
Mittwoch, 24. Mai 2006
und schauen dem Todestanz
eines jungen Mädchens zu,
das geopfert werden soll,
um den Gott des Frühlings günstig
zu stimmen. Das war das Thema von
"Le sacre du printemps".
(Igor Strawinski)
Während anderswo noch Wunden geleckt, Fahrzeuge neu betankt oder Nagelketten gesucht werden, also grad als der Pulverdampf sich lichtet... dämmerte mir aus der Ruhe des geziemlichen Abstands des B-Bloggens heraus schon wieder (!) eine Erkenntnis.
Letztes Jahr bereits wies ich auf einen auffälligen Umstand hin: dem zyklisch auftretenden Bloggerkrawall. Die erste Arbeitshypothese lautete ja noch, es handele sich um eine Art Warmraufen vor größeren Bloggertreffen (übrigens so gewohnt einfühlsam wie hart am Leben von Lisa9s ToonCam festgehalten). Aber dann habt Ihr mir da draußen was Wichtiges verschwiegen, Ihr Schweine meine Freunde. Von einem solchen Treffen weiß ich nichts.
Nun bin ich nie verlegen, notfalls auf die Schnelle eine neue Hypothese aus dem Ärmel zu ziehen. Versuchen wir es also einmal so: Mittlerweile anekdotische Blogger-Flame-Wars wie "Hinter Belle de Jour steckt in Wahrheit Don Dahlmann", die Affäre der "notorisch unterfickten Brotspinne" und die seinerzeit berüchtigte "Marienerscheinung" traten, so weit ich es erinnere, immer zwischen März und April auf.
Es scheint sich um eine Art Frühlingserwachen zu handeln. Mit dissonanten Stakkatos wie bei Strawinski, eine Opfergabe an den dionysischen Gott des zucht- und ordnungsbefreiten Bloggens. Ein allgemeines Freischwingen eingerosteter Griffel, vergleichbar dem Bastabscheuern der Geweihe und dem Recken phallischer Hilfsmittel aller Art. Dieses Jahr schreiben wir zwar schon Ende Mai. Aber mal ehrlich, war der Winter nicht besonders hart und andauernd? War die Sehnsucht nach befreiendem Krawall nicht lange unterdrückt? Und:
Ist der Sieg der finnischen Monstertrolle beim Liederfest in Athen mit diesem Wissen noch verwunderlich zu nennen?

Montag, 22. Mai 2006
Ich fahre ja kein Auto. Ich würde allerdings nicht nein sagen, wenn mir jemand einen Buckelvolvo vor die Tür stellte. Allerdings für deutlich länger als vier popelige Wochen. So billig darf das nicht sein. Vielleicht würde ich mich auch von einer Brausefirma nach, sagen wir mal, Tokio schicken lassen, um von dort zu bloggen. Aber auch nicht für jeden Brausefritzen. Vielleicht würde ich auch für Wolford den Ringelstrumpftest machen oder als "La Perla"-Blogger Herz und Nieren testen. Mag sein. Wer weiß, wo der eigene Preis liegt. Ich habe da aber auch ziemliches Glück, mich fragt halt keiner.
Bei einer Autofirma, deren Werbestrategen notorisch nichts dabei finden, ungefragt Underground und Ex-Underground-Rockgrößen auszuschlachten (Tom Waits, Iggy Pop), wäre ich allerdings hellhörig, wenn es um Dinge wie Authentizität und Glaubwürdigkeit geht. Spätestens aber, wenn ich diesen TV-Spot gesehen hätte, bei dem es um eine Geschlechtsumwandlung geht, hätte ich die Nase voll. Wahrscheinlich fanden die Werbejungs und -mädels das furchtbar witzig und haben sich endlos auf die Schenkel geklatscht. Warum nicht mal Witze über die Not von Transsexuellen machen?
Ein Bierzelt-Brüller!
So als wäre eine Geschlechtsumwandlung etwas, was man mal eben machen läßt, wie ein billiges Tattoo vielleicht, nach einer durchzechten Nacht auf der Reeperbahn.
Spätestens dann würde ich die Karre wieder auf den Hof fahren, die Schlüssel auf den Tisch legen und sagen, was der Held in Melvilles "Bartleby, the Scrivener" sagte, als er sich der Wall Street verweigerte: Danke, ich möchte lieber nicht.

Sonntag, 21. Mai 2006
Das Leben und der Flohmarkt lehren: Irgendwas fehlt immer. Da heißt es improvisieren. Mal über seinen eigenen Buchstaben springen. Das hohe C gerade sein lassen. Und bevor man das Alphabet vor dem Abend lobt, nachschauen, wie die Zahlen stehen. Es sind nämlich auch nicht alle Ziffern im Schrank.
Aber die wichtigsten schon, ein Glück.

