Sonntag, 29. April 2012
© Amazon-Benutzer "Mike"
Laßt uns alle Einhörner sein: Soziale Massenbewegungen im Netz sind oft eine zwiespältige Sache, dieses Adden und schubsen und Freunde zählen als Fortsetzung dieses uramerikanischen Carnegie-Phänomens Wie man Menschen beeinflußt und Freunde gewinnt. Unterhaltsam sind im Gegensatz dazu nichtorganisierte Spontanwolkenbildungen und Meme-Festivitäten, wie man sie beispielsweise bei Amazon erlebt, wenn man das berühmte Schweizer Taschenmesser mit knapp 150 Funktionen sucht. Zitat: "Schade, daß ein Defibrillator fehlt". Noch hübscher aber sind spontan anwachsenden Bildergalerien, die Käufer skurriler Produkte angelegt haben: die Freunde von Pferden zum Beispiel. Und ganz goldig, die Einhörner.
via Coilhouse
Ach, die Urheberrechtsdebatte. Ist es eine Debatte? Entlarvend dieser Monitor-Bericht, in dem drei Vorreitende der Piratenpartei versuchen, eine Frage zu beantworten beziehungsweise andeuten, daß ihre Forderungen absichtlicher Irrwitz, strategisch platzierte Maximalforderungen sind, die man offenbar selbst für wenig realistisch hält. Aha. Na dann.
Apropos Irrwitz. Nicht, daß es überraschen würde. Aber dieser Beitrag in 3sat faßt einmal viele Punkte des Glühbirnen-Schmus zusammen. Angefangen vom Gift in den Energiesparlampen, der erlogenen Brenndauer und angeblichen Einsparungspotentiale bis hin zur verheerenden Ökobilanz zählt man die katastrophalen Herstellungsbedingungen und Probleme bei der Entsorgung dazu. Die Problematik mit den viel zu starken elektromagnetischen Feldern war auch mir nicht bewußt. Mir haben die butterweichen Aussagen aus der EU-Behörde am besten gefallen
"Ultra korrekt nach Aufstehn. Ischschwör: Herz is krass gechillt, weil nich mehr so scheiß'n'dreck kalt da draußen. Guckstu!" soll die Übersetzung von "Eine wunderbare Heiterkeit hat meine ganze Seele eingenommen, gleich den süßen Frühlingsmorgen, die ich mit ganzem Herzen genieße." sein. (Der hinkende Bote)
Sie war so dieser Billardkneipentyp.

Montag, 21. November 2011
[...].
Wenn, so ein milder Gedanke, es mit dem Radfahren nicht mehr so richtig will, habe ich ein anderes, höchst adäquates Gefährt für mich gefunden. Es löst sogar ein hohes Maß an Begehren aus, ein Empfinden, das in meinem Alter ja erlebensgemäß etwas nachläßt. Man hat ja so vieles schon gesehen. Hier gibt es weitere Informationen. Zum Gefährt, nicht zum Begehren.
Das paßt natürlich zu dem Buch, das ich gerade lese. Oder blättere, denn leider übertreibt es das Layout ein wenig mit dem Fifties-Design. In munterem Plauderton gehalten, so als säße man beim Diaabend daheim, also nicht unbedingt tiefschürfend, aber recht vergnüglich, berichtet Marlotte Backhaus von der Weltreise im Kleinstwagen, die sie und ihr Mann in den 50er Jahren unternahmen. Von Hamburg aus über Indien nach Japan, später - im zweiten, etwas größeren Goggo - dann durch Nord- und Südamerika und Afrika. Eine sehr spannende Vorstellung, ein Unternehmen, als Reisen wirklich noch eine Expedition war, zumal wenn es in solche touristisch bis heute kaum oder wenig erschlossenen Gebiete geht. Und ja, zwei Menschen und Gepäck und Filmausrüstung passen in ein solches Auto. Wenn man richtig (an-)packt und ein wenig Struktur in die Sache bringt. Mein Reden seit langer Zeit.
Rock ohne Roll. Die Energie ist ja bekanntlich nicht weg, sie ist bloß woanders. Nach 237 Jahren haben Kim Gordon und Thurston Moore (beide ca. 75) die Scheidung eingereicht, hält man ja auch für unnötig so was, aber bitte. Noch unnötiger wohl nur die drohende Konsequenz, daß die derzeitige Sonic Youth-Tour durch Südamerika möglicherweise die letzte gewesen sein könnte. Schwacher Trost ist dieser einstündige, dreiteilige Mitschnitt vom Konzert am 14.11. Ach.
