Sonntag, 15. Januar 2006
I am so much older than I can take
And my affection, well it comes and goes
I need direction to perfection, no no no no
(The Killers, "All The Things That I've Done")
Tief in der Nacht spuckt es mich aus, das rauchige Café, und durch frostige Straßen geht der Weg, der letzte des Abends. Immer zu lang, immer zu weit. In der U-Bahn der Plunder der Nacht: trunkene Jugend, verbrauchte Gesichter, schlafende Schönheiten. Die letzten Versprechen sind bereits vergessen. Das letzte Lied hängt noch in den Köpfen nach. Im fahlen Licht des Wagens indes kein Platz für Gnade. Schäbige Taschen, kaputte Schuhe, ein Rest verstreuter Glitter: Wenn die Nacht in Trümmern liegt, gilt es, das nackte Ich nach Haus' zu bringen. Hungrig kriechen wir noch ein wenig tiefer in die abgewetzten Mäntel.
Ich betrachte die Wimpern, das müde Blau in den Augen des Mädchens gegenüber. Ihren Freund, an dessen Arm sie sich schmiegt, wird sie bald verlassen. Noch weiß sie es nicht. Doch in einer Nacht, die ihm frostiger scheinen wird als diese, wird sie ihm sagen, daß sie nun gehen muß.
Was macht es schon. Die Züge fahren die ganze Nacht. Man muß nur wissen, wo man aussteigen muß. Und wo man bleiben kann.
Freitag, 16. Dezember 2005
Is beyond words.
(Tuxedomoon, "In A Manner Of Speaking")
Und dann die bange Frage, wird es jemals anders sein. Das sanfte Sehnen, das sich wie eine lange Kanüle langsam in die Vene der Armbeuge bohrt. Der Stoff, aus dem die bösen Träume gewebt und Briefe, die niemals ihren Empfänger finden werden. Draußen die Nacht über dem Kanal, sie spricht nicht zu mir. Nichts. Was war, was sein wird, am Ende die Bilanz. Morgens einfach sagen, Nein. Abends einfach sagen, Nein.
So lange Jahre, eine Bedrohung erst, ein finsterer Schrecken. Nach dem einen Mal. Nach dem zweiten Mal sagte ich bereits hallo, und als er ging, wußte ich, dieser Fremde geht als Freund.
Ein Wächter vielleicht, ein Ticket, das man in der Tasche trägt. Für eine große Reise, eine lange Fahrt. Damals war es jugendlicher Drang, der Überfluß. Heute weiß ich meine Zeit für altkluges Ennui zu schad'. Und doch fehlen die Worte, das eine, das letzte, das ich nicht finden kann. Die Antwort.
Unter dem schwärzeren Schatten, zwischen rostigen Nägeln und dem alten Buch. Verklebte Seiten, was weiß ich denn, was da stand, die Worte fallen mir nicht ein. "Oh, give me the words, that tell me nothing." In die Leerstellen drängen Laute femder Lippen. Mit hohlem Atem, hohle Sätze, die kenne ich genau.
Wohin soll ich die Nadel setzen, sagt der Fremde. Ich finde keinen Platz. Wir müssen die wunde Stelle finden, sage ich. Sie ist irgendwo weit unten, ich weiß doch nicht, wo es am besten ist. Ich hab' das ja nicht gelernt.
Und wir lachen ein wenig, wir beide. Der Fremde, der so lange schon ein Freund ist, und ich. Wills'n Bier? frage ich leutselig und weiß genau, er wird mit mir nichts trinken. Er ist doch immer im Dienst. Immer. Und immer.
Samstag, 3. Dezember 2005
May seem a waste of time
It's always been just the same
No hearing or breathing
No movement no lyrics
Just nothing.
(New Order, "Your Silent Face")
Am Tag, als der Sommer vorbei war, sagte ich, laß uns noch etwas nach draußen gehen. Es war der erste Tag, an dem ein kälterer Wind an den Häuserfronten der Stadt entlangschlich und eine Ahnung von Herbst hinterließ.
Wir saßen draußen auf zwei Stühlen des Caféhauses, die man vergessen hatte hereinzuholen. Sie drehte sich mit routinierten Griffen eine Zigarette. "Und nun?", fragte sie. Ich betrachtete die Tauben, die langsam nähertrippelten, in der Hoffnung auf etwas Brot.
