Mittwoch, 6. Februar 2008


Aschermittwoch

And the lost heart stiffens and rejoices
In the lost lilac and the lost sea voices

(T.S. Eliot, "Ash Wednesday". 1930.)



Hinter Dortmund liegt der erste Schnee. Der Zug bohrt sich tiefer in das Herz der Industrieruinen, nach langer Fahrt durch flache, matschige Felder. Es ist nicht viel, der Boden gerade mal bedeckt. Aber doch Schnee. Am Horizont reihen sich bewaldete Hügel auf, die Flüsse haben Wehre. Weiter geht es hinein ins Bergische Land. In Wuppertal stehen erste Jecken auf den Bahnsteigen, frierend, schunkelnd, ein bunter Kontrast zu nassgrauen Hausfassaden. Frohsinn im Dreck, denke ich. So sind wir dann wohl.

Durch die Stadt führt eine melancholische Fahrt. Die Musik im Ohr abgegriffen wie das Gotan-Projekt, wie der Himmel in einem alten Café. Zäh schiebt sich der Zug dazu zwischen häßlichem Etwas hindurch, allzu langsam durch das enge Tal. Und mir wird bewußt, schmerzhaft, wie gerne ich gezeigt hätte: Die kleinen Orte, die rostigen Eisenbrücken, die verborgenen Stiegenhäuser, der alte Ascheplatz. Das Aufdecken, daß man selber auch Familie hat und ein Leben.

Denn am Ende überleben nicht die Versprechungen. Was bleibt, sind die geteilten Erinnerungen. Die Reisen, die rührenden Momente. Die stillen, die sanften, die schönen und auch die traurigen. Nicht das, was hätte sein sollen. Nur das, was war.


 


Montag, 4. Februar 2008


Karneval Bop



Nach dem Geisterzug, gegen den nun wirklich niemand etwas sagen kann, das ist ja mehr so Mardi-Gras für Studenten, dann noch in so einem kleinen Kellerclub in der Südstadt gelandet. Gleich beim Reinkommen, hallo Rheinland, mit einer jungen Frankensteins Braut an der Theke geflirtet geredet, die mich auf meine rote Pappnase anspricht. Es handele sich um eine hanseatische Extremverkleidung, erkläre ich, und wir sind uns für einen Augenblick sehr nah. Später stellt sich das junge Geschöpf als die DJane des Abends heraus, aber erst noch spielt ein mitteljunger Elvis geschrammelte Versionen seiner größeren Hits. "Viva Hohensyburg" bringt die Tanzfläche zum Kochen, ich bin ebenfalls begeistert. Ich habe den King gesehen.



Anschließend passiert das, woran man merkt, daß man zuhause ist. Sentimentales Liedgut wie "Unser Veedel" mit "Blitzkrieg Bop" zu mischen, geht wohl nur hier verletzungsfrei. Junges Indievolk tanzt unbefangen verkleidet, und auch für mich gibt es eine Premiere (Herr Sakana liest jetzt mal kurz weg): Zu "Blue Monday" mit roter Pappnase tanzen war für mich ein absolut neues Erlebnis. "You Really Got Me", wie die Kinks zwischendurch verkünden. Dafür lebt man ja schließlich: neue Erfahrungen machen.

Die DJane rockt hinter ihrem Pult in Selbstbegeisterung und wir lassen sie nicht allein: "Debaser" (Hände hoch in die Luft bei "Chien Andalusia"), Kelly* Deal, die wollte ich auch mal heiraten, die hätte mir das Rauchen beibringen können und einiges andere mehr. Man will ja nicht nur Zucker schlecken im Leben, sondern auch lernen. "No Tears", genau, "God Save The Queen", mittlerweile weiß ich von manchen, wo sie '77 waren, "I Wanna Be Your Dog", jajaja, dazu muß man raumgreifender tanzen - und zu "Ring of Fire" nie allein. "Jackson" gleich hinterher, auch schon lange nicht mehr gehört, seit mein Plattenspieler daheim Transmissionsprobleme hat. Hier aber gibt es An- und Auftrieb, das reicht wieder für eine ganze Zeit. Man muß es sich ja einteilen.



Mit einer Amy Winehouse, die dünnen Oberarme über und über mit Tattoos bemalt, tanze ich zu "London Calling". Ich bedaure, nicht mein tolles T-Shirt zu tragen. Nachdem wir gemeinsam "I live by the river" gebrüllt haben, biete ich ihr eine Entschuldigung an, weil ich ja in den letzten, mir etwas schwerer angehangenen Wochen die ein oder andere despektierliche Ansicht über sie geschrieben habe. Wenn ich ihr Nicken richtig interpretiert habe, sind Amy und ich aber wieder so was von!

