Freitag, 2. Juli 2004
Eine grauenvolle Nacht, mein sterbender Schwan. Vollmond und Kranksein, da ist an Schlaf nicht zu denken. Und ich rede hier nicht von Bagatellerkrankungen wie, man ist mit dem Arm in eine kleine Häckselmaschine geraten. Oder hat soeben aus Versehen den Schraubenzieher an die Anschlüsse vom Starkstromkasten geschweißt und steht vibrierend in der Funkenstrecke. Auch nicht Sachen wie, bei der Reparatur des Buckelvolvos ist der Wagenheber abgerutscht und man hat sich drei bis acht Rippen gequetscht. So was kommt vor.
Nein, ich rede von der schlimmsten aller Erkrankungen, die sich ein Mann zuziehen kann: morbus influenza gravis, vulgo die SCHWERE ERKÄLTUNG!
Was sage ich, die sehr schwere Erkältung. Es beginnt mit diesen Reißzwecken, die plötzlich im Rachen stecken und wird nicht viel schlimmer und nimmt über Nacht einen aggravierenden Verlauf, ehe die Krankheit (die schon über Kriege und den Gedeih ganzer Königreiche entschieden hat) in ein langes Siechtum übergeht.
Als Alleinlebender ist es nun ja so, daß ich die Ballade vom sterbenden Mann nicht vor Publikum aufführen kann. Andererseits ist mir in solchen, schlaflosen zumeist, Nächten ganz gerne selbst nach ein wenig Ruhe. Gleich einem wilden Tier, das sich zum Sterben unter ein Gesträuch zurückgezogen hat, sondere ich mich in solchen Momenten instinktiv ein wenig ab von den Menschen. Man kann sich im Bett wälzen, von unmenschlichen Gliederschmerzen geplagt, oder mit der halbverstopften, halb dauertropfenden Nase militärische Trompetensignale einüben, ohne befürchten zu müssen, einen friedvoll schlummernden Partner zu wecken.
Schnoddrige Taschentücher lassen sich erstmal einfach vors Bett werfen, selbst die Nacht-Krawatte mag man ein wenig lockern oder bei schlimmsten Halsschmerzen ganz ablegen, ohne vor dem Partner eine etwa ungepflegt wirkende Seite offenbaren zu müssen. Umgekehrt hat man selbst seine Ruhe, muß sich nicht mit einer sandpapiertapezierten Kehle unterhalten und dabei diese krächzende Stimmlage aus der Anti-Raucherwerbung bemühen. Kurz vor Morgengrauen, wenn die Not bekanntlich am größten, will man vielleicht auch endlich ermattet alle Viere von sich strecken, moribund mit schwacher Stimme "Mama!" wimmern und sich kraftlosen Gedanken hingeben wie "Wenn nun die Zeit gekommen ist, dann will ich ruhig fahren." Ein Tropfen Japanöl auf die heiße Stirne, zwei Silbermünzen auf die Augen - dann mag der Fährmann halt kommen.
Da ich aber aus einer Familie kräftiger und zäher Eisenbieger stamme, ist es dann nach einer solchen Nacht in Schnupfengewittern meist überstanden. Die Lebensgeister kehren zurück, und ich kann am sozialen Leben wieder teilnehmen. Nur das Ventil in der Nase, das bekomme ich erstmal nicht mehr zu. Ächz.
Mal wieder lesen. Lesen heißt, eine Spur finden, eine Straße, einen Weg entlangschlendern oder auch eilen, hasten, stolpern vielleicht. Dann elegant flanieren, schlendern. Ganz wie man selber mag. Lesen zu lernen, endlich die Richtung zu verinnerlichen, in die gelesen werden muss... "Ich lese lieber, da werde ich nicht so leicht beeinflußt", sagte mir mal jemand. Das machte mich ein wenig stumm und gerne hätte ich bei einer Zigarette eine Weile darüber nachgedacht, aber ich hatte zu früh im Leben die richtige Musik gehört.
Eine Zeitlang sogar diese drei eingebildeten Buben. Imaginiert. Aber man kann Heilung davon finden. Pornography. Punkt. Aus. Genau. Worüber man nur schweigen kann, darüber soll man nicht reden. Don't kiss and tell. Or fuck, suck, rim or fist and tell. Andererseits: Wir sind ja hier unter uns. Da kann man schon mal wohlgehütete Geheimnisse preisgeben: Seit Wochen habe ich immer wieder einen Referrer "armdrücken+mit+frau". Das muß ein Fetisch sein.
