
Montag, 31. Juli 2006
Schauen vielleicht nicht, aber lesen könnte ich baumstundenlang.
Ich gebe zu, ich weiß nicht, ob ich auf Japanisch solche Poesie erzeugen könnte:
No.375 Nachtantrieb
Eine Sicht vom antreibenden Auto. Ich betonte die Farben.

Freitag, 28. Juli 2006
a fantastic farm where ashes grow like wheat.
(F. Scott Fitzgerald. The Great Gatsby. 1925.)
Am Ende einer weiteren heißen Woche verebbt sogar in den sumpfigen Wäldern die Häme, erinnern sich freiere Geister, daß der Fröhlichen Wissenschaft ursprünglich ein Zitat von Emerson vorangestellt war: "Dem Dichter und Weisen sind alle Dinge befreundet und geweiht, alle Erlebnisse nützlich, alle Tage heilig, alle Menschen göttlich."
Die Lektüre von Der große Gatsby lehrt, neben vielerlei anderer Dinge, die skeptische Betrachtung eines Ich-Erzählers. Er sei, so schreibt Nick Carraway, der aufrichtigste Mensch, der ihm je begegnet wäre. Man begreift allerdings recht schnell, daß ihm nicht zu trauen ist. So wie meist mit vorlaut selbstauskünftigen Menschen. Jene "Befreiten" - von Moral, Drangsal, Schuld & Vorurteilen - beispielsweise. Man tut nicht schlecht daran, das Gegenteil zu vermuten. "Trust in me", singt die Schlange so beschwörerisch, daß selbst Fünfjährige kapieren, was die Stunde geschlagen hat.
Überhaupt. Von den Tieren des Waldes kann man manchmal noch am besten lernen. Klopfer, der kleine altkluge Racker, wußte es genau: "Wenn man nichts Nettes zu sagen hat … dann soll man gar nichts sagen." Dann zog er weiter mit seinem Freund, dem Stinktier, mied die Sümpfe und machte auf Kindchenschema.
Mit dieser kleinen Betrachtung hänge ich am Klavier, in das auf der letzten Party jemand Bier gegossen hat. Seither hat mir die Besitzerin verboten, meine melancholischen Weisen darauf zu spielen. "Es ist nicht das Bier", sage ich. "Es ist mein Anschlag. Es sind meine ungelenken Finger. Es liegt daran, daß ich es nie gelernt habe."
"Und weißt du was?" setze ich nach. "Deshalb mache ich mir auch nichts daraus."
"Komm", sagt sie und schiebt mich beiseite. "Ich spiele es für dich." Und ich lehne mich zurück, im oleanderduftigen Zimmer, in meiner hypertrophen Einsamkeit, und lasse sie spielen. Verträumt male ich groteske Gesichter in den Staub auf den Möbeln und lausche der Musik. Es sind zarte Töne, schnarrende auch (vielleicht wirklich bloß Bier), sie verlieren sich, hauchen sich selbst sanft durchs Zimmer, in dem eine stickige Schwüle das Atmen erschwert. Wo aber selbst die Spinnen geringelte Strümpfe tragen und aussehen wie verführerische Wesen.
Illustriert hat die Szene übrigens Rozi Demant.

Donnerstag, 27. Juli 2006
(Cocteau Twins, "Pandora")
Am Fenster, den Blick hinaus auf den Kanal, leichter Wind streift meine schwitzige Haut. Im Hintergrund läuft die Playlist eines fremden Blogs. Musik, die nicht ganz die meine ist, aber heute gar nicht fremd. Sie erinnert mich an etwas, das nie war. Ein Radio, ein Versprechen für den Abend. Und morgen? Was weiß ich morgen schon?
Ich lasse Gedanken hinaus. Die schweren fallen hinab, versinken im algengrünen Wasser. Die leichteren segeln davon auf der warmen Strömung der Nachtluft. Doch für jeden Gedanken, der mich verläßt, schwirrt ein Insekt herein, angelockt von meinem Licht, meinem Schweiß, purer Neugier und bloßem Zufall.
Welches Insekt es ist, erfahre ich hier.

Mittwoch, 26. Juli 2006
Ich weiß nicht, wie es anderen geht. Aber um als Jammerblogger bei dieser Großwetterlage bestehen zu können, erfordert es Maßnahmen, die wahre Größe zeigen. Eine alte Familienweisheit besagt: Es braucht mehr als ein Pferd, um über den eigenen Schatten zu springen. Und einen Schatten muß man erstmal haben bei dieser Dauerbestrahlung.
Aber nun heißt es, beide Daumen hoch. Ich halte Sonnenbrille und Badehose griffbereit und sage: Ja! Ich bin Gastgeber. Die Sonne zu Gast bei Freunden!

