
Montag, 24. April 2006
Die Schweizer Fotografin Alexandra Crespi ist so eine, die geht nah ran. Mit einem Punch, wie ein Boxer, hart, ein wenig roh vielleicht. In ihren Porträts holt sie die Menschen und Körper aus dem diffusen Raum, entkernt die Schatten und entblößt die Gesichter, zerbeult, getroffen, schutzlos, all battled und bruised. Genau anders herum ihre Raumerkundungen. Der nackte Körper scheint in den kargen, zerschlagenen Raum zu diffundieren, sich aufzulösen, in Wände, Struktur und Verfall. Technisch recht simpel, unaufwendig. Begrenzte Zonen aus Licht und Schärfen als wiederkehrender Stil. Aber immens beeindruckende Protagonisten.

Freitag, 21. April 2006
Zu den schönsten Flohmarktfunden zähle ich alte Scrap-Books und Fotoalben. Hin und wieder kaufe ich ein paar Sachen, so wie der Held aus One Hour Photo, und denke mir die fehlenden Geschichten aus.
Vor fünfzehn Jahren ging ich spät nachts noch durchs regnerische Tal auf dem Weg zu meiner Freundin und wurde durch einen wahren Schatz vom Wege abgebracht. Es war Sperrmülltag, und jemand hatte säckeweise alte Fotos rausgestellt. Vieles war naß geworden und zerstört, vieles andere war einfach viel zu viel, aber eine kleine Tüte voll habe ich doch gerettet. Seit Jahren liegen sie in einer Blechdose verstaut: Eine Familiensaga vom 1. Weltkrieg bis in die 50er Jahre, als einer der Söhne in Amerika heiratete.
Die Familie, kleine Fabrikanten, so vermute ich, tritt noch heute ab und an aus den Schatten des Vergessens heraus. In Fotos, die beide Weltkriege zeigen, Interieurs, Ausflüge und die großen und kleinen Festlichkeiten. Leider sind die meisten Bilder undatiert (Kleiner Hinweis: immer schön Fotos hinten beschriften, falls ich die mal auf dem Flohmarkt finde. Vielen Dank.), was die historische Einordnung erschwert, die Fantasie aber um so mehr anregt. Sozial- und kunstgeschichtlich eine hübsche Aufgabe, mehr noch aber ein Steinbruch unendlicher Assoziationsketten.
Demnächst stelle ich das ein oder andere näher vor.

Donnerstag, 20. April 2006
Sie sind wie Krebse. Mit ihren Scheren klammern sie sich an das bißchen, was sie haben, gehen immer nur noch seitwärts, beharrlich, stur. Und ängstlich vor jedem Schritt nach vorne.

Mittwoch, 19. April 2006
It's got to hurt a little bit.
(New Order, "Subculture")

