
Donnerstag, 30. März 2006
Der November kommt auch immer früher.

Mittwoch, 29. März 2006
Frau Ministerin hat mir geantwortet. Auch wenn es Anlaß zu der leisen Vermutung gibt, daß sie ihr zweiseitiges Schreiben nicht ausdrücklich für mich persönlich aufgesetzt hat, so muß man gerade in diesen Tagen ja dankbar sein für jede Antwort. Eine ihrer vielfach publizierten Aussagen sei hier zitiert:
In der Praxis ist es aber so - und das wird auch zukünftig so bleiben -, daß die Staatsanwaltschaft geringfügige Fälle nicht verfolgt, auch wenn dazu nicht die ausdrückliche Regelung getroffen werden wird, wie sie unter dem Stichwort "Bagatellklausel" diskutiert wurde. Dazu gehören alle Fälle einzelnen illegalen Kopierens oder Downloadens durch Endverbraucher. Das ist in der Begründung zu dem Gesetz noch einmal besonders klargestellt.
[...]
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Brigitte Zypries
Ich weiß nicht, ob man sich auf diese Ankündigung wird verlassen können, der Geist von Norbert Blüm weht kurz vorbei. Ein Gelegenheitsraubbrüher wie Nico Lumma aber wird sich im Zweifel sicher gern auf Frau Zypries berufen.
Ach ja:

Das kleidsame T-Shirt gibt es hier.

Die Elster schreit nach dir.
(John Donne, 1624)
(Edgar A. Poe, "The Elster", 1845)
In diesen Zeiten des Jahres sitzen sie wieder, die Skribenten, Tätigen und Erwerbenden. Den Zehnten zu berechnen, den Obolus. Und während draußen ein schauriger Sturm sich zusammenbraute und Scharen von Raben sich furchtsam am Himmel zusammenduckten, begab auch ich mich unter den Schein einer blakenden Kerze, um zu zählen, was zu zählen war. Das argwöhnisch glänzende Auge der Elster beobachtete mich, als ich mit gespitzter Zunge und noch spitzerem Stifte Kolonne um Kolonne von Zahlen addierte, Prozentsätze bildete und gegenrechnete. Doch je länger ich zählte und fügte, bald hierhin rechnete und auch zurück, um so mehr Ergebnisse schrieb ich gleich nieder in meiner vergilbten Kladde. Ergebnisse, die sich bald widersprachen, bald sich gegenseitig die mathematische Zunge herausstreckten und die Elster, das sicherlich vogelvergrippte Vieh, in höhnisches Gekrächze fallen ließen.
Verzweiflung sank nieder, wie ein blutendes Tier im Heckengebüsch. Oh Himmel, oh Wetter, oh steinerne Brück' ins fiskalische Land! Doch weder Gebete noch vogellahme Versuche, dem wachsamen Blick der Elster zu entgehen, brachten Erlösung ins kummervolle Dasein.
So warf ich mich heute in meinen Kafka-Anzug und begab mich am Türhüter vorbei in die Flure der Verwaltung. Dem Mann in der Stube berichtete ich bald (oh ja, man wartet nicht lange in der Verwaltung, denn die Stunde ist nahe, auch für dich, o Leser!) von meinen kläglichen Versuchen der Addition. Vom Ringen und Schwitzen, Klagen und Zweifeln sprach ich zu ihm, während ich dem Kreischen der Vögel lauschte, das lauter zu hören war als jemals zuvor.
Der Mann beugte sich zu mir und flüsterte vertraulich, damit ihn die Raubbrut des Himmels, nicht hören mochte. "Wir wissen doch auch nicht, " verstand ich sein Wispern. "Wir kommen doch selbst an die Daten nicht ran." Ich möge doch hingehen und in all meiner Demut und zu erwartender Ehrfurcht meine Zahlen so nehmen, wie ich sie denn dächte. Man würde sich schon melden, bald melden würde man sich bei mir.
ich dem Schnabel sich entringen,
ob die Antwort schon nicht eben sinnvoll
und bedeutungsschwer
Nun dachte ich stille, nichts weniger wäre mein Begehr, kaum größer kennte ich eine Fürchtung! Sie werden sich melden! murmelte ich, kaum zurück auf der Straße. Sie werden sich melden!
Jetzt sitze ich hier - brütend über Ungewissem - und höre das Schwirren der Elster. Ihr heiseres Krächzen, den Flügelschlag. Ich füttere sie mit Kolonnen um Kolonnen, Zahlen um Zahlen und bange, ihr ein Wort zu entlocken: "Ah, du prophezeist ohn' Zweifel, Höllenbrut! Ob Tier, ob Teufel - ob dich der Versucher sandte, ob ein Sturm dich ließ hierher".
Wird die Jahresfron nicht einst ein Ende haben? Spricht die Elster: "Nimmermehr!"
Zitate: E. A. Poe, "Der Rabe". Übersetzt von Hans Wollschläger.

