Sonntag, 20. März 2011


Yippie-yah-yah-yippie-yippie-yeah



Mir geht es manchmal so wie in einem dieser wirklich lebensgefühlahnenden Spots eines großen Heimwerkermarktes. Auferstanden ist er, welcher lange schlief zitiere ich Heym, fühle dieses Pulsieren in meiner Brust und das Verschmelzen meiner zarten Muskeln in die kinetische Energie eines Vorschlaghammers.

Lange schon währte das Gerücht, ich wolle endlich mal das in meinem privaten Umfeld mittlerweile mythisch gewordene Fliesenprojekt (verewigt in meinem Buch The Fliesen Years, Bd. I- III) in Angriff nehmen. Das gebar sich einer seltenen Sternenkonstellation gleich vor Jahren bereits in meinen Kopf, denn in der Duschecke war der Fliesenspiegel bedauerlicherweise viel zu niedrig angesetzt, die Wand durch mehrfaches Nachstreichen und ewiges Trockenrubbeln zudem mehr als unansehnlich geworden. Die Keramik, eine der frühen Formen des menschlichen Kulturschaffens, schien mir eine elegante Lösung.

Nun, wir nähern uns in schnellen Schritten der Moderne, galt es nachzudenken. Und noch ein wenig nachzudenken. Wenn, so die kühne Idee, ich schon bereit war über den Rubikon zu schreiten, warum nicht gleich wie einer dieser Internetradikalen in großen, von verklemmt analem Machbarkeitsdenken völlig losgelösten Dimensionen denken? Andere fliesen, dachte ich. Ich baue ein Taj Mahal. Auch ein Deckenfresko, wer ist schon dieser Michelangelo?, kam mir kurz ins innere Gespräch, das muß dann immerhin schon so kurz nach dem WM-Endsieg 1954 in Bern gewesen sein.

Nach der Ölkrise und dem Ende der Boomjahre aber stutzte ich mich und meine pfauischen Höhenflüge (Können die überhaupt fliegen?) zurecht, tauschte Michelangelo gegen Oskar Schlemmer und weiße Fliesen und hatte jetzt nur noch das Problem, diesseits von Dessau ein geeignetes Bauhaus zu finden. Als unmotorisierter Mensch ist ja das Thema "Materialbeschaffung" immer wieder ein pointenreiches.

Zwar half mir zunächst mitleidsvoll eine stadtbekannte Bloggerin mit ihrem E10-befeuerten Mobil, aber dann gab es neue Probleme, dann schien die Sonne, dann mußte ich arbeiten und dann hatte ich keine Zeit. Zwischendurch juxten sich mittlerweile zu Ex-Freunden gewordene Mitmenschen durch mein unverfugtes Heimwerkerleben, neckten mich hier, eskalierten mich dort, empfahlen frech irgendwelche Mareks und Pjotrs, reichten mir von Laternenpfählen gerissene Telefonnummern und unterließen auch sonst keine noch so ehrabschneidende Heimwerker-Insinuation. Einfühlsame Frauen brachte ich mit dem Vergleich "Du möchtest einen Kuchen backen? Frag doch mal meine Exfreundin, die konnte das super!" schnell auf eine verständnisvollere Linie, bei den Männer war es schwieriger. Manche machten sich eine diebische Freude daraus, mal eben ein Haus zu entkernen, bloß um mich zu beschämen, oder sich wie mein Bruder zu benehmen, der daheim auch gerade Betonböden gießt, während ich noch mit einem Ral-Farbfächer über der Frage meditierte, ob man nicht mit einer tollen Kontrastfabre (zum Beispiel ein schönes gestuftes Schwarz) einer weißen Fliese den edleren Schliff geben könnte. Andere Männer fragten pragmatisch, ob ich denn schon wisse, wie ich sie schneiden werde?

Ich mache es kurz: der bei anderen bewährte Kniff mit dem Glasschneider taugte bei mir jedenfalls nichts. Ich schiebe das auf den Glasschneider. Jetzt aber, und ich meine "Buckelvolvo" das ist so Eighties!, kommt der Hammer: Ich bin nun im Besitz einer metallblitzenden Fliesenschneidemaschine! Da macht es Ritsch- und Klick - und schon ist so eine Hartgebrannte halbiert. Und wenn ich mit dem Ding unter dem Arm samstags durch die Innenstadt marschiere, werden alle Frauenherzen weich.

