Freitag, 9. Juli 2004
Sieht aus wie mal eben hingekritzelt. Ist es auch. Der amerikanische Künstler Jack Pierson benutzt Fotografie, Poesie, Malerei und Installationen für seine Forschungsreisen in die Alltagswelt. Seine Themen sind Einsamkeit, emotionale Distanz, Verlorensein, das Monumentale und das Banale. Geplatzte Träume, enttäuschte Hoffnungen. Alles wird Kunst, und Kunst wird alles.
Regen auf Fensterscheiben, verblasste Interieurs, reduzierte Farben, sinnentleerte Wortfetzen. Seine Fotografien scheinen nur dokumentarisch, weil sie das Banale streifen. Dabei sind sie Fiktionen, lakonische Kommentare, zerbrochene (amerikanische) Träume. Zersplitterte Oberflächen, abgewetzte Möbel, ein paar Schallplatten, Bücher, eine letzte Zigarette. Atmosphärisches Geplänkel für manche. Rührung für andere.
Das einzig echte eben.
(Jack Pierson. The Lonely Life. Zürich, 1997.)
Donnerstag, 8. Juli 2004
"I have a hard time missing you baby,
with my pistol in your mouth.
You may be thinking 'bout going north,
but your brains are staying south."
(Lousiana Red, "Sweetblood Call".
Aus: Nan Goldin, "The Ballad of Sexual Dependency". 1986.)
Heute ein wenig ins Schwefelgrüne hinausgewandert. Hinter das Haus und dann über den staubigen Weg immer schnurstracks gen Süden. Ein flirrendes Licht blendete den spärlichen Lastverkehr. Die Sonne brannte. Mein Mund fühlte sich trocken an, und ich erinnerte mich an viele Dinge. Bis Wasser mich stoppte.
Es gibt dort eine Bank, direkt am Ufer. Angler hatten dort einen großen Fisch ausgenommen. Silbrige Schuppen glänzten in der Sonne. An einem Stein klebte Blut. Hier war es sehr still. Nur ein Schrottkahn tuckerte in der Ferne. Stromaufwärts.
Mittwoch, 7. Juli 2004
Irgendwas fehlt immer.
Mittwoch, 7. Juli 2004
Man kommt in ein Alter, in dem Arztbesuche weitere nach sich ziehen.
Ihr Exfreund aber war 30 Jahre älter und in allen Dingen "viel leistungsfähiger". Gut, daß wir verglichen haben.
Montag, 5. Juli 2004
Früher wohnte ich noch genau gegenüber. Seit der Zeit habe ich die JAHRESAUSSTELLUNG schätzen gelernt. Skurilles, albernes, interessantes, dämliches, schönes, beeindruckendes, bewegtes, langweiliges und echt inspirierendes Zeug galore. Auch für kleinere Kinder ein visuelles Fest.
(Das Barbiezimmer gab es letztes Jahr)
Jahresausstellung 2004
Präsentation der Semesterarbeiten aus den Studiengängen Kunst, Architektur, Design und Visuelle Kommunikation/Medien.
Außerdem Aktionen, Performances, Cocktail-Bars, Kochsalon sowie andere Spektakel und Party am Eröffnungsabend ab 22 Uhr.
Donnerstag 08.07.2004 - Sonntag 11.07.2004
HfbK, Lerchenfeld 2, Averhoffstr. 38, Wartenau 16
Öffnungszeiten: tägl. 14–20 Uhr
Der in Paris lebende Amerikaner Paul (Marlon Brando), ist nach dem Selbstmord seiner Frau ein gebrochener Mann. Bei einer Wohnungs- besichtigung trifft er die junge Französin Jeanne (Maria Schneider). Die beiden gehen spontan eine rein sexuell geprägte Beziehung ein. Keine Namen, keine Details, lautet Pauls Bedingung. Als er dann doch versucht, eine tiefere Bindung zu Jeanne aufzubauen, steuert die Beziehung auf eine Katastrophe zu...
Nach über dreißig Jahren ein immer noch bewegendes Drama über Liebe und Einsamkeit. Zwei Grenzgänger stoßen in einem kargen Raum aufeinander, ineinander, stolpern schließlich übereinander. Bis zur Implosion aller verdrängten Gefühle und Ängste. Opfer der Begierde und Täter doch zugleich.
Genauso ist es und genau so wird es immer enden.
Ultimo tango a Parigi. (Italien / Frankreich 1972). Regie: Bernardo Bertolucci.
Sonntag, 4. Juli 2004
Beim ersten Mal war es im Grunde nur eine kleine Unachtsamkeit gewesen. Eine winzige Geste nur, doch was folgte, war ein Krach, der durch Mark und Beine ging. Dann, nach einer Schrecksekunde aber folgte Erleichterung. Nüchtern betrachtet war doch nichts passiert. Es hatte einmal laut gescheppert, nun gut. Man taumelte, atmete schwer. Wir waren gewarnt; es war sehr, sehr nahe dran gewesen.
Wir beschlossen, es noch einmal zu probieren. Wie man das so tut, als vernünftiger Mensch. Nicht gleich aufgeben. Immer weitermachen.
Kurze Zeit, beflügelt von der eigenen Souveränität, von der Kraft, diese schwierige Situation, in der die Nerven blank gelegen hatten und man plötzlich der eigenen Empfindsamkeit sehr bewußt geworden war, gemeistert zu haben, nun kurze Zeit also, ging alles recht leicht, beschwingt und optimistisch gar, von der Hand.