Die Karfreitagsprozession in Wuppertal - im Volksmund auch Regenschirmprozession genannt aufgrund der oft schwierigen Wetterlage im Tal - hat seit Jahren eine feste Tradition. Während sich anfangs nur ein paar hundert Leutchen, Mitglieder der italienischen Gemeinde zumeist, in der Stadt versammelten, um den Leidensweg Christi nachzustellen, ist das ganze mittlerweile zu einer durchorganisierten Großverstaltung gewachsen. Die Darsteller tragen drahtlose Mikrofone, die Kostüme sind aufwendig und das (Er-)Barmer Blasorchester fügt den inbrünstig gemurmelten italienischen Gebeten von der Maria voll der Gnade die nötige bergische Schwermut hinzu.
Man muß sich das mal vorstellen: da vermissen italienische Gastarbeiter ihre katholischen Traditionen aus Süditalien und beginnen, diese in einer Stadt, die das Feiern nur im Verborgenen kennt, aufleben zu lassen. 5000 Menschen folgten dieses Jahr dem feierlichen Zug auf die Wuppertaler Höhen. Bei weitem nicht nur Italiener, und so kam es nicht von ungefähr, daß in der zweisprachigen Predigt der Zusammenhalt und die Toleranz der Kulturen und das gute Zusammenleben von Italienern und Deutschen hervorgehoben wurde. Multikulti mag tot sein, in solchen Momenten funktioniert es einfach. Und man muß nicht an den allmächtigen Schöpfergott glauben, um universelle Lebensweisheiten über Opferbereitschaft, Liebe, Verrat, Tapferkeit, Erniedrigung und Hingabe für sich abzuleiten. Wer einmal eine größere Darbietung volksfrömmiger Hingabe erlebt hat - Ste Anne de Palud ist ein weiteres Beispiel - muß schon hart im Herzen und hochmütig im Geiste sein, will man sich den tieferen Botschaften verschließen.
Eingestimmt wurde ich, als ich eine Exfreundin aus seligeren Wuppertaler Tagen traf, die ihre Haare nach wie vor leuchtsignalfarben unübersehbar trug. Vor ein paar Jahren entdeckte sie meine grauen Strähnen und meinte in der ihr eigenen Herzlichkeit, "alt bist du geworden". Nun dachte ich ebenfalls, ein wenig uncharmant vielleicht und daher nur leise, "alt ist sie geworden", so wie man es an seinen Kindern merkt, wie die eigene Zeit vergeht.
Wer keine Kinder hat, wie ich, liest den eigenen Verfall nicht am Flug der Vögel ab, sondern am Werden und Vergehen der ihm gut bekannten Menschen. Aber was rede ich, sie sah natürlich, anders als ich, sehr gut aus und ihr aktueller Freund vielleicht sogar eine Spur besser noch. Was immer irgendwie blöd ist, erwartet man von seinen Exfreundinnen doch die Höflichkeit, daß sie sich - wenn sie schon nicht ins Kloster gehen - wenigstens verschlechtern mögen und beispielsweise an eben dem langweiligen Typen hängenbleiben, den man früher in der Schule immer verlacht hat.
Dergestalt also an die Tugend der Demut erinnert, war ich innerlich bereit für das Spektakel, das nun folgen sollte.
Der Herr Jesus wurde wie in den Vorjahren von einem feschen jungen Italiener gespielt, dem mit seinem unschuldigen Gesicht, der blutenden Stirne und dem zerzausten Haar sicher einige jungfräuliche Herzen vom Wegesrand aus zuflogen. Seine Mutter heißt übrigens Maria, was seiner Glaubwürdigkeit in fast unerschütterliche Höhen überführt.
Im Deweerth'schen Garten beginnt die Prozession traditionsgemäß mit dem Gebet von Gethsemane und der berüchtigten Szene, wo der verschlagene Judas dem lieben Herrn Jesus den verräterischen Kuß gibt. O, falsche Freundlichkeit, du herzlose Natter! Man kennt diese Bussi-bussi-Gesellschaft.
Auf dem Laurentiusplatz, gegenüber dem Kaffee Engel, wusch bald Stadthalter Pontius Pilatus seine Hände in Unschuld. Das Volk skandierte und schickte Jesus endgültig in den Tod.
Auf dem Rathausmarkt, am Neptunbrunnen, residieren für gewöhnlich Randständige und konsumieren ihr Bier. Man meint ja, daß die sich heute schwer gewundert haben dürften, als plötzlich ein paar tausend Menschen aus der Fußgängerzone auftauchten und sich um sie herumgruppierten, darunter eine Gruppe Römer in voller Montur, die sozusagen einen der ihren drangsalierten. Doch nicht so im bibelfesten Wuppertal.
Denn nachdem die Prozession weitergezogen war, meinte einer der Berber zum Kollegen: "Ich war ja zwei Jahre im Kloster, woll."
"Ach watt."
"Doch, war so. Un' ich kenn die Geschichten nämlich alle."
Nicht ganz so die Lage auf der Hardt. Die Wuppertaler Parkanlage wird jedes Jahr zum Golgatha, dem Schädelberg. Nachdem ich die Anhöhe mühsam erklommen hatte, bot sich mir ein tolles Panorama auf eine Kavalkade bußfertig erhobener Regenschirme, denn pünktlich zum traurigen Höhepunkt der schmerzensreichen Leidensgeschichte, hatte sich der Wuppertaler Himmel bedrohlich verfinstert.
Genervte, aber in Bibelkunde versierte Väter hievten ihren neugierigen Nachwuchs auf die Schultern und mußten den nur diffus vorinformierten Blagen geduldig die Sachlage erklären.
"Ist der Jesus jetzt tot?"
"Noch nicht. Gleich."
"Ist jetzt gleich? Ist er jetzt tot?
"Dauert noch ein bißchen."
"Wenn der Jesus tot ist, können wir dann gehen?"
In diesem Augenblick wurde mir klar, daß es es diese einfühlsamen Kommentare vor 2000 Jahren sicherlich bereits auch schon gab. Als schaulustige Väter ihren Kindern die Geschehnisse auf dem Richtplatz erklären mußten. Höchstwahrscheinlich, so möchte ich vermuten, fiel dabei aber nicht der Satz "Willst du noch ein Stück Schokolade, Anna-Maria?"
Die melancholischen Posaunen erklangen und die Menge fand mit schwankenden Stimmen in das Lied von Paul Gerhardt. Immer wieder griff ich in meine Tasche voller Dornen, und ich schwöre, am Ende zeigte meine Handfläche ein ganz klein wenig Blut.
Die Kreuzigung war übrigens sehr schön.

