Samstag, 13. Januar 2007


Als die Nacht nicht wich

Für fünf Mark Freiheit,
und für dreißig Mark Bier
- wegen ihm oder ihr.

(Blumfeld, "Zeittotschläger")

Als sich die Musik nicht noch lauter drehen ließ, und Schmerz und Sehnsucht ins Herz nicht tiefer schneiden konnten, berührten meine Fingerspitzen die kalte Oberfläche des Spiegels, im selben Moment, als die würgenden Geräusche aus einer der Kabinen hinter mir drangen.

Auf die Vorderseite meines verschwitzten T-Shirts hatte sich ein Gesicht abgedrückt, ein Negativ, ein Antlitz, das ich an diesem Abend nah beim Herzen trug. Draußen sangen die ganz jungen Blumfeld, "Ich weiß, daß Liebe wahrwerden kann", hier drinnen kondensierte eine feuchte, schlechte Luft.

Aus einer Notrationtube Pathos drückte ich mir den letzten Rest unter den Gaumen, wartete auf den Flash, den heißen, schneidenden Blitz, der am Herzkranz vorbei zum Magen hinunterrutschte, um sich dort kaltgrau zu verklumpen.

"Ach, Gott im Himmel", rief ich lauter, um das röchelnde Stöhnen über der Kloschüssel hinter mir zu übertönen und schlug mit der Hand auf den Spiegel. Immer in die Fresse rein, sang diese andere Band, und ich wagte nicht zu widersprechen.

Als ich vier Absätze mit "A" wie Adultery begonnen hatte, waren es auf einmal fünf. Ich wusch mir die Hände und dachte daran, wie wichtig es sei, sich nicht an alle Dinge zu erinneren. Nur an das, was man berichten kann.

Zu Hause dann noch einmal die Kopfhörer, die Lautstärke, die Augen geschlossen, den Bass durch den Kopf sägen lassen: "...Zeittotschläger, laufen um ihr Leben..." Wenn ich es doch nur mit Worten deutlich machen könnte. Wenn ich doch deine Hand halten könnte. Wenn ich doch nur könnte.


 


Freitag, 12. Januar 2007


Dogstar Rising

Ein Gott wird an Schönheit und Kraft
und Klarheit
erkannt, aber ein Gott
wird nur durch Liebe
erfahren.
(Robert Anton Wilson)

Neues Jahr, neue Tote. Carlo Ponti, Yvonne de Carlo und - weitaus unbemerkter - der lange schon schwerkranke Schriftsteller Robert Anton Wilson ("Illuminatus!").

Erst relativ spät, ich war schon an der Uni, stieß ich auf sein umfangreiches Werk - und war eine zeitlang wie vergraben in Verschwörungstheorien (alle 23!), Mind-Mapping, Sufismus und Theoriewirbel, wobei ich nie sehr weit kam, weil ich schon damals immer nur Kamillentee trank (Safe as Milk!).

Seine Bücher waren imposante, wild-bizarre Reisen durch Wissenschaft, Geschichte und Mystik, die Einstein und Crowley an einen Tisch brachten, ein geheimnisvolles Unterseeboot auf die Reise nach Mu (Haha!) schickten und die Weltherrschaftsambitionen eines geheimen bayrischen Freimaurerordens untersuchten. Genau das Richtige also für ein Alter, in dem man endlos Zeit hat und schwer überzeugt ist, kurz vor dem Durchbruch zum Alleswissen zu stehen. Eine Welt zwischen Wissenschaft und Gott, beschrieben von Bach, Leonardo, Burroughs und Timothy Leary.

Nach dieser Phase begegnete mir RAW seltener. The KLF bedienten sich aus seinem Fundus, Eco verärgerte mit seinem "Pendel", irgendwann hörte ich von der brutalen und, so weit ich weiß, bis heute unaufgeklärten Ermordung einer seiner Töchter. Wilson verließ daraufhin die USA und zog nach Irland. Letztes Jahr berichtete Boing Boing, daß Wilson verarmt und schwer erkrankt im Sterben liege. Bald darauf meldete sich der Mann mit einem eigenen Blog zurück, in dem noch kurz aufblitzte, wie Neugier, Wissensdurst und schräger Humor ein Leben bis zuletzt reizvoll machen.

