Freitag, 23. Juni 2006


Gott, was waren wir jung

Boy's in bikinis
Girls in surfboards
Everybody's rockin'
Everybody's fruggin'

(The B-52's, "Rock Lobster")


Rock Lobster.

Die Mädchen wollte ich damals heiraten. Beide. Oder wenigstens die Rothaarige.

Ich erinnere mich, wir standen nach einer langen Partynacht mit einigen Leuten draußen im Garten. Über den Baumwipfeln kroch das erste Morgenlicht, jemand holte das letzte Bier, und ich durfte diesem Mädchen unter den Pullover fassen. Mehr passierte nicht. Aber das war spannend genug, wenn man mit abgehackten Bewegungen die ganze Nacht zu B-52's getanzt hatte. Wir waren noch jung und hofften, bald nicht mehr unschuldig zu sein. Diese neue Musik, die man nun überall hörte, hatte diese merkwürdigen Rhythmen, merkwürdige Stimmen und noch merkwürdigere Texte. DEVO, Talking Heads oder eben diese komische Band, die aussah, wie aus einer Folge der Familie Feuerstein entsprungen (worin sie auch Jahrzehnte später landen sollten).

"Why don't you dance with me?" gellte es verzweifelt durch die neonkalten Tanzhallen. "I'm not a Limburger!"

Und doch waren wir oftmals genau das: aussätzig, fremd einander und sich selbst, offenbar von Planet Claire und in eine merkwürdige Zeit geworfen, deren fromme 68er-Lügen immer offensichtlicher wurden. Heiß war der Herbst, und kalt die Herzen. "Rock Lobster" - die späte Stelle, wenn dann endlich, endlich der Baß einsetzt, die tiefen Regionen erreicht... Die B-52's sägten mit ihrem dünnen Plastik-Space-Age-Sound diesen pathetischen Barclay-James-Harvest- und Genesis-Brei einfach entzwei. Wir waren ja vorher so gequält, die jungen Leute können sich das gar nicht mehr vorstellen!

Provinzbengels, deren ältere Cousins bei den Fehlfarben spielten oder wenigstens den Ratinger Hof kannten. Ich erinnere mich an diese schwitzigen Schülerpartys, wo irgendwelche Leute die neuen Platten anschleppten, man dummes Zeug zusammen- sponn, wie das immer so ist, und allgemein eine Richtung suchte. "Planet Claire has pink air". Die Luft hatte einen merkwürdigen Geruch, nein, das war kein Teen Spirit. Die Luft hatte kurze Zeit den Geruch vom Ozon funkensprühender Zündkerzen, von einem Aufbruch, wie er nur alle Jahre spürbar ist. Für mich nie wieder.

Radau | von kid37 um 14:37h | 24 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Mittwoch, 21. Juni 2006


Todesfugen

Autumn waters
of this world wake me
from my drunkenness.

Japanische Poesie zum Thema Tod: Haiku Death Poetry. (Zweisprachig.)


 


Dienstag, 20. Juni 2006


SNAFU

There was only one catch and that was Catch-22.
Orr would be crazy to fly more missions and sane if he didn't,
but if he was sane he had to fly them.
If he flew them he was crazy and didn't have to;
but if he didn't want to he was sane and had to.

(Joseph Heller. Catch 22. 1961.)



Situation normal, all fucked up: Noch bis zum 25. Juni verlängert wurde in der Hamburger Kunsthalle die Ausstellung SNAFU - Medien, Mythen, Mind Control.

Ich bin ja leider wie viele Museumsbesucher kein besonderer Freund von Videoinstallationen. Shirin Neshat mit ihren strengen Kompositionen und grafisch eindrucksvollen Filmbildern ist da eine gern gesehen Ausnahme. Aber allzuoft drohen einem muffige Kabinen, in denen man man die wackelnden Einstellungen technisch minderwertiger Videokameras ertragen muß, die der Künstler vor sich her durch Straßen, Müllhalden oder Abbruchhäuser trägt, wenn er nicht zwei Stunden lang in endlosen Loops das Gesicht seiner Freundin zeigt. Ein Experiment in subjektivem Blick, selbstverständlich, toll und gut gemeint, aber oft ein wenig anstrengend oder einfach nur... öde. Nicht meine Tasse Tee.



Unter denen in einen etwas gewollt-konzeptionellen Überbau gezwungenen Videoinstallationen von SNAFU jedoch sind einige Werke, die wirklich Spaß machen. Kybernetik und Systemtheorie, sexuelle Revolution und Jugendkultur sind die Eckpfeiler, an denen die Kuratoren ihre Auswahl filmischer Arbeiten aufgehängt haben. Nicht immer einsichtlich, aber irgendeine Linie muß man halt haben, wie im Leben auch. Mitreißend psychedelisch zum Beispiel die Einblicke in Andy Warhols Factory. So war es dort natürlich jeden Tag, Musik, junge Menschen in Silberfolie, Extase - aber ich fürchte, diese Menschen nahmen auch Drogen, darum schnell weiter.

