Samstag, 31. Mai 2008
Wenn die bunten Fahnen wehen und die guten Himmel mildes Wetter schicken... geht die Fahrt wohl mit der Frau Hedi (diesmal: Ersatzboot) übers Meer über die Elbe. Das ist sozusagen die schwimmende Version einer abgeranzten Lieblingskaschemme, in der jeder gleich zu Hause ist, der Durst, ein Herz und eine Sehnsucht hat.
Diesmal an Bord: mäßiges Bier, bessere Laune, liebe Menschen und die "Polly Dartons", die nicht nur Country, sondern auch Western spielten. Am Baß übrigens Peta Devlin (Ex-Die Braut haut ins Auge, Ex-Oma Hans), da weiß man gleich, am rechten Ort zu sein. Vor Jahren habe ich sie mal für eine Zeitschrift interviewt, ganz bezaubernd und eine der charmantesten und interessiertesten Gesprächspartner, die ich in der Zeit so hatte. Und: Astreiner Musikgeschmack, damit bricht eine Frau das härteste Herz.
Verrauchte Stimmen singen vom Ring of Fire, dem Leben auf St. Pauli und einsamen Herzen, die an Lagerfeuern schmachten. Bierflaschen klirren, Mädchen lachen, ich schaue auf die tanzenden Wellen und denke daran, was die alles hinter sich lassen, unter Gischt begraben, hinausspülen aus dem Hafen der verkrachten Liebe.
So tuckern wir durch den Abend, den Hafen, bunt belichtert an großen Schiffen vorbei. Ein mildes Glück: tätowierte Frauen, die sich eng an einen drücken, weil das Boot so schaukelt und dazu ein sanftes Lied, das von Sugartown erzählt. Es muß sich immer richtig anfühlen, der Geruch, die Stimmen, die Hände. Good Heavens. Alle Fahnen hoch.
Sonntag, 25. Mai 2008
Während der Eurovision-Song-Contest schaurige akustische Schatten wirft und parallel dazu auf der Reeperbahn prösterchenenthemmt mit Glitzerkram getänzelt wird, bleibe ich milde, setze mir die Elvis-Costello-Gedächtnisbrille auf und versuche mich beim Karaoke.
Ehrlich gesagt, trifft es die Stimmung auch besser.
Sometimes I wish I could stop you from talking, when I hear the silly things that you say.
Der Rest ist ja gesagt.
Mittwoch, 16. April 2008
Auf dem Konzert damals vor zehn Jahren in Hamburg bin ich ja, ich muß es gestehen, fast eingeschlafen. Auf dem Boden lungernde Hippie-Jugendliche, süßliche Wolken, die mir Kopfschmerzen bereiteten, diese alles erstickende, prätentiöse Lahmarschigkeit. Nein, live fand ich die schwierig. Ich bin nach der Hälfte gegangen.
Trotzdem. Wenn es um Wege geht, singt sie in Roads nichts falsches. Vielleicht ist es so, wenn sich plötzlich alles verändert, man nichts mehr versteht und auch Gleichgültigkeit nur eine weitere Waffe ist. Dann geht man eben weiter. Mit der Faust in der Tasche. Oder erleichtert. Oder bloß traurig. Man geht immer weiter. Und nur die Fragen bleiben.
>>> Portishead, Roads [Youtube]
Donnerstag, 3. April 2008
you're boring baby when you're straight
(The Kills, "Cheap And Cheerful")
Heiße Luft, wir bleiben beim Thema, gibt es auch in den Hamburger Rockclubsschuppen aus dem Niedrigdeckenbereich. Die Laune eher bodennah, schleppe ich mich nicht allzu erwartungsfroh, aber aufgeschlossen in eine Art Übernachtungsheim für H&M-Punks. Jungs in geringelten Hemden, Mädchen mit geringelten Schals, wunderlich, denke ich, allzu wunderlich. Ich dachte, niemand wäre so wie ich. Kurz läuft Jamie Hince an mir vorbei, die Kills geben sich volksnah. Ich blicke ihm kurz in die Augen, dem Mann, der Kate Moss die Innenseite der Ellenbeugen küßte, wünsche ihm Glück fürs Konzert und unterdrücke in letzter Sekunde den Impuls, ihm dreimal über die Schulter zu spucken. Ich spiele ja kein Theater mehr. Also nur noch drei-, viermal im Jahr.