Dienstag, 28. März 2006
Transparency International Deutschland
zum Thema Whistleblowing
In eigener Sache scheint mir Transparency International Deutschland solchen Mut nicht sonderlich zu schätzen. Der Ethikbeauftragte (!) verlangt von Moni die Löschung eines Beitrags, der persönliche Erfahrungen bei dieser NGO beleuchtet. Als Begründung wird der Schutz von Interna angegeben. Der "Whistleblowerin" werden zudem Strafen angedroht.
Bizarr: In einer späteren Pressemitteilung wurden offenbar just diese Interna von TI-D selbst an die Öffentlichkeit gegeben, nachzulesen beim Rebellmarkt.
(Dort existiert mittlerweile eine umfangreiche Pressemappe zu dem Fall.)
Man möchte meinen. Das aber frei.

Montag, 27. März 2006
We were never being bored
(Pet Shop Boys, "Being Boring")
Mein Leben ist so. Manchmal war es auch so. Aber ganz gleich wie es auch war, es war niemals so so. Ich kenne keine Langeweile, weil ich mich für so vieles interessiere. Das Vergangene, das Zukünftige - und manchmal auch das Gegenwärtige. Ich kenne keine Langeweile, weil ich mich mit interessierten Menschen umgebe. Da wandert man hierhin und auch dorthin, immer neugierig, und wenn nicht so, dann eben so.
Für das Interessante braucht man keinen Zirkus, kein Hochseil und schon gar kein Sicherheitsnetz. Das Interessante liegt oft in den kleinen Dingen. Und ist doch wie die Frau an der Scheibe, das Messer, die Erotik der gefährlichen Artistik.
Das Wagnis im Alltag.
(via W und The Reverse Cowgirl)

Donnerstag, 23. März 2006
Ausgerechnet jetzt, da die neuen Boxen angeschafft sind. Die mit der schicken Lautsprecherabdeckung und dem kleinen auffällig-unauffälligen Markenlabel, wie man es in den Szenekneipen immer sieht. Oder in den Bars, wo man auch mal die leisen Töne deutlich hören möchte, das Wispern, Raunen und Sehnen.
Ausgerechnet jetzt, da die alten Boxen in den Keller entsorgt sind, diese dünnblechernen Quäkkistchen, die einfach so gar nicht in mein Leben passen wollten, weil sie sich so wenig uniform zu den Lärmaggregaten gesellten, die die anderen schicken und kreativen und individuellen Menschen so besitzen. Ausgerechnet jetzt, da es wieder Spaß macht Musik zu hören und ich auch die Bässe wieder spüren kann. Ausgerechnet jetzt, wenn ich auch mal wieder den Verstärker bis zehn fünf aufdrehe und nicht nur bis drei, weil es ab drei anfing zu scheppern und schringern. Jetzt aber, mit den neuen Boxen, kann Patti Smith wieder ihre Pferde über das Land jagen und ins Meer treiben und Neil Young den Killer, diesen Cortez, gleich hinterher. Und wenn dann die Buzzcocks im Hochgeschwindigkeitsrausch ihre Gitarren in kristalline Höhen jagen, dann ist nun auch dafür noch Platz im idyllisch-harmonischen Lautsprecherraum. Dann sitzen wir zusammen, diese Klänge und ich, und haben Spaß und eine Empfindung, die wohl das sein muß, was andere als Freude bezeichnen.
Ausgerechnet jetzt also, da ich gemütlich auf dem Diwan lümmeln könnte und alte Cocteau Twins Platten hören oder die B-Seiten meiner Banshees-Singles, ausgerechnet jetzt zieht die liebe, weil schwerhörige alte Nachbarin unter mir aus.
Den Besen der neuen Mieter habe ich schon gesehen.