Gut angelegte 20 Euro also. Und nun kam die Zeit, da ich Zeit hatte. Und mäßiges Wetter dazu! Und fast alles Material! Was also lange währte, wurde dieser Tage endlich gut. Meine Lernkurve, he, es war mein erstes Mal!, war sehr hoch, aber zufriedenstellend. Ich weiß jetzt zum Beispiel, warum Fliesenleger ein ehrenwerter Ausbildungsberuf ist, der über drei Jahre geht. Und ja, mich lachte zum Glück kein Meister schallend aus, nachdem er mein Werk in Augenschein nahm und meinte, "Min Jung, das kannste alles wieder abschlagen. Und dann machst du es noch mal, aber richtig." Dafür macht es ein Heimwerker ja schließlich heimlich! Ich sage es mal in der mir bekanntlich innewohnenden diplomatischen Art: Beim zweiten Mal wüßte ich, auf welche Dinge ich stärker achten könnte. Aber auch so: astrein.

Man möge mich bitte auch "Mr. Silikonfuge 2011" nennen. Da, so erkläre ich ohne künstlich reduzierten Stolz, habe ich ein Händchen für. Beziehungsweise einen in Spüli getränkten Finger, mit dem ich kinderpopoglatte Fugen streichen kann als würde ich die Saiten einer Stradivari kosen. Ich geriet darüber in eine gewisse Ekstase und hätte am liebsten sofort meine ganze Wohnung silikonverfugt, schön dauerelastisch wie sonst nur mein Verhältnis zu schwierigen Mitmenschen.

Yippie-yah-yah - und als nächstes lerne ich Balkonbau. Danke fürs Zuhören und die große Geduld und alle, denen ich es auf dem langen, langen Weg versprochen habe, dürfen nun gern zur Einweihungsduschparty kommen. Handtuch nicht vergessen. Ich setze mich jetzt mit einem Glas guten Rotweins andächtig vor meine Fuge und werde vielleicht sogar mein Nachtlager vor ihr aufbereiten.


>>> Was Blixa empfiehlt, kann so falsch nicht sein. Ich möchte aber anmerken: Das hermetische Café wurde sämtlich von einer konkurrierenden Baumarktkette ausgefliest und vom Zementschleier mit einem feuchten Tuch befreit.


 


Donnerstag, 17. März 2011


Liebe ist keine Brückentechnologie

Es muß jetzt einmal gesagt werden. Die Pausen hier haben einen Grund, und der hat nichts mit Stromausfällen zu tun. Ich klebe gerade Fliesen an die Wand arbeite zur Zeit an meinem neuesten Film, der zum nächsten Sommer der Liebe ausgestrahlt werden soll.

Es geht dabei um einen alten Fahrensmann, der in einer ungenannten großen deutschen Hafenstadt zum Überwintern in einer kalten Welt von Bord geht und feststellt, daß die Liebe die einzige Kraft ist, die die Welt rotieren läßt.



Die Liebe ist keine Brückentechnologie, und Anousch hat wie immer völlig recht. Ich meine: So wie wir die Liebe aus dem Internet ziehen, oder ganz modern erst im Netz zu ihr finden, so müssen wir das Kraftwerk unserer Herzen entzünden äh zusammenführen, also anschalten, und dann aber auch raus ins Leben usw. und nur ab und an zum Tanken an die Netzsteckdose. (Man merkt, der Film ist noch nicht ganz fertig, aber die großen Themen Kommunikationsprobleme und soziale Kälte und Energiemangel deuten sich bereits an.)

Für ein Internet, das von der Liebe durchstrohmtömt wird! Energiewende jetzt.

Super 8 | von kid37 um 03:13h | 14 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Samstag, 12. März 2011


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Es sind dies auch Tage, an denen nicht nur die Hochtechnologie, sondern auch die Popkultur an Grenzen stößt. Grad wenn man denkt, jetzt könne nur noch Godzilla helfen, wird klar, daß man mit ironischer Brechung keine Stahlmäntel wird bauen können und Zynismus niemals kalt genug sein wird, ein Kühlaggregat zu ersetzen.

