Montag, 10. April 2006


Ein Staubhaus grimmer Taten

Persons who are morally squeamish
should not attempt it.

(Assassination: A Primer,
via Gedankenträger)

Dem Verfall zu begegnen ist ein moralisch wertvoller Kampf, den die meisten Menschen am Wochenende führen. Feudeln, Wischen, Staubsaugen, manchmal sogar das Bett frisch beziehen, manche erinnern sich dunkel. Geschirrspülen zählt dabei zu den befriedigensten solcher Tätigkeiten, dicht gefolgt nur vom erhebenden Gefühl, die Wanne vom Abtropfständer von den Kalkablagerungen des letzten halben Jahres zu befreien. Ein wenig Zitronensäure (unauffällig beigemischt) führt da schnell und sicher zum Ziel und hinterher kann man sich daran berauschen, wie kalkiger Schlick den Weg in den Ausguß findet.
Sind die Sedimente entfernt, Schicht um Schicht, füllt das Röcheln und Schnaufen des Staubsaugers die frühlingshafte Luft. Mit begeistertem Gurgeln und Rattern schluckt er das, was andere nur spucken würden. So ist's brav, denkt man, und führt das Rohr in die dunkelsten Ecken.

Das stimuliert die empfindlichen Nerven. Au Rebours, bürste ich den finst'ren Abgrund! Tod, Tod dem bösen Staub! Dieser Kampf ist ein heiliger. Einmal soll eitel Glanz und Freude sein! Bevor es wieder hinabgeht, tief unten, là bas, in die abyssmalen Welten, wo tentakelarmige Haushaltsmonster ihre staubige Saat, ihre krustige Brut in den Räumen verteilen. Ich werde sie vernichten, ein moderner Van Helsing, ein Sinclair, ein Staubmonsterjäger. Als Ninja-Krieger im Haushaltskampf töte ich lautlos, presse das Staubtuch mit einer ebenso raschen wie unerbittlichen Bewegung auf den modrigen Schlund des Monstrums, ersticke das feindliche Wesen - und schleiche zurück, alle Spuren verwischend.


 


Sonntag, 9. April 2006


Der kleine Fakir

Ich bin kein Menschenfeind.
Aber wenn Sie mich besuchen wollen,
bitte kommen Sie pünktlich und
bleiben Sie nicht zu lange.
(Gottfried Benn)

Hurra, endlich kann man in Hamburg wieder auf Flohmärkte gehen, ohne sich anschließend die Eiszapfen aus den Haaren klauben zu müssen. Ehe der große Regen losbrach, war Gelegenheit für eine kleine sonnenbeschienene Spritztour von der Hellbrookstraße zur Alten Rinderschlachthalle. Sprechende Namen natürlich und gute Plätze für Schätze und andere Binnenreime Dinge.

Geht doch, möchte ich da sagen, auch wenn die Ausbeute noch gering war. (Immerhin: ein schönes altes Multimeßgerät mit Analoganzeige für die Radiobasteltage.) Verzückt hat mich dieser Besucherstuhl. Das wäre was fürs Hermetische Café! Da könnte ich die Gäste regelrecht einer Nagelprobe unterziehen. Denn mein Sofa kommt ja demnächst raus. Aus dem einen und auch dem anderen Grund. Zu oft schlafen mir die Leute vor lauter Gemütlichkeit dort einfach ein, anstatt meinen Worten zu lauschen oder sich mit mir gemeinsam auf einen Film zu konzentrieren. Mit solchen Stühlen geschähe das wohl weniger häufig. Außer, ein kleiner Fakir käme zu Besuch. Den würde ich womöglich gar nicht mehr los.


 


Freitag, 7. April 2006


Liebe Hamburger Verkehrsbetriebe,

es mag Euch eine putzige Idee erschienen sein, die Haltestellen in Bussen und U-Bahnen neuerdings von Kinderstimmen vortragen zu lassen. Man ahnt, wie die Gewinner des diesjährigen Vorlesewettbewerbs an Hamburger Schulen in ein kleines Tonstudio gepfercht, mit Limo und Weingummi gefügig gemacht und in kleinen Gruppen um ein Mikrofon plaziert wurden. Zu Gast bei Freunden, mögt Ihr Euch gedacht haben. Und Tiere und Kinder gehen immer gut und wirken supersympathisch.

Aber als jemand, der nun jeden Tag und vor allem jeden Morgen ertragen muß, wie er von diesen hellklingenden Stimmchen angekreischt wird, werde ich mehr und mehr zum Feind.

Ich wünschte mir mehr so was wie das dunkle Timbre von Susi Müller, die mir sanft ins Ohr raunt: "So lieber Fahrgast. Deine nächste Station heißt Dammtor. Aber ob du aussteigen willst oder nicht, das mußt nun du entscheiden."

