Donnerstag, 2. November 2006


Dankäää!

Ist doch immerhin erstaunlich, wie sehr ein lautstark sarkastisch herausgeschmettertes Höflichkeitswort drei dunkler belichtete Männer mit Mangelerziehungshintergrund zusammenzucken und mir dann wenigstens die zweite Tür offenhalten läßt, während ich mich mit drei Tüten im Arm (...und an der Hüfte Bananen) aus dem Gettosupermarkt zu schlängeln anschicke.

(Aus meinem neuen Buch: Wir nennen es Hirnstrom einer Moluskel - Das Leben der neuen Bohème zwischen Scannerkasse und Altglascontainer.)


 



Traum der Venus

Gala-Show als "Traum der Venus". Dalís Pavillon, 1939. (c) Erik SchaalWie schon mal beiläufig bemerkt, bin ich kein allzu fanatischer Freund dieser leicht gönnerhaften Altherrenriege der sogenannten "Surrealisten". (Könnte man mal eine Abhandlung drüber schreiben, warum im Expressionismus und Dadaismus Frauen eine so viel zentralere Rolle gespielt haben.) Einschläfernder als die eher unpolitischen Geschlechtsteilbestauner finde ich nur noch ihre Epigonen. Statt der pointierten Begegnung von Nähmaschine und Regenschirm auf einem Seziertisch, finden sich leider in der Folge oftmals Quark und Kitsch allzu pubertär gezwungen auf einer Spaßbremse wieder. Und bevor jetzt einer schreit: Toleranz führt in der Kunst, ähnlich wie bei Biersorten, zu nix.

Gönnerhaft wie ich nun selber bin, hindert mich aber nichts, auf diesen hübschen Fotofundus vom Traum der Venus hinzuweisen. Der von Salvador Dalí gestaltete Pavillon war eine der Attraktionen auf der Weltausstellung 1939. (Für innere Einkehr beachten Sie bitte die ringelbestrumpfte Fischdame in der Mitte.) Neben dem sattsam bekannten Camembert-Gedöns sieht man vorbildhaft schwimmsportlich sich ertüchtigende Damen und allerlei maritimes Zubehör. Das mit pflanzlichem Wachstum gepimpte surrealistische Taxi kann man übrigens im Dalí-Museum in Figueres besichtigen. Das habe ich selbst einmal getan. Da war ich aber sehr jung und fand das alles, wie meine Pubertät auch, furchtbar aufregend. Was es - dem Grunde nach - ja schließlich sein soll. Also, tolle Gala Sache. Wie Karneval. Danke, Salvatore!


 


Dienstag, 31. Oktober 2006


Wir sind alle Schädel

Süßer Tod

Apropos Aufregung: An Halloween darf man ruhig einen Schädel schänden vernaschen. Vor allem, wenn er so süß ist wie dieser. Die Schädel vernaschen einen ja auch, da kennen die nichts.

(Achtung: No living skulls were harmed during the production of this entry.)


 


Montag, 30. Oktober 2006


Sinken und noch ein wenig tiefer hinab

But the aura around the bed takes
getting used to. In a half-sleep, you actually
feel underwater, in a spooky colour,
turtles and fish circling you.

(John Irving. The Water-Method Man. 1972)



Was mich in Lissabon ja wirklich fasziniert hat - neben vielen dunklen anderen Ecken - war die Unterwelt der Meere. Im Ozeanium auf dem Expo-Gelände kann man ein paar Stunden erleben, die sich buchstäblich gewaschen haben. Die Anlage gilt als die größte in Europa, und spätestens wenn man vor dem gigantischen Aquarium im Kernbereich gestanden hat, ist man bereit, hierin keine Übertreibung zu ahnen. Über drei Etagen führen Galerien rund um den riesigen Tank, in dem Mantas, Haie, Sardinen und Thunfische ihre Runden ziehen.





Die großen Panoramascheiben sind konkav, man kann ganz nahe herantreten und hat für Augenblicke das Gefühl, tatsächlich auf dem Meeresgrund zu stehen, inmitten von Fischschwärmen. Mitunter zieht ein kalt glotzender Hai vorbei, schwingt einer der großen Rochen mit majestätischem Flügelschlag, begleitet von einem Putzerfisch, durchs Blickfeld. Stundenlang möchte man so verharren, die Augen gerichtet ins grün-blaue Licht, völlig gebannt vom stummen, eleganten Fließen und Wogen, das sich vor einem, neben einem, über und schließlich in einem vollzieht. Schiefe Metapher hin oder her: man taucht unweigerlich ein in den Sog des Lichts und des Wassers und all der Fische um einen herum.




Vorausgesetzt man besäße viel Geld oder noch mehr, es gäbe ein Fenster zum Glück: ein solch riesiges Aquarium rings um das Schlafzimmer. Egal wie gequält und zergrübelt man auch in die Kissen fiele, der meditative Blick in die grüne Unterwasserwelt beruhigte den aufgewühltesten Ozean in geplagten Seelen. Moby Dick könnte auftauchen und mit wuchtigem Schlag die Wasser teilen, Haie schössen ungestört in stoischen Bahnen - wie graue Pfeile, satt und beinahe friedlich. Man wüßte nie mehr über sich als man ändern könnte. Man kehrte zurück in das Meer, vom verfluchenden Albatroß zum stummen Fisch, sänke hinab, Augen und Mund mit Wasser gefüllt, und läge für immer still.


