Freitag, 4. Januar 2008
Nach drei Tagen in der Fabrik kann ich sagen, der alte Trott ist 2008 noch ein bißchen älter geworden.
Montag, 31. Dezember 2007
Drück ich mich in den Stadtbahnzügen?
Schrei ich in einer schwulen Bar:
"Huch, Schneeballblüte! Prost Neujahr!"
Geh ich zur Firma Sklarz Geschwister -
Bleigießen? Ists ein Fladen klein:
Dies wird wohl Deutschlands Zukunft sein.
Prost Neujahr!
Helft mir armem Mann!
Was fang ich bloß Silvester an?
(Kurt Tucholsky, "Silvester")
So 2008, ich bin so weit. Von mir aus kann es losgehen. Das hermetische Café wirft alle Traurigkeit über Bord und läßt sogar ein wenig Zigarettenrauch vom Nachbarbalkon herein. Aber nur bis Mitternacht! Dann wird ein zünftiges Paket Scheibenkäse (Gouda, Discounter) und die Migonflasche geöffnet ("Raumland", Cuvée Katharina, brut) und aufs neue Jahr angestoßen. Um nicht wieder jemanden mit vorgehaltener Waffe dazu zwingen zu müssen, mache ich das mit mir und gehe dann runter auf die Straße, ein wenig Konfetti verstreuen.
Macht es wie ich, feiert schön, Tanzen ist auch gut, und vergeßt die guten Vorsätze nicht. Raus mit dem alten, rein mit dem neuen, das alte Spiel eben.
Ich wünsche allen ein bezauberndes 2008. Stößchen!
Sonntag, 30. Dezember 2007
(Siouxsie and the Banshees,
"Scarecrow". 1988.)
Langsam, die Ellbogen aus dem zerfressenen Jacket gereckt, die Stube ausfegen. Den Besen in verschieden großen Kreisen über den Boden ziehen, zusehen wie Staub auffliegt, alte Geister und unausgesprochene Gedanken. Die tränenverklebten grauen Träume lassen sich wohl nur feucht wieder von den Fliesen bekommen. In der Ecke hinter dem Mülleimer haben sich ein paar Nachtmahre zusammengeklumpt, die kehre ich auf die metallene Schippe, ohne sie auch nur groß anzusehen.
Ich pfeife vielleicht ein fröhliches Lied. Ich bin der König der Salamander. Mit Feuer und Schwefel rücke ich dem alten Jahr zu Leibe. Ich wickle es ein, mit rostigen Bändern, mit Stricken, die ich in Asche gerieben habe. Ich lasse es schmurgeln, im Ofen verpuffen, in öligem, schwarzen Rauch aufsteigen, gleich den Seelen unehrenhaft Verstorbener. Der Fährmann, der sein Boot gleich hier am Kanal vor meinem Haus vertäut hält, wird einmal leer ausgehen.
Für die Reise in ein neues Jahr empfiehlt sich leichtes Gepäck. Der Gleichklang eines zweiten Herzens, das Klirren zweier Gläser - oder auch nur die Erinnerung. And I have seen all I want to, singen die Banshees in "Rhapsody". And I have felt all I want to, setzt es nach. Wenn alles verloren ist vor einem bleichen Horizont, wenn alles still wird, kurz vor dem fernen Glockenschlag dann um Mitternacht, erklingt aber noch die letzte Zeile. But we can dream all we want to.
Hopefully learning.
Freitag, 28. Dezember 2007
Daraus ließe sich glatt ein Kunstgewerbe gestalten. Die Mantik der eMail-Betreffzeilen erspart nämlich das umständliche Lesen in Vogelgedärm. Das aktuelle Beispiel ist da geradezu sinnbildlich: Viel Arbeit, kein Picknick, immerhin etwas Kunst. Die ganzen wortreichen Spam-Mails mit ihren güldenen Versprechungen nicht eingerechnet.
Man sollte nicht warten, daß Brosamen von der Tafel der anderen fallen. Man sollte sich lieber eine Stulle schmieren. Sich selbst der wichtigste Mensch werden. Ganz genau. Keine lauwarmen Wechsel auf die Zukunft, lieber den Abschlag nehmen und ein kleines bißchen Gegenwart. Also 2008, wenn du Lust hast, was mit mir zu unternehmen, dann schau doch ruhig vorbei.
