
Freitag, 28. Januar 2011
Bacchus Racchus - The What from Lucas Revolution on Vimeo.
Monsieur Charlie macht ja wieder Unsinn, andere gehen zum Campen in den Dschungel. Ich finde, man sollte diesen entruderten Exzessen etwas Sinnstiftendes entgegensetzen, zu Musik und Tanz im klassischen Hain. Dort wird es Traubensaft geben und jugendgefährdende Spiele die Blogrolle hinauf und wieder herunter. Vielleicht die ein oder andere dioxinfreie Ekelprüfung - nur zum Spaß natürlich. Irgendein Schelm wird Schurken vorschlagen oder Ausrechner, die meinen, in fremden Gärten graben zu können, nur weil der Hausherr kurz nicht daheim war. Genau, einfach mal locker sein, rufen wir dann ins Feuer und schunkeln zu dem populären Lied "Man-kann's-ja-mal-versuchen/Ist-ja-nichts-dabei".
Am Ende dann aber Sonne und Lautenklänge, man verlinkt sich gegenseitig, wer mag, auch an ungenannten Stellen, dann gibt es noch mehr Traubensaft und Äpfel und Brot, spätrömische Dekadenz ein ganzes Wochenende lang, ein Zeppelin wird über die Landschaft fliegen und alles filmen für die Daheimgebliebenen, freche Lieder später dann am Lagerfeuer, falsche Komplimente und echte natürlich auch. Angeliska hat zu ihrem Geburtstag die Winterversion zelebriert. Nur mit netten Menschen und verzauberten Feen.

Dienstag, 25. Januar 2011
Wenn ich als Kind bei meiner Großmutter war, gab es dort einen Schwung zerlesener und obskurer Kinderbücher, ein kleiner Schatz für neugierige Kinderaugen . Andererseits waren die wirklich obskur, denn sie kamen mir damals schon äußerlich und innerlich verstaubt vor. Es waren viele dieser Göttinger Jugendbücher darunter, ein Verlag, der sich auf Kinderbuchversionen von (Erwachsenen-)Klassikern (Der letzte Mohikaner und Der weiße Wal), Mädchenbüchern (Barbara, dir winkt das Glück oder Sonja braucht 400 Mark), Weltraumabenteuern (Mondrakete E4 überfällig) und eine Reihe "Für Jungen" (Störtebeker, der Seeräuber) spezialisiert hatte. Zu Hause besaß ich später noch einen Band Das Abenteuer kommt ungerufen, ein Titel, der mich damals schon wenig begeisterte. "Ungerufen?" dachte ich. Wie doof. Was, wenn gerade Daktari im Fernsehen läuft? Oder man draußen, mit den anderen kleinen Lesern der Göttinger Jugendbücher (ein paar versnobte Schneider-Buch-Leser waren auch darunter) zum Nachspielen vom Lederstrumpf verabredet war? Kann sich so ein Abenteuer nicht lieber anmelden? Das Buch war allerdings recht spannend, irgendwas mit einem Jungen, der in Indien wilden Tigern begegnet. Wie das halt so war, damals nach dem großen Krieg.
Ein Autor ist mir im Gedächtnis geblieben, das war der Gubener Kurt Knaak. Seine Bücher hießen Ferien im Forst oder eben Formica die Emsenkönigin. Hinten gab es immer ein kleines Glossar mit Jagdausdrücken (äsen = "fressen"), was meinem naturkundlichem Interesse zu dieser Zeit immensem Auftrieb [!] gab. Überhaupt, eine recht faszinierende Welt mit ganz vielen toten Tieren. Staatenbildende Insekten hatten es mir damals schon angetan, Ameisen zumal. Mich beeindruckten die wie Sandhügel aufgetürmten Bauten, die selbst in Bewegung zu sein schienen, je näher man an sie herantrat. Die geschäftigen Ameisenstraßen, auf denen selten bloß zu Späßen aufgelegte Arbeiter ächzend und schnaufend ihr viel zu schweres Zeug umherschleppten. Die unterirdischen Bauwerke können, wie jedermann weiß, gigantisch sein, es ist wie bei einem Eisberg: unter dem Tannennadelhaufen liegt eine Megalopolis mit Wolkenkratzern, Schächten, Stollen und Schnellstraßen.
