
Donnerstag, 22. März 2007
Vor einer Woche wurde Patti Smith in die Rock'n'Roll Hall of Fame aufgenommen, was für sich genommen auch nicht sooo weltbewegend ist, zumal mittlerweile fast eher interessant ist, wer nicht dort verewigt wurde.
Also: artiger Applaus, super, weitermachen - dann aber ein Blick auf die wie immer pathetischen und umso berührenderen Begleitworte der Grande Dame selbst. In der New York Times blickt sie zurück, wie Rock'n'Roll sie zu "einem Meer [endloser] Möglichkeiten" führte, und nach vorn, zu denen, die nun folgen, nachdem das CBGBs abgerissen wurde und eine Ära zu Ende ist: "The Internet is their CBGB. Their territory is global."
Neue Ideale, neue Torheiten. Und immer weitermachen. Bravo.

Mittwoch, 21. März 2007
is a real advance in the condition of men,
[...] it must be shown that it has produced
better dwellings without making them more costly [...].
(H.D. Thoreau, Walden, or Life in the Woods. 1854.)
Beim abendlichen Ausflug zur Hamburger Immobiliensafari ließ mich heute ein Nachbar ins Mietobjekt, der mich sp0ntan an Gaston erinnerte. Die Haltung, die Frisur - selten drängte sich die Besetzung einer Rolle stärker auf. Es war zwar sicher eine andere Marke, aber im Sinne der Dramaturgie möchte ich auch behaupten, die in seinen rechten Mundwinkel geklebte Fluppe war eine aus dem Hause Gauloises. He, ihr Franzosen mit eurem Hang zum Comic-Klamauk: Wann kommt die Gaston-Verfilmung?
Gaston jedenfalls besitzt den Schlüssel zur Nachbarwohnung, und ein Blick auf das Matratzenlager im Wohnzimmer hilft einigen wilden Ideen durch den Geburtskanal, was man so machen könnte, verfügte man über solcherart zusätzlichen Wohnraum. Bei meiner grundsätzlich so asketischen Lebensweise bräuchte ich natürlich kein Liebesnest, aber ein Gebetsraum mit Beichtstuhl ließe sich sicher einrichten.
Die Behausungsvisiten in letzter Zeit haben mir ja wieder die Finessen und Haken des menschlichen Miteinanders eindrücklich nähergebracht. Denn wie in jeder sozialen Spielgemeinschaft sind auch im Umfeld von Wohnungsbesichtigungen einige Regeln zu beachten. So sind meiner Meinung nach scherzhaft gemeinte Fragen wie "Ob man denn sein Schild Kolloratursänger an der Haustür anbringen dürfe" im Beisein potentieller Vermieter besser zu unterlassen. Auch allzu kritisches Gebohre und Gepuhle, sei es mit den Fingern, Messwerkzeug oder inquisitorischen Fragen sind sorgsam zu dosieren, den silbernen Anstecker vom Mieterschutzbund nimmt man besser gleich vom Revers.

Der bauliche Zustand Hamburger Wohnungen ist allgemein besser als noch vor zehn Jahren - aber vielleicht schaue ich mir die Löcher diesmal gar nicht erst an. Aber diese altbekannten kreativen Badlösungen, bei denen man über die Kloschüssel steigen muß, um in der Duschtasse zu landen ("Treten Sie nicht zu kurz"), sind mir diesmal noch nicht untergekommen. In Stadtteilen, die seit ein, zwei Tagen die Schlagzeilen des Boulevard beherrschen, soll demnächst viel Wohnraum freiwerden, wenn man den Aussagen der Bewohner des "Hochhaus' des Schreckens" (MOPO) glauben schenken darf. Ich bin da vorsichtig. In zwei Wochen wird die Erinnerung an das, was sich in der Plastiktüte einer Billig-Modekette für junge Leute befand, schon deutlich schwer fallen.
Gestern war ich in einer betulichen Ausstellung, die auch mal gut tat. (Betuliche Taten tun.) Die Erfindung der amerikanischen Malerei dürfte allerdings neben Menschen im Goldenen Zeitalter höchstens noch Amerikanisten wie mich interessieren. Die romantischen Landschaftsschinken der Hudson River School hängen schon ein wenig schwer in noch schwereren Rahmen - zeigen aber unbestritten großartige Vistas (wenn auch gerne weniger realistisch denn komponiert, aber was solls) und vor allem die allmähliche Formung amerikanischer Vorstellungswelten, Ideen, Spleene & Ideale, die heute so oft auf andere Weise schauern machen.
Ich möchte die Stickbilder im Museumsshop empfehlen. Truisms von Emerson und Abraham Lincoln gibt es dort, hübsch gerahmt. "All that I am, or hope to be, I owe to my mother" ist mein Favorit. Das klingt, aus einer Plastiktüte heraus gesprochen, allerdings etwas dumpf und erstickt.
(Die Erfindung der amerikanischen Malerei. Bis zum 28.5.2007 im Bucerius Kunstforum, Hamburg.)

