Furchtbare Dinge passieren oft ganz natürlich

Burning my bridges
And smashing my mirrors
Turning to see if you're cowardly
Burning the witches with mother religious
You'll strike the matches and shower me

(Echo and the Bunnymen, "Seven Seas")

"Warum spielst du nicht mit deinen Freunden?" - "Die sind alle tot."
Die Brutalität der Kinderspiele. "Eben, der Heuler!" Wer erinnerte sich nicht? Vielleicht nicht die Alpha-Kinder hier im Saal. Doch dann ist Eben tot...

Selten gezeigt, dafür ein heimlicher Klassiker:
Der Schrei in der Stille mit dem damals noch nicht so bekannten Viggo Mortensen. Letzteres tut wenig zur Sache, wirft der spätere Ruhm des Mimen doch bloß ein verzerrendes Licht auf diese grimmige Erzählung aus den Tiefen der 50er Jahre.

Der junge Seth wächst auf im ländlichen Nirgendwo. Sein lebensschwacher Vater betreibt inmitten endloser Kornfelder, verrosteten Autos und anderem Strandgut der Landstraße eine Tankstelle - wenn er nicht billige Vampirgeschichten liest. Die hartherzige Mutter erwartet sehnlich die Ankunft von Cameron (Mortensen), dem von allen vergötterten älteren Bruder. Die Zeit scheint still zustehen.

Doch Stück um Stück entfaltet sich die Katastrophe. Während ein Kindsmörder sein Unwesen treibt, setzt die uneigentliche Sprache der Erwachsenen, ihre ironischen und metaphorischen Wendungen im kindlichen Gemüt von Seth ein schreckliches Mosaik von "Wahrheit" zusammen: Beeindruckt von den Trivialromanen seines Vaters ist er bald überzeugt, daß die englische Nachbarin Dolphin Blue ein echter Vampir sein muß.

In schlichten, aber symbolisch aufgeladenen, streng komponierten Bildern, eine Art bewegtes American Gothic, entwickelt sich der Stoff, aus dem auch die Geschichten von Nick Cave gewoben sind: Platzende Frösche, Blut, Kuhschädel und bigotte Frömmigkeit: Das Grauen entspinnt sich im gnadenlosen Gelb von Sonne und Kornfeld, durch das lautlos ein schwarzer Cadillac als unheilvoller Todesbote gleitet.

Die grauenhafte, eigentliche Wahrheit, entblättert sich dem distanzierten Blick des Zuschauers: Aus der Diskrepanz der unterschiedlichen Interpretationen von "Wirklichkeit" von Erwachsenen und Kindern (deren unbekümmert-anarchische Lust am Töten und Zerstören die fragilen Lügen der Erwachsenenwelt gleichfalls auf den Kopf stellen) entwickelt sich eine Wahrheit, in der die entrückten Symbole eine bedrückend-ver/rückte Wirklichkeit zimmern. Die Suche nach Wahrheit inmitten rigider, fanatischer und naiver Überzeugungen und Vorurteile endet in Mord, Selbstmord und Erschütterung aller Weltbilder. Vom "Albtraum der Kindheit" spricht Dolphin Blue und sagt: "Unschuld kann wie die Hölle sein."

Am Ende, wenn der kindliche Beobachter zum Handelnden wird, ein Urteil spricht und so die Unschuld verliert, wird wie in jedem Märchen die "Hexe" büßen...

Der britische Autor und Regisseur Philip Ridley ("Die Krays") hat bis heute nur drei Filme gedreht. Vor zehn Jahren erschien zuletzt sein "Die Passion des Darkly Noon" (wieder mit Viggo Mortensen und Ashley Judd). Das Schreiben phantastischer Kinderliteratur scheint ihn mehr zu befriedigen (oder die Rechnungen zu zahlen).

Schrei in der Stille (The Reflecting Skin, GB/Kan. 1990.) Regie: Philip Ridley

Super 8 | 13:44h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
wasserfrau - Montag, 20. Februar 2006, 20:49
Ich hab den Film zweimal gesehen, und auch das zweite Mal ist hübsch ein paar Jahre her. Ein extrem eindrücklicher Film voller Traumata, sodass das Wort "tragisch" nicht mal mehr passt. Und ein verdammt guter Film, den man wirklich nicht vergisst.

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kid37 - Montag, 20. Februar 2006, 21:48
"Alles riecht nach Benzin!"
Diese traumatisierten Charaktere, die Verwundeten. Dieser Sheriff - von den Tieren geplagt - mit seinem zerstörten Auge, eine Gestalt wie aus einem David-Lynch-Film.

Ich mag diese Schlichtheit, mit der diese gewaltigen/gewalttätigen Dinge erzählt werden. Diese streng durchkomponierten, dabei kargen Tableaus - die verwitterten, abweisenden Holzhäuser und Scheunen inmitten schier endloser Kornfelder - und das stille Grauen dahinter. (Ich habe den das erste Mal im Kino gesehen, diese gewaltige schlichte Landschaft, diese Beschränkung auf wenige Farben auf großer Leinwand - großartig!)

Dann der perfide Clou, daß sich der wahre Horror und die "Schlußpointe" nur für den kombinierenden (und zur Untätigkeit verdammten) Zuschauer offenbart...

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