
Samstag, 31. Juli 2004
Einer der meistgelesenen Beiträge bis dato im hermetischen Café ist der kleine Ausflug zur Meerschweinchen-Ausstellung. Ob "Penisstrangulation", "Perinealtaschenreinigung" oder vor allem der mittlerweile berühmt gewordene "Rosettenbock" - bis heute finden gemütvolle Google-Anfrager auf diese Seiten, um ihre durch welche dunklen Urgründe auch immer geprägte Neugierde hier zu befriedigen. Regelmäßig wurde auch der Vorschlag an mich herangetragen, Herr Kid, Sie kennen doch immer so heiße Veranstaltungen. Kann das nächste Bloggertreffen nicht auf einer Kleintierschau stattfinden?
Ich aber möchte heute den Blick weg von den Nagern und hin zu den Unpaarhufern werfen. Preisbloggen war nämlich gestern. Wenn die werte Frau Lyssa und ihre zahllosen Konkurrentinnen wirklich mal was reißen wollen, dann bietet sich doch unzweifelhaft nur ein Wettbewerb an, der wirklich die elementarsten Fähigkeiten abruft: DER LOCKRUF DES ESELS!
Nur die fähigsten Stimmen sind hier gefragt. Wird der Deckhengst antworten?
Man könnte gleich einen Nebenwettbewerb für Brotspinnen einführen. Wäre doch interessant zu sehen, ob die wenigstens "Cäsar" für sich interessieren können. So manche schwelende, stichelnde Dauerdiskussion könnte hier in einem fairen Wettsttreit im olympischen Geiste entschieden werden. (Wie in der Antike könnten die Kontrahenten zur Erquickung des schauenden Volkes gerne auch nackt zum großen I-Aaaah antreten.)
Und wenn "Cäsar" dann Hufe, Ohren oder ganz was anderes hebt oder senkt, steht der Sieger dieses Sommers fest. Ein Blog, dessen Stimme wirklich würdig ist.
And The Ass Saw The Angel.

Freitag, 30. Juli 2004
Als altmodischer Mensch besitze ich keinen MP3-Player. Ich habe schon öfter einen dieser rundgelutschten Stifte in der Hand gehalten, hin- und herüberlegt, aber die Sache dann doch als zu teuer verworfen. Ich besitze aber einen alten Walkman, einen mit Radio und der Möglichkeit aufzunehmen, und den habe ich mir heute umgeschnallt. Premium Content war eine alte Mix-Kassette und mir fiel wieder auf, daß wo andere Menschen Jeanette Kübelböck und Britney Aguillera hören, mein Guter-Laune-Mix über Smashing Pumpkins und New Order nicht hinauskommt. Der Rest liegt stimmungsmäßig weit darunter.
Überrascht war ich daher von einem echten ditty, einem Jahre alten peinlichen Lieblingssong, der mir aus den Ohrstöpseln entgegenblecherte. Die Rede ist von Olive, "You're Not Alone". Dieser kleine abgefeimte Tanzhallenschlager nutzt geschickt alle Kniffe, die es für eine ehrsame Discoschnulze braucht. Hypnotische Drums, Wehmut, künstliche Geigen, harmonische Mollakkorde - und ein paar widerhakenbewehrte Textpassagen, die die richtigen Sehnsuchtsknöpfe der Scheidungskindergeneration drücken. "It is the distance/That makes life a little hard/Two minds that once were close/Now so many miles apart" - zu solchen Zeilen läßt es sich wunderbar auf dem plüschtierverwucherten Bett im Kinderzimmer ein wenig traurig vor sich hin pubertieren. Ich stelle mir einsame Gestalten im Licht der örtlichen Techno-Rave-Tanzdiele vor und schüchtern vorgetragene Sätze wie, willste noch 'ne Coca?
"You're not alone, I'll wait till the end of time for you."
Ich habe auch einmal lange gewartet. Und mir fällt auf, daß so etwas auch wie eine Drohung klingen kann. "Das ist ja auch nicht normal", mußte ich mir sagen lassen. Von jemanden, der selbst nicht lange fackelte. Aber eben auch schlecht allein sein konnte. Das zu allerletzt.
"I will not falter though/I'll hold on till you're home/
Safely back where you belong/And see how our love has grown."

