
Dienstag, 21. Februar 2006
Herr Bandini hat getrommelt, und ein kleines kosmopolitisches Quartett trifft sich nun passenderweise im Café International zum Plaudern.
Da ich so nett gefragt wurde und denke, daß man auch in der Hessenmetropole Ringelstrümpfe trägt, konnte ich nicht widerstehen. Am 11. März werden also die berückenden Damen Andrea Diener und Suna sowie Herr Bandini und ich ein wenig vortragen. Schön, wenn jemand kommen mag.
Weil es Frankfurt/M. ist, sage ich es aber besser gleich: Wer tuschelt und lacht, dem reiße ich den Spiralblock aus den Händen, daß es weh tut. Nicht, daß mancher vor Mitternacht wieder keinen Schlaf findet.

Montag, 20. Februar 2006
And smashing my mirrors
Turning to see if you're cowardly
Burning the witches with mother religious
You'll strike the matches and shower me
(Echo and the Bunnymen, "Seven Seas")
"Warum spielst du nicht mit deinen Freunden?" - "Die sind alle tot."
Die Brutalität der Kinderspiele. "Eben, der Heuler!" Wer erinnerte sich nicht? Vielleicht nicht die Alpha-Kinder hier im Saal. Doch dann ist Eben tot...
Selten gezeigt, dafür ein heimlicher Klassiker:
Der Schrei in der Stille mit dem damals noch nicht so bekannten Viggo Mortensen. Letzteres tut wenig zur Sache, wirft der spätere Ruhm des Mimen doch bloß ein verzerrendes Licht auf diese grimmige Erzählung aus den Tiefen der 50er Jahre.
Der junge Seth wächst auf im ländlichen Nirgendwo. Sein lebensschwacher Vater betreibt inmitten endloser Kornfelder, verrosteten Autos und anderem Strandgut der Landstraße eine Tankstelle - wenn er nicht billige Vampirgeschichten liest. Die hartherzige Mutter erwartet sehnlich die Ankunft von Cameron (Mortensen), dem von allen vergötterten älteren Bruder. Die Zeit scheint still zustehen.
Doch Stück um Stück entfaltet sich die Katastrophe. Während ein Kindsmörder sein Unwesen treibt, setzt die uneigentliche Sprache der Erwachsenen, ihre ironischen und metaphorischen Wendungen im kindlichen Gemüt von Seth ein schreckliches Mosaik von "Wahrheit" zusammen: Beeindruckt von den Trivialromanen seines Vaters ist er bald überzeugt, daß die englische Nachbarin Dolphin Blue ein echter Vampir sein muß.
In schlichten, aber symbolisch aufgeladenen, streng komponierten Bildern, eine Art bewegtes American Gothic, entwickelt sich der Stoff, aus dem auch die Geschichten von Nick Cave gewoben sind: Platzende Frösche, Blut, Kuhschädel und bigotte Frömmigkeit: Das Grauen entspinnt sich im gnadenlosen Gelb von Sonne und Kornfeld, durch das lautlos ein schwarzer Cadillac als unheilvoller Todesbote gleitet.
Die grauenhafte, eigentliche Wahrheit, entblättert sich dem distanzierten Blick des Zuschauers: Aus der Diskrepanz der unterschiedlichen Interpretationen von "Wirklichkeit" von Erwachsenen und Kindern (deren unbekümmert-anarchische Lust am Töten und Zerstören die fragilen Lügen der Erwachsenenwelt gleichfalls auf den Kopf stellen) entwickelt sich eine Wahrheit, in der die entrückten Symbole eine bedrückend-ver/rückte Wirklichkeit zimmern. Die Suche nach Wahrheit inmitten rigider, fanatischer und naiver Überzeugungen und Vorurteile endet in Mord, Selbstmord und Erschütterung aller Weltbilder. Vom "Albtraum der Kindheit" spricht Dolphin Blue und sagt: "Unschuld kann wie die Hölle sein."
Am Ende, wenn der kindliche Beobachter zum Handelnden wird, ein Urteil spricht und so die Unschuld verliert, wird wie in jedem Märchen die "Hexe" büßen...
Der britische Autor und Regisseur Philip Ridley ("Die Krays") hat bis heute nur drei Filme gedreht. Vor zehn Jahren erschien zuletzt sein "Die Passion des Darkly Noon" (wieder mit Viggo Mortensen und Ashley Judd). Das Schreiben phantastischer Kinderliteratur scheint ihn mehr zu befriedigen (oder die Rechnungen zu zahlen).
Schrei in der Stille (The Reflecting Skin, GB/Kan. 1990.) Regie: Philip Ridley

