Samstag, 3. Juni 2006


Tu veux ou tu veux pas

Gestern Abend habe ich geübt, Kostüme probiert, Muskeln gespannt und Dekoration ausgewählt. Schließlich kam ich zu dem bislang wohlgehüteten Schluß, ett is wie ett is und ungefähr so wird es dann sein:

>>>Tu veux ou tu veux pas (Youtube)

Herr Burnster, Herr Ole und moi lesen, wie alle Welt weiß, am Pfingst-Sonntag im "Laß uns Freunde bleiben". Entweder ihr wollt oder ihr wollt nicht - zusehen, wie ich Jungfrauen auf der Bühne zersäge (vorausgesetzt, es findet sich eine in Berlin), mein Getränk unsichtbar mache, Balken biege und tote Tiere hypnotisiere. Zieht eure Ringelstrümpfe an oder eure guten Anzüge Kommt doch, wie ihr wollt und laßt uns alle, wenn nicht Freunde bleiben, so doch mit einem Flämmchen über dem Kopf nach Hause gehen. Es muß ja kein heiliges sein.

Schöne Pfingsten.


 


Donnerstag, 1. Juni 2006


Diminutive

How does it feel
To be on your own
With no direction home
Like a complete unknown
Like a rolling stone?

(Bob Dylan, "Like A Rolling Stone")

Und da war die, die sagte, gut, so machen wir es, und da war die, die ein wenig weinte, und da war die, die mich zum Weinen brachte. Und dann war da die, die mich freundlich grüßte, an der Hand ihres Freundes, von dem ich noch nichts wußte und die, die ich vergaß zu grüßen. Und die, die auszog mit zwei Tüten und ihre Sachen später holte und die, die mir Hilfe anbot beim Auszug. Und da war die, die gar nichts sagte, so wie sie vorher schon nie was gesagt hatte, und die, die sprachlos war und gar nichts sagen konnte, weil die Stille so laut war und der Nachklang des Donnerhalls.

Ach, und dann die, die dann weg war und ihre Sachen nie holte, was mich wunderte, aber nur ein wenig, neben den drei Kreuzen, die ich schlug, und den Tränen, die ich vergoß. Da war die mit den Messern und die, bei der ich die Klinge noch umdrehte.

Und so oder ähnlich, mit Schleife, Blut und Stacheldraht, Abschiedswinken, -essen, -küssen und einmal nur noch, du weißt, für die Reise, klappt man ihn auf, immer wieder, den großen Koffer (und manchmal nur das Bordgepäck).
Erst später dann betrachten wir, was überhaupt noch drinnen liegt: Die Reste unserer beschädigten Leben und die Reste der Leben, die wir beschädigt haben. Die Stummel und losen Fäden, die herunterhängen wie lästige Fibrome. Nichts Schlimmes, nichts, für das es sich lohnte, großes Aufheben zu machen. Selbstverständlich nicht. Der Arzt nimmt eine Elektroschlinge oder ein Skalpell und darf nur eines nicht vergesssen: Immer im Gesunden schneiden. Mit ordentlich Rand und sicherem Abstand, damit es nicht durchschlägt oder streut, weiterwächst womöglich, ein Rest, ein Zellbestand, der alles von vorne beginnen läßt. Und so schwindet das Gesunde mit dem kranken, dem nekrotischen Restgewebe, bis wir nur eines werden: immer kleiner.


 


Dienstag, 30. Mai 2006


Florale Zierde

Bei Leiden und Schmerzen aller Art hilft bekanntlich die Ringelblume. Solches Naturwissen ist vielfach verschütt' gegangen, was schade ist, betrachtet man den generell eher unblumigen Alltag. Heute gleich zwei ältere Herren gesehen, beide in beigen Hosen und einem senffarbenen Bluson gekleidet. Was ist nur aus der Fliederfarbe geworden?

Für jemanden wie die Londonerin Veronica Read wohl eine triste Entwicklung.
(Die Installation von Kutlug Ataman ist derzeit übrigens in der Hamburger Kunsthalle zu sehen.)

