
Samstag, 3. Dezember 2005
May seem a waste of time
It's always been just the same
No hearing or breathing
No movement no lyrics
Just nothing.
(New Order, "Your Silent Face")
Am Tag, als der Sommer vorbei war, sagte ich, laß uns noch etwas nach draußen gehen. Es war der erste Tag, an dem ein kälterer Wind an den Häuserfronten der Stadt entlangschlich und eine Ahnung von Herbst hinterließ.
Wir saßen draußen auf zwei Stühlen des Caféhauses, die man vergessen hatte hereinzuholen. Sie drehte sich mit routinierten Griffen eine Zigarette. "Und nun?", fragte sie. Ich betrachtete die Tauben, die langsam nähertrippelten, in der Hoffnung auf etwas Brot.
"Nichts", sagte ich. (Nada y nada, dachte ich.) "Wir werden hier sitzen. Die Sonne wird nicht kommen, deine Zigarette fast ausgeraucht sein. Irgendetwas Kaltes wird an uns vorbeiwehen." Sie blies langsam den Rauch aus.
"Dann wirst Du langsam den Rauch ausblasen. Du wirst etwas sagen wie, daß Du gerne die Katze aus dem Regen retten willst." Sie blickte mich fragend an.
"Ich bin nicht Hemingway", beruhigte ich. "Zum Glück." Ich schlug den Kragen der Jacke hoch. "Und es regnet ja auch nicht. Noch nicht, heißt das." Nachdenklich studierte ich den Himmel, während der Rauch ihrer Zigarette mich einhüllte.
"Du wirst die Kippe zu Boden fallen lassen. Mit einem letzten Glimmen, vielleicht. Dann werden wir aneinander vorbeisehen und aufstehen. Du trittst die Glut aus, und wir werden gehen."
Sie sah mich das erst mal an, das Leuchten der Zigarettenspitze erhellte das Blau ihrer Augen. "Dann ist es eine Frage der Richtung", sagte sie endlich.
"Du hast deine gefunden", sagte ich. "Und ich, ich hatte nie eine."

Mittwoch, 30. November 2005
has made you very lazy
you're anaemic from her sucking
and when you're dead she'll find another
(Siouxsie and the Banshees, "Voodoo Dolly")
Unbedingt vormerken, ihr Schnuffis: Ab dem 2. Dezember verführen in der Strychnin Galerie in Berlin die Puppenspieler Scott Radke, Kerry Kate und andere zum düster-verzückten Augenrollen.
You'll find me in the corner of a room with no windows oder mit beschwörenden Gesten die künstlichen Leiber animieren. Ich hoffe, es gibt dort nicht nur Fotografien zu sehen, sondern echte Objekte. Danach habe dann ich ja vielleicht mal wieder was zu erzählen. Von der alten Frau im Stiegenhaus. Oder dem Mädchen mit der Milchschüssel. Oder die Sache mit dem Auge, von dem man sagte, daß es niemals schlafen wollte. Bei den Puppen weiß man, daß kein Herz unter den Dielenbrettern schlägt. Denn selbst die sind in diesem Haus aus Wachs.
(Silent Companions. Vom 2.12. bis 2.1.2006. Strychnin Galerie, Berlin)

Dienstag, 29. November 2005

Neulich besuchte ich die Ausstellung der jungen Hamburger Künstlerin Moki und war erstens recht angetan, aber zweitens ein wenig traurig, da eines meiner Favoriten bereits verkauft war: Ein Mädchen im Ringelhemd füttert die Eichhörnchen und streicht damit an die herbstlichen Herzen.
Zum Original hätte mir wohl auch das Geld gefehlt, doch jetzt aber wurde ich regelrecht beschämt, denn die Künstlerin, durch meinen Blogbeitrag aufmerksam geworden, hat mir eine Fotokopie des Werks geschenkt.
Herzlichen Dank, ich bin sehr gerührt!
Und so sind es dann immer auch die flüchtigen Begegnungen, die Fäden und Netze, die sich spinnen. Aus dem Virtuellen wachsen sie herüber, sagen Guten Tag und machen Mut, ein wenig weiter zu wandern.
Zu lernen, zu hören, zu wachsen vielleicht. So ein Blog ist nicht nur schlecht.

Montag, 28. November 2005
(Georg Trakl, "Ein Blasses..." ca. 1914.)
Schattenspiele von Michel Gagné.
Unter verwesenden Bäumen; schweigend umfängt
Des Weihers Kühle den Schläfer, gleitet
Der verfallene Mond über seine schwärzlichen Augen.

