückenden Damen, die in stiller Andacht und nur mit ihrem langen Haar bekleidet, etwas von Mary Wigman tanzen, vielleicht maskiert, um das Geheimnis zu wahren. Ich hätte da schon ein paar Ideen, einen dunklen Anzug und auch die angemessene Blässe.


 


Donnerstag, 16. April 2009


Tage & Bücher

© I'm Still Her

Bevor es hier also weitergeht, ich die Fäden, die man mir jeden Tag aus dem Pullover zieht, neu verspinne, ein kurzer Blick auf das, was andere machen, wenn sie nicht gerade den Twittertod sterben. Auch dafür war alles mal gut - die entblößten Hände, die Herzen, die täglichen kleinen und noch kleineren Geschichten, die sich nicht im Superlativ selbst daherbewerben, das in Fragmenten erzählte Leben as if no one was watching: I'm Still Her.


 


Sonntag, 12. April 2009


Scorned, transfigured child of Cain



Rausfahren, heißt es, den Jahreskreis vollenden, aus dem Nebel treten und nur einmal melancholisch noch ins Feuer blicken. Den dicken Mond bei den Eiern packen, wieder etwas neu beginnen. Den Mund vom Boden nehmen, Rotz und Staub von der Nase wischen, Brille geraderücken, not so strong without these open arms*. Ich aber fühlte mich zu oft ankerlos, hafenlos. Fühlte mich vergessen, nur deshalb bin ich fort.

Und wie man ringt mit Stolz und Kränkung, verlorener Würde und Zurückkränkung, wie man sich selbst zusammennäht, die eigenen Fehler wie Handtücher zählt. Und wie die Zeit neue Schichten darüberlegt, dann endlich. Schatten um Schatten, durch die kein Glitter dringt.

Alles verbrennen. Den Rauch schmecken. Und selber wie die Igel flüchten.


* Yeah Yeah Yeahs, "Runaway"