Donnerstag, 29. Juli 2004
... und geht entzwei." (Jakob van Hoddis, "Weltende")
Rauhkraftputz! Fließwasserpumpe! Bolzenschußgerät!
Nicht nur Frau Monolog und ich gehen gern in Baumärkte. Nun hat auch die expressionistische Stimme der Autobahnunterführungen seinen Weg dorthin gefunden. Blixa Bargeld spricht, nein rezitiert Werbung für Hornbach. Demnächst auf Viva. 13 Mal.
Yippie ya ya...

Mittwoch, 28. Juli 2004
Letzte Woche bin ich endlich in den langersehnten Besitz eines Buches gekommen, um das ich schon lange herumgeschlichen war. Leider war es immer sehr teuer. Nun ist es nur noch teuer, und da mußte ich es haben. Der Augenarzt und Sammler von Fotografie Stanley B. Burns hat seit den 70er Jahren eine beeindruckende Kollektion medizinischer Fotografie zusammengetragen. Kuratiert von Joel Peter Witkin hat der überhaupt sehr empfehlenswerte Verlag Twin Palms eine gewohnt edel gedruckte Auswahl vorgelegt. Die oftmals ruppig wirkende, ursprünglich als rein dokumentarisch intendierte Medizinfotografie streift mit dem heutigen Blick oft das Künstlerische. So ähneln die spontanen Muster bestimmter Hautkrankheiten rituellen Tribal-Tattoos oder mit Henna gefärbten Mendis. Aus dem Blickwinkel der Ästhetik des Häßlichen offenbaren selbst grausame Kriegsverletzungen und Körperdeformationen ihren eigenen Reiz. Im Zeitalter der mutwilligen Body modifications durch Brandings, Scarification und kosmetischen Amputationen wirken diese Dokumentationen wie eine bestürzende Spiegelung. Vorbildlicherweise ist jedes der fast 130 Fotos in einem Register ausführlich dokumentiert. Eine interessante Reise in die Frühzeit der modernen Medizin und die (heute oft unterdrückte) Vielgestalt des menschlichen Körpers. Einige Beispiele gibt es hier. (Achtung: Explizit)
Während des Studiums habe ich ja zwei bewußtseinserweiternde Jahre in der Pathologie gearbeitet. (Nein, nicht als Sektionshelfer.) Leider gab es an diesem Ort keine Rechtsmedizin, möglicherweise hätte ich noch einmal umgesattelt. Mein Interesse für die Welt des Dr. Quincy war auf jeden Fall geweckt. Passend dazu erwarb ich noch die Crime Album Stories: Paris 1886 - 1902. Das liebevoll gestaltete Buch führt in die Zeit von Jack the Ripper und die Frühzeit der modernen Kriminalistik. Tatortfotos und ausführliche Dokumentationen versprechen eine spannende Lektüre.

Montag, 26. Juli 2004
Gerade erst erfahren. Bleu est morte.
Beklemmend, wenn die Meldungen unter "Vermischtes" plötzlich einen Namen bekommen.

Sehr schön. Sommerschlußbloggen.
Glückwunsch an Lyssa und Ligne claire.