Sonntag, 23. Dezember 2007
So, ihr Herzensguten. Bald ist es geschafft, die ein oder andere Geflügelöffnung wird bereits gefüllt, der ein oder andere Weihnachtsgast bereits abgefüllt und der ein oder andere Neugierige die Geschenke bereits vorgefühlt haben - Heiligabend steht vor der Tür. Anlaß also, wie in biblischen Zeiten eine Reise zu unternehmen und um Herberge zu bitten. Mutter, werde ich sagen: Horch, ein Kid ist gekommen!
Die Stippvisite wird kurz, aber mit eiskalten Salaten und Astro-TV in lauter kulinarische und kulturelle Höhepunkte verpackt sein. Soll es allen Lesern Menschen ebenso, ach was, besser sogar ergehen. Fröhlich möchte ich nicht sagen, aber besinnliche, friedliche Weihnachten also, ein Dankfest zum Ende eines für die meisten selten leichten Jahres.
Auch das eine schöne Bescherung: An Heiligabend, das ist kein Zufall, besteht dieses Blog vier Jahre. So hat es damals angefangen, hat diese und jene Wende & Volte geschlagen, knapp 1200 Beiträge und noch ein paar mehr Kommentare ertragen und heute exakt 400.000 Besucher und ich kenne jeden einzelnen. Menschen habe ich kennengelernt, die ich sonst wohl nie getroffen hätte - und darunter sind einige, die ich nicht mehr missen wollte, sei es virtuell oder im ganz realen Leben. Viele waren sehr freundlich zu mir, einige auch nicht so, zu manchen war auch ich nicht sehr freundlich und bei ein oder zwei bedaure ich das sogar. Aber an diesen Tagen wird ja alles wieder gut. Konzern-Manager handeln "wie ehrbare Kaufleute", wie es im Radio hieß, Menschen, die privat von "die doofen Blogger" sprachen, suchen nun das glitzernde Licht großer Blogger-Veranstaltungen und leben richtig auf. Niemand findet das wundersamer als ich, aber Nähe, und das merkt euch, ist nicht nur in der Adventszeit ein Zauberwort. Nicht so viel reden, es heißt die stille Zeit. Da sein.
Also: Macht was draus, seid nett zueinander und wenn ihr wen gefunden habt, haltet ihn oder sie gut fest. Ist glatt draußen.
Frohe Weihnachten.
Donnerstag, 20. Dezember 2007
Rock'n'Roll war früher... anders. Heute, im Heim von Glaube, Liebe, Hoffnung, ist Rock'n'Roll, wenn einem die Ärztin das Rezept per Post zuschickt, nachdem man seine Wünsche auf ihrem Anrufbeantworter hinterlassen hat. Es klang zwar nicht nach einem kehlig gesprochenen He, Babe, ich brauche meinen Stoff, aber irgendetwas anderes in meiner Stimme muß sie berührt haben. So ließ sie mich nicht vor einem schnell hingeschmierten Urlaubsschild an der Praxistür auflaufen, gellte auch nicht telefonisch zurück: Min Jong, beweg' dich gefälligst her, wenn du was von mir willst. Nein, sie gab das größte Geschenk, sie dachte mit! Herrlich, wenn man nicht jede Gefälligkeit einklagen muß. Bei so viel Glück, möchte ich meinen, packen die es mir in der Apotheke noch in Glitzerfolie ein, wenn ich dort anrufe. Vielleicht könnte ich neben der anderen Arbeit noch eine Telefonsexnummer betreiben, angesichts der offensichtlichen Magie derzeit in meiner Stimme. Nun gut, das ist ein altmodischer Gedanke.