Popkultur wird also nicht den Untergang verhindern. Im Unterschied zu vorkulturellen Zeiten haben wir aber den schöneren Soundtrack dazu. Solange der Strom läuft, jedenfalls.

>>> Geräusch des Tages: Kraftwerk, Radioaktivität


 


Dienstag, 8. März 2011


Kanalregler Redux



Endlich wieder einmal Licht und Farbe zum Wochenende. Früher ging man da zum Selbst- und Sichtschutz in die Dunkelkammer, schwappte schön mit giftiger Chemie, heute muß man am Computer in der Sonne sitzen, Teststreifen entwickeln und Tonwertregler hin- und herbewegen wie eine schunkelnde Feiergemeinschaft, die mit Wupp-di-ka! und Helau! und Alaaf! sich ein strahlendes Rheinland in schummrigste Hamburger Kellerkneipen malt.



Die Kollegin fuhr als "Black Swan" gewandet ins Rheinland, das nenne ich, eine Aufgabe stilvoll gelöst. Krankenschwestern, Kätzchen und Pippi-Langstrumpfs gibt es in der Regel ja genug. Ich war als Besucher einer Singlebörse verkleidet und habe dann beim Auslaufen & Auslüften am Sonntag das sogenannte "Wochenendhaus" besichtigt.



Ein weiteres meiner zahlreichen lorem-ipsum-Projekte. Ich zögere und denke und denke und zögere und denke, ich werde es nicht machen. Finde mal jemanden, der es auch bewirtschaftet, unter der Woche, wenn keine Wirtschaft ist. Eben. Noch ist das Leben nicht nur Rosenschneiden.

Abends dann in der Küche gestanden und beim Knoblauchschneiden und Gambas in die Pfanne werfen schmachtende Fetzen mit Zischlauten gehört - so als sei auf einmal schon ein weiterer Sommer angebrochen kurz vor der Fastenzeit in Rot und Grün und Weiß, mit Versprechen und Verlangen und Verskonstellationen am Abendhimmel. Jetzt eine Dachterrasse und ein großes Glas Rotwein, so male ich es mir auf einer weiteren Überlagerungsebene aus. Wir würden nur eine Papierschürze tragen, noch ein bißchen Weichzeichner einfügen, die Kontraste mindern und alles wäre gut.


 


Donnerstag, 3. März 2011


Schwarze Segel, wo sind die schwarzen Segel?

Wie Feuerregen füllt den Ozean
Der schwarze Gram. Die großen Wogen türmt
Der Südwind auf, der in die Segel stürmt,
Die schwarz und riesig flattern im Orkan.

(Georg Heym. "Der fliegende Holländer". 1911.)



Mein Vermögen, das muß auch immer wieder einmal betont werden in diesen vom sozialen Neid geprägten Zeiten, ist mir ja nicht einem blutverkrusteten Adelstitel hinterher in den Schoß geworfen worden. Zuvor gab es Jahre und Nächte verzweifelten und zweifelnden Suchens und schließlich Schaffens. Geistig und körperlich bereits mehr als halb zerfressen von den Dämpfen und Chemikalien in meinem geheimen Kellerlabor und den zahlreichen gegen die Natur gerichteten Experimenten erfand ich schließlich die seit Jahrhunderten von Alchimisten und Naturwissenschaftlern gesuchte Lacrimatose® - eine Substanz, die Glück heilen kann.

Die Formel verkaufte ich an die Pharmaindustrie, Pandora Healthcare hütet sie seither in einem Panzerschrank am Rande der Schweiz. Von dem Geld habe ich mir ein Penthouse gekauft und ein Boot. Am Wochenende nun bin ich auf der Werft gewesen und habe die Fortschritte der hermetischen Reederei in Augenschein genommen. Man will ja nicht protzen, andererseits für eine große Reise auch nichts auf die lange Planke schieben. Leinen los! heißt es immer so plötzlich. Zettel werde ich bald wohl aushängen müssen, "Matrosen zum Mitreisen gesucht", bereit sollen sie sein zur großen Frühlingsfahrt bis hinunter nach Galapagos. Sollte das Glück sich einstellen, so muß ich nichts fürchten, es gibt ja nun ein Medikament dagegen. Und im Rumpf berge ich Fässer mit Sauerkraut, gegen Skorbut und gute Laune.