Heute dann die Nachricht von seinem Tod.

Danke für überaus anregende Stunden, Mr. Wilson! Wohin Sie auch reisen, nach Mu, zum Sirius - es wird geheimnisvoll, ekstatisch und transzendierend sein. Ich mache mir da keine Sorgen.

(Lieferbare Bücher)


 



Mein Shampoo



Wenn heute viele Kinogänger mit dem Führer in die Badewanne gehen, sollten sie vielleicht das Shampoo nicht vergessen. Der Seitenscheitel streicht sich damit rechtig glatt.

Das Foto stammt übrigens von einer schottischen Künstlerin, deren Namen ich bedauerlicherweise vergessen habe.

Super 8 | von kid37 um 17:50h | 14 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Mittwoch, 10. Januar 2007


Moskau ist das neue Schwarz

"Diese Stadt würde Ihnen auch sehr gefallen", sagt er mir. Und tatsächlich, wenn ich mit Helsinki durch bin, könnte auch die russische Metropole interessant sein.

Geringelt geht dort schließlich auch. Siehe auch Sieh mich an.

(Und dann aber Tokio.)


 


Dienstag, 9. Januar 2007


Graubunt

Fotogemeinschaften gibt es viele im Netz, die meisten von eher schwankendem Niveau. Auf ALTPhotos präsentieren Fotografen ihre Arbeiten, die sich fast durchweg sehen lassen können. Offenbar haben sich hier viele osteuropäische Künstler versammelt: Albanien, Lettland, Polen, Russland, die Ukraine - vielleicht ist es Einbildung, aber mit einem Sinn für die Würde des Alltagsbanalen, einem leisen Hauch von Melancholie und einem Schuß surrealen Witz schlagen viele Bilder einen anderen Ton an als das oft grell Pompöse westlicher Bilder. Kameras wie Kiev 88, Zenith und Pentacon sind hier noch tapfere Arbeitspferde, die zeigen, was geht, wenn man die Geduld für Technik mit Tücken aufbringen kann.

Geduld braucht man leider auch für die Bilder. Der Server von ALTPhotos ist schneckenlangsam, man kann also nebenher selbst den ein oder anderen Rollfilm entwickeln.

Ich wühle mich gerade durch die People-Galerie, die anderen Abteilungen sehen aber auch interessant aus.


 


Sonntag, 7. Januar 2007


Auch Rockstars brauchen Hemden

Soll es das gewesen sein?
(Die Ärzte, "1/2 Lovesong")

Man denkt, die "Miagolare"-Crew hätte angelegt.Dita, Dita, dachte ich heute morgen und schüttelte traurig den Kopf über die scheidungswillige Gattin von Marilyn Manson. Zu spät, zu spät. Nun sind meine Arme auch nicht mehr offen für dich. Temps perdu, uns bleibt die Erinnerung, und - alles Gute. Nun wollte ich mir, vom Schmerz gepackt, nicht noch Zigaretten auf dem Unterarm ausdrücken, die ich auch erst umständlich an der 24-Stunden-Tankstelle nebenan hätte kaufen müssen. Deshalb wagte ich das Unmögliche: Ich ging an einem Samstag in die Stadt.

Im saturnalischen Elektrokaufhaus war bereits die Hölle los, grimmigen Blickes warf ich mich in die Menge, blitzte Todesverachtung spritzend auf die vom Rabattversprechen zombifizierte Steppjackenträgerschar und begab mich wieder einmal in die Hifi-Abteilung. MP3-Player beschauen wie sonst nur der Trichineninspektor in der Großschlachterei ist einer meiner liebsten sinnlosen Stadtvergnügen. Seit einiger Zeit dürstet es mich nach Aufrüstung, nicht moralischer, sondern kraftmusikalischer Natur: mehr Speicher, mehr Radio, mehr Schick sollen meine Westentasche füllen!