Heute habe ich der Ministerin einen Brief eine Mail geschrieben.

Dienstag, 21. März 2006
sind Kulturmensch und Homo ludens
wie sonst selten ganz bei sich.
(Walter Nippes-Ebermann.
Kleine Kulturgeschichte der Haushaltsführung:
Vom Wischen, Moppen und Wäschetrocknen.
Köln, 1998.)


Den ganzen Tag Kunst angucken und ins Tränengefäß weinen kann eine staubige Angelegenheit sein. Von Tierpräparationen wollen wir gar nicht erst reden. Deshalb stellt sich auch im hermetischen Café ab und an (und gerade auch zur Fastenzeit!) die Frage nach der purifizierenden Kraft einer nicht nur mental gründlichen und propertiefen Reinigung.
Nun sind Aufnehmer und Schrubber Handwerkszeuge, die in keinem Haushalt fehlen dürfen, aber mir persönlich geht dieses Gewurschtel aus Wringen, Feudeln und Schrubtuch wieder einfangen manchmal schwer aufs Gemüt. Da kam mir der Bee Mop gerade recht. Ein metallblitzender Zauberstab italienischer Provinienz: Da ahnt man gleich, wenn eine italienische Hausfrau damit klarkommt, reicht es möglicherweise nicht zum Etappensieg bei der Kehrwoche, aber genausowenig gerät man bei der dolce Bodenpflege außer Atem. Man muß ja schließlich bei der Arbeit noch fröhlich singen können, so wie Sophia Loren in Hausboot.
Für den technikbegeisterten Mann sind noch Hebel und Mechaniken angebracht, die es auch hochgewachsenen Menschen ermöglichen, den Putzschwamm wie sonst nur einen Steuerzahler bequem aufs Letzte auszuquetschen. Bei uns daheim nannte man das früher den Kölschen Wisch (schießlich gilt Köln nicht ohne Grund als nördlichste Stadt Italiens): großzügig ein wenig Wasser verteilen und dann lässig elegant mit dem Aufnehmer drüberwedeln (ganz Eilige machen das wie einst Pierre Littbarski mit dem Fuß: Antäuschen, Übersteiger und links vorbei).
Mit meiner Busy Bee macht das alles richtig Spaß: Schwamm schön eintauchen, bis er richtig naß ist, zack-zack mit kühnem Schwung des langen Stabs gewischt - schon kann man sich befriedigt zurücklehnen, glänzen doch Küche und Bad wie geleckt (Reihenfolge beachten!) oder picobello, wie die Bee sagt, die nur Italienisch spricht. Tante grazie! Toll! Das mache ich jetzt jeden Tag. Das habe ich jetzt einmal mit Begeisterung getan. Frühjahr jetzt!
Nächste Folge: Neues vom Haushaltsgerätefriedhof

Montag, 20. März 2006
Dürfte in Hessen Deutscher werden, wer auf Frage 16 der Landesregierung antworten müßte, es seien fast nur unverbesserliche Antisemiten, die den Holocaust als Märchen bezeichneten, aber sie sollten das Recht haben, diese Meinung auch in Deutschland zu äußern?
(Patrick Bahners über das "Geschichtsbild des hessischen Fragebogens" in der FAZ, 17.3.2006)