So fand er z.B. heraus, daß Gewalttätigkeiten in der Ehe zu knapp zwei Dritteln (!) von den Frauen (!) ausgehen, zu 20 Prozent von beiden und nur zu 14 Prozent vom Mann. Und die beste Freundin kann es sogar "verstehen". Das will man(n) nicht glauben und frau schon gar nicht. "Narben? Es gibt auch seelische Narben!" Stimmt. Und die hat man natürlich nur selber. "Übrigens sterben immer nur die anderen", bemerkte Marcel Duchamp ausnahmsweise einmal sehr zurecht. Alles eine Frage der Wahrnehmung. Muß man einfach mal woanders hingehen. Die unbeschwertheit und nachlässigkeit in der fremde. hemd unbewußt weiter aufgeknöpft als üblich und so sachen. Da schleichen plötzlich andere Gedanken durch die Synapsen. Bessere womöglich.
Aber mit der schwarzen Milch der Frühe fällt man in die Matrix und erlebt den Aufstand der Maschinen: there is a word i love: resistentialism, the theory that inanimate objects demonstrate hostile behavior towards us. Wenn die Kaffeemaschine morgens wieder mal nur eine dünne Plörre produziert, mich die Schreibtischlampe argwöhnisch beobachtet... "i kind of don't want to think about it too much". Wenn es schon so schwierig ist, frage ich mich, ob jetzt ich nicht endlich Bundestrainer werden sollte. Mal mit 11 Freunden unterwegs sein. Mit Kreide an die Tafel malen. So eine Kladde mit kryptischen Strichzeichnungen unter dem Arm tragen. Im Fernsehen "Scheiße" sagen. Das wär fein.
(Dermaßen allmachtsphantasiegestärkt, wage ich es noch mal ins Bett.)
" Batailles Begriff der Transgression bezeichne den Zustand jenseits von Moral und ethischer Grenze, jenseits - schließlich - von Gut und Böse", schreibt der geschätzte Herr Stiglegger in seinem Essay zu Sadomasochismus und Film. Wie kann "Transgression" ein "Zustand" sein? Ist es das, was manche Anhänger des französischen Vitalisten in die falsche Körperöffnung bekommen haben? Die Verbrämung eines grandiosen Mißverständnisses?
Eine Digression:
Was, wenn nichts mehr "aktiv und "positiv" an diesem "Zustand" ist. Wenn die Grenzüberschreitung kein blade running, sondern eben längst vollzogen ist, und vorerst kein Weg zurück erkennbar bleibt? Ach ja, ich vergaß. Die "positive, befreiende Utopie eines Transgressionsaktes" führt am Ende ja zur Reife.
Sexual Magick. Hippie-Denke. Heute sitzen sie in den Kulturbehörden und Außenministerien und tragen lange Bärte und machen eine andere Art von Gruppenwichsen.
"Es war doch bloß Sex, es hatte nichts mit uns zu tun." Das war der erste Satz, der in der Zivilisation gesprochen wurde. Eine körperliche Verrichtung. Genau. Die Liturgie zur "Reife"? Mit dem gleichen Ansinnen könnte ich mich Tag für Tag zur "Reife" pissen, wenn es danach geht.
Eine "höhere" Bedeutung gibt es also nicht. Gleichzeitig wird darin der Königsweg gesehen, den inneren Dämon zu besiegen. Beschränke dich nicht. Lehne alle Grenzen ab. ("Anders als die ander'n, so willst du sein." Family Five, "Im Leistungskurs des Lebens"). Eine Philosophie, die ein Höheres verneint, um ein Höheres zu erreichen. Schönen Dank. Was denn nun?
if integer=0; loop at infinity
Nun, es sind schon schlechtere Theorien zusammengefaselt worden, bloß um Uschi und Inge ins Bett zu kriegen. Damals, auf den Barrikaden. ("Du, wir müssen unseren Kopf befreien!")
Das Konzept "Utopie" ist das Opium des Pseudo-Hedonisten dieser Tage. Die simple Antwort ist: Es gibt keine Erlösung. Kein Ziel. Es gibt die Höhle, Feuer, Schatten an der Wand, die gleißende Sonne auf dem Marktplatz (Hawthorne) - und manchmal Vollmond. Und was man tut, muß man verantworten. Manchmal auch vor anderen. Alles andere könnt Ihr Euch sonstwo drannageln. Transgression ist Anrennen, Grenzverletzung. Klar hat das Energie. Wie Atomkraft.
