
Sonntag, 19. März 2006
I never wanted to be right
Now I'm attracted by the light
And blinded by the sight
(Siouxsie and the Banshees, "Into The Light")

Zum Ausklang dieses eher trüben Wochenendes schnell noch ein aufmerksames Auge oder zwei hierhin werfen oder dorthin. Leichthin.
Es lockt z.B. der diskrete Charme von Robyn Swank, die auf ihrer Seite
Wicked Swank eine Welt zwischen Staub, Blut und Todesnähe präsentiert.
Richtig Spaß macht diese Side-Show to go: Freakshow in my Pocket packt faszinierende Welten in eine Streichholzschachtel, ein grimmes Varieté des eher Ungewöhnlichen.
Nicht alles toll, aber vieles spitze: Craoman erinnert an die zwischentonarmen Arbeiten von Thomas Ott und erlaubt in seinem (französischsprachigen) Blog auch Einblicke in die (teils derbe) Hexenküche selbst.
Steven Tynan zeigt, welche Aufgabe Fotografie als Kunst heute hat: Selbsterforschung, Bildern von Antibildern und Antibilder von Bildern, die man bereits im Kopf hat. Fragezeichen statt Ausrufezeichen. Leben statt Mode. Mut zum Ich und nicht zur Formel. Danke.
Im Krankenzimmer von The Nursing Home muß man schon ein wenig verweilen, um Heilung an Körper und Seele zu erfahren. Die Indikation lautet: Subkutane Illustrationsinjektionen, volle Dosis.
Bob White macht - anders als sein Name vermuten läßt - ziemlich schwarze Fotos: Americana, verblaßte Neonschilder, ein morbides Las Vegas, angeschrabbte Clown-Figurinen und weitere Ikonen des Ausgeträumten.
Und der Ringelstrumpf der Woche kommt diesmal in Rot.

Samstag, 18. März 2006
(Liner Notes zu The Who, "Live At Leeds")
Völlig spackige Idee natürlich, am Wochenende auf die Reeperbahn fahren zu wollen. Dann beginnt auch noch der Frühjahrs-Dom, so daß ich eine halbe Stunde in der vollgepackten U-Bahn mit einer vorglühenden, amorphen, dezivilisierten Humanmasse verbringen muß. Touristische Stimmen mit unangenehmem Akzent fabulieren von "Ich mach die Ischen auf der Herbertstraße klar" und ähnlich pubertärem Stuß.
Der anschließenden Schnitzeljagd durch "die" Läden fühle ich mich nicht gewachsen. Der Tag war schon enervierend genug. Manche Dinge weiß man einfach schon vorher, und sich selbst kennt man ja meistens ebenso gut. Besser sogar als manch anderer.
Zurück in meinem Rentnerviertel, dem Schlummerland der Genügsamen, stapfe ich durch die Reste dieses mittlerweile völlig verdreckten Schnees. Eine Ratte kauert im Schein einer Laterne auf dem Bürgersteig. Erst im letzten Moment spritzt sie zur Seite, flüchtet unter einen Wagen, wohin ihr meine grimmigen Blicke nicht folgen können. Wir sind einander jeder nur des anderen Pack.

Freitag, 17. März 2006
Wie ein Schneeklumpen auf der Tastatur. Aber dreckiger. Hier kann man nicht Spuren hinterlassen. Keine Engel malen. Das Leben als Hundewiese betrachtet.