Freitag, 17. Februar 2006
Wenn sie solche Reden führt, frage ich mich, ob wir nicht eine besonders privilegierte und verwöhnte Generation sind. Aufgewachsen zwischen den Entbehrungen der Nachkriegszeit und den Grausamkeiten der achtziger Jahre, sind wir Kinder unschuldigen Konsums und Erben jener Freiheiten, die die rebellierende Generation vor uns in den sechziger Jahren erstritten hatte. Wir kamen in den Genuß einer freien, vorzüglichen und doch irgendwie trödelnden Ausbildung, lebten dann die nächsten fünf Jahre von der Stütze, um unseren selbstgerechten politischen Überzeugungen hinterherzujagen, und begannen schließlich, in der Medienwirtschaft zu arbeiten und viel Geld zu verdienen. Weder Moral noch Religion hemmten uns sonderlich. Musik, Tanz, Ficken bis zur Besinnunglosigkeit, das waren unsere Götzen. Wir brüsteten uns, die freiesten Menschen aller Zeiten zu sein.
(Hanif Kureishi. Intimacy. 1998.)

Donnerstag, 16. Februar 2006
Bakterien, Bakterien - die mag ich nicht entbehrien! So geht ein altes Medizinerlied.
In Zeiten wie diesen{tm} scheut mancher den Kontakt zu Keim & Co. Der Fotograf Edgar Lissel jedoch hat tobende Mikroben gebändigt und 2001 eine Vanitas-Serie mit lichtsensiblen Bakterien angefertigt. Vergängliches wie Obst und Tier bildete er so organisch nach. Das Raunen im Mikrokosmos, die Poesie des Szientismus.


Mittwoch, 15. Februar 2006
Herr Mequito läßt mich meinen Ringelschal heute stolzer durch den Regen tragen. Der gute Mann liest, wie Herr Kid ein Nilreptil zum Elektrofachmarkt führte. Ich habe es noch nicht hören können, empfehle aber blind: BlogRead
Merci, Herr Mequito!
Nachtrag: Mittlerweile habe ich es gehört - wenn auch auf meinen Computerlautsprechern - und möchte Herrn Mequitos extrem inspirierte Tonschöpfung ausdrücklich empfehlen! (Gerade war der Sever etwas langsam, vermutlich weil sich derzeit unzählige enthemmt kreischende, minderjährige weibliche Mequito Hotel-Fans die Datei laden.)

Im Verkehrsfunk heute morgen bereits die erste Warnung. Ein toter Vogel liege auf der Autobahn. An der Ampel fährt ein Lastkraftwagen an mir vorbei. Firma Sowieso, Germany - Recycling.
Rückgewinnung ist zurecht ein ernstes Thema. Wir sind doch alle schon benutzt. In der Gartenzwergfabrik große Versammlung: Proaktiv werde nun mit uns gesprochen. Und das ganz konkret. Bei dem Wort "konkret" malt die Frau, die es sagt, mit den Händen Gänsefüße in die Luft.
Wie unvorsichtig. In Zeiten wie diesen. Ich schließe halb die Augen und sehe, wie sich flugs die Vogelgrippeviren im Konferenzraum verbreiten. Viele fühlen sich bereits verschnupft. Vielleicht eine proaktive Reaktion.