Montag, 17. April 2006
Ostern hat nicht nur Schokoladenseiten.

Donnerstag, 13. April 2006
The endless seed of mystery,
The thorn, the veil, the face of grace,
The brazen image, the thief of sleep,
The ambassador of dreams, the prince of peace.
I am the sword, the wound, the stain.
Scorned transfigured child of Cain.
(Patti Smith, "Easter")
Nun gehe ich fort. Die Kerze anzünden, den Blick in die Morgenröte halten. Überhaupt: inne halten. Morgen ist Freitag, da werde ich denken: Das Fleisch, die Wunde, das Ende der kargen Zeit. In den letzten Wochen, Monaten war so viel zu denken, noch mehr zu glauben und wenig zu sagen. Zuviel Funktionieren auch und zu wenig Versuchen, Tasten, Probieren. Hier muß es wieder raus aus den flachen Gewässern, mehr ins Licht, noch mehr vielleicht aber in die Dunkelheit.
Die streunenden Hunde, die falschen Rotkäppchen liegen lange am Waldrand schon zur Ruhe. "Wie Schatten hinter schwarzen Büschen stehen" (Trakl). Sangre de Dios, mag es also tropfen im dunklen Gehölz. Kein Kain, kein Abel, kein böserer Bruder.
Danach aber folgt das Osterfest. Der Stadt und dem Erdkreis. Auferstehung, Licht und all überall hoppelnde Kaninchen. Astartentanz auf der Mümmelmannwiese.
Ich ziehe dann weiter. Im Osten, so heißt es, wartet auf mich ein Tanz um ein Martiniglas. Eine Verheißung, der ich mich gerne hingebe. Frohe Ostern.
Seid bis dahin so brav wie ich es bin.
(via The Reverse Cowgirl)

Die Süße Traurigkeit wird man in einem gewissen Alter wohl nicht wiederfinden.
Ich glaube, die Süße Traurigkeit ist der angenehme Anfangsschauer gewesen der bitteren Traurigkeit.
(Dieter Roth. Da drinnen vor dem Auge - Lyrik und Prosa. Frankfurt/Main, 2005.)

Mittwoch, 12. April 2006
Ich hätte nicht gedacht, daß die Anschaffung eines TFT-Monitors so ein Drama sein könnte. Vielleicht sollte ich noch vor dem retardierenden vierten Akt das Theater verlassen und einfach einen Eizo kaufen.
Theater allerorten. (Nein, eigentlich nur an dem immergleichen, dafür altbekannten.) Geht mich diesmal zum Glück nichts an.

Apropos über andere Leute reden. Naughty James hat bekanntlich Sarah G. (das ist die mit den hier allerdings unvorteilhaft wirkenden Ringelstrümpfen) zum Jahreswechsel bekanntlich was versprochen. Details wissen wir natürlich nicht, aber anscheinend läuft da jetzt was mit dieser Asiatin, und ich vermute, es war Sarah selbst, die neulich in den Kommentaren eine wichtige Frage stellte.
Sobald Craig wieder erwacht, wird ihn dieses Auge verfolgen. (Nicht das surrealistische You-know-where, sondern das Poe'sche!)
Das hermetische Café hat jetzt eigene Cheerleader. Betrachten Sie Herrn Kid und seine Pompon-Girls.
Zauber der deutschen Sprache, die immerhin elegante und lobzupreisende Verse hervorbringt wie "Haufenweise Sonderpreise".
