
Sonntag, 20. Februar 2011
Die Komplimente waren leider alle schon weg, aber da heißt es einfach tapfer sein und den Glauben nicht verlieren. Der Tag strahlt auch so zurück, wie man in ihn hineinstrahlt, sonst druckt man sich einfach selbst ein paar aus und klebt die Zettel in die Waschküche, dort, wo schon jedes Welt- und Nachbarschaftsproblem gewälzt und gewalkt, gestampft und ausgewrungen wurde.
Heute wird in Hamburg gewählt. Da man diesmal nicht nur eine oder zwei, sondern gleich zwanzig (20) Stimmen vergeben darf, wurde an alle Wahlberechtigten eine Musterfibel verschickt, wo man schon mal nachschauen konnte, welchen Dachdecker und Gas- und Heizungsinstallateur man in Zukunft besser nicht beauftragt. Er könnte auf Rechtsaußen spielen. Nicht zugesendet jedoch wurde mir eine Wahlbenachrichtigung, aber nun reicht bekanntlich auch ein Personalausweis. Wenn man denn das Wahllokal findet. Die Sparkasse, in der ich sonst wählte, hatte diesmal geschlossen, also fragte ich im nächstgelegenen Lokal in der Pfarrgemeinde um die Ecke nach. Das macht ja auch Sinn, ein Wahllokal in der Nachbarschaft, nur all die Vorjahre nicht, da mußte ich woanders hin. Wo ich schon überall wählen war: In der Sparkasse, in einer Schule, die jetzt keine mehr ist, in einer ganz anderen Schule, wieder in der Sparkasse... "Wo waren Sie denn das letzte Mal wählen?" fragte man mich im Wahllokal. Himmel, dachte ich, diese Fragen immer. Wo sehen Sie sich in fünf Jahren? Wo waren Sie vor fünf Jahren? Wenn ich das alles wüßte. Ist es nicht die Gegenwart, die zählt? Also, ich sei schon überall gewesen: In der Sparkasse, in der Schule, die jetzt keine Schule mehr ist, in der ganz anderen Schule, wieder in der Sparkasse - und ob das nicht eigentlich egal sei, immer dieses was früher war, man möge doch bitte meine Adresse in der Liste suchen und die zugehörige Nummer des Wahllokals?
Leider, muß man fast sagen, war ich schon ganz richtig dort, also das erste Mal im Wahllokal gleich um die Ecke. Wäre früher wohl zu einfach gewesen. Leider, weil es eine lange Schlange gab, als fände dort ein verkaufsoffener Sonntag statt. Menschen, die kaum ihren Namen buchstabieren können, campierten in den Wahlkabinen, um ihre zwanzig Kreuze (20) in den vier unterschiedlich gefärbten Fibeln (Uringelb, Schwangerschaftstestblau, Partnerlookfunktionsjackenviolett und so eine Art Lebensmittelschimmelgrün) zu verteilen. Ab und an reichten Helfer warme Getränke oder kräftigende Stullen nach, dem Seufzen und Stöhnen und der aufsteigenden Wolke kleiner Fragezeichen nach zu urteilen, war es für manche kein leichter Akt.
Ich hingegen, man muß sich ja auch mal selber gratis Komplimente machen, verteilte meinen Chor von (20) Stimmen wie mit leichter Künstlerhand, großzügig über die Seiten, hier ein Tupfer, dort eine Linie - ich denke, wer die einzelnen Punkte mit spitzem Bleistift verbindet, wird darin eine "37" erkennen können.
Erstmals vor Ort waren auch UNO-Wahlbeobachter clipboardhaltende Menschen der Forschungsgruppe Wahlen, die für das ZDF Wähler befragten. Mich allerdings, hier kommen wir zu einem kleinen Skandal, bei dem es keine zwei Meinungen geben darf, wollte man übersehen. "Sie befragen mich ja gar nicht", protestierte ich. "Nein, wir nehmen nicht jeden", erhielt ich zur Antwort. Nun halte ich selbst viel davon, nicht einfach jeden zu nehmen, das hat auch was mit Würde und Respekt vor sich selbst zu tun. In diesem Fall aber muß ich sagen, wird dies natürlich einen sehr verfälschenden Ausgang auf die Wahlprognose nehmen.
Wenn also gleich die Hochrechungen im ZDF verkündet werden, seid auf der Hut. Zwanzig (20) Stimmen flossen darin nicht mit ein! Kompliment, ZDF. Ihr traut euch was.

