
Freitag, 13. August 2004
In den letzten Tagen ungefähr 300 Pferde, 500 Samurai, tausende Menschen und Menschenähnliche mit schlechter Haut und starkem Unterbiß sterben gesehen. Kleinwüchsige notorische Barfußläufer dabei beobachtet, wie sie mit gestohlenem Schmuck durch unwirtliche Landschaften ziehen, mit technischem Schnickschnack aufgebohrte Taxis über Skipisten donnern gesehen, einen verrückt-spielenden Mafiaboss Songs aus "Westside Story" singen hören und einen Architekten um seinen kleinen Sohn kämpfen sehen, nachdem die Ehe im Arsch war, während gleichzeitig eine russische Kofferatombombe in Miami für jede Menge Ärger sorgte (muß man sich erst einmal vorstellen!). Dann war da noch ein schwerbewaffneter, schwarzgewandeter Mann, der so gut Gitarre spielen konnte, daß einem ehemaligen Piraten, der nun beim CIA angeheuert hatte, die Augen rausfielen. So konnte er den Kalender mit den netten, nackten, älteren Damen nicht sehen. Ein anderes Pferd, das ich oben vergessen habe mitzuzählen, fiel in Panik von einer Fähre. Das war aber nichts im Vergleich zu dem, was sich dann rund um den Leuchtturm und in dem alten Brunnen abspielte. Und wenn jemand am Telefon sagt, "noch sieben Tage" - dann sollte man das verdammt ernst nehmen.
Soll noch mal jemand sagen, Fabrikarbeit sei eintönig.

Freitag, 13. August 2004
Nur ein paar Splitter, sehr ungeordnet:
Vor drei Jahren war der Film Ginger Snaps die Entdeckung auf einem ansonsten eher überraschungsarmen Festival. Die Geschichte zweier pubertierender Schwestern, Außenseiter in der schaurigen nordamerikanischen Suburbia, die lieber sterben wollen, als erwachsen zu werden. Bis sich die Natur auf blutige Weise ihre Bahn bricht - und eine der Schwestern zum Werwolf wird.
Die Fortsetzung Ginger Snaps Unleashed setzt die Handlung fort und rückt nach dem Tod von Ginger ihre jüngere Schwester Brigitte (großartig: Emily Perkins) ins Zentrum. Die Goth-Thematik steht nicht mehr so im Vordergrund (von einzelnen Insignien wie der Vogelschädelhalskette abgesehen). Man merkt dies auch am Soundtrack: brachialere Industrial- und EBM-Sounds, wahrscheinlich recht nach Miss Monologs Geschmack, unterlegen hier die Handlung. Die Hauptschauplätze sind diesmal ein heruntergekommenes, (natürlich) labyrinthisches Sanatorium und ein aus gutem Grund dreigeschossiges Haus am Stadtrand. Der Film setzt ziemlich viele Kenntnisse über den ersten Teil voraus (die Traumbilder über die tote Schwester bleiben völlig unerklärt), ergeht sich zudem in einigen recht überflüssigen Filmzitaten (Alien 3) und Genremotiven (Jagd durch das Gängelaybrinth, Flucht durch die Ventilationsschächte).
Die Horrorelemente waren aber nie die Stärke von Ginger Snaps. Wie in vielen (schwächeren) Pendants liest sich der Film natürlich am besten als Metapher und Allegorie auf diverse Pubertätstraumata und weibliche Sexualität (Zyklen/Vollmond/Blutsymbolik). "Unleashed" ist stärker als der erste Teil pures Borderlining. Grenzgänge (Wolf-Mensch), unvermittelte Aggressivität, fehlende Impulskontrolle, SVV, Wahrnehmungsdefizite, verminderte soziale Kompetenzen, Drogenproblematik, "Unbestimmtheit" sexueller Identität (anders als die im wahrsten Sinne des Wortes männermordende Ginger im ersten Teil, wird hier angedeutet, daß Brigitte möglicherweise lesbisch ist - oder auch nicht) - was man will. Selbst die wissenschaftliche, kühle Rationalität, die hinter Brigittes zerschnittenen Armen steckt, ist hier grausiger Spiegel. Das Mißbrauchsthema (sowohl in sexueller als auch struktureller Form durch die "Institutionen" Pfleger/Sanatorium) spielt hier ebenfalls rein.
Das haarige Monster (übrigens wird bewiesen, daß Onanie wirklich zu Haarwuchs an den Handinnenflächen führt, also: Don't try this at home, kids!) wäre bei John Irving eine Frau im Bärenkostüm. Hier sucht die ungezähmte, triebhafte Es-Natur nach gewaltsamer, blutiger sexueller Vereinigung. Kein Wunder, daß das Es-Tier am Ende in den Keller gesperrt wird (wo es rumrandalieren kann), während die neue zweite weibliche Hauptfigur mit dem sprechenden Namen "Ghost" (Tatiana Maslany) im ver-rückten Oberstübchen/Speicher sitzt. "Ghost" ist als kleines Mädchen die einzige "entkörperlichte" Bewohnerin des Sanatoriums (wenn man mal von ihrer total verbrannten Großmutter absieht, fällt mir gerade ein. Aber Großmütter gelten ja im allgemeinen auch nicht gerade als sexuelle Wesen.) - sie wird als bunte, "lichte" Gestalt eingeführt. But then, people, this is a horror movie.
Nach wie vor großartiger Ansatz, eine der wenigen Horrorgenrefilme mit dominierenden weiblichen Hauptpersonen.
Ginger Snaps Unleashed. Kan. 2004. Regie: Brett Sullivan.