Die Kunstwelt in Aufruhr. Eine Biografie über den Kunstsammler Heinz Berggruen sorgt für Wirbel. Im Skandalton der "Enthüllungsbiografien", wie sie seit den 80ern populär geworden sind (Hitchcock war gar nicht nur ein Genie, er hatte auch dunkle Seiten; Picasso war gar nicht nur ein Genie, er hatte auch dunkle Seiten; Einstein war... usw. ad nauseam) hat eine Vivien Stein aufgedeckt: Der Kunstsammler, der zugleich eben auch Kunsthändler war, hat doch tatsächlich mit Kunst auch ein Geschäft gemacht und das offenbar auch deshalb so geschickt, weil er, der nämlich Jude war, und das schreibt Stein tatsächlich, in Deutschland "die Judenkarte" gezogen hätte. Kurz, Berlin erwarb (mit Bundeshilfe) seine heute fast unglaublich und vor allem unglaublich günstig wirkende Sammlung für damals wie heute lächerliche 250 Mio. DM - aber, so suggerieren Stein und ihre Fürsprecher, nur weil Berggruen ans Schuldbewußtsein der Deutschen appelliert habe.
Das offenbar durchweg im polemischen Geiferton geschriebene Buch könnte man schnell ignorieren, hätte es nicht durch eine großaufgemachte Rezension an Öffentlichkeit erfahren. Prominent auf fast eine Seite im Feuilleton der Süddeutschen vorgestellt, sorgte dies für einen zweiten Skandal. Was bewog den Rezensenten, sich die Argumente der Stein offenbar wenig distanziert zu eigen zu machen und überdies das Argument draufzusetzen, die jüdische Geschäftstüchtigkeit zeige sich auch im Treiben des Sohnes Berggruens, Karstadt-Investor Nicolas? Die SZ nennt es ein "Sittenstück", ein "denunziatorisches Werk" hingegen Ex-Kultur-Staatsminister Naumann im Tagesspiegel. In der FAZ rätselt Swantje Karich über die Motive ihres SZ-Kollegen, spricht von einer "Kampagne" und sagt: "Speicher und Stein kokettieren mit dem 'jüdischen Geschäftssinn'". Die Welt schreibt: "Bislang war Speicher eher durch seine Weltfremdheit und hoch gebildete Harmlosigkeit bekannt. Er besaß nicht den Ruf, im Gewerbe der Niedertracht so beschlagen zu sein, wie es nun zutage tritt", ein Urteil, dem ich indes nur zur Hälfte zustimmen kann.
Ich habe den Mann vor über zwanzig Jahren noch in seiner Zeit als Uni-Dozent kennengelernt. Daß er dort auch nur irgendeine seiner Beschlagenheiten oder Gewerbekenntnisse verborgen gehalten hätte, ist mir nicht erinnerlich. Ein interessanter Werdegang also, man fragt sich, jedenfalls so halb, welche Verbitterung da am Werk sein muß, eine doch ganz ansehnliche journalistische Karriere, auch wenn es mit der akademischen nicht so geklappt hat, mutwillig in den Sand setzen zu wollen. Vielleicht diktierte ihm der Wille zur Vernichtung die Feder, der sich nun aber gegen sich selber richtet.
Wie der ins Seminar geladene große deutsche Autor eine der kompliziert verstiegenen Theorien des Dozenten mit sanftem Lächeln auf ein common sense-Weltwissen zurückstutzte. Auch dafür danke, Herr Rühmkorf.
Proustitute, eines meiner Lieblingsblogs derzeit.

Dienstag, 9. August 2011
Alte Fabriken, aufgelassene Gelände, gestraucheltes Glück älterer Tage, grüne Hügel, Überwucherungen, Geruch von Rost und Rest und Regen.
Melancholische Graffitis, übereignete Flächen. Die Kälte des Strandes zwischen Nichts und Niemand, unkartografierte Nachtgewässer, immer am Bahndamm entlang.
Dieses Verharren in schmerzschonender Grundhaltung.
Wie ich das Reisen liebe, aber nur selten das Ankommen.
Bei Anousch sehe ich das Foto mit den zwei wie zu einem sentimentalen Lied geparkten französischen Göttinnen. [...] Ein stilles Erkennen, ein stilleres Ach.
Danke dafür.