Natürlich besitze ich zu Studienzwecken Sim Ant, die (insgesamt enttäuschende) elektronische Ameisenkolonie. Vor ein paar Jahren, ein wunderbares Geschenk, fiel mir das Buch von Bert Hölldobler (zusammen mit Edward O. Wilson) in die Hände. Ein spannendes Werk, gefüllt mit hochinteressanten (und damals) neuesten Studien und Erkenntnissen zum Thema "Superorganismus".
Jetzt, zurück zu den Göttinger Jugendbüchern, habe ich - Achtung, aufpassen jetzt! - antiquarisch spottbillig eines dieser alten Bücher ergattern können, das ich zuletzt vor Jahrzehnten bei Frau Großmutter gelesen habe. Formica die Emsenkönigin, ein Titel aus reinem Klang, ihr seid da sicher ganz bei mir. Packende Abenteuer, Regen, Räuber und Rabauken, die den kleinen Staat bedrohen, kriegerische Beutezüge und vielleicht sogar eine Hochzeitsszene. Daran erinnere ich mich nicht mehr genau. Ich werde das emsig nacharbeiten. Was für ein Abenteuer.

Freitag, 21. Januar 2011
Man fragt sich, ob die Menschen keine Heizungen mehr daheim haben und nun zum Aufwärmen zu Ausstellungseröffnungen strömen. Rappelvoll waren die Deichtorhallen gestern, dabei war noch nicht einmal der Kultursenator zu entdecken, der an diesem Abend, so hörte man, wohl bei einer Film-Party war. Das in Herr-von-Eden gekleidete Personal ordnete Gedränge, Taschen- und Flaschenverbringung getreu den Regeln, die Gästeliste reichte von F.C. Gundlach (im dunklen Anzug) bis zu bekannten Bloggern (bei Blogger.de weltberühmt) und der Jeunesse dorée der Hamburger Vernissage-Brigade (Schuhe: Fiorentini & Baker). Damit sei die Gesellschaftsprotokollberichterstattung aber auch erfüllt.
Die jährliche Leistungsschau der Fotografieabsolventen hat - nach Durchhängern in den beiden Vorjahren - sich wieder mehr auf die Fotografie fokussiert, die abstrakten Konzepte sind ein wenig zurückgetreten hinter Positionen, die man eher mit dem Medium verbindet. Dabei spielten sich die konstruktivistischen Ansätze (lange keine Rodchenko-Ausstellung mehr gesehen) ein wenig kalt in den Vordergrund. Ein bißchen zu spät, sonst hätten es André Hemstedt und Tine Reimer auf ein Plattencover von Franz Ferdinand schaffen können. Peter Saville hätte es womöglich gefallen, ich möchte derzeit keine Interpol und Kraftwerk-Menschen mehr sehen. Stephan Tillmans (nicht verwandt mit Uber-Wolfgang) zeigt seine Leuchtpunkte, ein weiteres Beispiel für den Kopf, der durch den Sucher blickt.
Ich möchte Herzen sehen. Rebecca Sampson ist meine Gewinnerin des Abends. Für eine inszenierte Reportage besuchte sie eine Fachklinik für Eßstörungen. Ihre Porträts und stillen Tableaus zeigen, zum Teil hyperrealistisch wie in einer Modestrecke, Dicke und Dünne, Unsicherheit, Verlorenheit und tiefe Trauer. Aber auch stille Freuden und ein gewisses Selbstbewußtsein. (Die Originalprints haben übrigens mehr "Punch" als die Fotos auf der Webseite.) Man hat nicht das Gefühl, hier werde ein spekulatives Thema ausgeschlachtet. Man hat das Gefühl großer Nähe und einer manchmal beinahe unangenehmen Intimität, von stillen Geschichten.
Helena Schätzle folgte für ihre Abschlußarbeit an der Kunsthochschule Kassel den Spuren ihres Großvaters, der 1946 aus russischer Gefangenschaft durch Osteuropa floh. Sie reiste den 2621 Kilometern hinterher, porträtierte Zeitzeugen und dokumentierte winterliche Landschaften. Ein emotional-nostalgisches Reportagethema und ein reizvolles Konzept, bei dem mich allerdings nicht jedes einzelne Bild überzeugen konnte.