Freitag, 19. Mai 2006
Post aus Berlin? Nicht immer bettet Freude sich beim Nennen dieser Stadt. Neulich aber frohe Kunde im Briefkasten. Ein Geschenk von der Strychnin-Galerie.
Was Mrs. Young mir schickte, was birgt der schwarze Schrein?
Das Geheimnis nicht zu lüften, so tapfer muß ich sein.
Heute abend jedenfalls mache ich mich auf die Suche nach meinem inneren Kind. Stapfen durchs Dunkel, huh, huh, und dann womöglich die ein oder andere schwarze Träne verdrückt. Paul Booth, Großmeister der Tätowierkunst, zeigt zehn neue Gemälde und setzt vielleicht die Nadel an. Ich möchte die betenden Hände, einen Engel und Flügel, mit denen ich über der Stadt schwebe. Über mir selbst am besten. Was braucht man für einen Motor, wenn das Herz so pocht? Ich bringe Regen mit, ein kleines Geschenk. Ich bringe zwei oder drei Gedanken mit, das Bild eines blutenden Fingers und schreibe alles auf, was ich sehe, höre und schmecke. Da in der großen Stadt, in den tiefen Kellern, am Rande. Am Rande von irgendwas.
(Paul Booth, The Inner Child. Noch bis Mitte Juni in der Strychnin-Galerie, Berlin.)

Donnerstag, 18. Mai 2006
Ricky King, der "hervorragende, manchmal zu Unrecht unterbewertete Gitarrist" [sic!], ist nach wie vor musikalisch aktiv. So gibt er am Samstag ein Konzert in Coswig (Kreis Meißen) und im Augst in Horumersil, Durchhausen und Weinheim. Hans Langenfelder, wie Ricky King mit bürgerlichem Namen heißt, mag laut Internet Blau- und Brauntöne, Pferde, Rosen, Beatles, Barbara Streisand, Celine Dion, Julio Iglesias, Cliff Richard, Hank Marvin, während er Abhängigkeit, Intoleranz, Heimlichkeiten und Aufdringlichkeit nicht mag. (via)
(aus: Dinge, die man immer mal wissen wollte. Danke an für Text und Recherche.)

Mittwoch, 17. Mai 2006
Vor zwei Jahren sah ich die etwas umfangreichere Version der Ausstellung in der Berliner Galerie Camera Works. Dort lernte ich auch den Fotografen Elliott Erwitt über gemeinsame Bekannte kennen, schlug dummerweise eine Einladung zum Essen aus, und muß mich bis heute fragen, wieso ich mit dem Präsidenten der Agentur Magnum nur ein paar launige Worte wechselte, anstatt ihm gleich mein Portfolio unter die Nase zu halten.
Erwitt ist ein sehr humorvoller älterer Herr, aber das ahnt man gleich, wenn man seine Fotos kennt. Berühmt sind neben seinen Porträts von Leinwandhelden die Aufnahmen aus dem Central Park, auf denen meist Frauenbeine mit irgendwelchen ridikulen Hündchen zu sehen sind. Hunde, Hände und menschliche Selbstentlarvung in skurrilen Momenten voller Alltagskomik sind seine Themen, dabei ist er nie boshaft, immer nur schalkhaft. Entspannt und leicht ein wenig verloren wirkt er, dabei ist er hochwach und zu Späßen aufgelegt. Ebenso nett übrigens seine Frau, die mich auf der Vernissage wiedererkannte und sich erinnerte, daß ich - sagte ich es bereits? - dieses Essen ausgeschlagen hatte. Ich bin sicher, der Mann hätte es reizvoll gefunden, wenn ich mir einfach ein Käsebrot bestellt hätte.
(Elliott Erwitt, Personal Exposures,
noch bis zum 12. Juli in der Galerie Robert Morat, Hamburg.)

Montag, 15. Mai 2006
Mützen aus Ruß dem nackten Schläfenbein,
Zur Marseillaise, dem alten Sturmgesang.
(Georg Heym, "Berlin III". 1910.)

Och nee, nicht der schon wieder. Doch, doch. Die dritte Station meiner kleinen Lesetournee führt mich also in die ewig heitere Stadt. Berlin, du dumpf brüllender Moloch, Heimstadt moribunder Menschen... Äh, ja.
(Sorry, got carried away.)
Die geschätzte Frau Modeste hat geladen und so ist es mir eine Freude, die Arbeit an den doppelköpfigen Kälbern kurz beiseite zu legen und in drei Wochen mit den Herren Burnster und Ole aus Absurdistan total wahre Geschichten, strammnüchterne Berichte sowie aus Beipackzetteln garantiert rezeptfreier Kräutermischungen zu lesen. Wie immer nehme ich auch die Beichte ab, kuriere Zahnleiden und schwindsüchtige Tiere und schwitze biblische Motive in mein T-Shirt. Spontane Seligsprechungen vor Ort nach Absprache. Um freundliche Anteilnahme wird gebeten, außer, Herr Burnster plant etwas anderes.
Wir sind bis dahin flitzegespannt.