"Nichts", sagte ich. (Nada y nada, dachte ich.) "Wir werden hier sitzen. Die Sonne wird nicht kommen, deine Zigarette fast ausgeraucht sein. Irgendetwas Kaltes wird an uns vorbeiwehen." Sie blies langsam den Rauch aus.
"Dann wirst Du langsam den Rauch ausblasen. Du wirst etwas sagen wie, daß Du gerne die Katze aus dem Regen retten willst." Sie blickte mich fragend an.
"Ich bin nicht Hemingway", beruhigte ich. "Zum Glück." Ich schlug den Kragen der Jacke hoch. "Und es regnet ja auch nicht. Noch nicht, heißt das." Nachdenklich studierte ich den Himmel, während der Rauch ihrer Zigarette mich einhüllte.
"Du wirst die Kippe zu Boden fallen lassen. Mit einem letzten Glimmen, vielleicht. Dann werden wir aneinander vorbeisehen und aufstehen. Du trittst die Glut aus, und wir werden gehen."
Sie sah mich das erst mal an, das Leuchten der Zigarettenspitze erhellte das Blau ihrer Augen. "Dann ist es eine Frage der Richtung", sagte sie endlich.
"Du hast deine gefunden", sagte ich. "Und ich, ich hatte nie eine."
Sonntag, 20. November 2005
Wir fanden uns ganz schön bedeutend.
(Die Sterne, "Trrrmmer")
Drei Monate bastel ich schon an meinem zweiten Wohnzimmer herum, und finde doch keine Zeit, mehr als die Wände vorzustreichen.
Manchmal denken, ach, nimm doch Sack und Pack und zieh in neues Heim. Verrate niemanden deine Hausnummer und kaufe auch kein Telefon. Mach doch mal in Ruinen. Bei dir ist es so langweilig geworden. Nein, nur unpersönlich. Und man ahnt doch auch warum. After the Goldrush.
Blicke. Was sagte der Rabe? Nevermore, und das mit einem Achselzucken. Gedankenverloren spiele ich mit dem losen Sicherungsstift, halte den Bügel in der Hand, warte, ob ich niesen muß. Gekommen, um zu bleiben. Gott, seid ihr naiv. Gekommen, um zu leiden. Dann muß man weiterziehen.
Alles unterzieht er einer mitleidslosen Prüfung, und der Mähdrescher, der die neue Zeit ankündigt, steht schon auf dem Feld. Dann hält der Sänger inne, weil er weiß, daß es für ihn nur eines gibt - weitergehen. (Edo Reents anläßlich Neil Youngs 60. Geburtstag am 12.11. in der FAZ.)
Wenn ich mit Jüngeren spreche, und mittlerweile kann ich das, erkenne ich mich selbst. Nein: Erinnere ich mich. An ein Selbst.
Warum man ward, wie man ist. Und meistens nicht so schön, wie man dachte, daß man ist. Die Musik immer zu leise, der Film ein verzerrtes Licht.
Und nun, fragte ich. Damals. Wo gehen wir hin? Was fangen wir an. Und Worte versickern in einem echolosen Raum. Ein trockenes Plopp, und dann waren die 80er vorbei.
Interessiert es dich nicht, was sie macht?
Nein, sage ich. Ich habe in all der Zeit schließlich nur eines gelernt.
In Dekaden zu denken.
Donnerstag, 27. Oktober 2005
He watches all the time
While all around him wallpaper dies
(And Also The Trees, "Wallpaper Dying")
Eines Tages, wenn die alten Tapeten heruntergekratzt sind oder neu eingefärbt, wenn Raum ist für neues Ach und Weh, dann werde ich durch die staubigen Zimmer schreiten, dort, wo nur noch feiner Gipsstaub im Gegenlicht der tiefstehenden Sonne wirbelt. Vielleicht ein letzter Hauch noch oder eine Riefe im Putz. Die werden meine Finger spüren, wenn ich über die Wände taste. Wenn ich gedankenverloren über die Stelle streiche, wo sich Messer, Gabel, Schere, Licht und ein bißchen Blut verteilten.