Doch dann, man hatte die Sache schon vergessen, dieselbe Unachtsamkeit, plötzlich derselbe Krach, nur anders. Diesmal schepperte es nicht nur, diesmal ging alles zu Bruch. In tausend kleine Stücke.
Mit dem Handfeger kehrte ich die Reste meine Lieblingsglasschüsselchens, das mich zwanzig Jahre treu begleitet hatte, auf den Küchenfliesen zusammen.
Sonntags wird nun nie wieder gespült.
Immer irgendwie seltsam. Wenn mitten in der Nacht das Telefon klingelt und sich niemand meldet.
Na ja. Ist halt Vollmond.
Samstag, 3. Juli 2004
Nachdem ich all die guten Ratschläge meine schwere Erkrankung betreffend befolgt habe (außer der Sache mit der nassen Wollsocke. Damit konnte ich nicht so recht warmwerden. Ich war allerdings froh, daß mir nicht empfohlen wurde, einen Tee daraus zu kochen), geht es mir heute besser etwas besser. Schnüff.
Zeit also, sich die Hagebuttenteeinfusionsnadel aus dem Unterarm zu ziehen und den Tropfhalter beiseite zu schieben. (Notiz: Unbedingt einen rollbaren Infusionsständer zwecks erhöhter Mobilität irgendwo abgreifen!)
Frische Luft war das Gebot des Tages, und so wagte ich mich zwischen zwei Schauern nach draußen. Angenehm mild war es für Herbst und ich konnte die Lederjacke sogar offen tragen.
Die rote Nase rührte bloß vom Schnupfen her. Mir war nach hautschmeichelnder Luft, gesunder Lebensweise, meinetwegen kitschigem Frieden und ein wenig Versprechen. Und ein bißchen bunter Erlebniswelt, aber nicht von diesen rosabepuschelten Teenagern, die heute wegen "Schlagermove" Asti-Spukante-befeuert die U-Bahn besangen. Also auf zum Flohmarkt. (Neuerdings trifft man dort sogar den ein oder anderen Hamburger Blogger, das ist ja dann auch nett.)
So ein Flohmarkt ist ja im Grunde eine begehbare Assemblage. Alle möglichen Ex-Einrichtungsgegenstände, Bücher, Klamotten, Schrott und Konkursmasse liegen einfach auf dem Boden herum. Das sieht man in dieser chaotischen Anordnungen höchsten noch bei Schwitters und Léger im Museum. Anders als im Guggenheim aber, darf man auf dem Flohmarkt alles anfassen. Hätte ich Kinder, die ich als alter Hagestolz nicht habe (ich zähle jetzt mal die zwei Jahre mit "Beutekind" nicht dazu), die würden von mir Woche für Woche gnadenlos auf den Flohmarkt geschleift.
Neben den haptischen und visuellen Sensationen bekommen sie gleich einen Eindruck vom Prinzip der Vielfalt und der Originalität der Dinge. In den selbstähnelnden Fußgängerzonen der westlichen Welt mit ihrer abgenudelten optischen Melodie von Filialketten und dem identisch geklonten Warenangebot kann man diese Erfahrung nicht mehr sammeln. Auf dem Trödel aber läßt sich alles begrabbeln und betatschen und von mir aus in den Mund nehmen. Die Dinge dort bieten einen Überblick über längst vergessen geglaubte Zeit- und Stilepochen. Fälschlich im Müll entsorgt geglaubter Plunder, Reste von Wohnungsauflösungen - alles wird an das oftmals nicht unbrutale Licht offener Plätze gezerrt. Ähnlich wie eine Galerie wird der Flohmarkt zur Wertanstalt: Der einst massengefertigte Schrott der Billigheimer verliert durch Zahn und Zeit seinen seriellen Charakter und wird zum Unikum, zum Einzelstück mit Patina und Sammlerwert.
Daneben gibt es echte Pretiosen wie dieses Gemälde hier. Offensichtlich von Meisterhand gemalt, ohne piefige Rücksichten auf Perspektive und Anatomie, zeigt sich hier eine Szenerie voll hautschmeichelnder Luft, kitschigem Frieden und gesunder Lebensweise. (Wobei nicht klar ist, ob sie in ihrer rechten Hand, die leider, Schnappschuß eben, nicht mehr aufs Bild paßte, nicht doch eine Zigarette hält. Aber dieses nette Frollein, deren Augenpartie ich wegen der Anonymität im Internet extra ein wenig verdunkelt habe, macht so etwas bestimmt nicht.) Hinter sich die offene See sitzt sie naeckisch in den Dünen, den Blick einladend an den Betrachter gerichtet. Was wird sie wohl sagen wollen? "Schöner Mann, verweile doch", oder "Hilfst Du mir, meine zarten Füßchen zu finden?" (Wär der Maler nur einen Schritt zurückgegangen, sie hätten noch aufs Bild gepaßt.)
Wahrscheinlich aber sagt sie in einem solch romantisch angehauchten Moment nur etwas ganz profanes. Etwa: "So, jetzt kannst du Brötchen holen", oder sie sagt etwas kühles. Nein, mein Mädchen, dich hab' ich durchschaut. Mein Schnupfen und ich, wir gehen ungeküßt nach Hause.