So ein nachtschwarzer Handschmeichler mit Steuerrad hat es mir gerade angetan, als mich ein junge Dame anspricht. Dita? Nein, es ist eine quasi-uniformierte Informationsbereitstellerin der Herstellerfirma. Mein unfruchtbares Knöpfchendrücken am schwer entladenen und somit stummen Ausstellungsgerät rief sie auf den Plan. "Greifen Sie doch mal bei mir zu, da können Sie besser spielen", strahlt sie mich aus beinahe unschuldigen bernsteinfarbenen Augen an. Leicht verwirrt gleitet mein Blick von ihren Lippen hinab auf ihr vom knappen Firmen-T-Shirt formschonend verhülltes Dekolleté. "Ich wollte das Ding eigentlich nur kurz begrabbeln", stammel ich, etwas hilflos bereits, und bete die Namen der 37 Heiligen rückwärts runter. "Nur zu", meint die Schöne vor mir und schaut mir tief in die Augen dabei. "Meiner ist aufgeladen, da können Sie alles sehen."

An einem Halsband baumelt einer dieser Player zwischen ihren Brüsten. "Greifen Sie nur zu", ermuntert sie mich. Mein Mund fühlt sich trocken an. Ich schaue mich vorsichtig um, denk, morgen steht es in allen Blogs!, und lasse kurz meine Hand wie ein Hütchenspieler über den drei Erhebungen kreisen. Schließlich greife ich beherzt in die Mitte und packe mir den Player. "Liegt gut in der Hand, nicht wahr?" höre ich die so honigsüße wie selbstbewußte Stimme des jungen Dings. "Unglaublich glatte Oberfläche" stottere ich. "Fühlen Sie mal die Knöpfe", lockt sie weiter. "Alles richtig fest." Ich spiele ein wenig mit den Nupsis, schaue zurück in die bernsteinfarbenen Augen, die sich in Halsbandabstand vor meinen befinden. "Da wackelt nichts", meine ich anerkennend.

Für so einen Kaufhausausflug am Samstagnachmittag bin ich entschieden zu dick angezogen. Mir wird warm unter dem Mantel. "Nehmen Sie den mal lieber", meine ich. "Mir wird das hier zu heiß". Bedauernd gebe ich das Objekt der Begierde zurück. Lächelnd nestelt sie am Halsband, zurrt alles an ihrem Dekolleté zurecht. "Wenn Sie es größer brauchen...", gurrt sie und weist auf die Prospekte mit den anderen Modellen. "Nein, nein", wehre ich schnell ab. "Es ist wunderbar wie es ist."

Schnell erfrage ich noch ein paar technische Details und gebe mich beeindruckt. Gerade als ich mich leutselig nach den Dienstschlusszeiten erkundigen will, zupft mich eine innere Stimme am Mantelkragen zurück. Ich muß ja noch Bekleidung kaufen!

Deutlich beschwingt lasse ich die Schwedenkette links liegen und wage mich in einen Ausstattungsladen für paillettentragende Diskothekengänger. Warum nicht mal was Fesches kaufen, man ist schließlich nur bis morgen oder übermorgen jung. Dann ist aber endgültig finito und man selbst für Damen aus dem Promotionsgeschäft nur noch eine armselige Lachnummer, der man höchstens mitleidig ein Prospekt übereicht.

Nachdem ich die ganzen Punk- und Pseudopunk bedruckten und vorzerfetzten Lumpenberge durchwühlt habe, reihe ich mich mit einem dezenten Unterziehjöppchen in Ringeloptik am Kassentresen an. Sieh an! Neben mir steht der schwertätowierte Schlagzeuger einer äußerst beliebten, sich als vorgebliche Mediziner titulierenden Musikgruppe. Warum auch nicht, man begegnet diesem Mann in dieser Stadt öfter. Es ist ja auch eine völlig absurde Idee anzunehmen, als Rockstarmillionär mache es Spaß, den ganzen Tag und die halbe Nacht im selbstgewählten Shangri-La zu lümmeln und sich die Anziehsachen von knapp volljährigen Bediensteten reichen zu lassen, die selbst kaum mehr als Ringelstrümpfe und Lackschürzen trügen. Obwohl, wenn ich gerade darüber nachdenke...