Die Feststellung auf der Party, daß man früher alles anders gebloggt hätte, mit den Namen der Anwesenden, unterstrichen, verlinkt. Hier und da und schaut doch her. Wir aber tun so, als sei die Existenz des Internets nur dazu gut, Fahrpläne abzurufen oder die Nummer einer Taxizentrale herauszufinden.
Eine Androiden-Kakerlake als Eisbrecher für das Meer in uns. Wirklich, die war sehr lustig und konnte den Moonwalk.
Nachdem man ihre Beine gebrochen hatte.
Wenn man auf neue Menschen trifft kann man all die alten Witze ist es schön, mit einer anderen Perspektive, mit anderen Wertmaßstäben konfrontiert zu werden. Die Neugier des Kennenlernens. Lernen. Weitermachen.

Donnerstag, 21. Juli 2011
Ach, wenn man auf der Webseite einer Drehbuchautorin sieht, daß sie den Titel ihres eigenen Films nicht richtig schreibt. Gut, aber Webseiten, ich spreche aus Erfahrung, enden eh wie ein während einer Killervirenepidemie frisch untergepflügtes Kraut- und Rübenfeld. Man fängt irgendwie an, vielleicht mit einem Storyboard oder wenigstens einer kleinen Skizze, und am Ende hat man keine Zeit, haut man irgendwas da rein und schaut auch nie wieder drauf. Im Zeitalter des Flüchtigen sind statische Rechtschreibfehler von einst [abgebr.]
Ach, Frauen-WM war ja auch. Gewesen. "Sie hat das Spiel blind im Griff." So der Moderator ganz unironisch über die Schiedsrichterin.
Ach? "They are not hoarders. They are collectors of awesomeness." [Q] Seit ein paar Jahren stehen die Schwestern Hovey ja für die Speerspitze der New Antiquarians, eine Bewegung, die als solches nur in Magazinen stattfindet, und so viel Echo findet wie einst The Selby und Co. Anders gesagt, neu ist daran vielleicht die Konsequenz und die Tatsache, daß es nun aus Neuyork kommt und sich innerhab der ganzen Flohmarkt- und Trödelwohnszene auf die etwas anluxurisierte Seite (a.k.a. Großwildjäger- und Ozeanddampferstil) kapriziert. Zwischendurch besuchen die Schwestern die Krempelläden in tout Paris und Italien und schlürfen hinter Sonnenbrillen Mondänkaffee. Hauptsache, sie kaufen mir nichts weg.
Ach, aber dieses Paar wirkt auch sympathisch. die wohnen ähnlich wie ich, nur zu zweit, was vieles verdoppelt, Kram, Enge, Liebe. Und die Kunst.
Ach, der Tweed Ride in Frankreich im Mai hat auch schöne Reifenabdrücke Bilder hinterlassen. Schaut das ruhig mal an, das zeigt euch, wie euer Leben auch hätte sein können, säßet ihr nicht im Büro und machtet Geschrei. In London mischte sich zuletzt Ewan McGregor unter die Radler. Coole Sau.
Ach, das Porträt, das verdeckt auf meinem Speicher hängt, sieht scheiße aus.

Mittwoch, 18. Mai 2011
Statt Friday Five: Miss Kinski sammelt jeweils fünf thematisch passende Bilder für eine kleine Fotostrecke, viele allerdings sind nicht sicher für die Arbeit. Oft sehr witzig oder überraschend, manches auch ein wenig gewollt, man kennt das von ähnlichen Anlegearbeiten.
Auch eine hübsche Idee für ein Heim: Wohnen in der Zementfabrik, oder: Wenn Architekten ihre Jungsträume verwirklichen können. Ich bin eine zeitlang immer wieder zum Fotografieren durch eine solche Fabrik gekrochen und muß festhalten: Sauber machen hätte ich sie nicht machen wollen. Ricardo Bofill hat da sicher auch eher mehr ein Auge denn seine Hände drauf gehabt.
Where I recall the memories
That gripped me
And pinned me down
(PJ Harvey, "Silence")
Ein Gebäude wie Herbstlaub. Eine entkernte Erinnerung. Wie ich den Platz am Klavier räumte, dem Vorwand nachgab, die Akkorde aber später nach Hause hämmerte, mich frei machte von dem, was nie war. Eine schweigende Nacht, eine Stille. Und nur für mich.
Sich immer weiter hinausstehlen, einen Iglu bauen, ein weißes Schneezelt, wo kein Fuchs mich findet. Das Schweigen als letztes Wort und Mittel, ein lautloser Klang gegen das Dröhnen der Versprechen, der flatternden Emphase eines großgedruckten "Ich".