Im Video von Günter Brus rezitiert Gerhard Rühm aus Baudelaires Die Blumen des Bösen, während nebenan Otto Mühls Wiener Aktionskunsttheater ("Mama und Papa") in einem Cut-Up regelrecht verhackstückt wird. Der Mühl wieder, denkt man, zwischen Blut und Essen und Matsch.
Die obsessive Blumenliebhaberin Veronica Read wurde hier bereits erwähnt, ein documenta-Klassiker von Kutlug Ataman. Diese Installation ist eine ausdrückliche Empfehlung, tolle Frau, völlig skurril, völlig bessessen - und zudem ein sehr interessante Simultan-Präsentation auf vier Leinwanden.

Heimlicher Höhepunkt, und sogleich ins Herz geschlossen ist aber das kleine rote Auto aus dem Video "Rehearsal" von Francis Alÿs. Zu den erst schwungvoll hoffnungsvollen Klängen einer Mariachi-Kapelle nimmt ein VW Käfer Anlauf, einen sandigen Hügel zu erklimmen. Aber immer wieder scheitert der unermüdliche Beetle (Er läuft und läuft und läuft...), begleitet vom enttäuschten Absterben der Musik. Herzzerreißend und belustigend zugleich. Große Metapher selbstverständlich - und der einzige Grund überhaupt, weshalb ich das hier erzähle. Situation normal, all fucked up.

(SNAFU - Medien, Mythen, Mind Control. Verlängert bis zum 25. Juni 2006 in der Hamburger Kunsthalle.)


 


Montag, 19. Juni 2006


Standbild



Ein Wochenende, fünf Prints - bei dem Tempo bin ich dann in schätzungsweise fünfzehn Jahren fertig. Wohin ist die Zeit enteilt, frage ich mich. Derzeit also Blogentschleunigung. Denken Sie sich nichts dabei.


 


Donnerstag, 15. Juni 2006


Der gefundene Satz, 33

I always wanted to write about Denham Fouts. Truman Capote called him "the best kept boy in the world"; Gore Vidal, an "Homme fatal"; Christopher Isherwood, "Satan". He was an improbable literary muse ("Sophie" in Maugham's The Razor's Edge), and a male courtesan who bewitched both sexes, had a scorpion tattooed on his groin and body odour so divine that people fought over his handkerchiefs. His benefactors ranged from King Paul of the Hellenes to a multi-millionaire guano importer. Even Dylan Thomas found him "very beautiful" and Aldous Huxley confessed to dreaming about him. He died on a lavatory seat in Rome aged 34. What a story. Except that none of it is true.

(Robin Muir, Curator. "The Book I wish I'd written". Vogue, ca. 2005.)


 


Dienstag, 13. Juni 2006


Der hermetische Fahrzeugtest

Was mich damals an dem roten Flitzer störte:
Es gab nicht genügend Ablageflächen!

(Aus dem Film: "Wir reiten einen Witz zu Tode")


 


Sonntag, 11. Juni 2006


37

And you may find yourself living in a shotgun shack
And you may find yourself in another part of the world
And you may find yourself behind the wheel of a large automobile
And you may find yourself in a beautiful house,
with a beautiful wife
And you may ask yourself -
Well... how did I get here?

(Talking Heads, "Once In A Lifetime")

Merke ich nichts vom Vollmond, dann ist es bestimmt der Nebenmann, der nachts randaliert. Vergesse ich nichts von meinen Regelmäßigkeiten, dann sind es die Umstände, die (für sie umstandslos), Schwanken und Zögern, Knüppel werfen (die Beine! die Beine!) oder Dinge doppelt erledigen lassen, die auch einmal gereicht hätten.

Die Nacht dann plötzlich auf den Kopf gestellt. Mich selbst orientierungslos in kleinen Wohnungen finden. Küche, Bad, Aufstehen, Hinsetzen und doch nicht wissen, wo ich bin, außer daß ich plötzlich einen Bademantel trage. Das Display zeigt 37, und das ist so etwas wie eine Botschaft. Handeln, weitermachen, aber schön langsam. Zurück in die Grenzen finden, ins Vertraute. Durchs Internet wandern und liebgewordenen Plätze tot finden oder neu gewalzt. Wo seid ihr alle hin? Das Weblog wurde deaktiviert. Wenn Sie Administrator sind, können Sie es hier wieder reaktivieren. Activate yourself, denk' ich und ja, es ist auch Zorn dabei.

Ich muß mich selbst besser administrieren. Nicht verschüttgehen, Grubenlampe, Kanarienvogel, Notration immer dabeihaben. Nicht ohne Karte loslaufen, auch nicht in überschaubaren Wohnungen. Irgendwann, später dann, stehe ich vor dem Bücherregal und lese die Titel aus der Zukunft.