
Freitag, 12. Mai 2006
Please come to me
With your cold flesh
My cold love
Hissing - not kissing
A happy go lucky chap
Always dressed in black
He’ll come to you, he’ll come to you
(Siouxsie and the Banshees, "Nightshift")
Über die Banshees habe ich immer viel zu wenig geschrieben. Ich rede - streng genommen - auch wenig über sie, und wenn dann nur in (meist nur für mich) bewegenden Momenten. 1980 kaufte ich mir "The Scream", es war meine erste selbstgekaufte Punkplatte. Wie aber Siouxsie mal sagte, Once a Banshee, always a Banshee, verlor ich die Band aus verschiedenen Gründen nicht aus den Augen. Erst führten sie mich gemeinsam mit The Cure in meine Goth-Phase, dann fingen sie mich auf, als ich The Cure ab Mitte der 80er ihren Stadionrockweg alleine gehen ließ. Die Banshees hatten einen unschätzbaren Vorteil: Kaum jemand nahm sie ernst. Schon gar nicht Blätter wie die Spex. Für die meisten war das die "unhörbare" Band mit dieser Sängerin, die mit ihrer Frisur und ihrem Make-Up als Proto-Goth galt. 1984 oder so sah ich sie in Bochum und geriet ein wenig heftiger in eine Meute britischer BesatzungssoldatenAlllierter, die ihre Ellbogen in mich keilten, ihre Rotze dankenswerterweise aber nur Richtung Bühne schleuderten. Muß ich nicht haben, aber wenn man sonst keinen Kontakt bekommt? Tolle Zeit, aber.
Die Banshees haben alles überlebt. Robert Smith, der einst als ambitionierter Frontmann einer unbekannten Supportband den Banshees willig auf Tournee aushalf, unternahm später etwas verpennte Versuche, die Band kaputtzuspielen. Mitten in der Produktion von Hyena stieg er aus, um anschließend über die Presse mitzuteilen, wie "enttäuscht" er von dem Album wäre (den Kardinalfehler, seinen Beitrag, sah er lieber nicht). Aber da hatte er sozusagen noch einen gut.
"Was macht ihr mit euren Gitarristen?" wurde Siouxsie mal gefragt, und sie antwortete "Wir hängen sie an den Eiern auf". Ich fürchte, das ist wahr. Irgendwann gab ich das Zählen auf, gegen Ende wurden die Gitarristen auch immer farbloser - ein weiteres Problem der Band. Im Nachhinein finde auch ich, daß die Besetzung der ersten beiden Alben - trotz aller handwerklicher Mängel - die beste war, genuin Banshees. Das spätere Kerntrio, Budgie, Siouxsie, Severin, erreichte musikalisch ganz andere Dimensionen - aber selten noch die Wucht, Energie und schrille Dimension der frühen Alben.
Technische Expertise - ein weiteres Stichwort. Weshalb ich die Banshees liebe? Ganz einfach: Weil sie immer wieder scheiterten. Hoch hinauslangten und stets knapp vorbeischrammten. Und doch alles überlebten, immer neugierig blieben, Wagnisse eingingen, weitermachten...
Steven Severin betrieb lange Jahre die schrecklichste Webseite im Internetz - ein von ihm stolz selbstdesigntes augenkrebsförderndes Machwerk aus Pink- und Cyan-Tönen, wie eine CGA-Grafikkarte auf Extasy. Ich schrieb ihm mal eine Mail dazu und forderte Besserung, was er britisch höflich, aber unnachgiebig ausschlug. Nun hat er was Neues - und versteckt den Menüpunkt "News" irgendwo weit unten.
So sind sie: Immer gut gemeint, immer interessiert an Mode, Kunst und Diskursen - aber wie früher bei der genial-dilettantischen Arbeit an ihren Instrumenten, fehlten am Ende ein wenig die Mittel. Aber man muß wissen, anders als Robert Smith waren das Leute, die quasi ohne Schulabschluß loszogen, um bei den Konzerten der Sex Pistols abzuhängen, sich von irritierten Bürgern verdreschen und später jahrelang auf der Bühne anspucken zu lassen. Na, das hätte ich doch längst hingeschmissen! Aber ich habe ja auch Abitur, und deshalb kann aus mir nichts werden. In der Hinsicht.
Sieben Jahre schwiegen sie, sieben Jahre hieß es "Siouxsie and the Banshees 1976 - 1996 R.I.P." Aber 2002 gab es tatsächlich eine weitere Tour durch Japan, Nordamerika und Europa. Am 9. und 10. Juli spielten sie in London, wo auch das Konzert für die DVD gefilmt wurde. Dabei verzichteten sie weitgehend auf platte Hits zugunsten früher und verquerer Stücke. "Nightshift", zwar ziemlich nachlässig zersägt von Gitarrist Knox Chandler, aber immer noch ein Stück, das "Tomorrow Never Knows" von den Beatles als harmloses Psychedelic-Frühstück klingen läßt. Apropos Beatles: "Helter Skelter" haben sie schon gecovert und natürlich "Dear Prudence" ihren größten Hit in England. Aber auf so einer Sentimental Journey von Tournee ausgerechnet das eh schon schwer genießbare "Blue Jay Way" als Zugabe zu bringen, zeugt schon von einer Menge Witz - und Verstand. "Icon" kommt mit derbem Patzer, aber he, immerhin, "Monitor" war wohl für MTV geplant, so viele Schnitte, Zooms und Schwenks tauchen da urplötzlich auf, "Metal Postcard" mit ausufernder Ansage von Siouxsie auf Deutsch... überhaupt Siouxsie. "Die heirate ich auch mal", brabbelte ich einst in jungen Jahren, bis ich etwas klarer denken konnte. Was soll ich sagen? Es ist noch mal gut gegangen für Susan Janet Dallion und mich. Jetzt ist sie auch schon 37 oder so und nicht mehr ganz bei der Stimme, mit der sie früher Glas zum Zerspringen bringen und Bäume von Krähen befreien konnte. Aber müßte ich heutzutage Singen... ach, süßer Vogel Jugend, lassen wir das.
Ja, der Konzertmitschnitt legt alle möglichen Stolperer und Schnitzer bloß und noch viel mehr großartiger Momente, kurzer Andeutungen, was je und immer möglich (gewesen) wäre, hätten sie und wir unsere Jugend irgendwie zielgerichteter in nur eine Ecke getreten, geboxt, getrieben - und die ein oder andere Flasche dabei links liegen gelassen (Von Mäusen, Menschen und Alkohol). Und wenn am Ende dann alle verschwitzt und verschmitzt auf der Bühne stehen... dann kann ich ein Stück weit immer auch mich selber sehen: Bruised, battered, ever tried, ever failed.
Aufgestanden, weitergemacht.
Und um es mal nicht so pathetisch ausklingen zu lassen, da hat ja auch keiner mehr Bock drauf: Zur allerletzten Zugabe holen sie das japanische Mädchen-Trio Exgirl auf die Bühne - in quietschbunten Froschkostümen - um gemeinsam "Peek-A-Boo" anzustimmen. Können diese Menschen schlecht sein?

