Freitag, 1. Februar 2008


Eine Erinnerung, kalt wie Schnee, hüllt uns ein

Man lernt hier im Institut Benjamenta Verluste empfinden und ertragen, und das ist meiner Meinung nach ein Können, eine Übung, ohne die der Mensch, mag er noch so bedeutend sein, stets ein großes Kind, eine Art weinerlicher Schreihals bleiben wird.

(Robert Walser. Jakob von Gunten. 1909.)

Am Ende, also später dann, geht es alleine hinaus in den Schnee. Ein letzter Spaziergang vielleicht, den Mantel um den müden Körper festgezurrt, den Zeichenstift vergessend, und Schuhe, die Fußstapfen unbestimmter Größe hinterlassen. Wenn man hinaustritt und plötzlich alles weiß, dann, in kristallklarer Nacht.

>>> Ladytron, Destroy Everything You Touch


 


Donnerstag, 31. Januar 2008


Von den schönen Dingen

Sie legt die Handschuhe auf die kleine Kommode in der Diele. Sie sind rot, aus dünnem Leder. Ich nehme sie in die Hand, die zarte Haut, vorsichtig, und denke daran, wie genau, wie geschmeidig, sie über ihre schmalen Hände passen.

Die Eleganz, die in den Dingen wohnt. Die Eleganz der Stille auch. Die Eleganz, die nicht im Krawall der Worte, sondern in der Anwesenheit liegt. Menschen, die nicht reden müssen. Menschen, die einfach da sind. Weil sie wissen, wann man sie braucht.


 


Mittwoch, 30. Januar 2008


Some Love Left

Because there is still some love left in the world.
Another customer today asked this same question, by the way.


Fragen Sie das Orakel, es weiß mehr als man meint. Die Frage lautete übrigens: "Why do I love striped socks?"

Man mag sich auch nach weniger profanen Dingen erkundigen. Manche Frage scheint auch zu groß für das Eingabefeld. Manche Frage stellt man lieber still.


 


Dienstag, 29. Januar 2008


Licht an, Licht aus

Zagen zwischen dem trotzigen Immer noch und der Angst der Fragezeichen, der Zweifel, der Schrecken um das Verlorene, gleich einem Koffer, zu dem man nur noch den Gepäckschein in den Händen hält. Eine schmerzhafte Erinnerung, die erst nach und nach enthüllt, was alles in ihm war und wohin man hätte Reisen können. Die Stille auch, mitten im Donnerhall, daneben das Kreischen der Sturmvögel mit ihrem heiseren, zynischen Loslassen! Loslassen!, für die ich Verständis wenig, ein bißchen, besitze, eher jedoch eine Schrotladung, ein Jagdgewehr (natürlich nur mit Salz geladen) - und Hände, die auch dafür zu sehr zittern.

Wir wir auf der Brücke in der warmen Sonne standen und den Flug der Libellen beobachteten. Sie betrachtete die glitzernden Flügel, und ich sah ihre Augen, wie sie sahen, versunken, und das Licht der Sonne zurückwarfen.

Ergeben die Hände gehoben, dann manchmal schlucken, den Atem anhalten, kaum weiterlesen können, wenn sie es beschreibt, diesen Zustand, mit einer verzweifelten Wucht, als sei sie die Ghostwriterin meines Lebens. Wo sie doch ein eigenes hat.

Bitte leise eintreten, das ist kein Krawallblog dort.


 


Montag, 28. Januar 2008


Pausentaste

Heute meine Einladungen für die Berlinale zurückgegeben. Es ist besser, es einen Kollegen machen zu lassen.

(Aus meinem Buch: Dinge, die jetzt auch nicht mehr so leicht fallen.)

Super 8 | von kid37 um 19:23h | 20 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Sonntag, 27. Januar 2008


Wilde Herzen


Geht gut - Geht gar nicht

Die Neigungsgruppe Kummer & Trunk informiert. Angeblich, so behauptet das Rückenetikett, geht das Rezept vom "Klosterbruder" auf einen Mönch zurück, der aus Liebeskummer näher zu seinem Herrn kommen wollte. Nachdem er aber diese geheime Kräutermischung getrunken hatte, war er geheilt. Wir geben kund: Daran mag etwas Wahres dran sein. Denn möglicherweise verklebt diese ölig-süße Pampe Spitzentinktur aus ostdeutscher Tradition (ein Land, dem Liebeskummer sicher unbekannt war) nicht nur den Mund, sondern auch sämtliche empfindsamen Herzgefäße. Wir hier von der fluffig-lockeren Sozialexperimentalfront traten jedenfalls schnell den Rückzug an. Minimalste Dosis, möchte ich raten. Minimalste Dosis.