Danke, Herr Frisbee!

Donnerstag, 12. August 2004
Seit geraumer Zeit bin ich in der Gartenzwergfabrik ja nur noch freier Mitarbeiter. Das hat verschiedene Gründe, die Wirtschaftskrise ist nur eine davon. Der andere Grund ist, daß ich jederzeit bereit sein möchte, wenn meine Chance auf den Docks hier im Hafen kommen sollte. Einmal im Leben will ich nämlich so richtig in der Produktion arbeiten, und was wäre da besser geeignet als ein Job im Schichtdienst als Nieter im Schiffsbau?
Bis dahin aber bleibe ich der Gartenzwergfabrik treu, und sollten noch soviele Menschen darüber lachen. In letzter Zeit ist man dort nett zu mir. Bei der Verteilung der Schokonikoläuse letztes Jahr wurden die Freien ja noch übergangen, aber nachdem ich mit diesem gewissen Blick in den Augen nicht nur von meiner Schokoladensucht, sondern auch von meinen Ambitionen als schwertätowierter Metallwerker erzählte, ist man dort sanft wie ein Lamm.
So kommt es auch, daß ich dieses Jahr eingeladen wurde, die Gartenzwergmesse zu besuchen. Es gibt davon mehrere. Die wichtigsten finden in Cannes, Venedig und Berlin statt. Aber einmal im Jahr gibt es ein Gartenzwergfestival, bei dem die skurillen, subversiven, morbiden und kaputten Mützenträger vorgestellt werden. "Harter Stoff", wie die Kollegen immer sagen, und sicherlich nichts, was sich die große Masse in den Vorgarten stellen würde. Es gibt da Zwerge aus aller Herren Länder zu sehen, hauptsächlich aus Hongkong, Japan und Kanada. Vampirgartenzwerge und Serienmördergartenzwerge, welche mit Kettensäge und andere mit einem Fleischerhaken. Also mehr so was von der verregneten Seite des Gartens.
Letztes Jahr wollte ich mit meiner Freundin dorthin, weil die sich auch für sowas interessiert. Die lehnte aber überraschend ab und überraschte mich noch mehr, als sie mit ihrem sogenannten Duz-Freund dort auflief und nicht einmal "Hallo" sagte, als sie an mir vorbeiging. Dieser Freund auch nicht, aber der konnte eh nicht richtig reden, lesen oder schreiben. Irgendwie kam mir da schon der Verdacht, daß meine Freundin eventuell gar nicht mehr meine Freundin sein wollte, aber man soll ja nicht vorschnell und nach bloßem Augenschein urteilen.
Dieses Jahr scheint das Programm nicht ganz so überbordend. Aber mit diesem schicken Messeausweis kann ich mir ja einfach alles recht unverbindlich anschauen, kommen, gehen wie ich lustig bin. Und vor Überraschungen ist man ja nie sicher. Vielleicht berichte ich von den Höhepunkten und stelle die schönsten Exemplare hier vor.