 


Dienstag, 1. März 2011


Peek-a-boo

Derzeit schaue ich nur zwei Farben, Schwarz und auch ein bißchen Weiß. In diesen Filmen laufen Männer mit ausgebeulten Jackentaschen durch eine regennasse Nacht, fliehen vor größeren und kleineren Reparaturarbeiten im kriegsversehrten Haushalt in einen Spätausschank und geraten alsbald durch eine Frau in eine schlimme Lage, aus der sie wiederum nur eine andere Frau befreien kann. Nächste Woche ist Weltfrauentag, da möchte ich die eine oder andere loben. Zum Beispiel diese eine, die Blonde, die Kim Basinger der Vierziger. Man kommt nicht darum herum, über ihre Haare zu reden. Was sage ich Haare. Es handelt sich um eine Frisur. Ein blonder Schwung, eine fließende Welle, die das Gesicht einrahmt und nur leicht verhängt, so daß ein Auge - guckguck! - in allen Deutungsvarianten darunter hervorlugen kann: vorwurfsvoll, mißtrauisch, wach und verschlafen und immer haargeheimnisumrankt und lockend.

Veronica Lake, ihr habt das gleich erkannt, hieß eigentlich Ockelman, aber dies war kein Name, mit dem man in den Vierzigern beim Film Karriere machen konnte. Raymond Chandler, einer der vielen bedeutenden Nationaldichter der USA, nannte sie nur "Moronica", und manches deutet darauf hin, daß dies nicht nur liebevoll gemeint war. Wie viele große Frauen war sie eher klein von Statur, weshalb sie so gut zu ihrem Filmpartner Alan Ladd paßte. Ein Mann in den Sechzigern, der immer den Hut aufbehielt, um wie 1,72 m zu wirken und nur von der Lake als einzige seiner Partnerinnen vor der Kamera nicht überragt wurde. Zusammen drehten sie vier Filme, alles dunkle Knaller wie "The Blue Dahlia" oder "This Gun for Hire".

Wie viele andere nicht endlos begabte Schauspieler mußte sie vor der Kamera nicht viel mehr tun als gut aussehen - das darf man nicht unterschätzen - und so setzte sie folglich alles auf ihr Markenzeichen und eine blitzhelle, kurze Karriere und lebte ansonsten in einer schrägen Form von Emanzipation ein Rock'n'Roll-Leben wie ein Mann: vier Ehen, krankhafter Suff, früher Tod und eben diese schicke Frisur.

>>> Veronica Lake gemeinsam mit Dorothy Lamour und Paulette Goddard im energetisch vorgetragenen Wehrkraftermunterungslied A Sweater, a Sarong and a Peek-A-Boo-Bang.

Super 8 | von kid37 um 14:00h | 5 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Donnerstag, 24. Februar 2011


Finnentweed

Frost ist es. Kalt stehen sich die Menschen gegenüber. Hamburger Härte über Kopfsteinpflaster gestülpt, ein Mensch ruft, mach noch einen! und denkt darüber nach, sich einen Schnurrbart zu hegen. Auf den Straßen halten sich hartnäckige Eisflatschen, zementharte Wölbungen, die wie grauverschmierte Muttermale metertief in den Asphalt hinunterragen, sich ausdehnen wie ein Wurzelwerk, ausharren für einen ewigen Winter.

Die Hamburger stehen zusammen, Mantelkragen gegen die Mitternachtssonne nach oben gerichtet, man haucht in die Hände, kränkelnder Atem, führt faule Gespräche und denkt an die kommende Radfahrsaison. Ob man sich zum Tweed-Ride an der Elbe verabreden sollte? Was aber, zagen manche, wenn es regnet? Oder schlimmer, ein steter Wind von Südsüdoost mit klammen Fingern in die Speichen drückt?

Während man also noch denkt und wägt, ist man am Nordkap schon vorangeradelt. Die Finnen wischen die Angst vor der Kälte mit einer achtlosen Bewegung fort, knurren unter ihren Schnurrbärten hervor ein Grundlos! und packen die Sorge in die Tiefe einer mit Wodka gefüllten Thermoskanne. Mit Stil und Mut und Unerschrockenheit trotzen sie auf ihren Fahrrädern den schlechten Wirten der Natur.

>>> Fotos via Krista Keltanen