Kann man Eier mit kochen - oder anderen Leuten die Eier mit kochen.
Und jetzt schön immer weitermachen. Und bitte keine Transgression im Alltag. Schenkt Euren Liebsten Blumen, keine Messer.
(Und morgen möchte ich bitte ausschlafen, danke.)
(Literatur: Jack Sergeant. Deathtripping: The Cinema of Transgression.)
Freitag, 2. Juli 2004
Es wird immer bunder und bunder.
Am Samstag findet ja wieder die bei jüngeren Menschen beliebte Geräuschveranstaltung "Stahlklang" in dieser Hamburger Tanzdiele statt, in die ich nicht mehr gehen mag kann mag.
Muss ich auch nicht, denn das industriell geprägte Klangambiente habe ich inklusive. Zum Beispiel heute früh beim Zahnarzt. Während der hochfrequentfiepende Ultraschallschaber durch mein Zahnfleisch fräste, begann das tieftonige Schnorcheln des Absaugers einen monoton-noisigen Tranceteppich auszulegen. So muß es sich in der Gebärmutter anhören, dachte ich, und begann fast wegzulullen. Bitte nochmal über die freiliegenden Zahnhälse schreddern, danke, bat ich die hübsche Assistentin. Aaah! Das macht wach.
Ja, auch Schmerz will moduliert sein.
Schöner Artikel in der NZZ über eine längst überfällige Nische im Hörbuchwesen. Das Lauten, Lallen, LaLuLa.
Leider teuer, nur Jandl, den gibt's heuer... billiger.
Dienstag, 29. Juni 2004
Am rauhen Gestade wird vieles vom Winde verweht. Doch mancherlei Ballast kann man besser noch gewinnbringend unter den Hammer stellen.
Andere verhökern nur Geschenke, wer aber gründliche Arbeit leisten will, der macht auch aus Erinnerungen einen kultigen Dachbodenfund und weist jegliche Garantieleistung nach dem neuen EU-Recht weit von sich. Gut gemacht, junger Mann!
Ich werde gleich noch auf den Speicher eilen. Mal sehen, was sich da findet. Den Text aus oben genannter Auktion kann ich ja einfach übernehmen, das paßt schon.
(via die lu)
Sieh an, wie nett. Jemand hat Das hermetische Café für das Preisbloggen bei der Zeit vorgeschlagen. Wie ehrenvoll und rührend. Vielen Dank.
Das erinnert mich an meine Zeit als Preisboxer bei der Kirmes, ich weiß nicht, ob ich davon jemals schon erzählte. (Neulich hieß es, geht es in Ihrem Blog eigentlich ehrlich zu, Herr Kid? Natürlich ist alles wahr. Irgendwie.)
Jedenfalls gab es pro Kampf 50 Mark, und dafür, daß ich die Klappe hielt. War ja alles abgekartet. Wie beim Rock & Wrestling im Komet neulich. Jetzt kann ich es ja sagen.
Ich weiß nicht, ob es beim Preisbloggen der Zeit auch etwas zu gewinnen gibt. Aber wahrscheinlich werde ich die Klappe halten müssen. Gerade eben wollte ich noch jammern, über Frauen zum Beispiel, die sich früher nie für die Dinge interessiert haben, die ich so machte, nun aber geflissentlich Tag für Tag mein Blog lesen. Außer am Wochenende. Da haben sie frei. Da hören sie dann jemand anderem zu.
Das kann ich nun nicht schreiben, denn nun muß ich fürs Preisbloggen die Klappe halten und ordentlich Jux und Allotria für die vielen Zeit-Leser treiben.
Nehmen Sie erstmal Platz, Bedienung kommt gleich.
Sonntag, 27. Juni 2004
"Herr K., Sie müssen sich von dem Gedanken befreien, Sie hätten etwas ändern können. Menschen mit dieser Art psychischer und sozialer Muster haben nie etwas anderes gelernt, als in eben diesen bestimmten Mustern zu leben. Wenn Sie diese Muster durchbrechen, werden Sie nur als Bedrohung für diese Menschen wahrgenommen. Es ist traurig, aber so ist das. Im Gegenteil, die Schrauben werden nur immer stärker angezogen werden. Solange, bis auch Sie 'auf Linie' sind."
"Ja, so war es dann wohl. Ein herrschendes Muster. Und ich nicht à la mode."
