Mittwoch, 9. Februar 2011


37

Ich achte ja schon auf vieles, überall sind schießlich diese Ziffern. Aber ich schwöre, das 37-Getagge in Hamburg ist nicht von mir (auf zwei Häusern, in denen ich hier wohnte, wurde das schon geschmiert). Und so weit bin ich auch noch nicht: Er hier sieht sogar Multiples of 37.


 


Montag, 7. Februar 2011


Baby, dein Hase ist irgendwie nass

In die Person, mit der man einst Twin Peaks
sah, ist doch jeder heute noch verliebt.

(Diane, per Mail)



Über der Stadt liegt ein modriger Geruch. Über der Stadt fällt ein grauer Dauerregen, der treibt das Wasser aus den Gullys, der fällt über verbeulte Container und Wellblechsilos, über sumpfige Wiesen, auf klebrige Straßen und verhuschte Gestalten, in linke wie rechte Schuhe, die Strümpfe hinauf, kriecht hinein in den Nacken, den man hängen läßt.

In den Wäldern flüchten sich Tiere in tropfende Zweige. Auf den Etiketten, die an ihren Ohren haften, steht "Ich bin stumme Klage". In den Wäldern bilden sich Sümpfe und tiefer Morast, darin greifen Wurzeln nach den schlickenden Stiefeln der schweigenden Wanderer. "Gestohlen! Alles gestohlen!" wispern trunkene Käfer, die gelblichen Bäuche gewölbt vom zu vielen Wasser, ein Reh glotzt melancholisch. Ich öffne den Rucksack, hole hervor eine Kanne aus Stahl mit heißen Getränken, eine oxidierte Brotdose, darin eine weitere Sorge, ein klammes Hemd, Stifte und ein gewelltes Notizbuch, verquollen wie die Augen einer umherirrenden Frau.

Später, im vollverfliesten Haus, am Telefon, ein Handtuch auf dem Kopf wie ein verwüsteter Beduine, sage ich: Regenschirme! Die Welt und ihre Seziertische brauchen einfach mehr Regenschirme!


 


Freitag, 4. Februar 2011


...behind the wheel of a large automobile

... sangen die Talking Heads einst. Ich habe es ja nicht so mit Autos, ich fahre auch lieber bei - vor allem, wenn Frauen am Steuer sitzen -, anstatt mich diesem verspannten Gehupe und Gedrängel auf bundesdeutschen Straßen auszusetzen. Allenfalls interessante Rostlauben können mich näher berühren, wie ja bekanntlich Narben überhaupt mehr vom vergangenen Glanz erzählen als kratzerloser, heißgewachster Schimmer.

Für dieses Mobil jedoch könnte ich eine Ausnahme machen. Rundum-Stoßstange, viel Übersicht und das (optische) Versprechen einer gewissen Rasanz, die nicht gleich ausgespielt werden muß - und hinten, wenn ich das richtig erkennen kann, ist auch ein Körbchen für die Einkäufe. Man muß sich allerdings anständig kleiden, ehe man in so ein Auto steigt.

Zudem muß ich vermuten, daß für dieses mir im Grunde aus natürlichem Recht zustehende Gefährt eine gewisse Summe Geldes aufgebracht werden müßte, die ich nicht so eine Weiteres zusammengeflattred bekäme. So bliebe es am Ende bei der nur leicht reduzierten Variante - man muß sich als herzender Betrachter den Rest halt dazufantasieren.

>>> Alle Bilder via Steampunk Vehicles
>>> Fascination


 


Samstag, 29. Januar 2011


Spiel doch heut' mal Superkid



Heute stellte sich im Discounter meines mittelmäßigen Mißtrauens eine größere Freude ein, als ich sah, wie mein Mitternachtskostüm (Superkid37) bereits in Serie gegangen ist. Fürchterlicher Rächer, heißt es dort. Hemd mit Schlupfkragen, Rüschen, Schnürung und befestigtem Umhang. Perfekt, bis auf die fehlenden Ringel. Mitgedacht wurde dafür bei der Hose. Die ist mit bequemen Gummizugbund. Gut, denn man wird nicht jünger, nur das Essen, das wird besser.

Ich sehe bereits vor meinem inneren Projektorauge ("Beamer" heißt das, glaube ich, heute bei den jungen Leuten) hochtrainierte, maskierte Superhelden im Fürchterlichen Rächerkostüm, wie sie sich, man denke an House of Flying Daggers oder ähnliche Filme, des nachts über die Elbphilharmonie schwingen um den bösen Superschurken zu stellen, der dort den Hamburger Geldhahn aufgedreht und ins Hafenbecken umgeleitet hat.