Eines Tages dann, wenn ich längst weitergezogen bin, werden es nur noch Hieroglyphen sein, kryptische Zeichen auf der Wand. Wenn ich den Hafen verlassen habe auf einem anderen Schiff, wird es neue Mieter geben.
Aber keinen Stein von Rosette.
Dienstag, 19. Juli 2005
Die Ärztin fühlt meinen Puls.
"Was haben Sie denn da für Narben am Handgelenk?" fragt sie und schaut mich forschend an.
"Fremdeinwirkung. Eine ehemalige Freundin wollte mich am Verlassen der Wohnung hindern."
"Macht man das neuerdings so?"
"Ihr Freundeskreis hielt das, glaube ich, für normal. Möglich ist das also schon."
"Was sind denn das für Leute?"
"Sie glauben an die Philosophie des Freien Willens. Allerdings meinen sie damit offenbar nur ihren eigenen. "
"Ja, die eigene Freiheit legt andere in Ketten." Sie lächelt mich an.
"Ich denke, es sind auch nur Getriebene. Von eigenen Verletzungen verstört. Insofern handeln sie ja gar nicht frei."
"Und", meint Sie, läßt meinen Arm los und macht sich Notizen. "Was machen die Narben in Ihnen drin?"
"Ach", sage ich. "Wissen Sie, da schaue ich gar nicht mehr hin."
Sonntag, 3. Juli 2005
Kid what changed your mood
You've gone all sad so I feel sad too
I think I know some things we never outgrow
You think it's wrong
I can tell you do
How can I explain
When you don't want me to
(The Pretenders, "Kid")
[...]
Ich habe gesehen, sagst du, wie dort jemand hockte, ein Schatten, nackt hinter der Tür. Ein surrealer Moment. Ich sage, ich habe nichts mehr gesehen, ich hielt meinen blutenden Arm und wollte nur fort. Wie seit Stunden eigentlich schon. Man hörte nur Atmen, sagst du.
Ich weiß noch, daß ich kurz zögerte, auf der Schwelle, und zurückging in die Wohnung. Da habe ich meine Ordner mit den Negativen gegriffen.
Dienstag, 12. April 2005
Now my sweet knife rusts tomorrow
On my confession that is waiting to be heard
(Marilyn Manson, "Spade")
Der dunklere Zwilling lacht sein groteskes Lachen, Zähne frei, beiß gleich rein, hier mein Arm. Ruchlos, reuelos, mit Stolz sogar, von sich berauscht, stumpf.
"Man sucht sich diese Menschen", sagt sie und weiß das besser als ich selbst. Was also lernt man, braucht man, was sind die Nullstellen, die Löcher, die gefüllt werden müssen ausgerechnet durch solche Menschen. Die Intensität, das Drama, die "Reibung", sagt sie. Sie erzählt von sich. Gemessen daran, war ich auf einem Waldspaziergang. Aber Schmerz ist nicht teilbar, nicht vergleichbar. Wir sind hier nicht zum Wettkampf, kein Stierkampf, zum Glück. Wir sitzen hier nur so.
Dienstag, 29. März 2005
Als ich das Blut von den Badezimmerfliesen wischen durfte, hatte ich wenigstens einmal das Gefühl, hilfreich und nützlich sein zu können. Da begriff ich, was es heißt, ein echter Bataillist zu sein, ein Mensch, der alles als Schlacht versteht oder als Lore-Roman, je nachdem.
Frei, ja natürlich. So richtig frei, nicht etwa getrieben vom eigenen Schicksal, von den Leerstellen, dem Hunger und den Urschmerzen tief drinnen. Nein, selbstverständlich ungeheuer autark und schlau und stark ("Schön und jung und stark", DAF), frei genug, lästige Regeln, Abkommen und überkommene Moral zu verlachen. Nur wirklich allein sein, das war dann schon schwerer, denn da sollte ja einer sein, der das Brotmesser hinterher abspült und den Boden wischt. Bohème geht eben am besten mit Hauspersonal.
Montag, 28. März 2005
So in a manner of speaking
I just want to say
That like you I should find a way
To tell you everything
By saying nothing
(Tuxedomoon, "In A Manner Of Speaking")