Donnerstag, 16. März 2006
Der Morgen schiebt mich aus der U-Bahn, aus den Eingeweiden, dem Gekröse der Stadt hinaus ans Licht. Auf dem Rathausmarkt tollt eine Gruppe Japaner durch den Schnee. Sie stehen verteilt um Skulpturen, Rücken an Rücken, so decken sie das Gelände, halten ihre Kameras wie Waffen, schauen auf Displays, als wären es Wärmeradare, die die Bewegungen des Feindes, der Anderen, als rote Lichtpunkte anzeigen. Einer kniet, ein anderer zielt von schräg unten, sich so gegenseitig sichernd, eine Frau steht auf Stufen und lacht in das Strahlen der kleinen Blitze, die plötzlich aufflammen wie Mündungsfeuer aus Handfeuerwaffen. In der Mitte steht gebieterisch der Älteste, wie ein Offizier bellt er Befehle. Tippt auf das Zifferblatt seiner Uhr am Handgelenk, scharf, kurz, laut hackt er Worte wie Kommandos hinaus, dirigiert seine Truppe. Einer einstudierten Choreografie folgend, drehen sich die Paare, wie Schwertkämpfer in Zeitlupe, besetzen immer neue strategische Punkte, lauern, schauen, fotografieren.

Dienstag, 14. März 2006
From the back of the restaurant
And someone is playing a game
In the house that I grew up in
(The Killers, "Smile Like You Mean It")

Samstag 9.30 Uhr
In Hamburg schneit es seit Freitag ununterbrochen. Durch tiefen Schnee stapfe ich zur U-Bahn. Kurz nach zehn geht mein Zug nach Frankfurt, zur Bloggerlesung. Toll.
11.30 Uhr
Zwangsstopp des ICE vor Lüneburg. Notarzteinsatz wegen Personenschaden. Ein Hauch des Hermetischen Cafés scheint mir vorauszueilen. Wo ich bin, ist immer Herbst, denke ich und ahne, daß ich mein T-Shirt nicht umsonst angezogen habe. Toll.
15.00 Uhr
Mit einer Stunde Verspätung Ankunft in Frankfurt. Es regnet, und ich kenne den Weg nicht. Es ist lange her, daß ich zuletzt in der Stadt war. Schnell in die Schirn, dann weiter in die Berliner Straße. Einmal geblinzelt, und man ist am Café International vorbeigelaufen. Die lesende Viererbande trifft sich zum Vorgespräch und kleinem Essen. Wir werden im Schaufenster lesen. Frankfurt serviert mir ein Süßbier, das ich nur aus Höflichkeit trinke. Erfreut, endlich die Gesichter und Stimmen hinter Andrea, Suna und Bandini kennenzulernen. Wegen ihres Akzents überlege ich kurz, spontan mit Suna durchzubrennen. Später wird sich zeigen, daß dies keine gute Idee gewesen wäre. Immerhin erzählt sie angeregt von den Hausschlachtungen bei ihr daheim. Toll.
19.45 Uhr
Im Café International treffen die ersten Gäste ein, während wir vier die Alkoholikafrage klären. Die beiden Damen greifen zum Whiskey, während ich froh bin, so was wie ein richtiges Bier zu bekommen. Toll.
20.15 Uhr
Die Lesung beginnt. Herr Bandini klärt das Publikum über den Ablauf auf, dann startet Andrea Diener souverän den Abend.
Ich lese als zweiter und von den Schwierigkeiten, in Hamburg Hosen und Schuhe zu kaufen. Trotz meiner Ankündigung "Wer lacht, fliegt raus", ist leises Gekicher im Raum zu hören.
Als Suna liest, klingelt ein verficktes dämliches Mobiltelefon. Ich überlege kurz, den Besitzer zur Rede zu stellen, als mir auffällt, daß es mein eigenes ist. Unglaublich. Nie ruft mich einer an, und nun ausgerechnet jetzt. "Unbekannter Anrufer" meldet das Display. Kam wahrscheinlich aus dem Zuhörerraum. Toll.
Suna hat es faustdick hinter den Ohren und rächt sich auf subtile Weise, als sie einen Text über grauhaarige Herren im fortgeschrittenen Alter vorträgt. Im Zuhörerraum wird schon wieder gelacht, lauter diesmal. Ich ahne, warum ich überhaupt eingeladen worden bin. Man braucht jemanden, auf dem man herumhacken kann. Ich räche mich in der zweiten Runde mit einem eher düsteren Text, der dem Vergnügungsmob das Lachen austreiben soll. Später beschäme ich Suna, als ich ihr trotz allem meine Strickjacke leihe. Es ist recht zugig in diesem Schaufenster.
Bandini läßt unter seinem Anzug den Altpunk raushängen und konjugiert fröhlich Begriffe für das männliche Geschlechtsteil auf der Bühne. Ich überlege für einen Moment, Randgruppen zu beleidigen, wähle dann aber kurzentschlossen einen anderen Text. Es wird wieder gelacht, das Publikum ist unglaublich verroht und tut so als würde es sich amüsieren. Ich lasse mich aber nicht foppen, gehe darauf ein und spreche nach der Lesung wie abgesprochen spontan eine blonde Bloggerin an, die in der ersten Reihe saß.
22.30 Uhr
Cool. Die blonde Bloggerin läßt mich wie abgesprochen spontan bei sich übernachten. Toll.
23.30 Uhr
Ich habe einige Hände geschüttelt und bin überrascht, wer alles dort ist. Toll. Wo ist der Herr, mit dem ich immer mal ein Bier trinken wollte?
23.45 Uhr
Keine weitere Zeit für Enttäuschungen. Nette Gespräche, noch mehr Gesichter und noch viel mehr Bier. Ich lache jetzt auch. Es hält sich ja eh keiner an die Spaßfastenzeit. Toll.
Sonntag
Sonne tanken in Frankfurt. Im Palmengarten sehe ich die ersten Blüten. Toll.
Montag 21.00 Uhr
In Hamburg liegt immer noch Schnee. Über vereiste Bürgersteige schlittere ich nach Hause. Schön, wieder daheim zu sein. Toll wars.
Danke noch mal an Herrn Bandini für die Organisation - und allen Zuhörern.
Es hat wirklich Spaß gemacht.
(Fotos übrigens bei Herrn Kristof)