Dienstag, 14. Februar 2006
Wir verlieren durch sie oft Gutes,
das wir gewinnen könnten,
wenn sie uns nicht Angst machten,
den Versuch zu wagen.
(William Shakespeare)
Zweifel scheinen eine Saat, die langsam aufgeht und alles Jäten übersteht. Der fall from grace, der Verlust der Unschuld, lehrt (dem einen früher, anderen halt später): Ich bin nicht perfekt. Oder: Geduld ist endlich. Unbegrenzt fließen nur Gedanken und die Kunst. Hoffentlich. Mancher Morgen aber zeigt (im spiegelnden Bild des ersten Kaffees) am weißen Hemde plötzlich Blut. Ach, die frühe Milch des schwarzen Tages. Die Locke deines Haars... Ich kehre aus, und so nie wieder. Den Rücken gefüllt mit Zweifel, der Tag um Tag sich schwerer frißt.
Zaun um Zaun. Eingeschnürt zur Weide bis in die Eingeweide. Ich habe dir nie einen Rosenquarz versprochen, heißt es. Alle sieben Jahre, so sagt man, öffnet sich die Tür. Mit geschlossenen Augen oder offenen. Danach gilt das Geschenk nicht mehr, danach nur noch Bedingungen. Danach folgt nichts mehr.
Heute, ein Tag, an dem Postkarten und Blumensträuße regnen, aus Briefkästen quellen, bis sie wie eine eruptive zähe Masse die Bürgersteige überschwemmen, soll alles sein voll Glück und Dings. Ich geh' mit meinem Hammer raus auf den Kanal und zertrümmere das Eis. Denn das ist so meine Art.
Und dann pack ich diesen fetten Mond. Zerre ihn am Schopf, drücke sein käsiges Haupt unter das schwarze Wasser, dort, wo letzte Woche die Kinder spielten. Eine Ruhe ist!, schrei ich ihn an in meinem nachgeäfften Dorfakzent. Was wolltest du, du vollgefress'ner Sack voll Zweifel? Ich lass' ihn gurgeln und seine Grübelmasse spei'n. Bis er ermattet wie ein schrumpelnder Ballon zum brackigen Grunde treibt.
Violently happy. Ach. Und ach. 'Cos I love you. Ach. Und ach. But you're not here.

Montag, 13. Februar 2006
Nur weil wir gerade von der ganz wunderbaren Elizabeth McGrath reden: Pulstreibende Freude im kleinen spinnwebverhangenen Haus, letzte Woche traf endlich ihr im Dezember erschienenes Buch ein. Everything That Creeps ist entzückend aufgemacht (allein der Vignetten-Ausschnitt im Deckel und die Goldprägung!) und gibt einen augenerweiternden Überblick über ihr bisheriges künstlerisches Schaffen: Puppen, Dioramen und Schauerkabinette.

Liz McGrath wird von ihrer Freundin und Kollegin Helen Garber wirklich charmant skizziert: Liz is almost legendary in the underground art scene: this absolutely beautiful woman who creates amazing art pieces, drinks like a sailor, fronted both the visceral punk rock band "Tongue" and her current project with her fiancé [Wer ist der Kerl? Ich fordere ihn sofort heraus...], writer Morgan Slade, "Miss Derringer".
Miss Derringer kann man hier bestaunen - der Name erinnert mich übrigens daran, daß eine gute Freundin ihr Blog "Frau Glock" nennen wollte. Schon das zeugt vom guten Geschmack beider Personen. Die Band jedenfalls ist großartig, die lasse ich auf meinem 38. Geburtstag spielen.
Im Buch signalisieren Kapitelüberschriften wie "Villains and Vermin of Dubious Nature": Hier ist der kleine Ausgestoßene in uns zu Hause. Ein Varieté beladener Gestalten, Insektoiden und Menschen wie du und ich - nur anders! Man kann gar nicht soviel Platz in die Regale bringen, wie man diesen Gefährten des Trübsinns Asyl schaffen möchte.
(Elizabeth McGrath. Everything That Creeps. Last Gasp, 2005.)