 


Samstag, 28. Oktober 2006


Der gefundene Satz, 37

Herr Jesus Christus! Du hast alle Leiden Deiner Zeit auf Dich genommen. Doch von einem Leid wurdest Du verschont: Du hast nie die entseelte Arbeit am Fließband erlebt, in die ich unbarmherzig hineingestellt wurde. Aber Du hast in göttlicher Voraussicht meine Arbeit zugelassen. Gib mir die Gnade, daß ich bei dieser geistlosen Tätigkeit meine Seele nicht verliere. Wenn der Geist auch brachliegt, so laß mich um so mehr meine Seele zu Dir erheben und für meinen Bruder neben mir offen haben!

(aus: Pater Leppich. Mit Christus auf der Reeperbahn. 1956.)

(Und nein, man kann "Fließband" nicht einfach durch "Bloggen" ersetzen.)


 


Freitag, 27. Oktober 2006


Mal wieder zuhören

Ein echtes Wochenende steckt bekanntlich voller Forderungen. "Geh' ich in die Stadt oder geh' ich nicht in die Stadt" hieß es früher. Gönn' ich mir was fürs Auge oder eher was fürs Gemüt? Dieses Wochenende ist für Hamburgs Stubenhocker die Wegstrecke klar gezeichnet. Einfach die roten Schuhe anziehen und der yellow brick road folgen:

Im Haus 73 auf dem Schulterblatt lesen die Damen und Herren Poodle, Ally Klein, Rationalstürmer und Frl. Fuchs - allesamt ausgewiesene sichere Schützen, wenn es darum geht, ein Wortspiel mit aus der Hüfte gezogener Waffe und ohne großes Getue exakt zwischen die Augen zu treffen. Anschließend gibt es Musik und Tanz und womöglich Schlimmeres!

Am Sonntag dann der Hammer in Hasselbrook: Die Reederei Hamburg lädt ein zum Kaffe.Satz.Lesen in der Baderanstalt. Unter anderen liest Merlix ein paar seiner tollen Herzdamengeschichten. Dazu gibt es eine Ausstellung mit den Fotos von Kerstin13 von Lichtblick.

Ich bin sicher, diese Veranstaltungen enden nicht wie meine letzte Bloggerlesung.

Tentakel | von kid37 um 02:42h | 6 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Donnerstag, 26. Oktober 2006


Sinnocence

Ihres war das erste Blog, das ich regelmäßig gelesen habe. Manchmal glaube ich, ihres wird auch das letzte sein, was ich regelmäßig lesen werde. Und sei es für Bemerkungen wie diese:

This is not "friends only" because it's scandalous. It's friends only simply because after all these years, I still have nutcase stalkers trying to shove their noses up my ass, which is why I stopped washing it.

Tentakel | von kid37 um 01:59h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Dienstag, 24. Oktober 2006


Schatz, Wunderland ist abgebrannt

See the cracked reflection
Standing still
Before the bedroom mirror

(The Cure, "Three Imaginary Boys")

In the Nursery  - © Suzy PolingWie rote Stecknadeln auf der Landkarte, wie ein lästiges Ekzem vielleicht, breitet es sich aus. Der Zufall winkt mit mancher Leimrute. Klebrige Nähe, ein feuchter Mauerschwamm, der an allem seine Spuren läßt. Was man auch berührt, eine zähe Spur, ein Spinnennetz hat sich längst schon über alles gelegt. Das alte Spiel vom Hasen und vom Igel. Dabei ist Barcelona doch auch eine schöne Stadt. Oder Dresden, Krakau, Ingolstadt. Dabei ist das Haus doch leer, nur die helleren Flecken im ranzigen Dreck zeigen, wo einst noch Bilder hangen. Manchmal will man das Entschwundene greifen, Nachfassen in Staub und Asche und brüchiger Farbe. Ein altes Foto, ein Gekritzel auf der Wand. Doch Wunderland ist abgebrannt. Hier ist Stille, vielleicht ein Wassertropfen noch, der aus rostigem Eisenrohr zu Boden fällt. Vielleicht ein Stöhnen aus dem Keller noch, vergessene Körper und noch fremdere Freundlichkeiten. Geister nur, imaginierte Freunde, ein Schatten im Spiegel, ein Name, dessen Buchstaben irgendwann nicht mehr zueinander passen wollen. Das Geräusch, wenn es dann unter deinem Fuß zerbricht. Wenn man seinen eigenen Namen auf dem Kinderbett liest.

Wunderschöne Fotos von Suzy Poling, einer Fotografin aus Chicago, die heute in Oakland lebt. Die Fotos aus der Serie Wonderland in Decay zeigen verschiedene, mittlerweile aufgegebene Psychiatrische Anstalten in den USA. Auf ihrer Seite gibt es weitere beeindruckende Serien über verfallene Vergnügungsparks, Büros und Motelzimmer.