Sonntag, 13. August 2006


Eine Nacht wie ein Aschenbecher

Heute geh ich nicht ins Gasthaus.
Müde bin ich längst der Kellnerkerle,
Die uns mit blasierten Fratzen,
Höhnisch, schwarze Biere bringen
Und uns ganz verworren machen,
Daß wir nicht nach Hause finden.

(Alfred Lichtenstein, "Der Traurige". 1919.)

Lieber dem Regen lauschen, denke ich und setze mich ans offene Fenster. Der Sommer, der so groß war, hat sich etwas beruhigt. Die Tage sind kühler jetzt, die Nächte wieder dunkel. Nur ein paar Tage noch, dann will ich den letzten Schluck noch nehmen einer südlicheren Sonne. Heute schon einmal Lektüre herausgesucht, man nimmt sich ja immer so viel vor. Dostojevskis Aufzeichnungen aus einem Totenhaus, für lichterflirrende Stunden am Strand, eine Horst-Janssen-Biografie, um nach mal nachzulesen, wie das alles auch sein könnte. Onettis Leichensammler, für die trägen, heißeren Stunden ("Die Eröffnung eines Bordells in der Kleinstadt Santa María wird zum Skandal: Larsen 'Leichensammler', dem Besitzer des Etablissements, stehen nur drei ältliche Damen zur Verfügung.") Muß man mal sehen. Dazu noch ein Roman von Randy Taguchi, von dem ich jetzt schon weiß, daß ich ihn einfach dort lassen werde. Die Ausgabe hat ein gutes Format, um damit Mücken zu erschlagen.

Ich will von allem nichts mehr wissen. Ich will das Wissen nicht mehr wissen, brennende Flaggen, the days of love and torment/the nights of rock'n'roll, die Gebete voller Gewalt. Beim Aufräumen fielen mir alte Abzüge noch älterer Fotos in die Hände. Als hätte ich damals schon geahnt, daß mir die Negative dereinst gestohlen werden würden. Heute, drei oder vier oder zehn gefühlte Jahre später, voller anderer und eigener Fehler, Sünden und Vergehen, Jahre voller schlimmer und auch schöner Stunden, brauche ich nicht einmal mehr das schwarze Bier, kein dunkles Blut, um zu Vergessen und weniger noch, zum Erinnern.

"Rauch' nicht im Bett", sang Nina Simone zum Abschied und legte ihren Ehering auf die Kommode. Rauch' doch, wo du willst. Ich bin da sehr tolerant.


 


Freitag, 11. August 2006


Wild Zero

Moonlight thru the window
Has Chewed & Spit Out my Heart
Unlock my Blood Pump
Unlock My Blood Pump

(Guitar Wolf, "Midnite Blood Pump")


Wie jedermann weiß, bin ich ein großer Freund gitarrengetriebener Energiemusik. Nur gepflegt muß sie sein, ist klar. Wie jedermann weiß, stehe ich auch gewissen japanischen Subkulturen nahe, ist ja keine Schande. Nun knüpft sich eins zum anderen, wenn man nur Guitar Wolf ins Haus läßt, sozusagen die Leningrad Cowboys Japans oder die Männerversion der 5, 6, 7, 8s. Mitsamt Kautschukkamm, Lederjacke und Link-Wray-Gitarre geben sie dem Rock das Roll zurück, und zwar selbst dann, wenn die Zombies kommen.

