Freitag, 14. Juli 2006


Stilbruch

Die gelungenen Bilder bleiben ohne
Wirkung auf uns. Das Interesse, das
wir an ihnen nehmen, reicht nicht über
die Zeit eines kurzen Betrachtens hinaus:
Sie hallen nicht nach, verwirren nicht...

(Roland Barthes. Mythen des Alltags. 1957.)

Für freilaufende Tagelöhner wie mich gibt es in Hamburg das Kaufhaus Stilbruch, wo man sich, gut vorsortiert, aus dem Müll anderer Leute ein neues Heim für schmale Geldbeutel schaffen kann. Eine schöne Idee, zumal es in dieser Stadt keine festen Sperrmülltermine mehr gibt, an denen man sich straßenzugweise selbst auf Schatzsuche machen könnte. Ob Sofa, Tasse oder Gehhilfe, hier findet man im stetig wechselnden Ausstellungsangebot entweder was für sich oder zumindestens einen Eindruck über das, was bei den lieben Mitmenschen gerade über Bord geht.


Le Sofa: Immer schon Platz für gut abgehangenen Kunstgenuß

Bei manchen Dingen kann man schon ins Grübeln kommen. Hasenkäfige, Sanitätshausstühle und alte Hammondorgeln tragen die Aura des Versprechens eines geruhsamen Lebensabendes. Bembel, Sammelteller und formschönes Besteck mit Holzgriffen kosten hier nicht die Welt und zieren jeden Tisch (den es gleich nebenan gibt). Fahrräder zur Ertüchtigung, Balkonmöbel zum Entspannen - für jeden Bedarf offenbart sich hier ein Pièce de résistance, wie sonst nur dem Katalogbesteller. Ich schlendere umher, streiche hier gedankenvoll über kunstlederne Bezüge, knuffe dort einen Sitzsack und wundere mich still, aber intensiv, über Sammelsurien, die man andernfalls nur auf dem Flohmarkt Hellbrookstraße finden kann.

In den geräumigen Hallen findet sich viel, aber die wahren Trouvaillen liegen oben verborgen. Im ersten Stock nämlich befindet sich die Kulturabteilung des kleinen Kaufhauses. Bücher, Schallplatten, Computer- programme - und die überaus beeindruckende Galerie de Objét trouvée du Müll.

Das kleine Hansestadtmuseum bietet einen Querschnitt durch alle Epochen und Geschmäcker. Poster von Miró, üblicherweise nur noch mit leichtem Grusel goutierbar, entlocken ein sanftes Hallo, der Fischer mit der Piepe ist gleich mehrfach vertreten: als Druck, als Stickbild und in Öl.

Beinahe unbezahlbar und dennoch für Preise (nach Leinwandgröße gestaffelt) angeboten, die einem Mittagstisch ins Eimsbüttel entsprechen, sind die Originale. Gekonnt ins Format gesetzte Porträts, gewagt kubistische Akte und, herzerweichend, der kleine Fuchs aus dem kleinen Prinzen.

"Nimm mich mit!" schreien sie, die herzblutigen Bilder, expressionistische Stadtansichten und von lockerer Hand gemalten Haustierporträts. Wer setzte sie aus, diese Exponate aus den Plakafarben-Tuilerien? Wer konnte so grausam sein? Alles für die Kunst, denn Kunst ist alles! schrien wir einst, kaum war die Schule vorbei. Nun lehnen sie hier, die Gesellenwerke einer Zeit, die Bob Ross noch nicht kannte. Penible Pferdeköpfe, ungelenk gegenständlich, heiter Abstraktes und derbe Art brut, außer Form und Rand und Band, ein Zeichen eckt an, schrappt an den Wänden unserer Sehgewohnheiten, desorganisiert, sagt, hey, ich bin gekommen, um zu bleiben, und ruft wie ganz nebenbei: Hilfe, zu Hilfe - ist vielleicht zufällig ein Kurator ein Bord?