Donnerstag, 11. Mai 2006
Ich war als Kind schon Beatles-Fan.

Mittwoch, 10. Mai 2006
Ja, der Gaukler ist in der Stadt. Jonathan Meese, Kunstkramwunderkind, hat seine Zelte in den Deichtorhallen aufgeschlagen. Vor einigen Monaten stand ich angeregt auf einer Vernissage mit Frau Schwadroneuse vor ein paar großformatigen Meese-Exponaten, und da standen wir so und kamen auf Begriffe wie Großtun, Kleinkind, Feuilletonköder und Zeichensätze im Nachkriegsland und ähnliches, längst Verdrängtes, Verpufftes, Vermufftes. Sie sagte so Jaja und ich mehr so Jaja, aber mit der Betonung auf dem anderen "a". Meese ist als notorischer Zertrümmerer mittlerweile so etwas wie die Bildende-Kunst-Version der Einstürzenden Neubauten fürs beflissene Kunstinteressiertenvolk.
Die Kinderladenversion des Wiener Aktionismus zum Entzücken Berliner Theatermacher. Ich finde ja das Konsequente toll. Die Frage "Kunst oder Krempel" heißt bei Meese ja immer beides, Kunst&Krempel, durchmengt, fiebernd, abgespritzt. Banales, Anales, Erde, Erz und Lendenkraft. Der Duft des Tages? Wie wäre es mit: muffig-schwüle Zimmer adoleszenter Jugen, die ihre Pornohefte unter verschwitzten Decken hüten und die Fenster nie öffnen. Meese (Jahrgang 1970) atmet seinen Bildungskanon zwischen Trash, Comics, Klotürscrafittis und Wagner als gigantische Omnipotenzphantasie. Galeristen und Sammler geben ihm begeisterungstrunken recht und reißen ihm seine Werke zu Höchstpreisen aus den Händen.