Wirklich überraschend war (wie so oft in den letzten Jahren) nichts - was wieder einmal beweist, daß Fotografie nicht Pop ist, radikale Brüche und Frische selten sind und nicht zwangsläufig von den Jüngsten kommen. Was noch auffiel: Kein Sex. Kann man wohltuend abgesetzt finden vom Pornoclickschaffen der Generation Internet. Oder bedenklich.
("Gute Aussichten 2011". Deichtorhallen, Hamburg. Bis zum 27.2.2011)

Mittwoch, 19. Januar 2011
"You can fuck off with your cameras."
Chrissie Hynde rotzcool, als ob Butter
in ihrem Mund nicht schmelzen würde.
Belästigungen wegspringen lassen wie kitzelnde Blätter, die auf einen zum Reflex gespannten Muskel fallen. Erstmal allerdings werden verspannte Muskeln beklopft: Die blitzeisbedingte Steißlage meiner eigenen kleinen Hinterland-Nation habe ich heute dann doch mal begutachten lassen. Die unfallchirurgische Praxis überzeugt mit Selbstironie. "Laut MOPO", so die Aussage auf der Webseite, residiere man in "Hamburgs häßlichstem Haus" - man solle sich davon aber nicht abschrecken lassen. Eigentlich hatte ich angenommen, selbst in Hamburgs häßlichstem Haus zu wohnen, aber die MOPO war dort ja noch nicht. Drinnen dann alles apfeldesignt und hipstermodern eingerichtet, der Medizinalrat zügig, freundlich, aufmerksam. Angenehm, denn ich kenne auch unfallchirurgische Praxen, die eher wie Feldlazaretts geführt werden. Der kundige Doktor führt allerhand Untersuchungen durch, deren intimere Details ich hier einmal im Dunkel lasse, dann geht es zum Röntgen und ich wurschtel mich in eine Art Blei-Unterhose mit Klettverschluss. Kein Kandidat für eine Fashion Week, aber gleich in mehrfacher Hinsicht die perfekte Unterbekleidung für einen Castor-Transport. Am Ende wünscht er mir für die nächsten Wochen viel Glück, ein Beißholz und den gelegentlichen Griff in die Medikamentenkiste.
Die humpelnde Entschleunigung kommt vielleicht zur rechten Zeit. Je langsamer es geht, desto schneller kommt man raus, jeder Trippelschritt weniger ist ein Schritt mehr in die Freiheit.
Wie hübsch man sich schon entnetzt hat, merkt man, wenn man vom allerneuesten Blogger-Krawall zuerst aus der FAZ erfährt. Aus der gedruckten Ausgabe wohlgemerkt.

Montag, 17. Januar 2011
Einer reichlich entglitzerten Woche den frühen Freitag abgerungen, stille Freude auf eine Heimkehr noch vor der Tagesschau (früher: ...till the cows come home). Mit den letzten Seiten des Stadlers in der U-Bahn bequem gemacht, bis zum vorzeitigen Zugstillstand, Feuerwehreinsatz am Berliner Tor, Umwege also mit der S-Bahn, deren eine Linie zuerst ausfällt (Zugschaden), dann aber doch noch fährt. An der Station geht der Einsatz gerade zu Ende, Transportwege werden freigeräumt, Menschen in orangefarbenen Westen drängen hektisch, man spürt schon, das sind zu viele, das sieht nicht so gut aus, als schon die Rolltrage vorbeieilt und dazu Bilder, die ich auch nicht hätte sehen müssen, unablässig pumpende Hände, denen man wünscht, daß ihnen die Kraft nicht versagt, der aufgeblähte Bauch, der wie ein bleicher Walfisch auf den Strand geworfen unter den rhythmischen Stößen hilflos hin- und herwogt.
Die Kinks singen and the kitchen sink is leaking, auch das ist wie aus dunklen Tiefe einer anderen Epoche gehoben, ich betrachte die tintenfleckigen Finger, denke an die eigene frivole Buchhaltung dieser Woche: die schicksalstaggeplagte Frau, immer Zigarette rauchend, zwei Kinder und ein totgeglaubter Mann, dabei innerlich immer aufrecht, immer widerborstig, eingeklebt in eine heimatmuseal nachgestaltete, nostalgische Vergangenheitsbebilderung, Sepia-Resistance wie die großen Produktionsfirmen sie sich vorstellen.