Oder der GAL, wenn sie in ihrer notorischen Kulturfremdheit mal wieder Museen schließen will, nachts als Geist der letzten Wahlen erscheinen und ordentlich ins Gewissen reden. Und wenn es dazu nicht reicht, dann kann man darin immerhin am Valentinstag eine Rose quer im Mund halten und auf Knien vor seiner Angebeteten liegen.


 


Freitag, 28. Januar 2011


Friday frenzy

Bacchus Racchus - The What from Lucas Revolution on Vimeo.

Monsieur Charlie macht ja wieder Unsinn, andere gehen zum Campen in den Dschungel. Ich finde, man sollte diesen entruderten Exzessen etwas Sinnstiftendes entgegensetzen, zu Musik und Tanz im klassischen Hain. Dort wird es Traubensaft geben und jugendgefährdende Spiele die Blogrolle hinauf und wieder herunter. Vielleicht die ein oder andere dioxinfreie Ekelprüfung - nur zum Spaß natürlich. Irgendein Schelm wird Schurken vorschlagen oder Ausrechner, die meinen, in fremden Gärten graben zu können, nur weil der Hausherr kurz nicht daheim war. Genau, einfach mal locker sein, rufen wir dann ins Feuer und schunkeln zu dem populären Lied "Man-kann's-ja-mal-versuchen/Ist-ja-nichts-dabei".

Am Ende dann aber Sonne und Lautenklänge, man verlinkt sich gegenseitig, wer mag, auch an ungenannten Stellen, dann gibt es noch mehr Traubensaft und Äpfel und Brot, spätrömische Dekadenz ein ganzes Wochenende lang, ein Zeppelin wird über die Landschaft fliegen und alles filmen für die Daheimgebliebenen, freche Lieder später dann am Lagerfeuer, falsche Komplimente und echte natürlich auch. Angeliska hat zu ihrem Geburtstag die Winterversion zelebriert. Nur mit netten Menschen und verzauberten Feen.

Tentakel | von kid37 um 11:33h | 5 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Dienstag, 25. Januar 2011


Formicabel



Wenn ich als Kind bei meiner Großmutter war, gab es dort einen Schwung zerlesener und obskurer Kinderbücher, ein kleiner Schatz für neugierige Kinderaugen . Andererseits waren die wirklich obskur, denn sie kamen mir damals schon äußerlich und innerlich verstaubt vor. Es waren viele dieser Göttinger Jugendbücher darunter, ein Verlag, der sich auf Kinderbuchversionen von (Erwachsenen-)Klassikern (Der letzte Mohikaner und Der weiße Wal), Mädchenbüchern (Barbara, dir winkt das Glück oder Sonja braucht 400 Mark), Weltraumabenteuern (Mondrakete E4 überfällig) und eine Reihe "Für Jungen" (Störtebeker, der Seeräuber) spezialisiert hatte. Zu Hause besaß ich später noch einen Band Das Abenteuer kommt ungerufen, ein Titel, der mich damals schon wenig begeisterte. "Ungerufen?" dachte ich. Wie doof. Was, wenn gerade Daktari im Fernsehen läuft? Oder man draußen, mit den anderen kleinen Lesern der Göttinger Jugendbücher (ein paar versnobte Schneider-Buch-Leser waren auch darunter) zum Nachspielen vom Lederstrumpf verabredet war? Kann sich so ein Abenteuer nicht lieber anmelden? Das Buch war allerdings recht spannend, irgendwas mit einem Jungen, der in Indien wilden Tigern begegnet. Wie das halt so war, damals nach dem großen Krieg.

Ein Autor ist mir im Gedächtnis geblieben, das war der Gubener Kurt Knaak. Seine Bücher hießen Ferien im Forst oder eben Formica die Emsenkönigin. Hinten gab es immer ein kleines Glossar mit Jagdausdrücken (äsen = "fressen"), was meinem naturkundlichem Interesse zu dieser Zeit immensem Auftrieb [!] gab. Überhaupt, eine recht faszinierende Welt mit ganz vielen toten Tieren. Staatenbildende Insekten hatten es mir damals schon angetan, Ameisen zumal. Mich beeindruckten die wie Sandhügel aufgetürmten Bauten, die selbst in Bewegung zu sein schienen, je näher man an sie herantrat. Die geschäftigen Ameisenstraßen, auf denen selten bloß zu Späßen aufgelegte Arbeiter ächzend und schnaufend ihr viel zu schweres Zeug umherschleppten. Die unterirdischen Bauwerke können, wie jedermann weiß, gigantisch sein, es ist wie bei einem Eisberg: unter dem Tannennadelhaufen liegt eine Megalopolis mit Wolkenkratzern, Schächten, Stollen und Schnellstraßen.

