
Mittwoch, 26. November 2008
Ein Titel, den ich schon immer mal schreiben wollte. Toll. Und er ist noch nicht einmal von mir. Könnte aber! Man muß sich dazu einen nachtlichternen Text aus dem Halbdunkel eines großstädtischen Vergnügungsviertels vorstellen. (Where the streets have männliche Vornamen, aber mehr so gewöhnliche wie Erich, Gerhard, Herbert.) Eine weitere famose Idee hat ebenfalls bereits den enggebauten Geburtskanal zur schieren Existenz durchschritten: Frau Gaga nämlich machte mich auf die primzahlaffektionierte Flickr-Gruppe 37 aufmerksam. Die Dinge sind überall, man muß nur darauf achten. Wunder & Zeichen, Sinn & Form.
Es ist die Nacht zu allererst der Koffer für Gedanken. Man muß wählen, Gerste oder Obst. Gestern ist Geschichte, morgen nur Gerüchte. Ich bin, wo ich immer war. Hier.

Sonntag, 23. November 2008
Die stillen Tage. Die kleine yellow brick road quer durchs besinnliche Gestrüpp, das Gedenken, Zurückdenken und Vorwärtsdenken. Die kalte Luft schneidet quer durchs Gesicht, brennt die Ohren, klammt die Finger tief in den Manteltaschen. Herzen als Kühlkammer bleibt purer Luxus für Besserverliebte. Beim Kaffee, beim Kuchen fällt wieder das Wort vom Deckel drauf. Miteinander lachen, nicht über andere. Eine Reise ohne Führerschein. Jedem sein eigenes Kansas. Ich, rostiger Blechmann, fasse einfach ihre Hand.

Samstag, 22. November 2008
Ein Gefühl von lazy sunday, dabei ist erst Samstag. Die Sonne ergießt sich durch die Fenster, alle Vorhänge auf, Schnee drüben auf den Dächern, aber es glänzt wie ein Silberstreif.
Vom knisternden Dual die Musik einer Zeit, die nicht unschuldig war. Aber ich.
Wie ich auf nackten Füßen sonntags morgens ins Wohnzimmer stapfte, die Likörreste in den Gläsern probierte, den Deckel des Plattenspielers öffnete und auf Start drückte. Vater hatte es mir gezeigt.

Freitag, 21. November 2008
Herr Paulsen nennt ihn einen Zukunftsarbeiter, und dieser gibt uns sogar davon ab. Ich hab's jetzt nicht so mit Traditionals, aber Seemannslieder, Fischerelegien gehen immer, die rauhen Geschichten von strammen Jungs und losen Frauen, denen an Land die Langeweile droht. Dieser Mann, ist ganz bei sich, merkt man, der kokettiert nicht mit den Straßen von Hammerbrooklyn. Der Dylan aus Borgfelde macht einen knarzenden Kutter, ein stampfendes Schiff aus jedem Wohnzimmer. Denn weil er nicht bloggt, hat er Zeit, etwas vernünftiges zu tun. Gitarre spielen, Folksongs singen, auftreten, Leute begeistern. Und am Ende die Version von "After Hours" - Hammer!, wie man in diesem Stadtteil sagt.
Das kleine Café übrigens ist eine Entdeckung an sich. Selbstgebackene Kuchen, versprach die Speisekarte, und die Chefin 1a. Ich muß da unbedingt noch einmal hin.

Donnerstag, 20. November 2008
Vor Jahren habe ich im Sorgenbrecher mal lange Händchen gehalten. Da war ich verknallt, die Stimmung gut und die Nacht wohl ohne Ende. Den Laden gibt es immer noch, die Liebe längst nicht mehr. Daran kann man merken, an welchen Rettungsring sich festzuhalten im Zweifelsfall weniger Risiko birgt. Wo vielleicht mehr Zuspruch kommt, wenn das Telefon drei Tage schweigt. Man humpelt besser in die Kneipe, suchst du etwas mit Verlaß.
Aber natürlich legt man immer wieder ab, zerstreue ich die Trübsal wie mit einer lässigen Hand. Schmeißt sich aus dem Rettungsboot, mit nackter Brust und bettzerzausten Haaren, holt vom Laden Milch, Eier, Brot als frischen Bordproviant. Gedanken, die in Zügen fahren, ferne Städte, fremde Welten, viele Fragen, keine Antwort, sie gibt den Kafka, sagt: Gibs auf!
Später, woanders dann, zwei Theken weiter, werden Gang of Four gespielt. Am Tresen raucht einer eine Zigarette, und ich sage, eben das ist meine Musik. Ich will es rauh, nicht glitzernd. Musik, mit der man Häuser baut.

Dienstag, 18. November 2008
Mein Lesestuhl ist ein Fundstück vom Flohmarkt. Die seelenberuhigende Aura eines Sanatoriumsliegestuhls aus den 20er Jahren fiel mir gleich ins Auge, perfekt, so dachte ich, für moribunde Lese- und Entspannungsstunden. 30 Mark kostete er (oder waren es schon Euro?), Wintergarten leider nicht inklusive.
Nun entdeckte ich meinen Stuhl bei Manufactum*. Ein wenig unbezahlbar für normalversicherte Zauberberglungenkranke, wie ich finde. Und meiner hat neben der patinierten Ausstrahlung sogar Fächer für Zeitschriften und Gläser in den Armlehnen. Überhaupt läßt sich eine Menge mit ihm anstellen, Rückenlehne, Beinstütze, alles beweglich, allerlei interessante Sitz- und Aufenthaltspositionen bietet er an für fiebriges Dämmern oder aufmerksames Blättern. Ich habe ihn unter ein Fenster gestellt, gleich neben dem Grammophon, und kann so aus dem Schiss Flug der Möwen die Zukunft lesen. Auf so ein wertvolles Möbel mag ich mich jedoch kaum noch setzen, denn nachher hinterlasse ich Staub und Kratzer. Überraschend käme das nicht.
* Das Foto entstand übrigens im Botanischen Garten Wuppertal, eine Stadt, deren morbider Reiz darin liegt, selbst wie ein ewiger Zauberberg mit eigener Zeitrechnung zu sein.

Montag, 17. November 2008
Lange wachliegen im bläulichen Licht. Den Spuren der Tapeten nachwandern, den zerfaserten Knittern und Sprüngen, den schattigen Flecken, dort, wo die alten Fotos hingen, die ausufernden Mäander, die sich verzweigen wie die Wurzel eines alten Baums. Seltsam, wie man beschworen wurde, alles ein Geheimnis zu lassen. Wenn die Worte fehlen, ganz am Ende dann, muß man leise Schritte tun. Raus aus dem Bitterfeld, den Matsch von den Schuhen treten.
Herbstlicht. Zeit für die stummeren Herzen. Wenn zwei die Kraft der eigenen Worte unterschätzen. Die Schärfe der Klinge. Auch das muß man sehen.
>>> Soundtrack: The Knife, Marble House