Sonntag, 8. August 2004
Willst du was erleben, mußt du eine Reise tun. Am Wochenende lockten mich daher drei heiße Japanerinnen und die formidable Miss Monolog ins schöne Wuppertal. Und meine Mutter natürlich auch. Hallo, Mutter!
Stau und Stress strandeten mich bereits an der Autobahnausfahrt Oberbarmen, was mir - dem Mann, der kein Taxi fährt - um 2.00 Uhr nachts während eines interessanten Fußmarsches die landschaftlichen Beschaulichkeiten des Gewerbegebiets Nächstebreck näherbrachte. Das Wetter war aber danach, und außerdem fahren dort keine Taxis. Mütterchen Kid hatte auch weder etwas gegen nächtlich Anrufe noch gegen eine spontane Herrichtung einer Schlafstelle. Danke, Mütterchen Kid! Eben deshalb konnte ich den Lockungen des nahegelegenen Etap-Hotels mit verächtlichem Schnauben widerstehen und mich ganz geographischen Begriffen wie "Hottenstein", "Im Hölken" und "Vor der Beule" widmen. Man merkt, man ist im Bergischen. Dort, wo das Wasser weich ist und die Kerle nahe am selbigen gebaut haben.
In der ehemals schwerst mythenverwebten Tanzdiele mit der zerrupften Ente, dem U-Club, machten nämlich am Samstag die 5,6,7,8's ihr markerschütterndes "Woo Hoo". Kill Bill und die Folgen hatten schwersttätowiertes Rock'n'Roll- Jungvolk aus der bizarrsten Heimatstadt Deutschlands aus Schwebebahn und Wupperhöhlen gelockt, die alle einen Blick auf die Teenage Cavewomen from Tokyo werfen wollten. Nervös hielt ich nach einer Dame im gelben Trainingsanzug Ausschau und war mehr als angetan, als Miss Monolog in 18-ern und Mini-Raubtiertäschchen mir ohne gezücktes Katana entgegentrat. Selten ist einem alten Mann wie mir noch das Glück beschert, angesagte Rockschuppen in attraktiver Begleitung aufzusuchen, aber nun war ich mal King for a Day. (Ich also gleich Kaffee ausgegeben und Heldengeschichten erzählt. Kam bestimmt super an.)
Ein wenig uncharmant mußte ich dann aber während des Auftritts werden. Denn ich hege seit Jahrzehnten ein Faible für aufgedrehte Japanerinnen. Die müssen noch nicht einmal Schuluniformen tragen. Das zum einen. Dann waren die noch zu Dritt. Kurz gesagt: Meine Blicke blieben dann doch für die Dauer eines Rock'n'Trashigen Konzerts immer wieder auf der Bühne kleben.
Apropos kleben und feucht: Es hat überhaupt nichts Anzügliches, wenn ich berichte, daß einem in der nach kurzer Zeit nur noch mit dem R'n'R-Stilett zu schneidenden Luft schon vor der Veranstaltung das ausgeschwitzte und von anderen herumgespritzte bergische Hopfenwasser rauf- und runterlief. Zum Glück spielten nicht King Kurt, dann wäre auch noch Mehl dazugekommen.
Die drei durchgeknallt-sympathischen Japan-Air-Stewardessen legten irgendwann nach Mitternacht einen ziemlich mitreißenden Rockstomper-Auftritt hin. Aufgetürmte 60s-Style-Frisuren, Macho-Rocker-Gesten, Hintern- und Hüftgewiggel, trockene Bassläufe und angeschrilltes Wimmerhaken-Halbresonzgitarrengejaule hatte die Menge bald durchgekocht. Exaltierte junge Frauen rockten enthemmt in klitschnassen T-Shirts mit ihren sekundären Geschlechtsmerkmalen am Bühnenrand. Entrockt. Tits, hits, hair - and arms in the air. Und immer wieder: "Woo Hoo".
"Bomb The Twist" (umjubelt), "Harlem Shuffle" (im Rekordtempo), "Green Onions" (MG-style), "The 5,6,7,8s" (hymnisch)... zwei Zugaben - arigato - sayonara.
Anschließend verschleppte ich Miss Monolog ins Café du Congo. Dort war noch Nachtausschank, bis am Fujijama die Sonne aufging. Musik war eher buena nachtschwärmer fado-style, aber das ist ja das Nette in solchen angeranzten Cafés. Dort und gegenüber habe ich einen guten Teil meiner Jugend verschwendet. Dahin gehe ich immer wieder gern. Und erzähle Heldengeschichten.

