Freitag, 1. Januar 2010
Nachdem ich heute bereits das Foto des Jahres gesehen und danach gleich beschämt beschlossen habe, selbst nie wieder ein Foto zu machen, nach all den zurückliegenden Wochen aber auch, die fast bis in die letzten Zeitwinkel mit Getue und Gebrause, Hin- und Herfahren, Behördengängen, Tadi und Tada gefüllt waren, ist heute der erste Tag, an dem ich mal zwei, drei Stunden auf dem Sofa liegen und durch die quasi sich selbst akkumulierenden Stapel Zeitschriften und Bücher blättern kann. Fast wie früher! oder Wie es sein sollte! grunzt wohlig der innere Schweinehund, während ich immerhin noch so pflichtbewußt bin, nach erster Sichtung der Zeitschriften drei Stapel zu bilden mit "Muß ich noch lesen", "Könnte ich noch lesen", "Sofort weg damit!" Danach dann ein Blick in die drei Bücher, die ich mir zu Weihnachten selbst geschenkt habe (man weiß ja schließlich nie, was sonst so kommt, und nachher sitzt man mit leeren Händen unterm Baum, mühsam die Tränen zurückhaltend!) Eine erste Enttäuschung bereits hat mir jedoch David Brownes Biografie über Sonic Youth bereitet. Das Vorwort zu Goodbye 20th Century kommt leider sehr geschwätzig und in einem aufgeplusterten Amerikanisch daher, das durch die Übersetzung nicht viel besser geworden ist - zu sehr kann man beim Lesen jede betulich-gestelzte Wendung im Kopf Wort für Wort rückübersetzen. Banalste Beobachtungen ("...jeder [hat] seine eigenen Vorstellungen von Sonic Youth") und Sätze wie "Es ist eine Geschichte darüber, wie man seine Integrität bewahrt, während das Leben einen vor immer größere Herausforderungen stellt und man selbst älter wird" nehmen mir eigentlich die Lust, überhaupt weiterzulesen. Aber es ist bloß das Vorwort, mal sehen, welche mißstimmige Laune die weiteren Kapitel erzeugen werden.
Großartig und eine wirkliche Empfehlung ist allerdings der Bildband über Tracey Emin, der zur Zeit in den Buchhandlungen eures Vertrauens für die Hälfte des Originalpreises verramscht wird. Emin ist für mich ja die Aufregendste unter den Selbstentblößungskünstlern, unbequem, monströs, ungelenk auch, anstrengend und immer wieder ungeheuer bewegend. Beim Blättern durch ihre Quilts (siehe hier) sind es regelmäßig die schmerzhaften Rechtschreibfehler in den aufgestickten Truisms und Gedankenaustreibungen, die wie die groben Nähte entlang der Buchstaben die brüchigen Demarkationslinien eines gewaltvoll zerstoppleten Lebens spüren lassen. Ihre Autobiografie Strangeland ist übrigens ebenfalls endlich auf Deutsch erschienen. Nervtötend interessant und mit einem kurzen, für mich sehr anrührenden, Nachwort:
I feel it would be unreasonable for anyone to read a book that had spelling mistakes throughout. It was my decision to have my spelling corrected, and I'm now in the process of learning to spell.
Eine Lektion also über das Aufrappeln und Wiederaufstehen - wie hieß das noch in einem dieser Blogs so nervtötend repetetiv: Immer weitermachen.
Dazwischen David Lynch. Worüber man nicht sprechen kann.
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- David Browne. Goodbye 20th Century: Die Geschichte von Sonic Youth. (Köln, 2009.)
- Tracey Emin: Works 1963 - 2006. (New York, 2006)
- Werner Spies (Hrsg.). David Lynch: Dark Splendor. (Ostfildern, 2009.)