Montag, 28. November 2005

Endlich kann es weitergehen. Nicht so, wie es manche Erwartungshaltung suggeriert (so, als müsse man hier Geld bezahlen), sondern natürlich ausschließlich so, wie ich es meine. Denn immer noch heißt es: Besser erstmal selber machen, ehe man woanders meckert. Mach mal, so lautet mein Lieblingssatz, der mir seit drei Monaten sanft ins Ohr gepustet wird.
Mag man sich draußen auch an Netzfiguren abarbeiten, hier gibt es Sinnliches zu tun: Dias scannen, z.B. Endlich.
File under: vorgezogene Weihnachten

Freitag, 25. November 2005
Als Kind, also damals, mochte ich die Filme mit Doris Day sehr. Das waren Sonntagnachmittagsmomente, turbulentes Boulevard mit domestizierten Problemen, angekreischten Kostümen, überschnappenden Empörungsstimmen ("Oh! Oh! Ooooh!") und augenrollendem Ham-acting.
Filme ihrer Zeit, mit all dem Mief und Muff, der damals die frisch-deodorierte Vorstadtwelt zusammenhielt.
Aber wenn mir jetzt eine Schmonzette wie Bridget Jones 2 dasselbe Frauenbild als "witzig" und "modern" verkaufen will, dann sage ich jetzt, 13:46 Uhr, schon mal gute Nacht. Dieser reaktionäre, dumme und unglaublich erfolgreiche Aschenputtelkäse erklärt wiederum, wie sie ist. Unsere Zeit.
Deshalb zum Ausklang der Hartbrandwoche lieber weiche Blicke auf die Arbeiten von Marco Wiegers und Arnoud Bakker werfen. Und sich zart berühren lassen.

As Velvets fans we thought it was a great coup to have got her,
but, because our audience was mostly pop, they hated her
and her harmonium. She only did half a dozen dates before she
got sick of being booed offstage and quit.
(Mark Paytress. Siouxsie and the Banshees:
The Authorised Biography. London, 2003.)
Wenn die Abende dunkler und die Nächte richtig kalt werden, spürt man es deutlicher. Es ist das Wasser, das eher gefriert und nicht das Blut. Eine Haut aus Eis wächst über alles und überzieht am Ende selbst das Telefon. Eine zeitlang mag man noch mit klammen Fingerspitzen über die brüchige Fläche glitschen und feuchte Spuren in der frostigen Schicht hinterlassen. Doch irgendwann, wenn der Atem längst schon nicht mehr als warmer Nebel in der frostigen Luft hängt, fühlen sich dieselben Finger an wie kalte Knochen, die über eine Schiefertafel kratzen.
Dann ist die Freundschaft vorbei, und die Versprechen der Jahre, der Dauer, der Verbundenheit bloß Buchstaben und Laute, deren Klang fremd und deren Bedeutung entrückt sind. Worte, die niemals so sind wie das dickere Blut, das in den Adern frieren mag. Aber erst, wenn auch das Herz nicht mehr schlägt. Das eigene.
"It became like an illness at the end. That's the perfect word." (Kenny Morris)
1979, als sie gerade ein paar Tage auf Tour waren, flohen Drummer Kenny Morris und Gitarrist John McKay wortlos und abrupt aus Aberdeen, während der Rest der Band und das Publikum zunehmend nervöser werdend in der Konzerthalle auf sie warteten. Die Vorband The Cure sprang ein, Robert Smith ersetzte McKay für den Rest der Tour - und die Banshees machten irgendwie weiter. Muß man ja immer tun.
Immer weitermachen.

Dienstag, 22. November 2005
Als Frau Gaga neulich in alten Tagebüchern kramte, dachte ich erst noch keck, ach, das kannst du doch auch mal machen. Doch heute belehrte mich ein kurzer Blick und zunehmend mißmutiger werdendes Blättern eines besseren.
Das ist ja alles indiskutabel. Oder aus anderen Gründen nicht zitierfähig. Nur selten gab es Perlen wie:
Sie bemüht sich, nett zu sein. Du bemühst dich, nett zu sein. Und hinterher fühlst du dich zum Kotzen.
Schön auch ein Eintrag von 1986: Alles ist aus. S. hat einen neuen Freund. Ende. Melodramatische Pause, zwei leere Blätter. Dann der nächste Eintrag:
Aldi hat Wein im Angebot für 1,59 DM.
Morgen wird das alles verbrannt.