Donnerstag, 17. Februar 2011
via Yimmy Ayo
Noch wissen wir nicht, was der Doktorand sagen wird. Eine moderne Antwort könnte lauten: "Ach, ich geh das ganze mehr so regietheatermäßig an. Das ist alles ein Remix."
Apropos. Airen wird von der FAZ in Mexiko aufgestöbert (das Land der Axolotls übrigens), spricht entspannt von seinem neuen Leben und dem Elan, den ihm der Buchskandal bescherte. Er spricht unaufgeregt und ohne böse Worte. Nach wie vor macht er in der ganzen Causa die sympathischste Figur. Unaufgeregt. Kein Vergleich zum Geschäume des bekannten Berliner Theatermanns in der SPEX vor einiger Zeit über Blogger, die sich anmaßten, Literatur zu können.
Neulich noch einen anderen, in meinen Augen zu weit führenden Einblick in "den Betrieb" erhalten. Möchte ich nicht im Detail ausführen, Hauptstadtliteraten unter sich, altherrentliche Pfauenspreizung, man ist peinlich berührt.
Gut. Von mir sind manche auch peinlich berührt. Das beruht ja oft auf Gegenseitigkeit.
Eigentlich bildete ich mir ein, einen gewissen Blick für Details zu haben. Aber ich schwöre, das mit den Dings sehe ich erst heute. Himmel.
Nachdem die 80er und Postpunk abgefrühstückt wurden, fürchte ich ja eine Rückkehr gewisser Formen der 70er-Jahre-Musik. Also Schlagzeuger, die exzessiv Schlagzeug spielen und nicht nur monotone Maschinenrhythmen vorgeben. Gitarristen, die gniedeln, Bassisten, die "ein Solo spielen" müssen, erste Ohrenzeugen vermelden bereits die Rückkehr von Bläsersätzen in zeitgenössischen Kompositionen. Fransenlederjackenmusik.
Ich bin ja eher schlicht: Autoradioregler auf zehn und mit der Superbiene einfach immer nach Süden. Go your own way. Schade, daß ich so schlecht Auto fahre.
search request: wer ist kid37?
Das Stadtderby gestern endete mit Recht und Richtigkeit. Pauli 1, Hamburg 0. Und schon scheint zum Beweis heute die Sonne.
Es liegt eine Hoffnung in dieser Stadt.

Dienstag, 15. Februar 2011
Bis ich den Schlüssel zu meinem Blog wiedergefunden habe, solange vielleicht der Beitrag zum Superwahljahr*. Mit dem Schlüsselbund nämlich sind tiefe Furchen in den Beton gekratzt, 140-Zeichen-Botschaften für den parfümierten Aufstand auf dem Rathausvorplatz."They talk about taking action while wearing their Diesel-Tees" singt Gustav ins vom Meta-Gequatsche verengte Gewissen, für ein 'Ho und noch ein 'Ho und ein Tschitti-Tschitti-Bang-Bang.
"The Revolution will not be televised" wußte Gill-Scott Heron noch zu bemerken**, um so argwöhnischer stimmen die großmedial verbreiteten Behauptungen, sie finde heute bei Twitter statt. Oder eingebettet in Fahrzeug-, Telko- oder Eventkulturwerbung. Sie wird nicht präsentiert von Apple oder HTC. (Bestellt Revolution heute bis 17.00 Uhr und bekommt ein neues System am nächsten Tag per Overnight Express. Kunden, die sich für Revolution interessierten, kauften auch...)
>>> Geräusch des Tages: Gustav, We Shall Overcome
* Die Post-Wahltagsparty findet übrigens am 27.3. live im Hamburger Docks statt.
** ARD/ZDF scheint das bewußt.

Mittwoch, 9. Februar 2011
Ich achte ja schon auf vieles, überall sind schießlich diese Ziffern. Aber ich schwöre, das 37-Getagge in Hamburg ist nicht von mir (auf zwei Häusern, in denen ich hier wohnte, wurde das schon geschmiert). Und so weit bin ich auch noch nicht: Er hier sieht sogar Multiples of 37.