Der Film Wild Zero ist eine entsprechend launige Trash-Offenbarung und mixt ungeniert alle möglichen B-Film-Genres zu einem rasanten Motorrad-Kino-Fest. (Teenie-)Horror, Zombiefilm, Rock'n'Roll-Highschool, Gangstermovie, Ufo-Attacken aus dem All - du nennst es, du bekommst es. Unter der Regie von Tetsuro Takeuchi (gewieft als Musikclip-Regisseur) entpuppen sich die drei Jet-Generation-Rocker Guitar Wolf, Drum Wolf und der im letzten Jahr verstorbene Bass Wolf in slicke R'n'R-Helden, die bald die Welt vor übellaunigen Zombies retten müssen. Woher die kommen? Nun, eines Tages landet eine Armada fliegender Untertassen (Ed Wood läßt grüßen) und hinterläßt strahlende Meteorite mit fataler Wirkung. Das anschließende Geschlurfe, Gestöhne und Gesplatter ist für genreaffine Zuschauer sattsam bekannt, aber zum Glück mit abstrusen Storylinien unterfüttert, daß man gerne so lange ausharrt, bis sich der nächste Rocker lässig die Haare kämmt. Zur Hilfe eilt alsbald eine Art Burberry-Akimbo-Girl, das selbst unter der Dusche die Knarre nicht vergißt. Be prepared! - falls einmal nicht Norman Bates' Mutter, sondern blaugesichtige Zombies kommen. Sauber geduscht, frisch gekämmt, allzeit bereit - gegen solche Pioniertugenden können auch die Eltern nichts haben.

Dazwischen rocken Guitar Wolf immer mal wieder eine exaltierte Tanzschuppenmenge, schütteln das Riff zu Link Wrays "Rumble" aus dem Ärmel und schießen wütende Feuerstöße aus Mikrofone und Auspuffrohre. Großer hirnloser Spaß. Ganz wie im richtigen Leben also, denke ich bei mir, wenn ich abends noch schnell zur Nachttanke nebenan schlendere, um dort einen letzten Becher Kefir zu kaufen. Dort lungern sie dann oft herum, die Zombies an den Zapfsäulen, Kippe im Mund, Pulle in der Hand. Oder stehen mit ausdruckslosen Augen vor dem Kühlregal, mühsam die Aufschrift auf den bunten Umverpackungen buchstabierend. Sie sind unter uns und lange schon. Überleben kannst Du nur mit einem Taschenkamm und einem dreckigen Rock'n'Roll-Riff.

--
(Wild Zero. Japan, 2000. Regie: Tetsuro Takeuchi. Vertrieb: Rapid Eyes Movies)

>>> Guitar Wolf krachen mit Japan-Space-Age-Rock'n'Roll auf YouTube.

Super 8 | von kid37 um 09:37h | 3 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Donnerstag, 10. August 2006


The Sound of Fashion

Mode kann man anschauen, oft, wenn es zum Sehen zu dunkel ist, auch befummeln fühlen. Fotograf Nick Knight ist nun der Hauswart eines Projekts, bei dem man Mode endlich hören kann. In den nicht immer bürofreundlichen Beispielen stellen sich ausgewählte Stücke von u. a. Stella McCartney, Prada, Hermès, Alexander McQueen oder Christian Dior der audiologischen Betrachtung. (Schade, Yamamoto oder Comme des Garçons fehlen. Die höre ich ja zu gern.)


 


Mittwoch, 9. August 2006


Flitter und Gold

Coal dust on your lungs
A silver tongue for the chosen one
Heavy magnum in your side or a bloody thorn
Skating bullets on angel dust
In a dead sea of fluid mercury

(Siouxsie and the Banshees, "Dazzle")


Ich muß mal wieder üben, diesem Gerät hier fernzubleiben. Lieber rotes Licht an, Tür zur Dunkelkammer hinter mir schließen und ein bißchen in der Trinität der heiligen drei Schalen (Entwickler, Stoppbad, Fixierer) panschen. 1, 2, 3 - schon ist ein Bild geboren. (Reicht leider nicht als Angebot für das schicke Fahrrad von Das Nuf, aber den Versuch war es wert.)