Herzlichst,

ein Kunde (mißmutig)


 



Der gefundene Satz, 30

Die Technischen Universitäten wurden soeben angewiesen, ihre Diplomstudenten zum Lehramt zu überreden. Ist auch zeitgemäßer, Techniker verstehen wenigstens was von Handys. Und vom Innenleben der Sicherheitsschleusen, die demnächst eine Private Bavarian Security Agency anbieten wird, deren Personal sich aus ehemaligen Sportlehrern rekrutiert, die wegen Burn-out-Syndroms den Schuldienst verlassen haben - und sich jetzt mal richtig gegenüber den Schülern positionieren können.

(aus der Frankfurter Allgemeinen, 3.4.2006.)


 


Mittwoch, 5. April 2006


Die Mäuse, die Menschen und der Müll

Willows fresh and green with every spring
carrying in their lower leaf junctions
the debris of the winter's flooding

(John Steinbeck, Of Mice and Men. 1937.)

Und wieder die Frage: Ist es Konzeptkunstkacke oder haben
die streikenden Verdi-Männer den Spermüll nicht abgeholt?


Die Berlin Biennale reizte dieses Jahr... nicht so wirklich. Jetzt mal ganz subjektiv, aus der Lameng und dem Bauch heraus. Wer was interessantes entdeckt hat, soll schnell laut schreien, Von Mäusen und Menschen, dann berichtige ich das.

Die offenen Ateliers im Tacheles ließen mich ebenso mißmutig zurück (muß man ein bißchen zelebrieren, wenn man schon mal solche Gefühle hat). Ist ja alles ganz nett und alles ganz löblich. Aber halt auch viel "Hippiekitsch", wie die Begleitung meinte. Zusammengelötete Rostskulpturen mit Robot-Chic, so eine Art überdimensionierte Schraubenmännchen, wie man sie auf jedem Flohmarkt findet. Ergreifend.

Dann so Buntgezacktes mit fahrigen Strichen, ich sag mal, Kunstleistungskurs macht mal locker und übt sich in Art brut, aber mehr sage ich auch nicht. Alles sehr löblich und toll, und übrigens hatte die Hälfte der offenen Ateliers geschlossen. Dort lagerten die Schätze, ich bin sicher.

Übrigens riechen diese zugemüllten Berliner Ateliers deutlich ungelüfteter als die Hamburger oder - ganz aus der Erinnerung jetzt - die in Wuppertal. Darüber könnte man vielleicht einmal eine kleine Abhandlung versuchen. ( Der Schweiß der Kunst, Versuch einer Bestandsaufnahme. Hamburg, 2006.)

Interessanterweise allerdings hingen im Tacheles auch zwei Bilder von Gothic-Punk-Chic-Maler John John Jesse - wie kommt der denn dorthin? Möglicherweise auf denselben verschlungenen Wegen wie A Guy Called Gerald, von dem ich sogar noch die Maxi "Voodoo Ray" besitze. So klein ist die Welt. Sag hallo.

Hier regnet es wieder. Ich muß viel gelogen haben, als ich 17 war.


 


Dienstag, 4. April 2006


Kleiner Vogel im Kakteenwald

Sin in my heart
When you grovel at my feet
Oh sin in my heart
It's short and sweet

(Siouxsie and the Banshees, "Sin In My Heart")

Es gibt diese Art von Geschenken, nach denen man sich lange gesehnt hat. Wieder und wieder drückte man sich die Nase an der Scheibe platt, ausgesperrt, auf der falschen Seite, während das Objekt unerreichbar auf der anderen Seite war. So greifbar nah und auf unmögliche Weise außer Reichweite.
Und gleich einem Dreirad, das man keinem Sechsjährigen mehr anbietet, nur weil er es jahrelang begehrte, haben auch andere Geschenke ihren Zeit und ihren Ort. Eine Frage des Zeitpunktes, nicht zu früh und auch nicht zu spät. (Blutwunder und Mirakel bitte nur zu Ostern oder ähnlichen Feiertagen der hohen Art. )

Als dann letzte Woche das Flehen, das ich immer und wieder geäußert hatte, in allen Tonleitern des Begehrens, Bettelns und Beharrens, erhört wurde, plötzlich und unerwartet, lauschte ich vergeblich auf die Resonanz, das Echo, das hinaufdrängende Juchzen, den zustimmenden Chor. Und auch die anschwellenden Geigen und Posaunen, das ganze Orchester.... es blieb stumm.