Montag, 7. Februar 2011
sah, ist doch jeder heute noch verliebt.
(Diane, per Mail)
Über der Stadt liegt ein modriger Geruch. Über der Stadt fällt ein grauer Dauerregen, der treibt das Wasser aus den Gullys, der fällt über verbeulte Container und Wellblechsilos, über sumpfige Wiesen, auf klebrige Straßen und verhuschte Gestalten, in linke wie rechte Schuhe, die Strümpfe hinauf, kriecht hinein in den Nacken, den man hängen läßt.
In den Wäldern flüchten sich Tiere in tropfende Zweige. Auf den Etiketten, die an ihren Ohren haften, steht "Ich bin stumme Klage". In den Wäldern bilden sich Sümpfe und tiefer Morast, darin greifen Wurzeln nach den schlickenden Stiefeln der schweigenden Wanderer. "Gestohlen! Alles gestohlen!" wispern trunkene Käfer, die gelblichen Bäuche gewölbt vom zu vielen Wasser, ein Reh glotzt melancholisch. Ich öffne den Rucksack, hole hervor eine Kanne aus Stahl mit heißen Getränken, eine oxidierte Brotdose, darin eine weitere Sorge, ein klammes Hemd, Stifte und ein gewelltes Notizbuch, verquollen wie die Augen einer umherirrenden Frau.
Später, im vollverfliesten Haus, am Telefon, ein Handtuch auf dem Kopf wie ein verwüsteter Beduine, sage ich: Regenschirme! Die Welt und ihre Seziertische brauchen einfach mehr Regenschirme!

Freitag, 4. Februar 2011
... sangen die Talking Heads einst. Ich habe es ja nicht so mit Autos, ich fahre auch lieber bei - vor allem, wenn Frauen am Steuer sitzen -, anstatt mich diesem verspannten Gehupe und Gedrängel auf bundesdeutschen Straßen auszusetzen. Allenfalls interessante Rostlauben können mich näher berühren, wie ja bekanntlich Narben überhaupt mehr vom vergangenen Glanz erzählen als kratzerloser, heißgewachster Schimmer.
Für dieses Mobil jedoch könnte ich eine Ausnahme machen. Rundum-Stoßstange, viel Übersicht und das (optische) Versprechen einer gewissen Rasanz, die nicht gleich ausgespielt werden muß - und hinten, wenn ich das richtig erkennen kann, ist auch ein Körbchen für die Einkäufe. Man muß sich allerdings anständig kleiden, ehe man in so ein Auto steigt.
Zudem muß ich vermuten, daß für dieses mir im Grunde aus natürlichem Recht zustehende Gefährt eine gewisse Summe Geldes aufgebracht werden müßte, die ich nicht so eine Weiteres zusammengeflattred bekäme. So bliebe es am Ende bei der nur leicht reduzierten Variante - man muß sich als herzender Betrachter den Rest halt dazufantasieren.
>>> Alle Bilder via Steampunk Vehicles
>>> Fascination

Samstag, 29. Januar 2011
Heute stellte sich im Discounter meines mittelmäßigen Mißtrauens eine größere Freude ein, als ich sah, wie mein Mitternachtskostüm (Superkid37) bereits in Serie gegangen ist. Fürchterlicher Rächer, heißt es dort. Hemd mit Schlupfkragen, Rüschen, Schnürung und befestigtem Umhang. Perfekt, bis auf die fehlenden Ringel. Mitgedacht wurde dafür bei der Hose. Die ist mit bequemen Gummizugbund. Gut, denn man wird nicht jünger, nur das Essen, das wird besser.
Ich sehe bereits vor meinem inneren Projektorauge ("Beamer" heißt das, glaube ich, heute bei den jungen Leuten) hochtrainierte, maskierte Superhelden im Fürchterlichen Rächerkostüm, wie sie sich, man denke an House of Flying Daggers oder ähnliche Filme, des nachts über die Elbphilharmonie schwingen um den bösen Superschurken zu stellen, der dort den Hamburger Geldhahn aufgedreht und ins Hafenbecken umgeleitet hat.
Oder der GAL, wenn sie in ihrer notorischen Kulturfremdheit mal wieder Museen schließen will, nachts als Geist der letzten Wahlen erscheinen und ordentlich ins Gewissen reden. Und wenn es dazu nicht reicht, dann kann man darin immerhin am Valentinstag eine Rose quer im Mund halten und auf Knien vor seiner Angebeteten liegen.