Natürlich besitze ich zu Studienzwecken Sim Ant, die (insgesamt enttäuschende) elektronische Ameisenkolonie. Vor ein paar Jahren, ein wunderbares Geschenk, fiel mir das Buch von Bert Hölldobler (zusammen mit Edward O. Wilson) in die Hände. Ein spannendes Werk, gefüllt mit hochinteressanten (und damals) neuesten Studien und Erkenntnissen zum Thema "Superorganismus".

Jetzt, zurück zu den Göttinger Jugendbüchern, habe ich - Achtung, aufpassen jetzt! - antiquarisch spottbillig eines dieser alten Bücher ergattern können, das ich zuletzt vor Jahrzehnten bei Frau Großmutter gelesen habe. Formica die Emsenkönigin, ein Titel aus reinem Klang, ihr seid da sicher ganz bei mir. Packende Abenteuer, Regen, Räuber und Rabauken, die den kleinen Staat bedrohen, kriegerische Beutezüge und vielleicht sogar eine Hochzeitsszene. Daran erinnere ich mich nicht mehr genau. Ich werde das emsig nacharbeiten. Was für ein Abenteuer.


 


Freitag, 21. Januar 2011


Gute und andere Aussichten




Man fragt sich, ob die Menschen keine Heizungen mehr daheim haben und nun zum Aufwärmen zu Ausstellungseröffnungen strömen. Rappelvoll waren die Deichtorhallen gestern, dabei war noch nicht einmal der Kultursenator zu entdecken, der an diesem Abend, so hörte man, wohl bei einer Film-Party war. Das in Herr-von-Eden gekleidete Personal ordnete Gedränge, Taschen- und Flaschenverbringung getreu den Regeln, die Gästeliste reichte von F.C. Gundlach (im dunklen Anzug) bis zu bekannten Bloggern (bei Blogger.de weltberühmt) und der Jeunesse dorée der Hamburger Vernissage-Brigade (Schuhe: Fiorentini & Baker). Damit sei die Gesellschaftsprotokollberichterstattung aber auch erfüllt.

Die jährliche Leistungsschau der Fotografieabsolventen hat - nach Durchhängern in den beiden Vorjahren - sich wieder mehr auf die Fotografie fokussiert, die abstrakten Konzepte sind ein wenig zurückgetreten hinter Positionen, die man eher mit dem Medium verbindet. Dabei spielten sich die konstruktivistischen Ansätze (lange keine Rodchenko-Ausstellung mehr gesehen) ein wenig kalt in den Vordergrund. Ein bißchen zu spät, sonst hätten es André Hemstedt und Tine Reimer auf ein Plattencover von Franz Ferdinand schaffen können. Peter Saville hätte es womöglich gefallen, ich möchte derzeit keine Interpol und Kraftwerk-Menschen mehr sehen. Stephan Tillmans (nicht verwandt mit Uber-Wolfgang) zeigt seine Leuchtpunkte, ein weiteres Beispiel für den Kopf, der durch den Sucher blickt.

Ich möchte Herzen sehen. Rebecca Sampson ist meine Gewinnerin des Abends. Für eine inszenierte Reportage besuchte sie eine Fachklinik für Eßstörungen. Ihre Porträts und stillen Tableaus zeigen, zum Teil hyperrealistisch wie in einer Modestrecke, Dicke und Dünne, Unsicherheit, Verlorenheit und tiefe Trauer. Aber auch stille Freuden und ein gewisses Selbstbewußtsein. (Die Originalprints haben übrigens mehr "Punch" als die Fotos auf der Webseite.) Man hat nicht das Gefühl, hier werde ein spekulatives Thema ausgeschlachtet. Man hat das Gefühl großer Nähe und einer manchmal beinahe unangenehmen Intimität, von stillen Geschichten.

Helena Schätzle folgte für ihre Abschlußarbeit an der Kunsthochschule Kassel den Spuren ihres Großvaters, der 1946 aus russischer Gefangenschaft durch Osteuropa floh. Sie reiste den 2621 Kilometern hinterher, porträtierte Zeitzeugen und dokumentierte winterliche Landschaften. Ein emotional-nostalgisches Reportagethema und ein reizvolles Konzept, bei dem mich allerdings nicht jedes einzelne Bild überzeugen konnte.

Wirklich überraschend war (wie so oft in den letzten Jahren) nichts - was wieder einmal beweist, daß Fotografie nicht Pop ist, radikale Brüche und Frische selten sind und nicht zwangsläufig von den Jüngsten kommen. Was noch auffiel: Kein Sex. Kann man wohltuend abgesetzt finden vom Pornoclickschaffen der Generation Internet. Oder bedenklich.

("Gute Aussichten 2011". Deichtorhallen, Hamburg. Bis zum 27.2.2011)