Wie manche immer unzufrieden sind, ihnen nie etwas gut genug ist. Immer just das falsche Restaurant, die guten Plätze immer zu weit hinten, die Möbel immer zentimeterweit am falschen Platz. Und das sind nur die banalen Dinge, die lächerlichen, aber an so einem Freitag, wenn die Bäuche pumpen und wir nur Alkohol im Regen am Büdchen trinken, nehmen, was da ist, während wir auf den Ersatzbus warten, denke ich, mein eigner Ein-Mann-Widerstand, schön nostalgisch in ein heimatmuseales Erinnerungsbuch verpackt, ganz so, als wäre es von TeamWorx ausgestattet, fick dich einfach.

Donnerstag, 13. Januar 2011
she got me the whole box set of ALL the Beatles' albums...
every single one ... and all i got her was a engagement ring...
god i need to step it up.. ahaha
[Q]
Oft muß man von jungen Menschen hören...
...die Beatles, z. B., seien "überschätzt". Dann recke ich die Arme gen Himmel, rufe Jesse, John & Yoko und doziere über die Bedeutung der Fab Four, unleugbar!, wie sie meinen nostalgischen Kinderwagen in Schwingungen versetzten und diesen wie sonst nur die Entwicklung der populären Musik mit immer neuen Wendungen rasant beschleunigten. Außerdem, so sage ich, haben sie den Teleprompter erfunden, heute von den Bühnen dieser Welt nicht mehr wegzudenken. Und blieben dabei immer menschlich!
So ist das eben, nichts kommt von nichts. Und die Leute sehen immer nur das Beet und nie den Spaten. Wenn das tägliche Love Me Do fertig ist, dann heißt es natürlich, ja, etwas derartiges hätten's wir fein auch schon gekonnt. Eh kloa. Oder sie sagen, ja du, du arbeitest bloß auf der Schiffswerft, da hat man es gut, wir hingegen müssen... Oder sie denken, so ein Lied liegt morgens fertig ans Kopfkissen gepinnt, auf daß man es nur nehmen müsse, auf dem Weg zur Drogenhölle kurz beim Studio halt machen und einsingen - und zack! Welthit.
Aber auch hinter den kleinen Blüten steckt harte Arbeit. Offene Ohren, offene Augen, alles einsaugen, verdauen, fermentieren und dann in die Form zwingen, Bleischürze um (wegen der Strahlung des ungezähmten Materials), mit dicken Gummihandschuhen die schweren Zangen halten, dazu die Dämpfe, diese schlimmen Dämpfe, die einem erst zu Kopf und später tief in die Lungen steigen. Gut, wenn man wenigstens einen hat, der einem den Text hält.

Dienstag, 11. Januar 2011
Irre. Und Made in Austria. Muß nun alle meine Sonic-Youth-Alben neu hören. Ich komme jetzt ins analytische Alter. Pfeife kommt aber nicht ins Haus.
Auch irre. Das Finanzamt will, daß ich die Kosten für die Elbphilharmonie fortan alleine übernehme. Binnen einer Woche, schreibt man und empfiehlt das "bequeme Lastschriftverfahren". Ich empfehle einen Blick in die behördeneigenen Akten und rechne im stoischen Vertrauen auf Beamtentugenden mit einem Versehen.
Bis dahin höre ich weiter analytisch meine Sonic Youth-Alben und entdecke ungeahnte Geräusche, das Ächzen von Gitarrensaiten und Anatmen vor Studiomikrofonen. Kleine Fehler bei den Liveauftritten. Werde das alles von der Steuer absetzen.
Bin wieder auf Glatteis gestürzt. Neben schlimmen Schmerzen ist der schlimmste Schmerz die Selbstdemütigung. Wie ein hilfloser Käfer auf dem Boden liegen, darauf wartend, von den Schwestern mit Äpfeln beworfen zu werden, die Knochen durchzählen und dann im Dunkel des heranbrechenden Abends nach Hause schleichen. Ich bin fast bereit, demnächst einen Bus zu nehmen.
Ausatmen. Sie lesen entweder aus Lichtenstein dem Hamburger Schuldturm oder einem Krankenlager weiteres von mir. Ich werde dort Zeitungssausschnitte sammeln, nachdenken und meine Neuentdeckung Chelsea Wolfe hören.