Montag, 19. März 2007
... und nun zu etwas ganz anderem
Nach dem etwas in Vergessenheit geratenen Motto, Blogger lesen Blogger, habe ich meine knisternde Soundkarte bemüht: Der erste Text "Niemals, aber" stammt von Ole aus Absurdistan, der zweite "Chili-Mandel-Ginseng" von Miriam von K. von Marmelade auf der Schulter. Die abgehackte Intonierung stammt von mir.
Niemals, aber [mp3, 1.5 MB]
Chili-Mandel-Ginseng [mp3, 2.7 MB]

Freitag, 16. März 2007
Ich rauch jetzt keine Zigarette,
denn sonst schimpft die Klimarette
und läßt mich ohne Auto steh'n.
Dabei möchte ich sagen: Ich bin da völlig d'accord. Autos raus aus der Innenstadt, Tempolimit, generelles Rauchverbot - letzteres klappt ja selbst in Ländern wie Irland und Italien. Nur über die funzeligen Energiesparlampen möchte ich noch reden.
Wenn mir dann noch die unter Rot/Grün gestohlenen Rentenjahre zurückgegeben werden, wäre es ja fast schon eine glückliche Welt.

Donnerstag, 15. März 2007
Seltsam, wie zu Menschen manchmal nach Jahren der Draht abreißt. Plötzlich und unerwartet. Man blickt sich an, sieht ein fremdes Gesicht, liest einen Satz, den man nicht versteht, hört einen Witz, den man nur noch peinlich findet. Was gestern noch nett und sympathisch erschien, ist einem heute öde und fad.
Weil das Rad sich weiterdreht, das Licht die Dinge anders bescheint. Weil Kredit verbraucht ist, die Sprache sich ändert. Weil man Gedankengänge auf einmal nicht mehr nachvollziehen kann. Weil man nichts Persönliches, nur noch die jährlichen Firmenaussendungen erhält. Mit Sinnsprüchen für alle Welt.
Vielleicht nach zehn, zwölf, fünfzehn Jahren. Vielleicht ein halbes Leben lang. Du fährst Auto, ich nehm die Straßenbahn. Und eines Tages werden auch diese Erinnerungen verloren sein. Wie in unserem Lieblingsfilm.
Wie Tränen im Regen.

Zeit, mal wieder beinahe zusammenhangslos Blondie zu zitieren, denn ich möchte einen kleinen Film vorstellen, der vielleicht nicht dem Atomzeitalter geschuldet ist, aber dafür auf zum Nukleus komprimierten Raum Action, Schauwerte und Rawumm vereint: Kaboom ist ein Kleinod aus der wunderbaren Sammlung von PES - ein schräges Minimalfilmkombinat mit beschwipsten tollen Ideen und Spaß nach Ladenschluß. Natürlich machen die auch Werbung, aber das ist ihr Job. Kunst allein macht nur wenige satt.