In der hermetischen Seemannskneipe saß ich einst in tiefem Gedanken. Mir war so Schiff ahoi zu Mute, wie lange nicht mehr. Wegen Aussatz über Bord geworfen wie ein Eimer voll Bilgewasser, hockte ich nun bei Schäbig & Tochter, malte mit dem Finger obszöne Figuren in die Bierlache auf dem Tresen und gab dem Simpel, der mit Eimer und Wischmop Reste, Gäste und Geziefer zusammenkehrte, fünfzig Pfennige für die Jukebox. "Spiel das Nebellied für mich", rief ich, schon ein wenig angetrunken. Langsam, viel zu langsam schlurfte "He du!", wie er genannt wurde, zum Plattenautomaten und drückte K37. Mit noch ächzenderen Bewegungen als ich meine Zeichungen in die Lachen wischte, setzte sich der Plastikarm in Bewegung, das Plattenkarussell wanderte herum und mit einem leisem Plopp fiel die schwarze Scheibe herab. Es knisterte und knackte, so sehr hatten klebrige Alkoholschwaden und heftiges Gerumpel an der Maschine in Folge des ein oder anderen entgleisten Kneipen-Shimmys oder Wirtshaus-Shakes dem Vinyl zu schaffen gemacht. Eine wehmütig gezupfte Gitarre setzte ein, dann die Stimme von Marina, ein Mädchen wie Zimt und Vanille. Sie beschrieb die Nacht am Kai und behauptete, immer warten zu wollen, auch wenn sie das Schiff im dichten Nebel nicht sehen könne. Ach, wie sehr und wie gerne hatte ich diesen Worten einst geglaubt! In den einsamen Tagen, in den stürmischen Tagen, war der Sirenengesang des Nebellieds oft das einzige, was mich sprichwörtlich über Wasser hielt. All die schönen Worte, die vielen Beschwörungen! Wie Glitzer senkten sie sich auf die Wellen herab, verzauberten die Schaumkronen und hüllten Schiff und Masten ein.
Die dreckigsten Witze und derbsten Späße an Bord verstummten, wenn ich auf meinem Reisegrammophon das Nebellied spielte, und selbst Hein Pöök, unser grober Smutje, der handfest war und kein Träumer, wischte sich in der Kombüse die ein oder andere Träne am Zipfel seiner speckigen Schürze ab. Marina, du Traum von Zimt und Vanille! Damals, in Montevideo, ließ ich mir ein Herz mit deinen Namen darin auf den Oberarm tätowieren. Die Besatzung johlte, schalt mich einen Narren und fortan konnte ich das Nebellied nicht spielen, ohne daß zotige Bemerkungen hin- und herflogen, die an deiner Ehre rührten, Marina. Kurz vor Gibraltar warf ich die Schallplatte und das Grammophon über Bord.
Als wir im Heimathafen einliefen, herrschte schönster Sonnenschein. Wir hatten uns landfein gemacht, die blankpolierten Knöpfe unserer Jacken glänzten im Licht, und heller strahlte nur unser Lachen. Wir wurden alle am Kai erwartet, mit Blumen, Kuchen und glitzernden Herzen. Alle, bis auf Hein Pöök und ich. Gedankenverloren rieb ich meinen Oberarm, meinte ich doch, ein leichtes Ziehen dort zu verspüren, wo das tätowierte Herz war. Dann landete krachend eine Hand in meinem Kreuz. "Hier, min Jong", rief Pöök, feist lachend wie stets. "Ich hab noch einen schönen Rest für dich, das macht satt, da hast du was." Und er reichte mir ein trockenes Stück Käse, das die weite Reise mit uns übers Meer gemacht hatte. Und dazu einen alten Kanten Brot. Etwas Glitzerstaub lag auf der Kruste. Ich blies ihn fort, sehr vorsichtig und biß einfach ab.
Dienstag, 11. Dezember 2007
Ich bin mir nie sicher, wie andere Menschen ihren Sonntagnachmittag verbringen. Ich jedenfalls setze mich dann an meinen schmalen Tisch, hole mir Schere und Kleber und die ganzen famosen Produktinformationen, die mir der freundliche mindestlohnbezahlte Mann von der Post in meinen Briefkasten steckt - und dann schneide ich akribisch die interessanten Angebote der Woche aus, um sie noch akribischer und mit einer gewissen interessierten Zärtlichkeit in mein Wochenplanbuch zu kleben.
Was dachtet ihr denn?
Es liegt darin eine meditative Ruhe, ein inneres harmonisches Schwingen, dem sich das Oszillieren der Preise und die Buntheit der Schweinebäuche unterordnet. Ich atme Angebote könnte man sagen, der Ort Supermarkt wird mir zum Lichtspielhaus, zum Haus der Träume, ein Orgienpalast des Alters. Ab Montag dann warten nicht nur Stangenspargel und Herren-Stringtangas aus Elasthan auf mich, Harzer Wurstwaren (29 Prozent runter) und Fusel ohne Alkohl (20 Cts. gespart), auch der Wahnsinn (gleich 15-teilig) und die "Tafelschokolade" (passend zu Tafelwasser und Tafelwein) sind echte Verlockungen, für die man ruhig auch mal eine Stunde früher beim Geschäft sein sollte. Wer weiß. Jahreszeitlich im Trend, wenn auch historisch irreführend ist vielleicht die "Weihnachtskrippe Villa" (14,99 €). Aber warum soll das Jesuskind dieses Jahr nicht einmal in einem schicken Nobelheim statt in einem kargen Stall liegen? Vielleicht hat der Josef, sonst hatte er ja nicht übermäßig viel zu tun, unterwegs Lotto gespielt und konnte es sich leisten. Oder es wurde ihm eine stattliche Herdprämie gewährt, weil er zunächst zu Hause blieb. Nächstes Jahr heißt es möglicherweise bereits "Weihnachtskrippe Prinzenpalais", wenn das mit dem Aufschwung so ungebremst weitergeht. Dann erhalten auch Zimmermänner den Mindestlohn.
