Die Sonnenseuche

Es gibt da eine ganz neue,
erst vor kurzer Zeit entdeckte Art von Bazillen;
man kann sie Sonnenbazillen nennen.
Sie existieren nur bei abnorm starker Hitze.
Gewöhnlich rinnen sie mit der warmen Luft
durch Ohren, Nase, Mund und Augen in den
menschlichen Körper. Sie dringen in das Gehirn ein
und richten dort eine furchtbare Verwirrung an.

(Heinrich Nowak. Die Sonnenseuche. Wien, 1920.)


Am Wochenende hielt ich es in meiner Dachkemenate nicht länger aus, schnappte mir eine weizenblonde Begleitung, ein Paar vierteloffener Schuhe, und dann nicht etwa nischt wie raus nach Wannsee, sondern zum Öjendorfer Friedhof. Ausnahmsweise nicht etwa für einen sepulchral-meditativen Spaziergang, so von hüben nach drüben, vom Diesseits zum Jenseits - sondern um wohlgeplant einen weltlichen Trampelpfad zu suchen, der auf die berühmte andere Seite führt: den Öjendorfer See. Wenn da nicht gerade Mittelaltermärkte stattfinden oder Seuchenbakterien und Algen das Baden verbieten, ist der Park dort eine lockende und meist sogar unbedenkliche Grüngegend.

So kommt es also, daß man verhärmt-bleiche Vampirkinder wie den Herrn Kid bis zu den Knien im pipiwarmen Wasser stehend ertappt! Mit grimmig gefrorenen Gesichtszügen (kein Vergnügen vor Mitternacht!), "Sonne macht blöd!"-rufend anlaßlos vergnügte Kleinkinder ermahnend und morlakeulenschwingend freilaufende Hunde und anarchistische Grillgeister in die Schranken von 14/18 verweisend. Was für ein Spaß!

Der weizenblonde Sonnenschein an meiner Seite war schnell völlig mitgerissen von der Piratendichte in Hamburg, dem seidigen Wind auf seidigerer Haut und den locker aus dem schwitzigen Ärmel geschüttelten Urlaubsplänen für noch sonnigere Gefilde. Denn hat die Seuche einen erst gepackt, kann man schnell kaum genug bekommen. Ich mache das jetzt öfter. Alufolie wie bei einer Backkartoffel um den Kopf gewickelt, den Sonnentrichter in den Bauchnabel gerammt - und dann heißt es aufgetankt mit solarer Energie für noch luzidere Gedanken. Gleißen wie 1000 Sonnen, jedermann sein eigenes Bosonen-Kraftwerk, ein Quasar in der türkisen Kühltasche und das Geheimnis aller Antiteilchen gelöst. Denn wie allen hier bekannt, empfahl der Quantenphysiker Richard Feynman völlig zurecht jedem Theoretiker, er solle an die Wandtafel seines Büros schreiben: "137 - wie wenig wir doch wissen." (zitiert aus 137 und die große Vereinigung)

So verknüpft sich wieder eins zum anderen. Und im nächsten silberdisteligen Sommer erkläre ich, wie das alles paßt und was das zu bedeuten hat.

Homestory | 22:23h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
Lu - Montag, 24. Juli 2006, 23:28
na komm du mir nach hause! wart du mir ab, bis ich im blueberry-bikini in die elbe springe, da bleibt kein auge mehr trocken!

 link  
 
fishy_ - Dienstag, 25. Juli 2006, 11:47
Hat's auch Sie erwischt. Irgendwann schafft die gelbe Sau doch alle... Die Seuche hat offensichtlich Ihre Poesie-Teilchen zum Schwingen gebracht. Die Zeilen flirren förmlich vor meinen Augen. Lassen Sie sich nur nicht bei all der ungewohnten Euphorie die blasse Haut verbrennen.

 link  
 
eins60 - Dienstag, 25. Juli 2006, 12:10
Respekt, lieber Kid37 - bei diesen Temperaturen schwingen bei mir weder Poesie-Teilchen noch sonst irgendwas. Einfach nur dumpfes Brüten ...

 link  
 
cabman - Dienstag, 25. Juli 2006, 14:10
Fein und neidisch bin auch schon wieder. Wegen des Öjendorfer Sees, denn das ist nun och schon wieder schon wieder lange her.;-)

 link  
 
kid37 - Dienstag, 25. Juli 2006, 14:36
Die Sause ist erstmal wieder vorbei. Derzeit herrscht dort Badeverbot wegen Blaualgen. Ich schwöre, ich habe keine dort ausgesetzt!

 link  
 
cabman - Dienstag, 25. Juli 2006, 14:46
Das sagen sie jetzt nur so, also das mit dem Badeverbot.

 link  
 
brittbee - Dienstag, 25. Juli 2006, 14:56
Erst bringen Sie uns auf den Geschmack und dann schieben Sie schlechte Nachrichten hinterher. Na toll, ich wollte am kommenden Wochenende Ihrem Tipp folgen und FKK-Piraten gucken.

 link  
 
novesia - Dienstag, 25. Juli 2006, 15:20
Das mit den Algen glaubt doch jetzt kein Mensch mehr. Alle sind schon auf dem Weg dorthin. (Und spätestens wenn die Hund erstmal drin war im Wasser, werden eventuelle Blaupestilenzen das "Feld" räumen.)

 link  
 
kid37 - Dienstag, 25. Juli 2006, 17:02
Ich würde doch in diesem den höheren Wahrheiten verpflichteten Blog nicht einfach was behaupten. Das Hamburger Lokalblatt hat leider eindeutige Warnungen ausgesprochen. Aber mit Neoprenanzug soll es gehen.

 link  
 
wuerg - Dienstag, 25. Juli 2006, 19:16
Gott lenkt die Welt durch wenige Stellschrauben. Eine steht zur Zeit auf 137,03599976. Viel darf er nicht an ihr verändern, soll die Welt nicht zusammenstürzen, doch vielleicht in der elften Stelle etwas weniger, um den Krieg im Libanon zu beenden. Oder doch etwas rauf gegen Blaualgen? Am besten auf 137,037037037...=37*3,7037037037...!

 link  
 
kid37 - Dienstag, 25. Juli 2006, 20:10
Mit Ihnen kann man rechnen, sehr schön. Wer vielleicht selbst noch mal alles nachrechnen möchte, dem seien hier ein paar Formeln an die Hand gegeben. Die ZEIT erklärt auch, warum das alles so wichtig ist. Nachher ist der Badesee beim nächsten Mal gar nicht mehr da - oder war es nie!

Wenn Gott aus dem Urlaub zurückkehrt, sollte er definitiv ein paar Schrauben nachziehen. Da sind ein paar locker im gelobten Land.

 link  
 
logog - Mittwoch, 26. Juli 2006, 15:32
Da Sie sich hier in die höhere Mathematik wagen und den grandiosen Feynman in den Zeugenstand Ihrer Berechnungen rufen, befreien Sie ihn doch bitte von der verunzierenden n-ten Stelle seines Namens. Nur damit wieder eins zum anderen passt. Oder fehlte Ihnen der Vorsatz und Ihre Nase ist ob der Hitze nur einmal zu oft auf die Tastatur gepickt?

 link  
 
kid37 - Mittwoch, 26. Juli 2006, 16:35
Oha. No games with names! War reine Nachlässigkeit, kein Vorsatz. Ein Grund übrigens, warum ich dann doch nicht Atomphysiker wurde. Danke für den Hinweis.

 link