"Mamma Johnny" heißt die erste große Werkschau in den Hamburger Deichtorhallen. Kein Song von Brecht/Weill, aber die Assoziation ist gewollt. "Ernteproduktionsmeldung" bellt es hinaus. "Djangogott" und "Blutlazarett". Das ist was fürs Publikum, das von Bayreuth träumt und sich auf die Schenkel schlägt, sobald jemand auf einer Bühne "Ficken!" sagt. Heldenwahn! Pimmeldämmerung! Immer die große Handbewegung.


Die Zeichnungen des Patienten J.M.: Vom Mythos zur Mythologie und wieder zurück. Verwüstet, verwurstet, drin rumgesuhlt. Am Ende zählt nicht Geschlechtshygiene. Nur das Ich.


Man schnürt etwas traumverloren durch seine labyrinthische Welt: Bücher in Geheimsprache, immer wieder Schwänze, Skulpturen, Bühnenbilder, Geschmiere, unaufgeräumte Zimmer Rauminstallationen, die Wucht in Tüten, sex- und toddurchtränkt. Immer etwas pubertär, immer irgendwie mit Augenzwinkern (hofft man) und wahnfriedwitzigem Erz Ernst (ahnt man). Überhaupt: Ein Ahnen und Raunen schwebt zwischen den Plastikplanen, die ein Zelt über dem Bühnenbild der Volksbühneninszenierung von Pitigrillis Kokain bilden. Vier Stunden dauerte die Aufführung. Wer die durchstand, zwischen Blut, Tränen und tropfendem Schweiß, war wohl gestählt für Bloggerlesungen sans Sauerstoff.


Ich habe nichts gesagt. Das jedoch 1000 Tonnen schwer.


Johnny räumt sein Zimmer nicht auf, ehrt aber seine Mutter, und die Bohème ist begeistert. (Am 14. Mai ist Muttertag!)


"Das Tier hat uns nichts mitzuteilen". Dem muß widersprochen werden. Und schon tritt man mit der Kunst ins Gespräch. Ein teuflischer Trick.
("Mama Johnny". Bis zum 3.9. in den Hamburger Deichtorhallen.)

Montag, 8. Mai 2006
Parfums, Deos und Tadaa gibt es viele. No. 5 oder No. 37, Sandel, Mandel und Teen Spirit, Wiesenduft und stille Wasser - für jeden Geschmack ist was dabei. Für jeden? Was, wenn man olfaktorische Attraktivitätssteigerer der ganz eigenen Art sucht? Der ist fortan bei Demeter Fragrance richtig.
Hier findet man Deo, das nach Knetmasse riecht duftet oder "Between the Sheets". Wem das zu stark ist, greift vielleicht zu "Laundromat" oder "Saddle" oder "Stable". Apropos Stall und Pferde: Unwiderstehlich scheint mir dieser Duft zu sein: Reitgerte.
"A wonderful worn leather aroma" beschreibt der Hersteller diesen Lockstoff. Da fühlt man sich so richtig auf- und durchgepeitscht, bereit zu allen schandigen Taten. Demnächst dann wohl, angeblich bereits am Wochenende heimlich getestet, der Trendduft dieses Frühjahrs: "Bloggerlesung in überfüllter Kneipe".
(via BoingBoing)

Sonntag, 7. Mai 2006
werden die Lacher durch den Park wandern.
(Prophezeiung)
Horror! Als wäre Hafengeburtstag nicht schon Drohgebärde genug mit seinem Zuviel an allem (Menschen, Alkohol, Zuckerwatte, Uffta und Klimbim), schlägt heute die Stunde der Gnadenlosen: Weltlachttag!
Sag, wohin kann man fliehen?

I helped to fix his car.
(Squeeze, "Separate Beds")
Die traurigsten Dinge, die wir besitzen. Manchmal nur Erinnerungen. Manchmal nur die Erkenntnis. Wir gehen nach Hause. Oder irgendwohin.
Und immer allein.
(File under: I can simply not relate.)

Freitag, 5. Mai 2006
Als Blumfeld noch Blumfeld waren, kafkaesk und dicht und keine schmusigen Barden (Laß mich ein Blumenfeld sein), da also sprach Distelmeyer:
"Dich interessiert doch nicht, was du erlebst, nur das, was du davon erzählen kannst!" ("Aus den Kriegstagebüchern")
Das war immerhin 1992, Jahre vor Blog-Mania und Hyperzwang. Der Wunsch, Teil einer Dings zu sein, kommt Samstagabend im Gesamtpaket. Da lesen alte Kämpen und charmante Diven, jeder nur 37 Sekunden, bis ich allen die Luft abgedrückt die Luft alle ist. Wird sicher total geil heiß, weshalb ich vorschlug, die Queen Mary 2 in diesem Laden zu parken, auf daß es voll wird, was mir aber egal ist, denn ich habe einen Platz.
Ich lese auch was vor oder foppe A-List-Blogger oder zweifle und weine und zeige meine Stigmata tote Tiere. Man kann mir auch einfach in der hohen Disziplin des Kunstschwitzens zuschauen, wenn ich in fünf Minuten drei T-Shirts durchnässe. Vielleicht gibt es auch wieder Trikottausch mit Bin ich denn aus Düsseldorf? Lu. Vielleicht. Wird. Auch. Alles. Anders.
Sagt doch einfach hallo. Ich bin der mit dem Käsebrot.