The Kills fangen zu meiner Seniorenfreude pünktlich an, das Leben ist endlich und Warten so 2007. Aber die Kills vertrösten nicht, die Kills sind zärtlich. "The Good Ones" stampfen von der Bühne, der Raum ist dicht gepackt, fast rauchfrei, aber auf einmal gut gelaunt. Alison Mosshart zeigt, wozu Frauen unbedingt lange Haare brauchen, sie preßt, haucht und stöhnt ihre Zeilen ins Mikro, flirtet mit dem Publikum, sichtlich angetan, sichtlich bei sich. "U.R.A. Fever" - das Duo füllt alle Poren mit Lärm, mit Schweiß, mit der Hoffnung auf Liebe, mit Sehnsucht, ja, die verdammte Sehnsucht, und hingefetzten Alltagsmomenten. "We ain't born typical" - wir verlernen nur, das Besondere zu schätzen.
Zur Zugabe zündet Miss Mosshart sich eine Zigarette an, schmust mit dem Mikro, lächelt ins Publikum, lächelt mich an, aber darauf falle ich nicht herein. Keine Menschen mehr, die nur auf Tournee durch mein Leben sind. Sie wird es verkraften, ich sowieso. "Fried My Little Brains", zehn Minuten, Hauptsache, das Herz kommt heil da raus. Staub abwischen, Rost entfernen, Pflaster drauf. Draußen pumpt das Lüftungsrohr eine Wolke Glitter auf die Straße. Drinnen bleibt ein Dreiklang aus Schlamm und Blut und einem aufrichtigen Hallo. "Get the guns out, get the guns out. Your love is a deserter."
>>> The Kills mit No Vow, wo sie ein bißchen wie zwei Blogger aussehen. Warum auch nicht.
Sonntag, 2. März 2008
I want it to be like it was at the start.
(New Order, "Primitive Notion".)
Während Emma durchs Land rast und heftig an den Fenstern rüttelt, wie ein Gast, der spät noch um Einlaß bittet, hängen mir obskure Getränkeexperimente nach. Was im Glas aussah wie frisch geronnenes Ochsenblut, fühlte sich im Mund dann an wie in Schnaps gelöste Erdbeermarmelade. Rechtzeitig erinnerte ich mich an den Sinnspruch meiner Väter: Trinkt nur klare Sachen, Kinder. Ich stieg um auf Wodka und verlebte einen glücklichen Abend, wenngleich am Mittag Morgen die Rechnung mit dem Schlaf nicht stimmt.
Schlapp machen jedoch gilt nicht, denn die famose Lady Grey will mich zum Tanz schleppen. Northern Soul im Hafenklang, vorher noch was interessantes Exotisches essen, dazu Biere aus Übersee. Am Tisch drohe ich kurz einzuschlafen, kann kaum berichten, über dieses oder jenes, von dem mir manches immer noch unfaßbar scheint.
Aber wir haben die Tanzschuhe gepackt und steigen die Treppe hinab in das von kreiselnden Lichtflecken durchbrochene Dunkel, aufblitzendes Lachen, bewegte Körper und eine Woge aus Musik. Man muß sich das wie im Video von Moloko vorstellen, die Mädchen tragen ihre Sixties-Klamotten, hochgesteckte Haare und enge Etuikleider - ganz etwas anderes oder weniger. Frau Grey, tänzerisch begnadet, reißt mich mit, und ich tue so, als wäre Hüftsteife bloß eine weitere Figur aus der Tanzschule. Ich liebe das Schwitzen, die Bewegung, und die traurig-trotzige Musik, die von tiefen Flüssen und hohen Bergen erzählt.
Be young, be foolish, be happy, immer wieder schaue ich auf die kleine Karte mit der Jahreslosung, die ich mir in meine Handfläche geklebt habe. Auf der Tanzfläche übt sich ein Paar im erotischen Engtanz, und ich denke, die machen es richtig. Ich hole noch Bier, schlängel mich durch die Menge, bin zufrieden im schummrigen Licht. Irgendwann, man spürt dort nichts von Sturm und Sonnenstand, ist die Nacht auf einmal kurz gewesen, irgendwann heißt es heim.
Als mich das Dunkel ausspuckt, liegt Hamburg im Regen. Der Wind ist auf einmal still. Ich spüre die kalte feuchte Luft, New Order im Ohr. Die Abende und Nächte, die ich lange vermißte. Für 48 Stunden Leben, stelle ich fest, braucht man nur drei Stunden Schlaf. Ab und an. Andererseits, wie so häufig im Leben gilt: Man wird oft spät erst wach.
Dienstag, 19. Februar 2008
Run your fingers through his hair
(The Capreez, "How To Make
A Sad Man Glad". 1966.)
Es sind ja oft die einfachen Sätze. Jemanden sagen, daß man ihn mag. Oder sie. Es ist ja oft die ganz einfache Musik. Ein einfacher Rhythmus, einfache Melodien, zu denen man gut tanzen kann. Am besten in ranzigen Kaschemmen, kein neonglitzernder Glitzerschnack. Ein simpler Text, mit einer einfachen Wahrheit. Melancholisch-fröhlicher Northern Soul. Trotzige Dennoch-Stomper wie How To Make A Sad Man Glad.