Montag, 24. Juli 2006
erst vor kurzer Zeit entdeckte Art von Bazillen;
man kann sie Sonnenbazillen nennen.
Sie existieren nur bei abnorm starker Hitze.
Gewöhnlich rinnen sie mit der warmen Luft
durch Ohren, Nase, Mund und Augen in den
menschlichen Körper. Sie dringen in das Gehirn ein
und richten dort eine furchtbare Verwirrung an.
(Heinrich Nowak. Die Sonnenseuche. Wien, 1920.)
Am Wochenende hielt ich es in meiner Dachkemenate nicht länger aus, schnappte mir eine weizenblonde Begleitung, ein Paar vierteloffener Schuhe, und dann nicht etwa nischt wie raus nach Wannsee, sondern zum Öjendorfer Friedhof. Ausnahmsweise nicht etwa für einen sepulchral-meditativen Spaziergang, so von hüben nach drüben, vom Diesseits zum Jenseits - sondern um wohlgeplant einen weltlichen Trampelpfad zu suchen, der auf die berühmte andere Seite führt: den Öjendorfer See. Wenn da nicht gerade Mittelaltermärkte stattfinden oder Seuchenbakterien und Algen das Baden verbieten, ist der Park dort eine lockende und meist sogar unbedenkliche Grüngegend.
So kommt es also, daß man verhärmt-bleiche Vampirkinder wie den Herrn Kid bis zu den Knien im pipiwarmen Wasser stehend ertappt! Mit grimmig gefrorenen Gesichtszügen (kein Vergnügen vor Mitternacht!), "Sonne macht blöd!"-rufend anlaßlos vergnügte Kleinkinder ermahnend und morlakeulenschwingend freilaufende Hunde und anarchistische Grillgeister in die Schranken von 14/18 verweisend. Was für ein Spaß!
Der weizenblonde Sonnenschein an meiner Seite war schnell völlig mitgerissen von der Piratendichte in Hamburg, dem seidigen Wind auf seidigerer Haut und den locker aus dem schwitzigen Ärmel geschüttelten Urlaubsplänen für noch sonnigere Gefilde. Denn hat die Seuche einen erst gepackt, kann man schnell kaum genug bekommen. Ich mache das jetzt öfter. Alufolie wie bei einer Backkartoffel um den Kopf gewickelt, den Sonnentrichter in den Bauchnabel gerammt - und dann heißt es aufgetankt mit solarer Energie für noch luzidere Gedanken. Gleißen wie 1000 Sonnen, jedermann sein eigenes Bosonen-Kraftwerk, ein Quasar in der türkisen Kühltasche und das Geheimnis aller Antiteilchen gelöst. Denn wie allen hier bekannt, empfahl der Quantenphysiker Richard Feynman völlig zurecht jedem Theoretiker, er solle an die Wandtafel seines Büros schreiben: "137 - wie wenig wir doch wissen." (zitiert aus 137 und die große Vereinigung)
So verknüpft sich wieder eins zum anderen. Und im nächsten silberdisteligen Sommer erkläre ich, wie das alles paßt und was das zu bedeuten hat.

Freitag, 21. Juli 2006
Rinnen muß der Schweiß,
Soll das Werk den Meister loben,
Doch der Segen kommt von oben.
(Friedrich Schiller, "Die Glocke")
Heute morgen stellte ich fest: Man braucht tatsächlich keine Jacke mehr. Vielleicht ein bißchen zügiger gehen, damit man nicht auskühlt. Dann aber ist nichts zu befürchten. Die Kollegen aus der Gartenzwergfabrik sehen mich allerdings verstimmt. Entgegen meiner Rundmail von gestern, in der ich anregte, über Nacht die Heizung auszudrehen, finde ich die Werkräume schom am frühen Morgen muckelig warm vor. Mißmut perlt mir aus allen Poren, während ich Mützchen um Mützchen rot lackiere.
Kein Zornesrot. Auch kein Blutgericht. Eher wie das scharlachfleckene Mal des feuerroten Badetuchs, mit dem der Teufel persönlich seinen Platz am Strand von Putadimare reserviert.

Mittwoch, 19. Juli 2006
Der belgische Fotograf Sebastian Schutyser dokumentiert seit seinen Studienjahren in Mali die Lehmmoscheen im Nigerdelta. Als "typische Architektur" zwar weithin bekannt, hat es bislang keine Bemühungen gegeben, diese oft in entlegenen Dörfern angelegten religiösen Bauwerke zu dokumentieren.
Über 500 solcher Moscheen hat Schutyser seit 1998 in zwei Fotoexpeditionen fotografiert. Einmalige und einzigartige, mal schlichte, mal höchst elaborierte, oft biomorphe Formen kennzeichnen diese eindrucksvollen aus Lehm geschaffenen Häuser. Die haptische Beschaffenheit des Materials mit seinen Rissen, seiner Rauheit und das reizvolle Spiel von Licht und Schatten sind dabei schwer faszinierend. Aber wie vieles scheinbar überkommen Archaische, ist auch diese Architektur leider durch Natureinflüsse, Vernachlässigung und die Mode des Modernen bedroht. Verändern und Bewahren - ein diffiziler Balanceakt.
Neben der internationalen, derzeit wohl nicht lieferbaren, gibt es auch eine deutsche Buchausgabe. Kleinbildaufnahmen der Moscheen in Farbe gibt es ebenfalls hier bei ArchNet.
via Bldgblog