Donnerstag, 6. Dezember 2007
Weder brav noch böse, dieses Jahr bin ich gar nicht gewesen. Deshalb stand kein Jakobiner vor der Tür (alter Studentenbewegungswitz) und noch nicht einmal ein Nikolaus. Den gab es immerhin in der Fabrik. Sehr gerührt gewesen, hätte nur noch gefehlt, daß ein kleiner Posaunenchor unten im Hof "Nun danket alle Gott" gespielt hätte. Derweil möchte meine Mutter wissen, ob ich etwas zu Weihnachten geschenkt haben möchte und verwies auf die tollen Angebote eines großen Kaffeerösters.
Beim Blättern fiel mir ein Hilfsmittel ins Auge, bei dem ich mich sofort fragte, wie ich bislang ohne es auskommen konnte: das elektrische Krawattenkarussell - sogar mit Beleuchtung (aber ebenfalls ohne Musik). Lieber hätte ich deshalb das Karaoke-Einstiegsset mit sogenannter Party-DVD. Wie ich hörte, soll das Menschen Freude machen. Zusammen mit meiner noch zu erwerbenden trübselig wild blinkenden Heimlichtorgel, werde ich 2008 der coolste Typ Hamburgs sein. Ach was, Hamburg. Man muß in größeren Dimensionen denken! Ich jedenfalls lade mich dann ein.
Mittwoch, 5. Dezember 2007
It's a passing of time
(Siouxsie and the Banshees, "Monitor". 1981.)
Menschenkino, ein steter Fluß von Reizen mit wechselndem Programm.
Ich glaube, ich muß mich gleich übergeben.
Dienstag, 4. Dezember 2007
Während ich soeben mit zittriger Hand eine weitere steuerschuldnerische Überweisung für das Finanzamt unterschrieben habe, die aus meinem zunehmend wehleidiger werdenden Konto eine wässrige Neige gleich dem Grund einer Packung Speisequark machen wird, lese ich frohe Kunde:
Wie die Sterndeuter orakeln, steht mir neues Geld ins Haus! (Nicht vergessen, gleich unbedingt mit meinen supergeheimen Gewinnzahlen zur Lotteriebude zu gehen!) Und mehr noch: You may start a blog, heißt es da. Klingt das nicht wunderbar? 2008 werde ich auch endlich wieder verreisen (zwei Ziele winkten mir die Tage bereits wie lockende Hula-Tänzerinnen verführerisch zu), was erleben, einen Großbildfernseher kaufen und mein Bruder wird mir vielleicht bei der Badrenovierung helfen. Oder mich einfach mal besuchen. Überhaupt wird mein neues kanariengelbes Sakko mir ein völlig unbekanntes Leben bescheren: If you've ever felt invisible at parties or other gatherings, you certainly won't feel that way now. Toll, toll, toll.
Die Sache mit der erforderlichen neuen Frisur gibt mir noch zu denken, aber davon war ja neulich - das kann kein Zufall sein! - schon die Rede. Am 23. steht eine spannende weite Reise ins Blaue ins Haus, da werde ich also gespannt sein, wie sehr sich Wuppertal verändert haben wird. Und es stimmt, rund um die Weihnachtszeit, jetzt bin ich aber verblüfft, werde ich wohl meinen Bruder sehen. Und da ich innerhalb der angesprochenen fünf Tage um den 24. Oktober Geburtstag habe, kann ich ihn offenbar ruhig auf diese Badezimmergeschichte ansprechen.
Danach dann - denn es heißt: If you are a writer, you may learn to be a television personality - bereite ich vielleicht eine eigene TV-Show vor. Gestern hörte ich eine Nachtigall las ich, Matussek sei nicht mehr Kulturchef beim Spiegel. Alles klar.