Die Stille ganz laut drehen, bei sich sein, in lauter kleinen Schlucken trinken und durch einen Strohhalm atmen. Ganz lange, ganz viel.
Oh Gott. Cereal Killers schon zum Frühstück.
Ich mag das Kopfkissen. Das linke.
Ich mag das schöne Tier in dir.

Donnerstag, 17. Februar 2011
via Yimmy Ayo
Noch wissen wir nicht, was der Doktorand sagen wird. Eine moderne Antwort könnte lauten: "Ach, ich geh das ganze mehr so regietheatermäßig an. Das ist alles ein Remix."
Apropos. Airen wird von der FAZ in Mexiko aufgestöbert (das Land der Axolotls übrigens), spricht entspannt von seinem neuen Leben und dem Elan, den ihm der Buchskandal bescherte. Er spricht unaufgeregt und ohne böse Worte. Nach wie vor macht er in der ganzen Causa die sympathischste Figur. Unaufgeregt. Kein Vergleich zum Geschäume des bekannten Berliner Theatermanns in der SPEX vor einiger Zeit über Blogger, die sich anmaßten, Literatur zu können.
Neulich noch einen anderen, in meinen Augen zu weit führenden Einblick in "den Betrieb" erhalten. Möchte ich nicht im Detail ausführen, Hauptstadtliteraten unter sich, altherrentliche Pfauenspreizung, man ist peinlich berührt.
Gut. Von mir sind manche auch peinlich berührt. Das beruht ja oft auf Gegenseitigkeit.
Eigentlich bildete ich mir ein, einen gewissen Blick für Details zu haben. Aber ich schwöre, das mit den Dings sehe ich erst heute. Himmel.
Nachdem die 80er und Postpunk abgefrühstückt wurden, fürchte ich ja eine Rückkehr gewisser Formen der 70er-Jahre-Musik. Also Schlagzeuger, die exzessiv Schlagzeug spielen und nicht nur monotone Maschinenrhythmen vorgeben. Gitarristen, die gniedeln, Bassisten, die "ein Solo spielen" müssen, erste Ohrenzeugen vermelden bereits die Rückkehr von Bläsersätzen in zeitgenössischen Kompositionen. Fransenlederjackenmusik.
Ich bin ja eher schlicht: Autoradioregler auf zehn und mit der Superbiene einfach immer nach Süden. Go your own way. Schade, daß ich so schlecht Auto fahre.
search request: wer ist kid37?
Das Stadtderby gestern endete mit Recht und Richtigkeit. Pauli 1, Hamburg 0. Und schon scheint zum Beweis heute die Sonne.
Es liegt eine Hoffnung in dieser Stadt.

Freitag, 19. November 2010
Coole Sache, hört man hier und da, und sie beklatschen die nächste Idee von white corporate oppression. Hier singen welche: I don't think so!
>>> I don't wanna <<<
(Immer daran denken: Das könnten eure Eltern sein.)
Knüppel frei: Die zukünftige Kanzlergattin kann "Stil" und "Stiel" nicht voneinander unterscheiden. Das könnte noch brisant werden.
Im New Yorker East Village liegt der ganz richtig so benannte Laden Obscura, Antiques & Oddities (Blog), eine Art Harrys Hafenbasar. Auf dem Discovery-Channel läuft nun eine mehrteilige Dokumentation über das Kuriositätenkabinett, eine wunderbare Idee, von der ich hoffe, daß sie bald nach Deutschland kommt. Noch besser wäre eine deutsche Version, und ich sage schon mal jetzt, die würde dann gerne ich moderieren. (Trailer)
Nie mehr aussehen wie von der Stange, sondern wie frisch aus der Zerreisse gezogen: Gibbous Fashions zeigt, warum viele Fashion-Blogger ihre Kleidersäcke gleich wieder einpacken können.
Holt das Kreppeisen raus. Denn dies hier ist Gothic. Wunderbare Bilderfunde aus den 80er Jahren. Ich könnte irgendwo darunter sein.
Dies wiederum könnte mir nicht passieren: Patti Smith hat den National Book Award bekommen. Ausgerechnet, so möchte man sagen, für Just Kids, ihr zwar schönes, aber doch schwächstes Buch. Aber wie sie einst in der TV-Show Kids are People too (haha) zeigte: man muß an sich glauben, mit einer Naivität und einer Inbrunst. (YT). Sehr schöne Nachricht.