Dienstag, 13. März 2007
Wie jeder weiß, läßt sich mit dem menschlichem Körper allerhand anstellen, was dem menschlichem Verstande zunächst ungewöhnlich scheint. Spontanreflexe, Ohrenwackeln, auch den Verzehr von Billigwurst möchte ich dazu zählen. Alles, was ich sonst noch weiß, stammt aus dem wunderbaren Buch Menschenkunde und Vererbungslehre von Harry Garms, das nicht nur Sätze wie "Nervöse sollten früh zu Bett gehen; sie dürfen im Bett nicht lesen, keinen starken Kaffee trinken, nicht rauchen und sich nicht aufregen" und andere höchst vernünftige Ratschläge enthält. Auch wer sich für Gehirnwassersucht interessiert, ist bei Harms gut beraten, ehe man zum Pschyrembel und dann zu schwererer Kost greift. Menschenkunde von 1954 (meine Ausgabe stammt von 1965) war ein Schulbuch für die Mittel- und Oberstufe und regt zu allerhand lustigen Experimenten an. Ich kenne das noch aus Physikbüchern aus dieser Zeit - Wir bauen uns eine Türklingel etwa war das Gesellenstück nach etlichen lehrreichen Versuchen, einen Elektromagneten zu winden.
Nun ist mir als jemand, der mindestens fünfmal durchs Physikum gefallen wäre, hätte er je das Studium der Medizin etwas ernsthafter verfolgt, wenig Menschliches fremd. Es reichte dann nur zu den Geisteswissenschaften. Aber vollkommen unnütz war diese Kombination nicht: So kann ich zum Beispiel Arschlöcher reden hören. Eine andererseits nicht immer nur angenehme Fertigkeit, zumal man meist unverhofft in solche Situationen gerät und dann aus allerlei sozialen Gründen auch nicht gut auftrumpfen kann mit Sie reden wie ein Arschloch!
Freundschaften schließen sich nach solchen Einleitungen nämlich nur schwer, was auch umgekehrt gilt, wenn man etwa auf den Einfall käme, selbst wie ein Arschloch zu sprechen. Gelegentlich macht es aber Spaß, etwa auf Partys, wenn andere mit ihren auf Safari erworbenen Kisuaheli-Kenntnissen prahlen. Da lege ich gern nach und sage: "Und ich kann ein Arschloch hören, wenn es spricht!" Was aber - seltsamerweise möchte ich sagen - nicht mit ähnlich freundlichem Interesse aufgenommen wird wie "Jambo!" oder andere Brocken exotischer Sprachen.
Schweigsam kommt man manchmal eben weiter und applaudierend sowieso. Andererseits sollte man nicht immer alles runterwürgen, obwohl man sich dazu auch auf den Kopf stellen kann. Denn dieses Experiment - und hier schlage ich den kleinen Bogen zurück zur Menschenkunde - mag jeder gerne einmal daheim probieren: Im Prinzip kann man in mancherlei Lage eine Menge schlucken.
Aber Achtung: Irgendwann muß alles wieder raus.
>>> Harry Garms. Menschenkunde und Vererbungslehre. Biologisches Unterrichtswerk, Band III. 8. Auflage. (Braunschweig: Westermann, 1965.)

Montag, 12. März 2007

So einen Samstagabend kann man auf verschiedenste Art und Weise begehen. Man wünscht sich hin, man wünscht sich fort und ist doch stets an welchem Ort? In Gedanken jedenfalls oft da, wo man gerade nicht ist. Einen dieser Gedanken hat Thorsten Passfeld bei Feinkunst Krüger ausgestellt.


Es macht sich in solcher Umgebung gleich ein Hauch von Ahnung breit, hier richtig und unter Gleichgesinnten zu sein, während anderswo nur Gleichgesinnte völlig falsch liegen. (Kann mir noch jemand folgen?) Obwohl vom Hafen mit seinen derzeiten elektrischen Attraktionen nicht weit, war es zwischen hölzerner Kunst und schönen Menschen, unter denen ich die minderjährigen berückenden Gefährtinnen verkrachter Kunststudenten besonders hervorheben möchte, deutlich attraktiver, schon allein, weil einem ab und an der selbstredend völlig unschuldige Gedanke, mit einer dieser berückenden, völlig normalen Frauen in Ruhe nach Hause zu gehen, um dort auf eine ebenso gelassene wie einvernehmliche Art miteinander zu schlafen, von einer Herzkammer in die andere rollte (dortselbst wird nämlich immer noch gedacht). Aber das ist natürlich ebenso virtuell wie ein, nehmen wir ein willkürliches Beispiel, Autorennen auf einer Spielkonsole.
Zurück aber zur Kunst. Ich bin ja gerne bei Herrn Krüger, der immer wieder mit kleinen skurrilen Dingen überrascht, aber diesmal war es nun wirklich fantastique. Wo andere mit der Laubsäge nur Fleißarbeit bezeugen, hat Multitalent Passfeld, den ich hier ruhig loben kann, weil wir persönlich nicht miteinander bekannt sind (sonst wären wir wahrscheinlich verstritten), dem Betrachter eins in Kopf und Herz assembliert, daß man zwischen Ach ja und Hach ja schwer herausfindet. Ob aus Holzeinzelteilen nachgebildete allerweltliche Fertigungsmaschinen (Nähmaschine, Tonbandgerät), Signalträgerraketen namens "Doofheit" oder angesprochene Wort-Bilder - kurzundknapp: toll!
Leider reichte der Etat zum Ankauf nicht, diese Prekariatsbloggerei hat also auch Nachteile. Doch immerhin, der Arsch bleibt selbstgerettet. Und gelacht haben wir auch. Sich in neugeschaffenen Räumen einen neuen Raum verschafft.
("Kommt jetzt alle rein, bitte!" bis zum 7.4.2007 bei Feinkunst Krüger, Hamburg.)
