
Sonntag, 5. Mai 2013
Hat mir mal eine so gesagt. Dann muß man sich den halt selber suchen, wer weiß, um was es sich dabei handelt. Rosengarten. Immerhin weiß ich jetzt, wo der überhaupt ist. Will ich vielleicht auch besser gar nicht wissen, was da vor sich geht und ob ich den haben wollte. Als Kind dachte ich, gemeint sei eine Art Dornenparadies und verstand den Satz eher so, daß man doch ganz froh sein müsse, keinen versprochen oder angedroht bekommen zu haben. Eigentlich.
Berlin. Ich hab das ja nie verstanden. Ich war ja nun schon ein, zwei Mal da, aber der S-Bahnfahrplan begegnet mir nach wie vor als ein großes Mysterium. Stationsnamen, die es säuberlich nach ~felde, ~berg oder ~straße zu trennen gilt, und nie führt eine Verbindung direkt von A nach B.
Wie die meisten Dinge im Leben unternehme ich auch S-Bahn-Fahrten nach einem gut strukturierten Gefühl, das heißt, meist kritzle ich mir das auf einen Zettel, Informationen deren Eckdaten sich vor Ort aber als unbrauchbar oder mehrdeutig herausstellen. Oder so spontan geändert, daß man mich wohl foppen will. "Man kann auch fragen", bedeutete mir eine dieser Frauen mit Köpfchen.
Immer schön zu sehen, wenn zwei Menschen heiraten, von denen man das (gleichfalls gut strukturierte) Gefühl hat, das paßt jetzt aber gut, da kann man seinen Segen geben und die Schwiegereltern gleich mit beglückwünschen. Oder sich selbst, findet man sich an einem hervorragenden Kuchenbüffet wieder mit netten Menschen aus unterschiedlichsten Meinungs- und Himmelsrichtungen, sogar welche aus Wien. Mein Jacket indes verwandelt sich im Laufe des Abends in eine Puderquaste. Schamlos nämlich drücke ich alle hübschen Frauen an mich und sammle dabei Make-up auf mir wie eine fleißige Biene Blütenpollen.
Letztes Jahr um diese Zeit mußte ich leider eine Hochzeit in Wien absagen. Es war aber zum Glück nicht meine. Ich betrachte das jetzt für mich als guten Anknüpfungspunkt, den alten Rhythmus wieder aufzunehmen. Ein nicht ganz verlorenes, erkenntnisreiches Jahr. Zeit auch, diese Komfortzone öfter zu verlassen. Es gibt Mittel und Wege und über den Rest schweigt man dann.
Abends dann noch ein wenig durch die frühwarmen Straßen gelaufen, an dieser Mischung aus verstaubten Nachkriegsschaufenstern und modernen Glitzerdisplays vorbei, ehe ich dann doch ein Taxi nehme. "Interessant", sagt der Fahrer, als er mich vor dem Hotel absetzt. "Das kannte ich noch gar nicht." Schön, wenn man immer wieder etwas Neues entdecken kann, Städte einem auch andere Gesichter zeigen.
Zuhause dann wieder Boote auf dem Kanal zählen, auch die brummen frischerwacht wie dicke, geschäftige Bienen rastlos an meinem Fenster vorbei. Die suchen wohl die Pointe.

Montag, 29. April 2013
Dieses Jahr wird sein wie eine mühsame Kutschfahrt aus einem Belá-Tarr-Film. Ein Unterfangen in Unbehagen, weitergeführtes Verharren in der Schlüssellochperspektive: Ich lasse mir vorführen und führe mich selber dabei vor. Schlag nach unter "Unbeholfenheit". Kommen wir lieber zu anderer Leute Auffälligkeiten. In Oddities, einer Doku-Soap rund um einen Trödelladen im East Village (das ist in New York, einer Stadt in den USA), ist Laura Flook eine regelmäßige Kundin. Die junge Dame ("She's spooky, but hot as hell", Youtube-Kommentar) arbeitet als Bestatterin, Model, Einbalsamiererin und Modedesignerin - kurz, in Berufen, die man als Frau halt so macht, wenn man nicht gerade mit Backen beschäftigt ist. Oder damit, ein Geschenk für die Freundin zu kaufen. Testikel im Glas, darauf muß man auch erst mal kommen.
