
Mittwoch, 5. Juli 2006
Die runde Sache lief nun lange rund und für einige glückliche Momente auch geringelt oder wenigstens gestreift. Heute abend dann das Projekt Füüünale, standesgemäß draußen auf der Straße auf St. Pauli, mit anderen Mediennutten Gartenzwergpolierern, Hartz-IV-lern und den mitfiebernden Jungs vom türkischen Büdchen nebenan. Erste Halbzeit mit "'Schlaaand! Schlaaaand!"-Rufen in Stimmung gebracht. Wir sind alle Frings - und zur Hälfte auch Odonkor. Gelungene Aktionen (weniger) und Einsatz (mehr) von Team Schland werden eifrig beklatscht. Die zunehmend dreister werdenden Aktionen von Team Thespis zugleich verächtlich ausgebuht.
Heim zu Mama! gellt es, wenn einer der Blauen, vom Windhauch berührt, sich theatralisch auf dem Boden wälzt. Bald wälzt ihr euch in der dritten Liga, brüllt einer. Ständig halten sie sich das Gesicht. Was ist los, rufe ich. Frisur kaputt? Die sehr schöne Frau™ ruft nach Udo Walz, während sie Würstchen grillt, was bis zum Abpfiff noch die neue Lebensart in Schland zu werden versprach. Straßenpartys, Fangesänge, Kulturaustausch. "Wir halten zu Deutschland", meint der türkische Ladenbesitzer. "Morgen dann vielleicht zu Italien", fährt er fort und lacht. Jaja, noch sind wir gönnerhaft und lachen mit. Irgendwann kurz vor Schluß lassen die in Blau Haare, Haare und Wehleidigkeit, Wehleidigkeit sein. Zwei Dinger schenken sie dem Fußballgott ein. Ballack dreht sich beim ersten verdächtig zur Seite, Lehmann machtlos. Ich lasse mich vom türkischen Nachbarn trösten, wir alle starren ausdruckslos ins Leere. Totenstille herrscht auf einmal über dem Viertel. Und doch: Wir haben Spaß gehabt.

Dienstag, 4. Juli 2006
Vom Boden essen. Gerne, spricht Demut. Und der alte Witz geht, aber werden wir satt? Geleckt und glatt und anschiegsam. Ich mag es ja mehr in den Brüchen und Kanten. Wenn einer zeigt, daß die Dinge größer sein können als der eigene Griff. Daß sie diesem entschlüpfen, weil das Heute größer oder quicker oder einfach bloß anders ist als das Gestern. Und vom Morgen wollen wir nur ahnen und furchtsamer raunen. Wer weiß schon, was kommt und ob es so ist, wie es ist.
Am hinteren Zaun wehten erst ein paar Haare. Als ich hintrat und nachsah, legte sich dort ein blutendes Tier. Und in silbernen Augen/Spiegeln sich die schwarzen Schatten unserer Wildnis/Gräßliches Lachen, das unsere Münder zerbrach. (Trakl, "Passion") Die klopfenden Herzen, das furchtsame Drängen, ein flatternder Puls in meiner Hand. Als es starb, war ich zaghaft, kein Wort fiel mir ein. Außer ein Ja und ein Nein. Und einem es, das ist, wie es ist.

Montag, 3. Juli 2006
Nachdem die Sonne sich senkte, das Geschrei verebbte, nur von Ferne noch gellten einzelne Triller einer Schiedsrichterpfeife, gingen wir runter zum Hafen. Ein leiser Wind kühlte die schwitzige Haut, und die Lampen der Marktbuden und die blauen Tore tauchten die Schiffe in ein farbiges Licht. Am Kai pullerte ein Betrunkener ins Hafenbecken. "Sieh dort!", rufe ich aus und ziehe sie am Arm. "Schau, wie romantisch!"
Ich deutete auf das Hausboot. Ein schnittiger Kahn, eine architektonische Studie in Retro-Design. Und seh mich schon draußen, dümpelnd und treibend, einen auf flokatiumhüllte Entspannung mimend. Oder so ein Feuerschiff! Mit dem druckvollen Strahl der Wasserkanone zeigte ich jedem Beckenrandpinkler, was seine Kümmerlichkeit ist. So ein Hafen ist Aufbruch und Sehnsucht, Fernweh und Ankunft: jeder Matrose sein eigenes Schiff. Und ob stolzer gesegelt oder träge nur treibend, manchmal geht es doch über Bord.

Freitag, 30. Juni 2006
Och nö. Jetzt auch noch der Gernhardt.

Donnerstag, 29. Juni 2006
In der unglaublich beliebten Reihe Mit toten Tieren durch das Jahr steht nun aus traurigem wie aktuellem Anlaß erneut ein Eichhorn auf der Speisekarte dem Programm. Das Probleme-Ich, oder "der rote Bruno", wie es im Volksmund genannt wurde, rollte sich frühlingshaft verspielt auf den Rücken, präsentierte weißen Bauch und zutraulich zudem den Hals - als plötzlich und unerwartet der Tod eintrat. Still und starr wie der See, ein ebenso keckes wie haariges Ex-Problemeich glubscht eher ausdruckslos von dort in den Himmel, wo jüngst noch Augen Träume bargen. Das war der Tag, damals nach dem Regen, da stand ich vor der Tür, einen Frühlingsstrauß in der Hand. Türen, die sich auf mein Klingeln nicht öffneten, das Leben, das mir die Metaphern entgegenschleuderte, weil die Blumen die Köpfe hängen ließen, und ich, der es hinter den Gardinen rascheln sah. Aber vielleicht bildete ich mir das auch ein.
Und so stolperte ich zurück durch den frischgemulchten Vorgarten, halsentblößt, entliebt, mit hängenden Blumen. Und drückte sie dem Mann dort, dem jungen, in die Hand, welke Pracht aus welkeren Händen. Denn es geziemt sich, wenn man zur Liebsten geht, eine Blume zu bringen. Und kein totes Eichhörnchen.
(Schreibt euch das bitte auf!)

Mittwoch, 28. Juni 2006
Mashen, Mixen und Modden: Was mit Musik geht, macht auch mit Filmen Spaß, wenn auch vielleicht keinen Sinn. Auf Modfilms gibt es Filmmaterial unter Creative Commons-Lizenz (z.B. "Sanctuary" von Michela Hedwidge) zum Runterladen, Rummachen und Rausgeben.

Montag, 26. Juni 2006
Am Samstag dachte ich, da muß man doch mal durch, die Strecke ablaufen, die schwarzrotgüld'ne. Alle möglichen Fans waren dort, nackte Hintern für Fans von ebensolchen, Fans vom Hermetischen Café (freudig winkend, merci!), Fans verschiedener Nationalteams und Fans des anlaßlosen Jubeltrubels. Die Stimmung, und das erstaunt dann mittlerweile doch, ist erstaunlich entspannt. Da hängt auch nicht mehr Krawall in der Luft als auf jedem größeren Volksfest. Natürlich viel "Fünaaale"-Gerufe, im Stadion auch viel rhythmisches "Sieg!"-Skandiere. Aber bitte, solange die Wimpel am 10. Juli brav wieder eingerollt werden, was soll's? Man muß ja nicht überall was wuchern sehen, so wie früher in der 9. Klasse, nach der Ansicht der Aufklärungsfilme des FWU, nach denen man verstört den eigenen Handrücken beobachtete, im sicheren Glauben, dort das Ausbreiten der Syphilis beobachten zu können. Mittelaltermärkte, um nur mal ein Beispiel zu nennen, finde ich politisch viel bedenklicher. Vom Ästhetischen gar nicht erst zu reden.