Mehr tun, mehr tun, mehr tun.
Nicht so viel Zeit vertun. In der Fabrik immer dieselben Werkstücke: Horrorzwerge, Romanzenzwerge, Melodramenzwerge. Ich feile, entgrate, bemale und schicke es in die Brennofenabteilung. Ist schon interessant, ja sicher, natürlich. Ich beklage mich nicht. Vielleicht über das Monotone, das Gleichförmige, ein wenig auch über das Belanglose. Aber es kann ja nicht jeder alle Tage Gehirne operieren oder offene Herzen. Waisenkinder pflegen oder Brunnen in Wüstenregionen bauen. Ich mache halt Tand. Glitter. Katzengold. Abends will der Mensch ja gerne etwas Schönes im Vorgarten sehen. Sich ablenken, entspannen, Kräfte sammeln. Und manchmal - das darf jetzt aber keiner wissen - baue ich subversive Botschaften ein. So was wie "Charlie, ruf mich in London an!" oder auch komplette Transkripte.

Draußen gellen die heiseren Rufe der Krähen bereits lauter. Zeit schon mal, den Nachruf zu schreiben auf diesen Sommer, der so lang war und heiß. Zeit vielleicht auch, ihm gen Süden zu folgen, der Neige entgegen, und mitzunehmen, was er zum Schluß noch verkauft.


 


Dienstag, 8. August 2006


Nachtschuß

Die Nachbarn drehen langsam durch. Auf die Enten hinterm Haus wurde soeben geschossen. Jetzt fegen die über den Kanal und suchen im nächsten Krick Deckung. Vielleicht sollte ich mal rausgehen und nachsehen. So Ballermänner gehen mir auf den Sack. Besser, ich nehme die weiße Fahne mit.


 


Samstag, 5. August 2006


Far, Far away

Heute morgen viel zu früh aufgewacht. Von wegen süßer Schlaf. Immerhin, wegen CSD war es auf dem Flohmarkt schön leer. Immerhin. Leider kann ich mich heute abend nicht um euch kümmern. Ich bin Far, Far, Away, irgendwie. Reste zusammenkratzen, sich selbst, ein paar Träume. Vieles gäbe es zu erzählen, Krawall, Jugend, Sehnsucht. Die bleibt ja bekanntlich bis zum Schluß.

Radau | von kid37 um 23:59h | 15 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Freitag, 4. August 2006


Sandmänner

A happy go lucky chap
Always dressed in black
He'll come to you

(Siouxsie and the Banshees, "Nightshift")

Ich muß endlich schlafen. Da stand nicht wirklich Ihre Nachricht wurde versaut. Hoffe ich. Ich muß endlich schlafen. Ich bin nicht heimlich So eher der Venice-Beach-Typ. Das ist nur eine halluzinierter Gedanke. Hoffe ich.

Am Ende einer Woche in der Entgraterabteilung bleiben nicht nur die Fingerkuppen blutig zurück. Am Ende einer solchen Woche bin ich bedeckt mit dem Staub der polierten Werkstücke, den weggeätzten Tropfnasen und abgeschnitten Fäden. Am Ende einer solchen Woche fallen mir nicht nur die Augen zu, haben Durst und natürlich der Staub (aber eben auch der Durst) meine Zunge am Gaumen fest verklebt.

Mein altmodischer Anzug, den ich während der Fabrikstunden trage, ist völlig vergraut. Die Krawatte hängt - es ist das Ende einer Woche - schlaff herab. Selbst die Gedanken an Felice Bauer fallen mir schwer. (Wie kommt die jetzt hierein? Ich muß schlafen. Ich bin doch nicht wirklich als Käfer erwacht. Hoffe ich.)

Gleich also, nicht mehr lang, endlich Miss aber auch Mut zusammennehmen, das Bild einer Dame mit Pelzhut, und dann heim. Finger verbinden, die Brandblasen betupfen und dann endlich schlafen. Schlafen.


 



Der gefundene Satz, 35

"Ich denke ja gerne, ich sei ein Retter der Seele, aber manchmal sind die Filme, die wir machen, doch bloß eine Art Werbung für die Produkte, die um sie herum verkauft werden."

(Ang Lee. FAZ, 22.6.2006.)

Ex Libris | von kid37 um 15:13h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link