Freitag, 10. März 2006
When you were a kid
It was pretty strange
And things you did
...
You've got to pull yourself together man
You've got to get back on your feet again
(New Order, "Close Range")

Das Gefühl, in Kreisen zu gehen. Zirkeln. In einer großen Schleife ankommen im damals vor all den Jahren. Alte Musik wieder verstehen. Patti Smith, Horses. Tönen lauschen, den bestimmten Klang einer elektrischen Gitarre, den abbrechenden Atem.
Ich wünschte manchmal, du wärst da.
Aber nicht mehr so nah.
Free Money, ich kauf dir ein Flugzeug, Schatz. Von dem gestohlenen Geld. Oder die Geschichte von dem Mädchen, das tot an den Strand von Redondo Beach gespült wurde. "She was victim of sweet suicide". Wir waren Opfer dumpfen Wehleidens. Während ich unten am Ufer nach Steinen suchte, blicktest du plötzlich auf und sagtest, du wollest lieber zurück auf die Party. Ich meinte, die Party sei irgendwo da draußen, gleich bei der Wahrheit und den Außerirdischen, und blieb konzentriert. Wenn man Steine sucht, darf man keine mit scharfen Kanten nehmen. Niemals. Die zerreißen die Taschen, fallen aus der Jacke, und ziehen einen nicht genügend hinab.
Aber nur dann kann man tauchen, zu den feuchteren Steinen, zum nasseren Sand, den tastenden Armen des Tangs. Tief unten in meinem Zimmer bete ich zum Hl. Juda, dem Schutzpatron der hoffnungslosen Fälle.
Dann will ich auf Wolken gehen.
Ich singe nur dein Lied.

Donnerstag, 9. März 2006

Wer am Freitag in Berlin nicht gerade Rattling and Rolling macht, mag vielleicht auf der Vernissage von Tachycardia in der Strychnin-Galerie vorbeischauen.
Kirsten Ferrell und Sean Pierce zeigen neue Werke with a healthy Fuck You! Emotionales Verzücken, blutversüßender Augenzucker und nette Menschen mit Sonnendefizit sind bestimmt nicht zuviel versprochen.
("Tachycardia", bis 10. April in der Strychnin-Galerie, Berlin.)