Oddities verschenkt leider seine Möglichkeiten. Im hektischen Dauerquasselton zusammengeschnitten, unbeholfen gescriptet (Sieh an, ein Clown betritt unseren Laden. Hat sein Show-Köfferchen dabei, na, so ein Zufall... usw.) kapriziert sich die Sehen-Staunen-Stöhnen-Show auf be-ooohte und be-aaaahte Seltsamkeiten und Sammelsurien vorzugsweise aus dem Medizin- und Varieté-Bereich. Sich den Dingen wirklich zu widmen, fehlt hier vor lauter "Gosh! Look at this!" die Zeit. Schade, was könnte man rund um Harrys Hafenbasar für interessante Geschichten erzählen, moderiert vom weltgrößten Gnom (also ich) und einer dieser schwertätowierten Tresenfrauen aus der weiteren Umgebung. Dazwischen Neues vom häßlichen Walroß, als comic relief dazwischengeschaltet. Ganz schlimm bei Oddities die Folge mit Frau Dita von Teese, von Beruf Ausziehtänzerin. Es wird immer klarer, warum Herr Marylin Manson, von Beruf Schaubudenmusikant, die Ehe mit ihr aufkündigte. Oder verhielt es sich anders herum? Wie dem auch sei, das funktionierte nicht. Dafür habe ich einen Blick. Anders als bei Laura Flook und mir. Jetzt nur mal als Beispiel.

Montag, 22. April 2013
Wöchentliches Telefonat mit Väterchen Kid. 3:34h, drei Minuten zu früh aufgelegt also. Einseitig medizinische Bulletins ausgetauscht, dann handwerkliche Problemfelder besprochen: das Dreieck von Außenputz, Efeu, Fassadendämmung. Anschließend freies Fabulieren und Kramen in der Erinnerung. Er hat die Doku über Gunter Sachs gesehen, schwer angetan. Sie sind so im gleichen Alter, hätten ihre Geburtstage fast zusammenlegen können. Der habe gut gelebt, befindet sein Zeitgenosse. Kluger Kopf, aber auch mutiger Bobfahrer. Zeit für die Frankreich-Anekdote, Ende der 60er, St. Tropez, trés petite Fischerdorf, und diese Party auf der Jacht von Sachs und Bardot. Das klingt dann immer so ein bißchen wie eine Geschichte aus Burtons Big Fish, aber nach Jahren mißtrauischen Zuhörens weiß ich heute, daß die Geschichte wahr ist. Heute ist das nicht mehr möglich, beschließen wir. Die haben nun alle Security.
In Hamburg sind Lesetage. Die Kuratorin der Atomstromlesung hat sich im Gesellschaftssystem vertan und Künstler und Verlage der Gegenveranstaltung per Mail "befragt". Ein Festival von und mit Autonomen, "Öko-Saftproduzenten" und TV-Promis sei es. Selbst haben die Atomstromlesetage wiederum mit Charlotte Sänger Andrea Sawatzki einen TV-Promi Autorin mit großem Namen aufgeboten. Man mag das bewerten wie man will. Wenig Bewertungsspielraum läßt die flankierende Maßnahme des Kuratorinnengatten zu. Der, laut Selbstauskunft ein Hamburger Journalist, der eine obskure "Feuilleton"-Seite im Netz betreibt, fühlte sich offenbar genötigt, im Rahmen von "Recherchen" Arbeitgeber von Initiatoren und Förderern zu "informieren". Ob die wüßten, was ihre Mitarbeiter in ihrer Freizeit für Unternehmungen machten. Na, Kultur natürlich. Und werbefrei.
