
Samstag, 6. Dezember 2008
Draußen, muß ich sagen, sind Menschen. Viele Menschen. Sehr viele Menschen! Sie haben Ellenbogen, gewichtige Taschen, ein sonderbar reduziertes Reaktionsvermögen oder aber bestrebtes Drängen um die vorderen Plätze, laute Stimmen - kurz: solcherart komprimierte sympathie-erweckende Eigenschaften, daß man sich schnell zurück in die gemütlich andekorierte Stube wünscht. Bleibt und schaut im Netz die Tracks-Sendung vom Freitag.
Neben einem kurzen Wiedersehen mit einem netten älteren Herrn, der sich als Mick Jones von den Clash entpuppt, und einem anderen älteren Herrn, der sich als Jess Franco entpuppt, gibt es einen hübschen kleinen Bericht über die auch hier schon oft erwähnten Rogue Taxidermists. Es ist ja die Zeit der Handarbeiten, Dinge, die man mit Nadel, Faden und scharfen Skalpellen zusammenbasteln kann. Tote Tiere zum Beispiel. Denn, wie wir wissen, nicht jeder Bastler ist harmlos! Nett auch der kurze Besuch bei Liz McGrath, die ich auch einmal traf und die wirklich sehr skurrile Sachen macht. Toll? Toll.
Da ist sicher die ein oder andere Anregung für ein prima Weihnachtsgeschenk dabei. Mehr Kunst machen.
>>> Tracks-Sendung im Netz
>>> Webseite von Liz McGrath

Freitag, 5. Dezember 2008
First things first: Am Samstag heißt es wieder aufhübschen, aber nicht zu sehr, denn es ist die Kunst, die strahlen soll. Feinkunst Krüger lädt zu Don't Wake Daddy III. 13 Lowbrow-Künstler (u. a. Moki, Heiko Müller, Travis Louie, Anthony Ausgang) zeigen ihre Arbeiten in Hamburg feinkunstlichster Galerie zwischen Hafen und Reeperbahn. Das wird toll, da lege ich mich jetzt schon fest.
Your love life has had more twists and turns than a rollercoaster, and although this month may bring more of the same, you also may get a number of truly encouraging signs that finally your love life is due to change and head in the right direction.
Susan Miller gefällt mir immer besser.
Galt aber schon letzten Monat.
Interessante Duftnote. Es hätte ja auch eine Assoziation von Käsebrot und Ringelstrümpfen toten Tieren sein können. In Wirklichkeit riecht es hier gerade ein wenig nach Fotochemie, Tinte, und Blut schweren Gedanken. Also leicht.
Naturbeobachtungen: Sie kann nicht um eine Stoppel herumschlendern und trotzdem noch den Weg nach Hause finden. Das läuft auf Schwachsinn hinaus, und wenn diese schädigende Tatsache erst einmal unzweifelhaft feststeht, werden nachdenkende Menschen aufhören, zu ihr aufzusehen, und gefühlvolle, sie zu hätscheln. Ihr so gepriesener Fleiß ist nicht weiter als Ruhmsucht und ohne Wirkung, da sie nie etwas zu Ende bringt, was sie anfängt. (Mark Twain. Bummel durch Europa. orig. 1880).
Es geht um die Ameise, eines der beliebtesten Tiere. Ich bin ja Fan, will aber noch einmal darüber nachdenken.
Ein schönes und spannendes, lehrreiches Weihnachtsgeschenk für alle, die kein Antville-Blog haben: die eigene Kolonie.
Frau Schneckle führt wunderbare Themenalben. Ich habe da auch so einige, nicht weiter erwähnenswert. Ein Album mit Exfreundinnen führe ich nicht. Kurz überlegt, ob es gemeinsame Merkmale gäbe. Auch ohne Brille: Sie waren tatsächlich alle sehr schön.
Wie die Dinge alle an ihren Platz fallen.
Jack.