Sonntag, 29. August 2010
"Ich sehe nur im Moment schlecht aus." H. Hegemann
Immer wenn ich mal wieder eine Ausgabe des ehemaligen Zentralorgans für popkulturelle Fragen ("Musik zur Zeit") in die Hand nehme, weiß ich, warum ich 2000 mein Abo nach 15 Jahren abbestellt habe. In der aktuellen Ausgabe gibt es Interviews zum Thema Theater und Literatur, man hat auf dem Wendecover die Wahl zwischen Schlingensief und dieser Berliner Göre, deren altkluges Gefasel im Heft scheinbar ohne größeren Widerspruch hingenommen wird. Natürlich geht es noch mal um die Diskussion, die sich um ihren sogenannten Roman entfachte, bei dem doch, hier insistiert Helene, das fröhlich Herbeizitierte im Quellenverzeichnis nachzulesen wäre. (Ja, liebe Helene. Aber erst nachdem du beim Klauen erwischt worden bist. Erst da hieß es plötzlich, "ich bin doch bloß postmodern, "regietheatermäßig", und Airen selbst hat sich doch auch "inspirieren" lassen..." Die SPEX, notorisch unterinformiert, nimmt dies ohne nachzuhaken hin. Danke, 5,50 Euro gespart.) Überhaupt mißtraue sie dem tatsächlich Erlebten, diesem "Authentischen", das sei "die größte Lüge überhaupt". Liebe Helene, ein ernsthafter Rat: Verlaß' mal für eine Zeit die vollgepupste Theaterkantine, mach' Reiterferien auf dem Bauernhof, wühl' ein bißchen mit den Jungs und Mädels im Heu und nicht in deinen Haaren, laß überall frische Luft ran. Schwimmen gehen ist auch super. Ausbildung machen ebenfalls eine gute Idee.
Gleich auf den Seiten nebenan spricht Busenfreund René Pollesch sich etwas selbstgefällig den Kulturkummer von der Seele. Pollesch, dessen hingerotzten Hörspiel-Dreiteiler über prekäre Arbeitsverhältnisse im Netz-Zeitalter "Heidi Hoh" ich einst sehr gut fand, sitzt ja nun schon lange in den wohltemperierten Subventionsstuben der Berliner Theater, aus denen heraus er sich über die "luxuriöse Position" (aus dem Gedächtnis zitiert) der Literaturkritiker mokiert, die den Roman seiner Freundin Helene zerrissen. Höh, höh, was würde Heidi Hoh dazu sagen, das Echo deiner wilden Jugend, René? Polleschs abfällige Aussagen über "30-jährige Blogger" wie Airen, die sich quasi aus dem Berghain herausschwitzen und ihre Erlebnisse anmaßenderweise in literaturähnliche Form pressen, haben ihren Ursprung möglicherweise selbst in gewissen privaten Aversionen (hier darf ich nur ebenso privat spekulieren), man sollte sie also nicht allzu ernst nehmen. Schön immerhin, wenn er und Helene die Wahrheit darüber gefunden haben, was Literatur nun genau ist. Da können die beiden ein Gläschen oder zwei in der Kantine heben, Witzelchen machen und sich ihren Ekel über stümpernde Blogger und wohlsituierte Kritiker (ach, René, wenn das Heidi Hoh hört) gegenseitig auf die Pappteller malen.
Wenn Geschichte die Geschichte der Sieger ist, ist Literaturgeschichte die Geschichte derer, die als letzte interviewt werden.
Sind wir doch mal ehrlich!
Mich erinnert das an die Zeit, als ich Tourgitarrist bei Danzig war, auch so eine unauthentisch verschwitzte Geschichte, wo ich hinter der Bühne die kleinen überschminkten Axolotl-Girls damit unterhielt, mit ein paar zerkauter Drumsticks auf einer Flaschenorgel aus unterschiedlich hoch gefüllten Flaschen Jack Daniels Lieder wie "Muß I denn zum Städtele hinaus" zu klimpern.
Genug der Betriebsgeräusche, lieber kurz mal Ausstempeln und selbst zum Städtele hinaus: Bevor das mit dem Atmen nicht mehr geht, höre ich auf einen guten Ratschlag, den man mir gab, und gehe eine Weile nach Kansas.