Samstag, 24. Juli 2004
Der Nachtbus ist mir vor der Nase entwischt. Zu warten hatte ich keine Lust, darum ging ich zu Fuß. Ein Taxi nehme ich nie. Ich stamme aus einer armen Familie; Taxifahren galt als unerhörter und verschwenderischer Luxus.
Zweimal habe ich in Hamburg ein Taxi benutzt. Einmal kamen wir in einer kalten Dezembernacht von meiner eigenen Ausstellung. Sie war nur spärlich bekleidet, und außerdem war ich der Künstler an diesem Abend und benötigte eine große Geste. Noch ein anderes Mal nahm ich mir ein Taxi. Sie hat sich darüber lustig gemacht.
Zero, Zero, Zero.
Zu Fuß dauert es eine gute Stunde. Wenn man schnell geht, so wie ich. Der Weg durch die von spärlichen Lampen illuminierte Speicherstadt hat nachts seinen eigenen Reiz. Das Wasser der Kanäle ist tiefschwarz und übt eine besondere Faszination auf mich aus. Wie bei einem Wunschbrunnen voller Öl kann man den Grund nicht sehen. Ich würde jetzt gerne schwimmen gehen. Wirklich sehr gerne. Aber ich habe meine Betonschuhe nicht dabei. Nicht einmal ein paar Ziegelsteine, so wie in The Hours.
Zero, Zero, Zero.
Der Weg führt dann irgendwann durch endlose Gewerbegebiete. Um drei Uhr morgens, wenn die biologischen Funktionen auf ihren niedrigsten Stand absinken, plagen mich leichte Unterzuckerungen. Der Körper versagt. Aber auch ein angenehmes Gefühl, wie in Trance, mit schwammigen Knien und wackligen Beinen immer weiter zu gehen. Immer weiter, automatisch. Ich fühle mich wie der "unsichtbare Mann" aus Ralph Ellisons Roman. Ich gleite durch die Straßen, vereinzelte Autos rauschen wie ein Lichtstrahl an mir vorbei. Ich verschmelze mit dem Trottoir, den Wänden, den Unterführungen. Ich bin nicht da. Ich bin unsichtbar. Man kann in dieser Zeit über vieles nachdenken, sich an vieles erinnern. Dinge, die man niemals wissen wollte. In einer Hofeinfahrt sitzt ein weinendes Mädchen auf dem nackten Boden. Wochenendkrisen. Ich schleppe sie mit bis zum Bahnhof. Angeblich will sie noch irgendwohin.
Zero, Zero, Zero.
Die Briefe, die ich schrieb, waren so gut wie die Briefe, die ich nicht schrieb. Sie blieben alle unbeantwortet. Ich will Dir keine Hoffungen machen, meinte Sie auf einem der zahllosen Treffen, zu denen sie mich bat. Dann hielten wir weiter Händchen.
Ich hielt sie daraufhin für unnahbar, geheimnisvoll, zurückhaltend. Eine groteske Wahrnehmungsstörung. Erst später fand ich heraus, daß sie sehr wohl eifrig mit irgendwelchen Männern korrespondierte, die sie über das Internet und auf Parties kennenlernte, zu denen sie lieber alleine gehen wollte. Ihnen Fotos schickte.
Zero, Zero, Zero.
Silvester feierte sie lieber mit einem sogenannten Freund auf einer anderen Party. Die beiden warteten freundlicherweise bis viertel vor zwölf, ehe sie die Wohnung verließen. Dann war ich endlich allein.
Silvester. Zum Glück ein Tag, den man leicht vergißt. Als sie die Unordnung, die Flaschen und die zerstörten Sachen fand am nächsten Morgen dann, hatte sie nur eine Sorge. Ich hoffe, es trifft nicht meine Sachen, schrieb sie auf einen kleinen Zettel. Nein, schrieb ich zurück. Es trifft immer nur die anderen.
Sie wünschte mir kein frohes neues Jahr. Sie erzählte mir aber, mit unverhohlenem Stolz, daß sie ein "schönes" Silvester hatte. Sie sparte auch nicht mit den anderen Details.
Ihre Bekannten wurden ebenfalls brühwarm informiert. Die zeigten sich selbstverständlich schockiert. Über die Unordnung. Mich könne man ja nicht mehr einladen. Nachher randalierte ich auch in fremden Wohungen ab.
Zero, Zero, Zero.
Vielleicht war es das, was sie wollte. Sehen, wie andere zu Boden gehen. So wie die Männer, mit denen sie zusammengelebt hatte. Von denen sie verächtlich sprach und die in irgendeiner Form alle Gescheiterte waren. So wie ich nun. Und so zeigte ich mich ihr, entblößt, auf dem Boden. Und erzählte ihr von der Sache, dem eigenen Urschmerz, unter Tränen, am Boden. Etwas, was ich erlebt hatte, als ich ein kleines Kind war. Eine Sache, nur deshalb so groß und so weitreichend, weil sie im Grunde ganz furchtbar banal war. Eine Sache, von der ich vermutete, sie, die sich selbst ihr halbes Leben so abgelehnt fühlen mußte, könne es verstehen.
Wenige Wochen kamen wir auf das Thema zurück. Sie hatte es vergessen.
Na, meinte sie, erzähl es mir halt noch mal.
Zero, Zero, Zero.

Freitag, 23. Juli 2004
"Ich habe mich damals doch absichtlich ein wenig zurückgezogen."
"Oh, das habe ich gar nicht gemerkt."

Wenn der Goldrausch vorüber ist, bleibt ein schaler Geschmack zurück.
Der Mann, der Frau und Kind verriet, lebt mit dem Bewußtsein seiner Schande. Tag für Tag. Ein alter Patriarch, dessen Reich zerfällt. Ihm bleibt der Tod, nur "Hope" überlebt.
Das Zeitenrad dreht sich.
The Claim (GB/F/Kan. 2001). Regie: Michael Winterbottom.