Donnerstag, 5. August 2004
Lebensbejahender Macho und tragischer Clown zugleich, brillant und mit Tiefgang, der mit Vergnügen über sich selbst sprach - und es sympathischer Weise auch noch zugab: "Andere gehen zum Psychiater, ich gebe Interviews."
Heute vor 20 Jahren starb Richard Burton, ein Schauspieler, der mir aus verschiedenen Gründen wesentlich näher steht als beispielsweise Marlon Brando. Anders als der Spiegel behauptet, heißt es natürlich "Der Widerspenstigen Zähmung". Aber so wenig wie der Spiegel Dramentitel von Shakespeare gezähmt bekommt, so wenig bekam Burton die Widerspenstige an die Leine: Er hatte sie einst vor den Augen ihres Ehemanns "entführt" - später ritt sie vor seinen Augen mit dem Reitlehrer davon. Unrecht Gut gedeiht nicht gut. Aber eben ein origineller Weg der Selbstzerstörung.

Mittwoch, 4. August 2004
Die kalifornische Kleinstadt Visalia ist ein Vorortkaff im Nirgendwo. Fünf Jugendliche verbringen hier mitten in der Tristesse von Suburbia ein Leben zwischen Skaten, Drogen, bindungslosem Sex und sich eruptiv entladender Gewalt... Abgeschottet von der Welt der Erwachsenen, leben die Jugendlichen wie in einem Kokon: eine hermetische Subkultur zwischen HipHop, Kiffen, Langeweile, Frustration und Selbstzerstörung.
Eine Stadt, die wir alle kennen.
Mitte der 80er wurde ich das erste Mal auf den Fotografen Larry Clark aufmerksam, als ich von seinem Projekt "Tulsa" hörte. In den 60ern fotografierte er sich und seine Peer-Group beim Herumlungern, Drogenkonsum, bei Sex und Gewalt. Den Hippie-Aspekt fand ich langweilig, die Radikalität aufregend. Vor ein paar Monaten sah ich auf einer Ausstellung der Sammlung F. C. Gundlach ein paar Originalprints aus "Tulsa". Diese Fotos sind immer noch von einer verstörenden Kraft. Rotze im Gesicht des amerikanischen Traums.
Ähnlich verhalten sich auch seine zwei bekannteren Filme "KIDS" (1995) und eben Ken Park. Zugespitzt und übertrieben, aber doch authentisch glaubwürdig, darstellend, aber nicht moralisierend. Dies ist wohl auch das "Provozierende", was viele Kritiker in seinem Werk finden. Sie meinen natürlich die expliziten Sexszenen, die Amoralität in seinen Fotos. Aber Clark - ein Peter Pan der Subkultur - befindet sich selbst in dieser hermetischen Welt. Provozieren will nur, wer sich auf das "Außen" bezieht, über sich hinausverweist. Clark aber ist selbst-referierend. So erklärt sich auch das naive Ende von "Ken Park". Natürlich gibt es keine Utopie. Die Kids wollen einfach nur ihre Ruhe.
Vor Großmüttern, vor Kritikern. The Kids Are Alright.
Ken Park. (USA 2003). Regie: Larry Clark

Der französische Fotograf Henri Cartier-Bresson ist am Montag in Südfrankreich gestorben. Am 22. August wäre er 96 Jahre alt geworden.
Die Fotolegende, Mitbegründer der Agentur Magnum, wurde berühmt für seine Straßenaufnahmen und Alltagsszenen. Bekannt war sein Credo vom "entscheidenden Augenblick" - er machte den künstlerisch-gestalteten "Schnappschuss" salonfähig.
Für Nachwuchsfotografen hielt er auch einen tröstenden und motivierenden Tip bereit: "Deine ersten 10000 Fotos sind die schlechtesten."

Man kann viele Worte machen so wie ich. Oder es kurz und bündig sagen so wie der Herr Sweetmaker.

Dienstag, 3. August 2004
Mal so ganz schlicht gesagt: Ich hasse es, wenn in Hemden, die ich kaufen will, kein Warenetikett eingenäht ist. Ich hasse es auch, wenn ich dringend in der Stadt Fotokarton kaufen muß und dort nur welcher angeboten wird, auf dem auf einer Seite ein Barcode aufgedruckt ist. Schon mal gehört, daß es Leute gibt, die Fotokarton beidseitig benutzen können wollen?
Ich hasse es am allermeisten, wenn die überdies reichlich fehlplaziert und unengagiert wirkende "Fachverkäuferin" meinen Hinweis auf die Unbenutzbarkeit ihrer Ware mit "Ist von ganz oben angeordnet" kommentiert. Dann sagen Sie denen ganz oben mal, daß hier ganz unten Kunden stehen und maulen.
Aber nachher wieder in der Zeitung jammern, daß keiner mehr was kauft und deshalb die Wirtschaft lahmt. Ganz schlicht.