Der Samstag brachte nach der sturmflutbewegten Lesung und fabelhaften Scampi-Spießen (<----> so groß) viele weitere Delicatessen und die Erkenntnis: Gemeinschaftliches Trinken sogenannten Kreuz-und-Quer-Alkohols (Wodka, Bier und Rotwein, um nur mal ein paar Zutaten zu nennen) ist in Maßen durchaus eine gangbare Alternative, sofern von schönen Strümpfen und einem gewissen Flair flankiert.

Versprechen gibt es keine. Es gilt, sich selbst zusammenzuhalten und über das du und das ich nachzudenken.


 


Samstag, 26. Januar 2008


No Tears For The Creatures Of The Night

I love you though you hurt me so
Now I'm going to pack my things and go

(Gloria Jones, "Tainted Love". 1964.)



Und schon wie ich zur Tür reinkomme, merke ich, was ich lange vergessen hatte: Ich bin kein Typ für schicke Clubs. Ich bin mehr so der Kaschemmen-Typ. (Herr Kid is coming home.) In der halbverrauchten Astra-Stube wartet sie schon mit einem Bier auf mich und sagt, schreib ja nicht wieder, ich sei verläßlich patent. Schreib doch mal was nettes. Aber das ist nett, sage ich, und was sollen die Leute denken, wenn ich ständig schreibe, wie attraktiv du bist.

In der angenehm ranzigen Bierschwemme spielen heute zwei Bands, die ich nicht kenne. Endearment aus Köln werden mit allerlei Gang-of-Four-Einflüssen den kleinen Laden rocken, und ich muß sagen, ich finde die wirklich toll. Später spielen The Lessappeal mehr so schweinig geradeaus - man fühlt sich warm umfangen und gleich zuhaus. (Herr Kid is coming home.) Aber das ist nicht der Höhepunkt.

Über den Abend weg legt der Sänger der Endearments einen DJ-Set auf, der mich zurückführt in die Zeit. Alte Postpunk-Scheiben, The Clash, Wire, Elvis Costello, Grace Jones, dazwischen Ska und Motown-Soul, bald fragen wir uns, ob dieser blutjunge Bengel am Mischpult die Sammlung seines älteren Bruders geplündert hat (später erfahre ich, hat er nicht). Wir wippen an der Theke; sie baut aus einem Flaschenetikett ein Schiff namens "Hope".

Am Zigarettenautomaten steht ein Mädchen und schaut mich immer wieder an. Sie ist schön, denke ich. Und vielleicht bin ich ja gar nicht so alt.

Nachdem The Lessappeal die Bude endgültig warmgepielt hat, legt der Kölner nochmal mit Rheinland-Verve los und bringt nach und nach die ganze Marktstube zum Tanzen: Tainted Love in beiden wichtigen Versionen, und spätestens bei Blue Monday (Herr Kid is coming home.) hält es auch mich nicht mehr auf dem Barhocker.

Das ist das Schöne am Älterwerden: Man wird ja förmlich unbeschwert. Gleich hinterher Transmission, Tuxedomoon, Siouxsies "Hongkong Garden" (Herr Kid is coming home.) und - völlig überraschend - Martha and the Muffins mit "Echo Beach", seit Ewigkeiten nicht mehr gehört. Wie mir das fehlte, denke ich. Das Tanzen, das Schwitzen, die Musik. Ich nehme noch die Buzzcocks mit, dann muß ich nach Hause. "Ever Fallen In Love With Someone (You Shouldn't Have Fallen in Love With)?" Ich bin brutal romantisch, und die Antwort lautet ja.

Die Nacht ist mild, draußen atme ich die Luft der Hansestadt. Da mußten erst Kölner kommen, um mich mit Hamburg zu versöhnen. Wie vieles geht, wie vieles ankommt. "It was nice to see you dancing", heißt es später. Draußen spiegeln sich die Neonlichter. Die Nacht gehört auch wieder mir, denke ich, mit einem zagenden "Heart Of Glass" im Ohr. (Herr Kid is coming home.)

Und doch: Ich wünschte, du wärst hier.

Radau | von kid37 um 05:16h | 27 mal Zuspruch | Kondolieren | Link