Donnerstag, 4. Dezember 2008
Heute durfte man bei Isa ein wenig über das traurigste Lied sinnieren. Ich kenne mich ja mit Traurigkeit nicht so aus, weil ich mehr so der lebenslustige Typ bin, wie meine Ärztin, die aus Berlin stammt, und ich heute feststellten, während wir meine Werte besprachen und dabei gemeinsam das Brandenburg-Lied von Rainald Grebe summten. Das allerdings ist aber nur bedingt traurig.
Es gibt auch einen feinen Unterschied zwischen echter Traurigkeit und, nun ja, Gejammer. "The Drowning Man" von The Cure beispielsweise ist natürlich ein ziemlich tränen- und wassernasser Runterzieher. Aber traurig ist es nicht, es ist Gejammer. Hingegen "Easter Sunday" von Patti Smith, das ist traurig.
Richtig traurig aber ist "Wichita Lineman" - aber nur und ausschließlich in der Version von Johnny Cash, dem Mann mit dem man gern über ein oder zwei Dämonen hinweg ein, zwei Sätze gesungen hätte. Das Stück, ursprünglich von Jimmy Webb und bekannt geworden durch Glenn Campbell, ist im Grunde ein Liebeslied. Das sind viele traurige Lieder, aber bei diesem Liebeslied ist von vergangener Liebe erstmal gar nicht die Rede. Vordergründig schwebt hier nur die Wehmut durch die dürren Zeilen, die die Arbeit eines Typen beschreiben, der die elektrischen Überlandleitungen in der Ödnis von Kansas überprüft. Simple Dinge, draußen sein, Drähte flicken, das Wetter beobachten. Würde es regnen, könnte er auch mal eine Auszeit nehmen. Und natürlich, da lügt der Text, keine kleine. Und dann ist da schließlich auch noch etwas anderes. Die Stimme, die er hört, wenn die Drähte summen. Aber er muß ja seinen Job machen.
"And I need you more than want you/And I want you for all time", das, Freunde, muß man auch erstmal von der linken in die andere Herzkammer transportiert bekommen. Oder auf dem Klavier spielen für jemanden, wenn man dort nicht verscheucht wird. Ist aber auch wahrscheinlich wenig Zeit für, wenn man pflichtbewußt ist, denn The Wichita Lineman is still on the line. Man muß ja immer weitermachen.

Mittwoch, 3. Dezember 2008
Confusion on the ground.
(Creedance Clearwater Revival,
"Who'll Stop The Rain".)
Ein wenig war es vielleicht wie im Film December Boys, wenn Lucy plötzlich anfängt, "Who'll Stop The Rain" zu singen. Aber, he, hallo Besetzungsliste, ich bin doch nicht der treudoofe Daniel Radcliffe. Trotzdem bleibt die Erinnerung schön.
Die werde nicht einmal ich mir nehmen.
[Diese armseligen Vergleiche immer, die man wählt, dieses Heranziehen und Zitieren und sich Wiederfinden in Songtexten, Filmen und Büchern, nur weil man die Trivialität des eigenen Lebens nicht recht beschrieben bekommt.]

Dienstag, 2. Dezember 2008
Ach, Hamburg, du wirst arm und immer kälter. Jetzt, Taschentücher raus, macht auch noch einer meiner Lieblingskunstbuchhändler Ernst und Ende: Von der Höh schließt die Pforten, sollte sich kein Nachfolger finden.
Bis dahin heißt es Räumungsverkauf, Rabattgetriebene können noch das ein oder andere Schnäppchen machen. (Ich war allerdings gestern schon da). The Upset zum Beispiel, eine großartige Übersicht über die wichtigsten und bekanntesten Lowbrow-Künstler. Mit Heiko Müller und Moki sind auch zwei hier oft erwähnte Künstler dabei, daneben noch Stars wie John John Jesse, John Coleman, Mark Ryden, die wunderbare Liz McGrath, etliche weitere auch aus dem Strychnin-Umfeld wie Danielle de Picciotto und David Stoupakis, aber auch Daniel Richter und Ray Caesar. Kurz: etwas für jeden Gabentisch.
Ebenfalls nützlich: die erste Monographie von Vania Zouravliov. Vania ist eine Sammlung erotisch-morbider (oder morbid-erotischer für die Feinsinnigen unter uns) Zeichnungen.
Damit ist auch klar, warum hier so wenig steht in letzter Zeit.