Samstag, 26. Juni 2004
Man muß sich eine Niederlage auch einmal eingestehen können.
Die Bremer Designerin Johanna Kromp macht nicht nur interessante Fotografien, sondern hört auch gerne die heute zu unrecht vergessene französische Musikgruppe Charles de Goal.
Rock de Jeune. Man muß das auch mal anerkennen.
Heute regnet es.
Donnerstag, 24. Juni 2004
Kann man mal was anderes machen. Urlaub zum Beispiel. So für einen Tag.
Muß ja nicht weit sein. Reeperbahn tut's auch. Anfahrt mit der U3, man reist ja wieder mit leichtem Gepäck.
Einchecken ins Hotel, Cocooning ist immer noch in. Dann um die Ecke zum Italiener. Was ebenso leichtes zum Abend. Köche befinden sich heutzutage ja eher in Umschulungsmaßnahmen denn am Herd oder legen ihre Finger nur noch an verbotene Früchte.
Deshalb ist das mit der Gastronomie, ähnlich wie mit dem Installationshandwerk, so eine Sache in Hamburg. Aber vielleicht aus Mitleid mit dem drohenden EM-Aus der Squadra tedesco wurde ein empfehlenswert leckeres Essen zu zivilen Preisen serviert.
Zum Nachbier rüber in die Meanie-Bar, die zweite Halbzeit läuft. Stimmung gequält. Der Name "Schneider" fällt öfter in despektierlichem Zusammenhang. Dann ist das Spiel Aus! Aus! Aus! Meaniebar leert sich, Deutschland fährt nach Haus (und kommt gebräunt zurück), Rudi macht auch das Licht aus.
Nebenan im Molotow starten pünktlich nach dem Abpfiff die Elektropunkpfeifen von
Pink Grease.
Sechs durchgeknallte Jungs aus Sheffield schmieren sich durch einen halluzigenstoffreichen Discopunksumpf, toben durchs Publikum und machen hübsch den Iggy, wie sich das mit 17 gehört. Oder 18einhalb.
Zum Schluß gibt es sogar noch einen Joy Division- Exkurs. "In a room with no windows in a corner I found truth..." (Shadowplay).
Da erweichen auch ältere Herzen.
Großartig. Gut, daß ich vorher noch schnell den Tanzkurs How to Dance Punk inhaliert hatte.
Keine Angst, die Herren machen da nicht wirklich an sich rum, tun im Rotlicht aber so. Schmierig, irgendwie. Die Glamrock-Punketten im Publikum wären kaum zu halten gewesen, hätte ich mich nicht dazwischengeworfen.
Anschließend war es spät. Und es wartete ja noch das "Kill Bill"-Zimmer auf mich. Man kann es nur vermuten: Die Braut haut ins Auge und hinterläßt ein Splatterornament (Verbrechen genug also) an der Wand. "Requiem" heißt der Raum offiziell im Kunst-Hotel. Wer das Blutbad überlebt, darf nächstes Mal zu den "Priesterkindern". Da sieht arte povera-mäßig schick aus, voll Kemenaten-style. Ist wunderbar zur Selbstgeißelung und -kasteiung geeignet, kommt aber ebenfalls als Doppelzimmer. Ist vielleicht für die zahlreichen Ex-Goths, die hier jüngst aus ihrer dunklen Vergangenheit aufgetaucht sind, ein interessanter Tip.
Für Damen mit gekrepptem Siouxsie-Haar mache ich für eine Nacht dann auch gerne noch mal den Robert.
Wenn man im "Requiem" an die Decke schaut, hat man angenehme Träume. Frühstück gibt es übrigens bis 17.00 Uhr. Zum Glück aber auch vorher.
Dienstag, 22. Juni 2004
Wie einige vielleicht wissen, hatte ich FRÜHER™ einen schwarzgefärbten Zauselkopf. Und da hier neuerdings so viel über die wunderbare Kunst des Tanzens geschrieben wird, bin ich diesem Hinweis gerne gefolgt. Für das nächste dunkelgefärbte Wochenende in den Playrooms Eurer Stadt sollte man gut vorbereitet sein. (Es hilft auch, szenetypisch die Unterwäsche wegzulassen.)
Liebe Eleven: How to dance Gothic Style.
(Schrift muß nicht installiert werden, geht auch so. Via Hyperlog)
[Edit: Geht noch weiter: How to dance Punk. Auch gut.]