Die Taz spricht von "kultureller Einflußnahme", was harmlos klingt. Selbst der NDR nimmt sich des Themas an. Und Spon.
Währenddessen tauchte wohl eine Delegation des Atomstromkonzerns bei der Direktorin der Hamburger Bücherhallen auf. Die unterstützen nämlich die Gegenlesung. Bloß ein normales Gespräch, hieß es. Nicht überliefert ist, ob mit leicht heiserer Stimme ein abgeschnittener Pferdekopf als Gastgeschenk überreicht wurde.
Energiekonzerne, Autobauer, Erfrischungsgetränkehersteller. Sie alle suchen ihr Mäntelchen.
Zwei neue Bilder. "Lady Bee" von Silky und als Premium-Content für Blogger, "Man with Pussy" von D.M. Bob. Man sollte mehr elegante Tiere um sich haben.
Das muß so um die Zeit gewesen sein. Eine frühe Kindheitserinnerung, der Unfall damals in Schleswig-Holstein. Die nächtliche Rückfahrt im strömenden Regen, das Auto verbeult, die Achse, nun ja, dafür war ich zu klein. Wie ich wach wurde auf einem Rastplatz im Regen. Wie der Vater, nachdem die Scheinwerfer ausgefallen waren, die Sicherungen unter dem Armaturenbrett hervorgepuhlt hatte und mit wasserfeuchten Fingern mit Alufolie umwickelte. Damals habe er ja auch noch geraucht, sagt er. Da hatte man immer Silberpapier dabei.
Heute ist das nicht mehr möglich, beschließen wir. Es gibt nun überall Security.
Es gab kein Brot. Da mußte ich Kuchen essen.

Samstag, 13. April 2013
Am Ende fehlte ihm die Kraft. Am Ende konnte seine weiche, weiße Decke die unter ihr krauchenden Wucherungen nicht länger halten. Am Ende verloren auch die letzten mit ihm die Geduld, wünschten den Abschied herbei, begannen, selbst die Zeit zu manipulieren, ihm zu zeigen, daß seine abgelaufen sei.
Am Ende wich er, wie das Kraftlose immer weichen muß. Er gab auf, verging, schmolz förmlich hinweg vor unseren Augen, stumm sterbend, von wenigen nur vermißt.
Jetzt wird kommen ein regnerischer Frühling, dann folgt bald schon die Zeit des Monsuns, wenn die drei Wochen Sonne im Juni vorüber sein werden. Sturzbäche werden zwei oder drei Monate alles ertränken, dann aber ist bereits wieder Herbst, die glückliche Zeit.
Bis dahin kann ich ein wenig das Spazieren erlernen, ganz wie der Spazierende Mann, dieses konzentrierte, detailreiche Werk von Taniguchi, das die im Großen ereignislosen Wanderungen eines Mannes durch seine Stadt beschreibt, wie er das kleine Links und Rechts streift, seinen Hund umherführt, den kleinen Dingen zuschaut. Wem es jetzt schon vor dem Sommer graut, mag in Ein Zoo im Winter Zuflucht suchen. Für die ruhigen Wochenenden, wenn das Geschrei einmal Pause haben soll.
>>> Geräusch des Tages: Blondie vs. Philipp Glass Heart Of Glass

Mittwoch, 3. April 2013
Strenggenommen gehörten in so ein Post-Blog-Blog ja 4:37-Min.-lange Beiträge zum Thema "Stille", also leere Eintragsfelder über die staunenerfüllte Groteske dieses zum Winter gemendelten Frühlings. Junge Damen in kurzen Röcken entpuppten sich als Bildstörung, denn in Wahrheit trugen sie helle Jeans zu dunklen Jacken. Sie stehen auch nicht barfuß im Schnee, sondern in den leichten Turnschuhen einer US-amerikanischen Marke.