Sonntag, 30. November 2008
Noch nicht einmal Dezember, und schon ist wieder 1. Advent. Und was folgt dann? Richtig, Weihnachten. Und was haben wir wieder alle nicht? Richtig, Geschenke. Und wenn es heißt: Ach, wir schenken uns nichts? Achtet nicht darauf, denn sonst geht das Geschrei unterm Baum wieder los: Aber doch nicht gar nichts!
Ich möchte daher das Augenmerk auf den kleinen virtuellen Bauchladen einer guten Freundin richten: Frau Milli Meta hat prima Kleingeschenke im Angebot, Kühlschrankmagneten, Kalender, Notizbücher, merkwürdiges Zeug. Braucht man das? Aber ja natürlich, das braucht ihr alles!

Donnerstag, 27. November 2008
Vom Blättern in Magazinen. Indie. Missy. Das illustrierte Wandern durch andere Leute Jugendwelt. Die Prüfung auf Welthaltigkeit. The melancholy hour of Mittagspause. Ein Hauch von etwas. Am Nebentisch eine junge Schauspielerin. Jenny oder Jana oder Juno. This year's Erscheinung. Oder war es etwa schon letztes Jahr. Die Zeit, die liebe Zeit. Im Fenster ein Windspiel. Eine nimmermüde Ente, die stur ihre Flügel dreht, immerzu, gefangen in einem Wahn, vor Augen ein Ziel, das sie vor lauter Mühen längst vergessen hat. Keinen Zentimeter kommt sie voran.
Heute morgen dann ein ähnliches Gefühl. Das Thema hieß "Blutabnahme", nüchtern bitte und früh, es ist eben ein Verteilungskampf da draußen und kein Kuschelspaß. Meine Flamme Ärztin eilte kurz grüßend vorbei, husch wie der Wind, so sind die jungen Damen, ich aber hatte heute nicht die Emo-Punk-MTA mit dem rasant geschnittenen Schwarzhaarpony und den blauesten Augen der Welt, sondern ihre skandinavisch-blonde Zwillingsschwester. Die hat einen Blick, den müßte man auch einmal malen. Vielleicht mit Blut, ich und mein Arm wären dann so frei.
Nach dem flotten Nadelspiel dann wieder auf der Straße, Zeit für den ersten Kaffee. Nach dem tollen Erlebnis vom letzten Mal, gönne ich mir noch einmal die Mitnehm-Variante. Der junge Mann hinter dem Glastresen trägt eine Nikolausmütze, so weit ist es auch schon wieder. Mein Kaffee kommt, dampfend, heiß, wie wunderbar, selbst der junge Mann ist entzückt. "Soll ich den Deckel draufmachen?", fragt er fast andächtig. Mein Mantra, seit einigen Tagen, denke ich. Was für ein Zeichen. "Ja bitte, machen Sie den Deckel drauf", antworte ich, verstaue meine Geldbörse und schaue gebannnt, wie der junge Mann mit der Nikolausmütze hinter dem Glastresen den Deckel aus Plastik nimmt und meinen Kaffee verschließt. Das scheint mir gar nicht so schwer, denke ich, danke dem jungen Mann mit der Nikolausmütze, nehme den Becher vom Glastresen und befinde so im Stillen für mich, so leicht kann das also sein. Einfach mal den Deckel drauf machen.
In der U-Bahn bin ich fast beschwingt, es mag am Blutverlust liegen, an der leise kichernden Hysterie, die seit Tagen in meinen Adern schwingt, vielleicht auch am Hunger oder dem frischbedeckelten Kaffee. Der Becher gibt mir ein gutes Gefühl, ich fühle mich jung, modern, zugehörig. Den jungen Mädchen, die mich müde unter ihrer Strickmützen hervor anschauen, zeige ich meine Trophäe, mein Signum des Urbanen: Schaut her, rufe ich (aber still), ich bin bereit für die Welt. Ich habe verdammt noch mal einen riesigen Kaffee. Aber ich habe den Deckel drauf.