Morgens in der U-Bahn lese ich mir die Textnachricht durch, immer wieder. Lege den Kopf an die Scheibe und fange das Träumen an. Und wenn ich die Augen ein bißchen weiter nach links drehe, kann ich mein Spiegelbild lächeln sehen. Jedenfalls für einen kurzen Moment. Bis es sich ertappt fühlt.
Und natürlich, auch wenn es derzeit fast unerträglich weit entfernt scheint, bleibt das Motto für 2008: Be Young, Be Foolish, Be Happy.
Aber nicht achtlos. Nicht vergeßlich. Ich meine, das muß doch wohl möglich sein.
Samstag, 26. Januar 2008
Now I'm going to pack my things and go
(Gloria Jones, "Tainted Love". 1964.)
Und schon wie ich zur Tür reinkomme, merke ich, was ich lange vergessen hatte: Ich bin kein Typ für schicke Clubs. Ich bin mehr so der Kaschemmen-Typ. (Herr Kid is coming home.) In der halbverrauchten Astra-Stube wartet sie schon mit einem Bier auf mich und sagt, schreib ja nicht wieder, ich sei verläßlich patent. Schreib doch mal was nettes. Aber das ist nett, sage ich, und was sollen die Leute denken, wenn ich ständig schreibe, wie attraktiv du bist.
In der angenehm ranzigen Bierschwemme spielen heute zwei Bands, die ich nicht kenne. Endearment aus Köln werden mit allerlei Gang-of-Four-Einflüssen den kleinen Laden rocken, und ich muß sagen, ich finde die wirklich toll. Später spielen The Lessappeal mehr so schweinig geradeaus - man fühlt sich warm umfangen und gleich zuhaus. (Herr Kid is coming home.) Aber das ist nicht der Höhepunkt.
Über den Abend weg legt der Sänger der Endearments einen DJ-Set auf, der mich zurückführt in die Zeit. Alte Postpunk-Scheiben, The Clash, Wire, Elvis Costello, Grace Jones, dazwischen Ska und Motown-Soul, bald fragen wir uns, ob dieser blutjunge Bengel am Mischpult die Sammlung seines älteren Bruders geplündert hat (später erfahre ich, hat er nicht). Wir wippen an der Theke; sie baut aus einem Flaschenetikett ein Schiff namens "Hope".
Am Zigarettenautomaten steht ein Mädchen und schaut mich immer wieder an. Sie ist schön, denke ich. Und vielleicht bin ich ja gar nicht so alt.
Nachdem The Lessappeal die Bude endgültig warmgepielt hat, legt der Kölner nochmal mit Rheinland-Verve los und bringt nach und nach die ganze Marktstube zum Tanzen: Tainted Love in beiden wichtigen Versionen, und spätestens bei Blue Monday (Herr Kid is coming home.) hält es auch mich nicht mehr auf dem Barhocker.
Das ist das Schöne am Älterwerden: Man wird ja förmlich unbeschwert. Gleich hinterher Transmission, Tuxedomoon, Siouxsies "Hongkong Garden" (Herr Kid is coming home.) und - völlig überraschend - Martha and the Muffins mit "Echo Beach", seit Ewigkeiten nicht mehr gehört. Wie mir das fehlte, denke ich. Das Tanzen, das Schwitzen, die Musik. Ich nehme noch die Buzzcocks mit, dann muß ich nach Hause. "Ever Fallen In Love With Someone (You Shouldn't Have Fallen in Love With)?" Ich bin brutal romantisch, und die Antwort lautet ja.
Die Nacht ist mild, draußen atme ich die Luft der Hansestadt. Da mußten erst Kölner kommen, um mich mit Hamburg zu versöhnen. Wie vieles geht, wie vieles ankommt. "It was nice to see you dancing", heißt es später. Draußen spiegeln sich die Neonlichter. Die Nacht gehört auch wieder mir, denke ich, mit einem zagenden "Heart Of Glass" im Ohr. (Herr Kid is coming home.)
Und doch: Ich wünschte, du wärst hier.
Samstag, 22. Dezember 2007
So böse, ich kann es nur im Geheimen schreiben. Pst! Kommt mal leise hinterher...