Sie sind vielleicht inspiriert von meiner einst ganz erfolgreichen Jugendbuch-Trilogie (Lotte reißt aus, Lotte boxt sich durch und Lotte kehrt zurück - auch bekannt als "Lotteleben"-Reihe). Darin unternimmt die Heldin eine längere Bildungsreise, kreuzt durch die Südsee (ohne dort freilich Königin zu werden) und hat eine Begegnung mit den Gaffern, was man heute aber nicht mehr sagen darf. Der Verlag schrieb die Passage in Lotte boxt sich durch in "Leute vom Stamme der Betrachter" um, was aber nicht alle Kritik verstummen ließ.
Die Szene, als Lotte ihr Pony schlachten mußte, um sich und einen ihr untergebenen Gaffer Typen vom Stamme der Betrachter durch den harten Südseewinter zu bringen (das ist da so wie hier), wurde ebenfalls vom Verlag gestrichen. Feige Einknicker. Es hätte so viel zu lernen und vermitteln gegeben. Mich wundert nicht, daß Frauen heutzutage kaum noch Hausschlachtung beherrschen. Außer zwei oder drei, die ich kenne. Backen ist auch so ein Thema. Knöpfe annähen... ich sag' nichts mehr.
Nun ist es ja so. Während man im Alltag natürlich aus reiner Höflichkeit nicht allen auf die Füße treten, Empathie für die Belange und Schwächen seines Nächsten zeigen und überhaupt hübsch freundlich bleiben sollte, kann all dies ja nicht Aufgabe der Kunst sein. Die macht ja Dinge, die glaubt man nicht. Mitunter bohrt sie einem in unangenehmer Aufdringlichkeit wie ein Fremder in der Nase.
Auf der anderen Seite dieses verdrehten Frühjahrs habe ich in einer mir selbst etwas fremden Regung ein Ding mit Emily Blunt. Eine Schauspielerin, die ab und an aus der sonnenuntergangsgetränkten Seeligkeit ihres Privatlebens auftaucht, um unverfangenen Nonsens für die Öffentlichkeit zu machen und dabei immer extrem trinkfest aussieht. Cello spielt sie auch, sogar im Winter. Wißt ihr das jetzt auch.

Donnerstag, 28. März 2013
Ältere kennen diesen Anblick aus der Badewanne. Wie aber erklärt man Kindern, daß dieser Sack Prachtbursche (links im Bild) Hamburgs häßlichstes Walroß und neuer Star bei Hagenbeck ist? Die Boulevardzeitung berichtet von verängstigten Kleinkindern, denn "Odin", so der Name des rosafarbenen Nacktmulls, sehe nicht nur aus wie eine eingelegte und entfärbte Knackwurst, sondern singe auch wie eine Kreissäge. Das aber schön laut, ein Zeichen von innerer Zufriedenheit und dem Wunsch, die Damen für sich einzunehmen. So jedenfalls ein Sprecher des Tierparks.
"Antje", das alte NDR-Maskottchen und mittlerweile wohlpräpariert in der Naturkundesammlung plaziert, wird so wohl nicht so schnell ersetzt werden, vermute ich mal. Aber gut, Toleranz, nicht Gleichgültigkeit, sei unser Gebot. Und seien wir ehrlich: nach Monaten ohne Sonne sehen wir unter unserer Hermelinkleidung doch nur unwesentlich besser aus.

Montag, 25. März 2013
Hamburg, aufgepaßt, soviel Rock'n'Roll ist selten. Morgen abend liest der Mayer Berni in meinem früheren Wohnzimmer, dem weltberühmten Molotow
aus seinem bald ebenfalls weltberühmten Roman Black Mandel.
Das ist die Fortsetzung von Mandels Büro, dieser wildtickendem Krimigroteske über abgewrackte Menschen wie du und ich, die über die Aufklärung eines Verbrechens nur selbst immer tiefer in die Dunkelheit stapfen. Jetzt geht die ganze Chose hübsch grimmig weiter, gelacht wird aber nicht unten im Keller, sondern oben in der Bar. Denkt dran: Wer morgen dabei ist, muß später seine Enkel nicht anlügen und Behauptungen aufstellen.