Man sagt dann für gewöhnlich, oh. Oh, sagt man, muß man denken und wägen, bedenken und abwägen, stellen Sie es aber ruhig hier ab, das Geschenk, das hl. Objekt, den Gral meinetwegen. Ja, willst du nicht trinken, fragen die Stimmen. (Wispern: Das ewige Leben! Das ewige Leben! Kein Bangen, kein Zagen!) Nein danke, sag ich, ich... ich habe gerade keinen Durst. (Denkend: Dieser leichte Geruch von Mandel...) Nachdem man nun wartete und wartete, hatte man eins nur gelernt: das Warten. Und irgendwann zu lange gewartet.

Bei manchen Geschenken hilft dann kaum noch Betrachtung. Ist es schön? Ist es schöner? Nur eines ist sicher: Es ist spät. Macht man das eine, lieber das andere?
Ist das Nein eine Sünde oder Ja bloß ohne Mut? Wenn das Denken nichts nutzt, hat der Bauch eine Antwort.

Ach, kleiner Vogel im Kakteenwald. Das Klingen, das Stillen des Hungers, das zagende Herz. Ich sagte: Ach. Du sagst auch ach, ein Echo, ein Blick, ein Nicken. Wohin willst du flattern, hier ist kein Zweig, kein Ast, kein Baum.

Muß man halt fliegen, drum vielen Dank, es war wirklich nett gemeint. Hingegen, ich möchte lieber nicht, wie es in Melvilles Bartleby heißt. Am Bahnhof am Morgen fällt mein Blick auf das Plakat gegenüber: A Gun For Hire.
Es heißt nicht, "Ein Festangestellter Fotograf Erzählt".


 


Montag, 3. April 2006


Mißmut, Baby!

Ganz genau. I Predict A Riot.


 


Freitag, 31. März 2006


Die kleine Scheibe

Der ganz wunderbar elegische Film Rain erhielt in der ARD noch den Untertitel "Regentage". Es geht um das Erwachsenwerden eines jungen Mädchens, um dysfunktionale Familien, Teenage-Ödnis, ersten Alkohol und Sex - das tragische Ende überrascht dabei nicht. Regisseurin war übrigens Christine Jeffs, die auch Sylvia machte, der mir damals aber nicht so gefiel.

Kurz: Der neuseeländische Film zeigt, das räumt man gerne ein, schöne Landschaften, schwingt dabei aber auf einem beständig melancholischen Grundton. Was um alles in der Welt bewog also 3SAT, diesem Film nun allen ernstes den deutschen Untertitel "Wetterleuchten am Kiwi-Strand" geben zu wollen? (Läuft am 18. April, Trailer gibt es hier. Unbedingt anschauen.)

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Noch einmal Fernsehen, ARTE diesmal. Am 31. März, also heute abend (ab 20.40 Uhr), laufen dort beide Teile von Sex Traffic. Ein unglaublich bedrückendes Dokumentarfilm Thriller-Drama über zwei Schwestern aus Moldawien, die zur Prostitution gezwungen werden und von Menschenhändlern (geht eigentlich immer nur in der stehenden Wendung "skrupellosen Menschenhändlern") quer durch Europa verkauft, vergewaltigt und mit dem Tode bedroht werden. Kotzeimer neben dem Fernseher nicht vergessen, denn es könnte eben doch eine Doku sein.

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Schade, daß eine möglicherweise wichtige Anlaufstelle für Informationen zu oben erwähntem Thema sich hinter so einer überladenen und leseunfreundlichen Seite regelrecht verbarrikadiert. Vielleicht lieber ein Hinweis auf die Aktion Abpiff, die zur Fußball-WM gestartet wurde.

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Kleine Vorschau auch zum 19. April. Dann wiederholt die ARD das Familien- und Justizdrama In Sachen Kaminski. Basierend auf einem authentischen Fall und großartig gespielt von Juliane Köhler und Matthias Brandt, stellt der Film eine Frage zur Diskussion: Dürfen geistig herausgeforderte Menschen (Stichwort: schlicht, aber lieb) überhaupt Kinder haben? Das Jugendamt und die Gerichte bis hin zum Bundesverfassungsgericht finden, nein. Am Ende entscheidet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechtsfragen.

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Wer die melodramatische Zuspitzung des hervorragend inszenierten Films (Regie: Stephan Wagner) bemängelt, möge bedenken, daß der wahre Fall noch viel härter war: Fünf Jahre kämpften die Eltern um ihre Kinder, die diese Zeit getrennt von einander in verschiedenen Pflegefamilien verbracht hatten.

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Es gibt auf der Seite der neuseeländischen Regierung einen Punkterechner für Einwanderungswillige. Man braucht mindestens 100. Ich habe 125. Aber noch kein einziges Schaf.

Super 8 | von kid37 um 14:08h | 6 mal Zuspruch | Kondolieren | Link