Damit muß man rechnen

Frag nicht, nach wem die Elster schreit.
Die Elster schreit nach dir.

(John Donne, 1624)
Quoth the Elster: Nevermore!
(Edgar A. Poe, "The Elster", 1845)

In diesen Zeiten des Jahres sitzen sie wieder, die Skribenten, Tätigen und Erwerbenden. Den Zehnten zu berechnen, den Obolus. Und während draußen ein schauriger Sturm sich zusammenbraute und Scharen von Raben sich furchtsam am Himmel zusammenduckten, begab auch ich mich unter den Schein einer blakenden Kerze, um zu zählen, was zu zählen war. Das argwöhnisch glänzende Auge der Elster beobachtete mich, als ich mit gespitzter Zunge und noch spitzerem Stifte Kolonne um Kolonne von Zahlen addierte, Prozentsätze bildete und gegenrechnete. Doch je länger ich zählte und fügte, bald hierhin rechnete und auch zurück, um so mehr Ergebnisse schrieb ich gleich nieder in meiner vergilbten Kladde. Ergebnisse, die sich bald widersprachen, bald sich gegenseitig die mathematische Zunge herausstreckten und die Elster, das sicherlich vogelvergrippte Vieh, in höhnisches Gekrächze fallen ließen.

Verzweiflung sank nieder, wie ein blutendes Tier im Heckengebüsch. Oh Himmel, oh Wetter, oh steinerne Brück' ins fiskalische Land! Doch weder Gebete noch vogellahme Versuche, dem wachsamen Blick der Elster zu entgehen, brachten Erlösung ins kummervolle Dasein.

So warf ich mich heute in meinen Kafka-Anzug und begab mich am Türhüter vorbei in die Flure der Verwaltung. Dem Mann in der Stube berichtete ich bald (oh ja, man wartet nicht lange in der Verwaltung, denn die Stunde ist nahe, auch für dich, o Leser!) von meinen kläglichen Versuchen der Addition. Vom Ringen und Schwitzen, Klagen und Zweifeln sprach ich zu ihm, während ich dem Kreischen der Vögel lauschte, das lauter zu hören war als jemals zuvor.

Der Mann beugte sich zu mir und flüsterte vertraulich, damit ihn die Raubbrut des Himmels, nicht hören mochte. "Wir wissen doch auch nicht, " verstand ich sein Wispern. "Wir kommen doch selbst an die Daten nicht ran." Ich möge doch hingehen und in all meiner Demut und zu erwartender Ehrfurcht meine Zahlen so nehmen, wie ich sie denn dächte. Man würde sich schon melden, bald melden würde man sich bei mir.

Staunend hört' dies rauhe Klingen
ich dem Schnabel sich entringen,
ob die Antwort schon nicht eben sinnvoll
und bedeutungsschwer

Nun dachte ich stille, nichts weniger wäre mein Begehr, kaum größer kennte ich eine Fürchtung! Sie werden sich melden! murmelte ich, kaum zurück auf der Straße. Sie werden sich melden!

Jetzt sitze ich hier - brütend über Ungewissem - und höre das Schwirren der Elster. Ihr heiseres Krächzen, den Flügelschlag. Ich füttere sie mit Kolonnen um Kolonnen, Zahlen um Zahlen und bange, ihr ein Wort zu entlocken: "Ah, du prophezeist ohn' Zweifel, Höllenbrut! Ob Tier, ob Teufel - ob dich der Versucher sandte, ob ein Sturm dich ließ hierher".

Wird die Jahresfron nicht einst ein Ende haben? Spricht die Elster: "Nimmermehr!"

Zitate: E. A. Poe, "Der Rabe". Übersetzt von Hans Wollschläger.

Homestory | 11:36h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
reyamm - Mittwoch, 29. März 2006, 15:12
Das ist nun so schön und pfiffig geworden, dass ich fast schon ein Jucken in den Fingern verspüre alsbald mit dem Lohnsteuerjahresausgleich zu beginnen. Sie sind schuld ;-)

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kid37 - Mittwoch, 29. März 2006, 17:53
Ich bin immer schuld. ;-)

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fabe - Mittwoch, 29. März 2006, 15:36
oh da sagen sie was. das steht auch an demnächst.

letztes jahr hab ich irgendwann zuviel gekriegt, die prozente gerechnet die ich rechnen konnte, dinge von denen ich nie gehört hatte als "hab ich nicht" markiert und in ein word-dokument eine liste einnahmen / ausgaben per monat reingeschrieben. das hab ich dann ausgedruckt und als anlage mitgeschickt. hat man sich nicht über beschwert.

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kid37 - Mittwoch, 29. März 2006, 17:53
Ja, so mache ich es auch. Irgendwie erlaubt mir die Elster nicht, mit den tatsächlichen Zahlen zu arbeiten. Aber wenn man fudelt, melden die sich bestimmt wirklich!

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fabe - Mittwoch, 29. März 2006, 19:05
ich nehm immer die formulare auf papier. die sind geduldiger was die kreative mathematik anbetrifft.

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blue sky - Mittwoch, 29. März 2006, 18:17
Auch wenn der Zusatz diebisch zoologisch nicht haltbar ist, bleibt die Elster doch ein Nesträuber, der uns an die sorgsam gehüteten Juwelen Eier will.

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kid37 - Mittwoch, 29. März 2006, 18:30
Ich habe bereits ein paar Überweisungsträger ausgestellt. Auf die Vogelgrippe ist bei diesem Tier ja nicht zu hoffen.

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modeste - Mittwoch, 29. März 2006, 18:19
Für die Elster war ich irgendwie zu blöd, ich habe das von Hand gemacht, und auf einen Extrazettel geschrieben, was sich nicht von selbst erklärt. Jetzt sitzen die Sachbearbeiter vermutlich in der Berliner Pappelallee weinend über dem völlig unnachvollziehbaren Zahlenwust und versuchen nachzuvollziehen, wovon ich eigentlich lebe.

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kid37 - Mittwoch, 29. März 2006, 18:28
Ich z.B. lebe ja von Luft und Liebe. Aber stellen Sie sich vor: Auch diese Möglichkeit bietet dieses Programm nicht an. Aber danke für die Anregung. Ich werde jetzt eine weitschweifige Erklärung abgeben und diese Menschen zum Weinen bringen. Beides sollte mir gelingen.

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yetused - Mittwoch, 29. März 2006, 18:47
Ergänzende Ornithologie
Elstern und Rabentier?

Bei uns gibt's seit neustem Fasane im Garten...

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modeste - Mittwoch, 29. März 2006, 22:01
Ich möchte allerdings nicht verschweigen, dass ich nach Versand meines Papierformulars und den Anmerkungen da nochmal angerufen habe, und sehr liebenswürdig mit der Sachbearbeiterin über die Berechtigung meiner Werbungskosten etc. geplaudert habe. Da sitzen ja schließlich auch nur Menschen, und mit welchem Wohlwollen da einer sitzt, darauf hat man schon Einfluss.

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kid37 - Mittwoch, 29. März 2006, 22:08
Man muß überhaupt festhalten, daß die Menschen dort erstmal sehr entspannt tun. Bislang habe ich die in neuerer Zeit als sehr umgänglich erlebt.

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