Einsamkeit
Zwietracht
Drittmittelförderung
Viererbande
Fünfeck
Sextett
Siebensachen
Achtsamkeit
Neunmalklug
Zehnzwischenraum

Läßt man sie ein paar Tage allein, nehmen es einem die Sachen und Geräte übel. Die Chassis kühlen aus, fangen sich gerade im Sommer die Feuchtigkeit aus der Luft, dann kehrt man aus dem Urlaub zurück, schaltet ein und hat den Verweigerungssalat. Ist der Kondensator erst richtig entladen, murrt er gerne mal rum und mag es gar nicht, wird er sogleich unter Dauerstrom genommen. Reparaturwerkstätten wissen dies und sprechen im besten Handwerkerdeutsch von der Post-Absentale-Besitzer-Phase nach der Hauptsaison, wenn malade Fernsehgerätschaften und andere Hochstrommaschinerie in die technische Klinik eingeliefert werden. Begleitet vom klassischen Spruch "Und das, wo man nach dem Urlaub eh schon pleite ist". Aber dafür braungebrannt - so wie ihre verschmurgelten Kondensatoren, denkt der Reparateur stille und begrüßt den Beginn der eigenen Hauptsaison.
Aber das nur mal nebenbei erwähnt. Mein Concertino 55 von Telefunken sagte nach 50 Jahren einfach "Tschüß" und schwieg nach meiner Heimkehr still. Jeden Morgen NDR Info (gerne verstanden als: "Endlich ein Ufo"), jeden Abend Deutschlandfunk! Und nun! Sicher nur 'ne Sicherung, betete ich das Mantra der vom plötzlichen Gerätetod Überraschten, denn Gestern ging es doch noch! (die klassische B-Seite desselben Liedes).
Für eine kleine Radiobastelei bin ich gut gewappnet, also erstmal die Rückwand abgeschraubt (Netzstecker ziehen!), alles entstaubt (die Spuren eines halben Jahrhunderts!) und die Sicherung ersetzt. Nachdem die Spannung nicht nur mental, sondern auch elektrisch zurückkehrte, ein fieses Geräusch: rhythmisches Knarren, oho, die Gleichrichtung! Weißer Rauch stieg auf und verkündete keinen neuen Papst, sondern den Tod eines Netzteils. Ja, Firma Telefunken. Da machen papiergewickelte Elektrolytkondensatoren nach 50 Jahren schlapp? Kein Wunder, kein Wunder, daß ihr nichts mehr baut. Da nützt auch die alte Röhrengarantiekarte, die ich im Inneren des Gehäuses fand, nicht viel.
Das kommt davon, wenn man Döblin zitiert. Nun heißt es wieder, den Radiobastler spielen und die Manuskripte beiseite geschoben. Zauberlehrling, du mußt warten!

Mittwoch, 3. Mai 2006
scharlachfarbenem Tier
die Wollstrümpfe hängen ihm über Bord.
Elend sieht der Mensch aus, gelbblaß,
die klaffenden Linien um den Mund,
die schrecklichen Querfalten über die Stirn.
Er holt sich noch eine Tasse Kaffee
und eine Limonade.
(Alfred Döblin. Berlin Alexanderplatz. 1929)