Neben der blumigen Rede führe ich hingegen gerne meine florale Kleidungspracht spazieren. Man nennt mich auch die schwarze Tulpe. (Oder war es die Tollkirsche?)


 


Montag, 29. Mai 2006


Der gefundene Satz, 32

"Diese Verzweiflung. Die muß doch für etwas gut sein. Es gibt so verdammt viel davon."

(René Pollesch, Heidi Hoh II: Heidi Hoh arbeitet hier nicht mehr. 2000.)


 


Samstag, 27. Mai 2006


Zimmer mit Halbmond



Und, dann. Wer hätte es gedacht? Das sieht ja aus wie bei mir zu Haus: Anregende Fotoarbeiten aus der Türkei mit Ringelstrümpfen und allerlei morbidem Gothic-Chic, Tüdüü und Tadaa: Nazif Topçuoğlu. Da fällt mir glatt noch ein, was ich heute auf dem Flohmarkt kaufen finden will. Etwas für hier, etwas für da. Ich hoffe, es paßt alles auf den Gepäckträger meines Hollandrads.

Sonst nehme ich ein Pferd.


 


Donnerstag, 25. Mai 2006


Vatertagsretrospektive

Ich hab mich selbst zum Altglas gestellt.

(Taumelnd hinab ins Flaschengrün. Kennen wir uns? Von der Neige des Glases. Du Flasche, zischt sie. Ich habe dir gestern erst den Korken gezogen. Du steiler Zahn, nuschel ich zurück. Du Assoziationsschlampe, alkoholisches Luder, du. Grinsend ringelt sie ihren Strumpf wieder hinauf. Haltlos, lalle ich. Allohaltlos.)

Morgen arbeiten nur mit höchstem Unwillen. Das ganze monotone Leben wie eine Nagelbettentzündung. Selbst ein Kuß nur pilziger Atem. Mir war als hätte ich das Ticken der Uhr zu lange nicht gehört. Ticktack, der Stempelkasten. Aus dem Nebel wird auftauchen der Personalleiter der Gartenzwergfabrik. Mirdochegal wie ihr arbeitet, wird er grinsen. Fertig muß die Scheiße werden.

(Neulich beim Entgraten, der Kollege hebt die blutenden Finger, will den Boss der Bosse grüßen. Der aber schleicht vorbei, über die Flure, nickt & sagt nicht Guten Tag. Jasollnwirunsdennalleselbstentleiben? Nur für ein bißchen Augenblick?)

Ich habe es genossen. Im Regen sieht es aus, als söge meine faltige Haut mehr Tropfen auf als die Jugend, deren Glanz wie Sonne scheint. Im schrundigen Haus, zwischen welker Tapete und verschlissenen Hemden, die Trauer. Mit Bedacht, stillem Eifer und vorgespitzter Zunge wickel ich ein schwarzes Band, rundherumundrundherum ums Treppengeländer. Ich bin auf links genäht, Bruch der Schokoladenfabrik.

(Keine Himmelfahrt.)


 


Mittwoch, 24. Mai 2006


Refractions

Violent, more violent,
His hand cracks the chair,
Moves on reaction, then slumps in despair,
Trapped in a cage and surrendered too soon,
Me in my own world, the one that you knew,
For way too long.

(Joy Division, "I Remember Nothing")

Neben - unvermeidlich fast - Man Ray war meine große fotografische Inspiration (das Wort Vorbild möchte ich meiden) von früher Zeit an der Amerikaner
Ralph Gibson. Fast am selben Tag geboren wie David Lynch, kennzeichnet beide eine obskure Mischung aus strenger Klarheit, eifrigem Ernst und hypnotisch entrücktem Traumfragmenten.

Erst jetzt entdecke ich, daß seine Seite im Netz auch ein umfangreiches Archiv beinhaltet. Serien wie Somnambulist haben mich nun schon seit Jahren begleitet, verwunschene Bilder, verfolgende Albträume, Schimmer, ein Wehen, kurze Momente aus verstörenden Geschichten herausgegriffen. Wer Joy Division noch von Vinyl her kennt, wird sich an das Foto auf dem Innencover der Unknown Pleasures erinnern.