Dadurch fast schon ein wenig übermütig geworden, tanze ich gleich darauf mit der aufgedrehten DJane, die mich entfernt an die sehr schöne Frau™ erinnert, zu "Devil In Disguise". Beim Refrain drohe ich ihr mit neckisch erhobenem Finger, während sie mir teuflische Kußhände zurückwirft. Dann ist sie wieder verschwunden. Das ist aber nicht schlimm, denn ein bißchen außer Atem bin ich schon. Was man alles so erlebt. Auch Wahnsinn, eigentlich. Wenn man so darüber nachdenkt.


 


Samstag, 2. Februar 2008


Sternenklar

This is an exciting month because surprise developments will bring needed changes. [...] Your chart is particularly intriguing, especially when viewed in the context of what you've been doing over the past two years.

Klingt gar nicht schlecht.

Sogar das mit der lustigen Reise Anfang Februar stimmt. Andererseits, Romance may not be your number one priority in February, da werde ich wohl wirklich was mit einer "Website" machen müssen. Oder dahin gehen, wohin niemand zu gehen wagt: Ins Rheinland, wo ich Hoffnung hege, daß sich vielleicht eine 52-jährige, füllige Prinzessin im rosa Tutu meiner erbarmt und herzt und bützt, was Tüll und Leibesfülle gestatten.

Denn merke: Von allen traurigen Vögeln bin ich immer noch der lustigste.


 


Freitag, 1. Februar 2008


Eine Erinnerung, kalt wie Schnee, hüllt uns ein

Man lernt hier im Institut Benjamenta Verluste empfinden und ertragen, und das ist meiner Meinung nach ein Können, eine Übung, ohne die der Mensch, mag er noch so bedeutend sein, stets ein großes Kind, eine Art weinerlicher Schreihals bleiben wird.

(Robert Walser. Jakob von Gunten. 1909.)

Am Ende, also später dann, geht es alleine hinaus in den Schnee. Ein letzter Spaziergang vielleicht, den Mantel um den müden Körper festgezurrt, den Zeichenstift vergessend, und Schuhe, die Fußstapfen unbestimmter Größe hinterlassen. Wenn man hinaustritt und plötzlich alles weiß, dann, in kristallklarer Nacht.

>>> Ladytron, Destroy Everything You Touch


 


Donnerstag, 31. Januar 2008


Von den schönen Dingen

Sie legt die Handschuhe auf die kleine Kommode in der Diele. Sie sind rot, aus dünnem Leder. Ich nehme sie in die Hand, die zarte Haut, vorsichtig, und denke daran, wie genau, wie geschmeidig, sie über ihre schmalen Hände passen.

Die Eleganz, die in den Dingen wohnt. Die Eleganz der Stille auch. Die Eleganz, die nicht im Krawall der Worte, sondern in der Anwesenheit liegt. Menschen, die nicht reden müssen. Menschen, die einfach da sind. Weil sie wissen, wann man sie braucht.


 


Mittwoch, 30. Januar 2008


Some Love Left

Because there is still some love left in the world.
Another customer today asked this same question, by the way.


Fragen Sie das Orakel, es weiß mehr als man meint. Die Frage lautete übrigens: "Why do I love striped socks?"

Man mag sich auch nach weniger profanen Dingen erkundigen. Manche Frage scheint auch zu groß für das Eingabefeld. Manche Frage stellt man lieber still.


 


Dienstag, 29. Januar 2008


Licht an, Licht aus

Zagen zwischen dem trotzigen Immer noch und der Angst der Fragezeichen, der Zweifel, der Schrecken um das Verlorene, gleich einem Koffer, zu dem man nur noch den Gepäckschein in den Händen hält. Eine schmerzhafte Erinnerung, die erst nach und nach enthüllt, was alles in ihm war und wohin man hätte Reisen können. Die Stille auch, mitten im Donnerhall, daneben das Kreischen der Sturmvögel mit ihrem heiseren, zynischen Loslassen! Loslassen!, für die ich Verständis wenig, ein bißchen, besitze, eher jedoch eine Schrotladung, ein Jagdgewehr (natürlich nur mit Salz geladen) - und Hände, die auch dafür zu sehr zittern.

Wir wir auf der Brücke in der warmen Sonne standen und den Flug der Libellen beobachteten. Sie betrachtete die glitzernden Flügel, und ich sah ihre Augen, wie sie sahen, versunken, und das Licht der Sonne zurückwarfen.

Ergeben die Hände gehoben, dann manchmal schlucken, den Atem anhalten, kaum weiterlesen können, wenn sie es beschreibt, diesen Zustand, mit einer verzweifelten Wucht, als sei sie die Ghostwriterin meines Lebens. Wo sie doch ein eigenes hat.

Bitte leise eintreten, das ist kein Krawallblog dort.