Einmal standen wir sogar Seite an Seite am Pissoir, und nach derlei erlebten Intimitäten finde ich nun auch nichts dabei, für die Einkäufe des junggebliebenen Mannes mich näher zu interessieren. Diskreterweise möchte ich anmerken: Er wird schick aussehen in seinem neuen schwarzen Hemd. Nicht halb so schick wie ich mit meinem dezent geringelten Unterziehjöppchen. Aber schick. Ein Blick in seine Einkaufstüte erinnert mich zudem daran, daß ich die aktuelle Ausgabe des örtlichen Obdachlosenmagazins noch nicht erstanden hatte. Auch darin ein Vorbild - ich mag den privat stets angenehmer als auf der Bühne wirkenden Mann, der da festen Schritts das Geschäft verläßt. Man darf den Blick fürs Wesentliche nicht verlieren: Die Ditas dieser Welt würde er als unrockbar abwehren und ihnen lieber ein Hinz und Kunzt-Abo vermachen. Einen MP3-Player hatte er schließlich auch nicht umhängen.

Ein Spruch besagt, es gäbe nichts, was eine Flasche Whiskey und eine Rasierklinge nicht heilen könne. Herr Manson, glauben Sie lieber mir: Kaufen Sie sich einfach ein neues Hemd.


 


Freitag, 5. Januar 2007


Ringelstrümpfe der Woche

Da muß man jetzt nicht lange reden. C'est comme ça.

Das Video stammt übrigens von Mondino, der merkwürdigerweise denselben Vornamen hat wie ein nicht komplett unumstrittener deutscher Fernsehmoderator.

Radau | von kid37 um 14:13h | 9 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Donnerstag, 4. Januar 2007


Mit Legenden leben

I remember you well in the Chelsea Hotel
You were famous, your heart was a legend.
You told me again you preferred handsome men
but for me you would make an exception.

(Leonard Cohen, "Chelsea Hotel #2")

Unterkunft bot es vielen: von Mark Twain bis Arthur Miller, von Thomas Wolfe bis William Burroughs, dazu die Maler und Fotografen wie Mapplethorpe und Ralph Gibson, die Musiker - Jimi Hendrix, Janis Joplin, Patti Smith und Sid Vicious, der lebendig gleich gar nicht mehr auszog - das Chelsea Hotel in New York ist bis zum kaputten Dach gefüllt mit Legenden und Gewisper. Dylan Thomas brach hier 1953 zusammen, voller Schmerz und voller nur von Alkohol. Die Beat Generation kochte dort heimlich auf den Zimmern (alles im kleinen Löffel), schnitt Bücher auseinander und schrieb auf Endlospapier. Leonard Cohen schrieb einen Song, in dem es vordergründig um eine Geliebte, in Wahrheit aber eher um den zum Mythos gewordenen Ort ging, einen nostalgiegetränkten Platz, dessen heimliche Magie ein Leben im Zustand der Ausnahme offenbar möglich macht.

Ein wenig Geschichte hier, ein wenig kunstvolle Erinnerung dort - was fehlte, genau, war das Blog als Ventil und Wasserstandsmelder für Vergangenes und Aktuelles, Geschichten und Dönekes aus dem Leben in the red-brick and black-wrought-iron behemoth on West 23rd Street. (New York Times, 19.12.2006).

Ob das Hin und her um Edie Sedgwick (war es Dylan? war es Warhol?) und den Film Factory Girl oder die fast noch drängendere Frage, ob Ethan Hawke das Blog liest oder nicht - Platz ist da für das Mondäne, Heitere, Traurige & Triviale, die Künstler, die Legenden und den Spaß am eigenen Mythos.

Endlich mal ein Blog, bei dem Name-Dropping keine hohle Geste ist. Viel zu entdecken, viel zu Erinnern, endlos zu Stöbern: Living with Legends.

>>> Leonard Cohen, "Chelsea Hotel #2" auf Youtube

Tentakel | von kid37 um 15:41h | 6 mal Zuspruch | Kondolieren | Link