Freitag, 14. Dezember 2007
Weiter geht's, der grimme Schnitter scheint den November verschlafen zu haben und nun in einem schinderischen Endspurt zum Jahresende hin alles (auf-)holen zu wollen. Kommen wir deshalb zu Ike Turner. Es ist schon ein paar Jahre her, da kaufte ich in einer kleinen Hamburger Galerie, vom Meister selbst sozusagen, dieses famose Musikerporträt. Es war nicht für mich, sondern als Geschenk gedacht, dennoch gab ich es, wie es sich für Geschenke, die von Herzen kommen, nur unter Schmerzen her, so lieb hatte ich es während unserer kurzen Bekanntschaft gewonnen. Die Beschenkte indes kannte ich bereits länger, lange sogar, und sah das Bild deshalb in guten Händen - aber dennoch, warum sollte ich es hier nicht zugeben, leicht fiel es mir nicht.
Ähnlich wie ich, es mag am Sternzeichen liegen wie man behauptet, ist Ike Turner nicht durch besonderen sozialen Liebreiz oder parkettgepflegte Galanterie bekannt geworden. An ihn erinnert man sich eher wegen grandioser Songs, die aber alle außerhalb der 80er-Jahre entstanden sind, weshalb sie sich hier nie zitiert finden. Der Mann soll ein Problem mit starkem Tee gehabt haben, weshalb er ihn seltener trank als beispielsweise Alkohol. Der Mann soll auch ein Problem mit Frauen gehabt haben, schon allein, weil er von ihnen nicht loskam und zu Grobheiten neigte. Im Grunde wird er ein herzensguter Mensch gewesen sein, dem nur sein - auf dem Gemälde mit verewigter - Skorpion böses Gift injiziert hatte.
Mit Gattin Tina gelangen ihm immergrüne Partykracher, und zu seiner Musik wurden mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit mehr Kinder gezeugt als selbst ihm es gelang. Aber das nur nebenbei. Man muß sich das explosive Duo ein wenig so vorstellen, als würden Pete Doherty und Amy Winehouse gemeinsam richtig Gas geben. Sensible Menschen in einem rüpelhaften Geschäft. Der sensible Kontakt zu besagtem Bild und der Beschenkten, der immerhin fast solange währte wie die Ehe von Ike und Tina, ist mir, es mag an meinem Sternzeichen liegen, auch abhanden gekommen. Dem Wert des Bildes hat es nicht geschadet. Mittlerweile hat sich der Preis verdoppelt, allerdings in Euro, während ich einst in Mark zahlte. Nun dürfte speziell dieses Werk noch einmal zulegen. Geschenke, die von Herzen kommen - unbezahlbar. Na ja. Ike Turner. Auch schon tot. River Deep - Mountain High.
>>> Webseite von DM Bob und seiner kleinen Galerie in Hamburg.
Kauft alles auf.
Mittwoch, 12. Dezember 2007
Qui t'a assassinée Marcia
C'est la mort
Tu t'es consumée Marcia
(Les Rita Mitsouko, "Marcia Baïla." 1984.)
Im November schon. Und ich bekomme wieder nichts mit, völlig eingegraben in diesen Belangen und jenen. Den Namen kennt kaum einer mehr, Fred Chichin, ein schlaksiger, fast dünner Franzose, eine Art Gaston Lagaffe an der Gitarre. Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Catherine Ringer gründete er 1980 Les Rita Mitsouko, ein Pop-Duo, das auf sehr französische Art New Wave, Chanson, Röck'n'Röll-Theater, Jazz und Varieté vermischte und mit Liedern wie "Marcia Baïla" und "C'est Comme Ça" europaweite Hits landete. Ringer, die sich zuvor mit sogenannten Erwachsenenfilmen ihr Brot verdient und als Schauspielerin und Sängerin einen Namen in der Pariser Künstlerszene gemacht hatte, war die selbstbewußte Skandalnudel und schneidige Stimme für den eher schüchtern wirkenden Chichin. Zusammen waren sie bunt, laut, melodisch-erotisch, changierten schillernd zwischen teils rotziger Punkattitüde, schriller Mode und moderner Clip-Ästhetik, eher Gesamtkunstwerk als musikalisch "begnadet". Sie arbeiteten mit Thierry Mugler zusammen, mit Godard und Mondino und waren immer auch "Le Look" genauso wie Musik.
1993 oder '94 sah ich sie in Düsseldorf, da war der Furor früher Jahre schon verblaßt, die Band feierte eine Party, blieb aber oben auf der Bühne ein wenig für sich. Mlle Ringer mit einer merkwürdigen Strickmütze auf dem Kopf, Mr ChiChin sehr ernst an der irgendwie sehr groß wirkenden Gitarre.
Die aktuelle Tour ist unterbrochen. Fred Chichin, der dünne Gitarrist ist nun am 28. November gestorben, zwei Monate, nachdem er von seiner Krebserkrankung erfuhr. Er wurde 53 Jahre alt. C'est Comme Ça [Youtube]
>>> Webseite von Les Rita Mitsouko