Auch schon zurück (auf Strümpfen) aus der großen Stadt. Das Biest empfing mich natürlich wie immer mit Regen, Kälte und Abweisung. Und schicksaltrotzenden Fußballfans. Erst sangen die Frankfurter "Zieht den Bayern die Lederhosen aus". Später am Abend sangen allerdings die Bayern "Mer ham noch da Lederhoasn an". Und immer rund um den Bahnhof Zoo. Die armen Kinder dort, was sollen die denken.
Dann aber 1. Mai, schnell ein Arbeiterlied gesungen unter der Dusche, an die jungen Menschen gedacht, die in Kreuzberg grillen und an die älteren, die zur selben Zeit im Internet surfen. (Heute in der FAZ gelesen: "Die komplementäre Redensarten der Industrie, ältere Arbeitnehmer könnten mit dem rasanten Wandel der Wissensgesellschaft nicht mehr Schritt halten, stammen im allgemeinen von Leuten, die älter als fünfzig sind, und sollten entsprechend eingeschätzt werden." - Jürgen Kaube)
Berlin tat dann ganz freundlich (drauf falle ich nicht mehr herein, eigentlich) und lüpfte die Wolkenröcke, um ein paar saftige Sonnenstrahlen kokett hervorzuschieben. Mir zur Freude. Also schnell raus, mich an die Hand begeben und leise und anteilnehmend mit Blogger-Tours ("Da beginnt der Spaß schon auf der Anfahrt") die heimlichen und unheimlichen Tränken und Absackstätten der A-List-Blogger-Schickeria angeschaut. Von "Laß uns mal schön nach Hause geh'n" über "Plüschmutti 3000" und "Mach meinem Kumpel ein Nest" hin zur "Gute Wohnstube", einen Kuchen essen. Überall zaghaft das Baumwollleinentäschchen aufs Trottoir gestellt, umständlich den Fotoapparat herausgewrungen und andächtig mir ein Bildnis gemacht. Zur ehrfurchtsblühenden Erinnerung.
Kuchen also bei "Hier wohnen wir, bis wir 30 39 sind". An den Nebentischen kann man Gesprächen lauschen und dabei wertvolle Tips für sich selbst destillieren. Da erzählt eine ihren zusehends (~hörends) stiller und ungläubiger werdenden Begleitern von dieser Geldanlage. Weil ja "alles nix bringt" und sie doch bald die Wohnung kaufen wolle, habe sie sich mal umgehört. Und dieser seriöse Typ, dieser Immobilienmakler (es gibt Menschen, für die wäre das schon ein Oxymoron), der hätte nun wiederum einen gekannt, Geschäftsmann und gut betucht, der brauchte schnell einen privaten Kredit. (Leider, leider sei der gute Mann nämlich nicht liquide, all sein vieles Geld so feste angelegt, mit Fischerdübeln verschraubt, daß er nun glatt acht Prozent bieten wolle.) Und während man noch denkt, gleich lacht sie laut und ihre Begleiter mit und sagt so was wie "netter Versuch", fährt sie mit unverrückter Miene fort. Bald nämlich bot man ihr sogar zehn Prozent, wenn das Geld nur sofort überbracht würde. Und "natürlich" hätte sie das gemacht, war ja alles ganz seriös und einen Zettel hätten sie auch aufgesetzt, also so einen Vertrag und ob denn - hier ein kurzer nervöser Blick zum Begleiter - private Darlehensgeschäfte hierzulande verboten wären?
Im stillen dachte ich, nun kürz' es schon ab, erzähle die Pointe und laß uns Mitleid schenken. Aber es folgte eine längliche erzählerische Odyssee über vergessene und verschlampte Rückgabetermine, geplatzte Überbringungsversuche, die allesamt plötzlichen Todesfällen in der Familie, Krankheiten oder Motorschäden anderer Art geschuldet waren. Und während bei mir Geduld und Kuchenstück immer kleiner wurden, wartete ich auf das Bekenntnis und die Einsicht, dieses Mein Gott, puta madre, die Kohle ist weg und ich ein Idiot!, und auch die Begleiter rutschten immer peinlicher berührt auf ihren schmalen Sitzen hin und her, starrten mal hierhin, wünschten sich bald dorthin und warteten mit offenem Mund auf das Ende der Geschichte.
"Ja", meinte die Frau. Es hätten sich wohl bald einzelne Unstimmigkeiten gezeigt, glatte Lügen auch, die den mantrisch wiederholten "Geld kommt Dienstag"-Formeln zusehends so etwas wie Glaubwürdigkeit absprachen. Sie hätte mittlerweile Nachforschungen angestellt (Mittlerweile! Nachforschungen! Auf eigene Faust!) und einen Hauch verspürt... Zweifel schlichen sich wohl ein. Jedenfalls, nun wurde eine Meinung erbeten, fragte sie sich, ob sie denn nun noch warten solle, vielleicht doch eine Frist setzen oder... oder einfach mal zur Polizei gehen? Oder, schlimm, lachten die sie am Ende nur aus?
Meine Begleitung, deren längst verdrehte Augen nur durch einen medizinischen Trick wieder anatomisch einigermaßen korrekt in die Höhlen zu bekommen waren, röchelte: "So redet nur eine, die dieses Geld nicht selbst verdient hat." Während ich noch überlegte, mir vielleicht selbst ein wenig Geld von dieser Frau zu leihen. Wenigstens für den Kuchen.