Freitag, 11. Juni 2010
Welch schreckliches Leben auf einen Gesangskünstler wartet, ist er des Englischen nicht akzentfrei mächtig, bewies ja bekanntlich schon Gudmunds Tochter Björk ("It rhymes with 'Jerk'".) Ich meine, hätte sie besser in der Schule aufgepaßt oder eine zeitlang in England gelebt, was hätte sie nicht alles erreichen können! Eine internationale Karriere vielleicht! Zurecht hingegen ist sie in Deutschland völlig unbekannt. Bei dem Englisch wundert es uns nicht.
Mit Augen reden. Berlin: Heute abend zeigt die Strychnin-Galerie morbid-verspielte Puppen von Marina Bychkova, dazu Arbeiten von Wendy Froud und Virginie Ropars. Hamburch: Ausnahmsweise am Freitag bereits, also heute, eröffnet Herr Krüger mit Alles Eiteljoerge. Hm? Genau, Rudi "Elfmetertöter" Kargus (!) und Ulf Harten zeigen Fußballbilder, darunter nachgemalte Panini-Bildchen und solche Sachen. Bewegtbilder des aktuellen Anlaß' wegen gibt's auch! Entschuldigungen können also nicht gelten, wer den Kuranyi macht fehlt, wird nicht mehr aufgestellt.
Daheimgebliebene: "Blood Tea and Red Strings", ein berückender Animationsfilm ohne Worte, über den ich hier schon mal was schrieb, hat nun endlich einen Weg ins Fernsehen gefunden. Am 20. Juli auf 3SAT nämlich, falls gerade jemand seinen Taschenkalender bereithält. Christiane Cegavkse hat übrigens auch die animierten Zwischensequenzen bei The Heart is deceitful above all Things gemacht.
Manche lieber hören als andere. Schon, weil sie ein anderes Timbre in der Stimme haben, die Wörter klangreich betonen oder mir gänzlich unbekannte benutzen, auf eine Weise, die ich sexy schön finde. @Telefon
"Regionale Sprache wird in Großbritannien jetzt viel positiver gesehen; glaubwürdige, echte Typen in der Werbung beispielsweise sprechen regional gefärbt. [...] Ein "pures" Englisch klingt nach Elite, und das kommt nicht mehr überall so gut an." (Sprachwissenschaftlerin Lynda Mugglestone in der Süddeutschen Zeitung, 29./30.5.2010)
Die japanische Kollegin mit dem charmanten Akzent, die morgens die Tür zu ihrem Großraumbüro aufreißt und ein herzhaftes "Moin!" ruft.

Sonntag, 30. Mai 2010
Am Tag, nachdem eine grad mal 19-Jährige eher unbekümmert den Schlagerwettbewerb gewonnen hat, versammeln sich, statt in ihren lachsicheren Kellern zu bleiben, offenbar alle mit Stock im Arsch im Forum von Spiegel Online und anderswo im Netz, meckern über dies, nörgeln über das, wittern Verschwörung, beklagen den Verfall der Werte, lästern im schlechten Deutsch über angeblich mangelnde Englischkenntnisse besagter Abiturientin und zeigen, daß man sich in diesem Land über keinen Spaß mehr freuen darf, wenn mit einem harmlosen, aber doch ganz charmanten Trällerliedchen nicht zugleich der Weltfrieden herbeigeführt oder mindestens das Ölloch im Golf von Mexiko gestopft werden kann. Euer Englisch mit 19 möchte ich mal hören.
Die eigene Zeit ist also besser verbracht, zwischen einzelnen Regenschauern ein wenig hinauszukommen. Auf dem Flohmarkt bekam ich ein hübsches verrostetes Grobwerkzeug geschenkt, verdammte Axt, auch so ein Glück. Dann aber rasch umgekleidet, unter dem Gewitter hindurchgetaucht und eine schnelle Runde um den Holzhafen gedreht. Sattel statt Satellite sozusagen, um auch mal einen Top-Witz zu machen.
Hübsches Veloblog von vier engagierten jungen Damen aus Paris auf zwei schnellen Rädern: Les Mittens. Frankreich gilt ja als zwar radbegeistertes, aber nicht unbedingt fahrradfreundliches Land, die Touren des Quartetts deuten aber ganz interessante Möglichkeiten an. Bei Flickr haben sie auch ein Album.
Ganz toll: Banale Weisheiten und Truisms auf verschmutztem Papier - Nobody at the Wheel.
Ich mach jetzt mal die Lena und koche, ohne Kartoffeln im Haus, aber trotzdem ganz unbekümmert Spargel.
